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293, Zeitschrift der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten März 2014, www.daskonstruktiv.at, Euro 9,– | GZ 12Z039152 M | VPA 1070 Wien 293, „Moderne Architektur im Dialog mit der historischen Stadt gewährleistet das qualitätsvolle Weiterbauen im 21. Jahrhundert und baut Brücken zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“ Alt Jetzt Neu Von oben betrachtet wirkt das Feld wie das Fell einer Giraffe. Handelt es sich um ein gentechnisches Experiment, das deren DNA in den Hafer sticht? Oder um Land-Art, die solchen Pflanz kritisieren will? Tatsächlich ist das natürlich wirkende Muster künstlich hergestellt. Eine Computergrafik, übersetzt ins großformatige Medium der Bepflanzung. Der Traktor wurde elektronisch hochgerüstet, die Saatmaschine zu so etwas wie einem Tintenstrahldrucker umgebaut. Auf den Flecken ist nun Hafer gewachsen, in den Säumen dazwischen sind Kräuter und Blumen gesprossen. Benedikt Groß, Pionier des „Generativen Gestaltens“, ist mit seinem „Avena+ Test Bed“ zufrieden und erntet Zustimmung von vielen Seiten. Denn der von ihm programmierte Algorithmus verfolgt mehrere Ziele. Im Freilandversuch wird „Precision Farming“, computergesteuerte Landwirtschaft, erprobt. Die Biodiversität soll unterstützt werden. EU-Subventionsprogramme werden erfüllt, die Probleme von Monokulturen gemildert, der Einsatz von Chemie zur Schädlingsbekämpfung reduziert. Auch die Umstellung des Ackerbaus von Nahrungs- auf Energieproduktion wird getestet. Nicht zuletzt kann auf diese Weise die Bebauung von Landflächen kompensiert werden, nach dem Vorbild des Handels mit Emissions-Zertifikaten. Die generative Landschaftsgestaltung folgt dem Prinzip, dass der Computer zum Gestalter wird und der Gestalter zum Programmierer. Musterbildung, die sich nach vorgegebenen Parametern selbst organisiert, verbindet neuerdings Natur, Technik und Ästhetik. Ob das Experimentier-Feld im süddeutschen Unterwaldhausen ein Muster für die geprintete Landschaft der Zukunft ist, kann nicht der Blick von oben, kann nicht einmal der weiteste Weitblick erkennen. Wolfgang Pauser N

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Inhalt 3 4 5 6 Editorial, Pendls Standpunkt Puntigams Kolumne, Dusls Schwerpunkt Standpunkte: Rudolf Kolbe, Klaus Thürriedl, Christian Aulinger Plus / Minus: Denkmalschutz: Fehlanzeige Das urbane Dorf Erstarrte Festung oder wandelbares Instrument? André Krammer 7 8 – 11 12 – 15 16 – 17 18 – 22 Alt Jetzt Neu Über das Neue in der Technik | Boris Groys im Gespräch mit Sebastian Jobst Brücken- und Kahlschlag | Denkmalschutz in Salzburg Norbert Mayr Architekturtage 2014 | Alt Jetzt Neu Perspektivverschiebung | Über den zweiten Blick auf vermeintlich Altbekanntes Sebastian Jobst im Dialog mit superuse studios, raumlaborberlin und Fattinger Orso Architektur Wien 22– 24 Siloland | Alt, staubig und modern Heidi Pretterhofer, Dieter Spath 25– 28 Urban Mining | Rohstoffe in Nicht-Wohngebäuden Liselotte Schebek, Jan Wöltjen, Yunbo Li, Britta Miekley, Benjamin Schnitzer, Christoph Motzko und Hans-Joachim Linke 32 – 34 Das Regierungsprogramm| aus Sicht der ZiviltechnikerInnen Georg Pendl, Rudolf Kolbe 34 Verschenkte Erlöse? 36 – 39 Die Mauern und das Leben | Wolfgang Freitag 40 – 41 42 43 44 Aus dem Wettbewerb | Empfehlungen | Jüngste Entscheidung | Krassnitzers Lektüren Porträt Margherita Von oben Die Konzeption des „urbanen Dorfs“ inmitten der Stadtlandschaft ist mehr Wunschbild als Wirklichkeit. Es handelt sich um eine Projektion, in der eine nachvollziehbare Sehnsucht nach Kleinmaßstäblichkeit und vormoderner Ordnung zum Ausdruck kommt. Die überschaubare Welt des Grätzels bildet eine schützende Insel der Behaglichkeit im anonymen Häusermeer. Die unmittelbare Nachbarschaft wird zum kollektiven Wohnzimmer erklärt und vom urbanen Chaos abgegrenzt. Das urbane Dorf ist aber keineswegs nur eine harmlose Idylle. Es ist auch ein trojanisches Pferd, in dessen Innerem antiurbane Ressenti­ ments lauern. Die ambivalente Rezeption genuin urbaner Erfahrung, die das einzelne Individuum durch Unvorhersehbares immer wieder herausfordert, hat im Dorf inmitten der Stadt ihren einstigen kulturellen Mehrwert verloren. Vom weichgezeichneten Bild abweichende Objekte und Praktiken werden gerne durch mehr oder weniger subtile Mechanismen des Ausschlusses an den Rand gedrängt – dorthin, wo die Reststadt ihren Anfang nimmt. Die Urbanität, die erst im unauflösbaren Spannungsfeld zwischen klein­ und großmaßstäblichen Systemen entsteht, ist hingegen nicht immer leicht konsumierbar, oft nur aushaltbar. Aber der Preis kann dann manchmal auch altmodisch Authentizität heißen: Leben statt Idylle. André Krammer N Spiluttini Anna Soucek Christian Kühn, Kommissär des österreichischen Beitrags zur diesjährigen Architekturbiennale in Venedig, geht mit dem Ausstellungskonzept der Typologie von Parlamenten als Räume der Macht nach. Fehlanzeige, Das nächste Heft Impressum konstruktiv 293 Medieninhaber und Herausgeber Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten (bAIK) 1040 Wien, Karlsgasse 9 T: 01-505 58 07-0, F: 01-505 32 11 www.daskonstruktiv.at Erscheinungsweise Auflage Einzelpreis Abopreis pro Jahr vier Mal jährlich 14.500 Stück 9,00 Euro 24,00 Euro Lektorat Dorrit Korger Grafisches Basiskonzept Gassner Redolfi, Schlins Bohatsch und Partner, Wien Gestaltung vektorama. grafik.design.strategie Wien Druck Ueberreuter Print GmbH, Korneuburg Gedruckt auf SoporSet Premium Abbildungen Seite 4: Ingo Pertramer, Andrea Maria Dusl // F. = Fotograf Seite 5: Otto Hainzl, bAIK // Seite 7: A + F A. = Architekt raumlaborberlin // Seite 9: Boris Groys // Seite 10–11: A + F raumlaborberlin // Seite 13: A raumlaborberlin| F Marco Canevacci // Seite 14–15: A Fattinger Orso Architektur. | F Peter Fattinger // Seite 16–17: vektorama. grafik.design.strategie, Wien // Seite 19: A Fattinger Orso Architektur. in Kooperation mit Michael Rieper | Sebastian Schubert, architekturbild.at // Seite 20: A Fattinger Orso Architektur. | F Peter Fattinger // Seite 21: A + F superuse studios // Seite 23–24: Pretterhofer/ Spath // Seite 26–28: A + F superuse studios // Seite 30: Eric Allix Rogers // Seite 32–39: vektorama. grafik. design.strategie, Wien // Seite 42: Iris Ranzinger // Seite 43: Matteo, Andreas Balon // Seite 44: Benedikt Groß Die Redaktion ersucht diejenigen Urheber, Rechtsnachfolger und Werknutzungsberechtigten, die nicht kontaktiert werden konnten, im Falle des fehlenden Einverständnisses zur Vervielfältigung, Veröffentlichung und Verwertung von Werkabbildungen bzw. Fotografien im Rahmen dieser Publikation um Kontaktaufnahme. Das Gestaltungskonzept dieser Zeitschrift ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts ist unzulässig. Die Texte, Fotos, Plandarstellungen sind urheberrechtlich geschützt. Offenlegung gemäß §25 Mediengesetz ist auf www.daskonstruktiv.at veröffentlicht. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben ausschließlich die Meinung des Autors wieder, die sich nicht mit der des Herausgebers oder der Redaktion decken muss. Für unverlangte Beiträge liegt das Risiko beim Einsender. Sinngemäße textliche Überarbeitung behält sich die Redaktion vor. Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Zugunsten der Lesbarkeit wird, wenn von den Autorinnen und Autoren nicht anders vorgesehen, auf geschlechtsspezifische Endungen verzichtet. Das Zitat auf dem Titel wurde dem Text von Norber Mayr entnommen. Redaktion, Anzeigen & Aboverwaltung art:phalanx Kunst- und Kommunikationsbüro Clemens Kopetzky (Geschäftsleitung) Redaktionsteam Susanne Haider, Sebastian Jobst, Heide Linzer 1070 Wien, Neubaugasse 25 /1 /11 T: 01-524 98 03-0, F: 01-524 98 03-4 redaktion@daskonstruktiv.at, anzeigen@ daskonstruktiv.at, abo@daskonstruktiv.at Redaktionsbeirat Walter Chramosta (Architekturpublizist), Gerald Fuxjäger (Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Steiermark und Kärnten), Georg Pendl (Präsident der bAIK), Rudolf Kolbe (Vizepräsident der bAIK und Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Oberösterreich und Salzburg), Sabine Oppolzer (Kulturjournalistin), Wolfgang Pauser (Konsumforscher & Berater), Walter Stelzhammer (Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und Burgenland) Das nächste Heft Als Kurator der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig wirft Rem Koolhaas die Frage nach den „fundametals“ der Architektur auf. In der kommenden Ausgabe geht das KONstruktiv entsprechend den Grundlagen der Architektur sowohl auf konstruk­ tiver als auch gestalterischer Ebene nach. Darüber hinaus werden die Grundlagen technischer Berechnungen sowie die soziologischen Grundbedürfnisse an die Architektur beleuchtet.

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Editorial Nicht nur die Zeit macht die Begriffe Alt und Neu unterscheidbar, denn das ambivalente Paar ist zu einem gewichtigen Maß von sei­ nem Kontext abhängig, und so zeigt sich in der Technik sowie in der Architektur, dass Neues auch im eigentlich Alten zu finden ist. Dies gilt für Ideen wie auch für Rohstoffe, Urban Mi­ ning meint die Verwertung verbauter Roh­ stoffe, die in abbruchreifen Industriebrachen, aber auch in kleineren Immobilien schlum­ mern und mit dem nötigen Know­how in den Produktionskreislauf rückgeführt werden können. Ebenso beschäftigen sich viele Archi­ tekturbüros mit der Um­ oder Wiederverwer­ tung von Materialien und loten dabei gleich­ staltet sich also die Frage nach dem Erhaltens­ zeitig im Rahmen oftmals temporärer Projek­ werten und Erneuerbaren im Feld des Denk­ te die Grenzen konventioneller Baulogiken malsschutzes, auf dem Technik und Kultur aus. Hier zeigt sich die Ambivalenz des Be­ gleichermaßen im Begriff der Baukultur aufei­ griffspaars besonders augenscheinlich, denn nandertreffen. So zeigt sich, dass auch techni­ sowohl physisch als auch konzeptionell trifft sche Infrastrukturbauten wie Brücken im his­ in diesen Projekten Neues auf Altes. Doch torischen Kontext neue kulturelle Relevanz in während in der Technik das Neue gleichbe­ urbanen Landschaften erhalten. Diese Pers­ deutend mit dem verbesserten Update und pektiven auf das Leitthema der Architekturta­ somit mit dem Ersatz des Alten ist, folgt die ge 2014 „Alt Jetzt Neu“ gehen immer auch dem Sphäre der Kultur dem Prinzip der Ergänzung – Thema nachhaltigeren Umgangs mit der ge­ Altes wird durch Neues nicht hinfällig, son­ bauten Umwelt nach. Sebastian Jobst N dern erhält dadurch in manchen Fällen sogar mehr Relevanz. Entsprechend schwierig ge­ Pendls Standpunkt Diesmal nutze ich diesen text als hinweis auf einen text im heft, den ich dringend zu lesen empfehle. Wolfgang Freitag, unter anderem ver­ antwortlich für die redaktionelle betreuung der architekturkritiken im „Spectrum“, der samstagbeilage der Presse, schreibt nicht nur über seine persönliche erfahrung als bauherr mit einer architektin, sondern über die stel­ lung des berufs im baugeschehen, über die berichterstattung, … aber bitte lesen sie selbst. Der autor hat zu meiner freude zuge­ stimmt, dass wir den text, der im „Spectrum“ am 18. jänner erschienen ist, im KONstruktiv veröffentlichen. Noch nie hat mir ein artikel derart aus der seele, dem herzen gesprochen, insbeson­ dere im hinblick auf die wertigkeit von archi­ tektur und das bauen für den alltag, für die ursächlichen bedürfnisse der menschen, wohnen, arbeiten, leben im öffentlichen raum. Diese alltagsarchitektur tritt allzu oft gegenüber der sonn­ und feiertagsarchitek­ tur in den hintergrund, die zwar ihre heraus­ ragende bedeutung hat, jedoch leider ab­ lenkt von den breiten problemstellungen des berufs, ablenkt von den unzähligen weniger spektakulären, sensationellen, aber auch we­ niger teuren projekten. Diese haltung ist aus meiner sicht abso­ lut im sinn der berufsvertretung, ein blick auf die ergebnisse unserer letzten umfrage/erhe­ bung, die seit kurzem auf der website der bAIK herunterzuladen ist, bestärkt mich in dieser haltung. Für mich bedeutet es aber, dass die be­ rufsvertretung sich als anwalt beider rich­ tungen, des hochglanzes wie des alltagstaug­ lichen, zu verstehen hat und man bei all dem aber nicht vergessen darf, dass vor nunmehr vierzehn jahren genau aus dem grund die ar­ chitekturtage geschaffen wurden. Nämlich um niederschwellig, aber effektiv und flä­ chendeckend die vielzahl an variationen von österreichischer architektur genau jenen nä­ herzubringen, die sie stets um sich haben: den menschen. In diesem sinne bringen „die Mauern und das Leben“ in jeder Hinsicht mensch und architektur näher zusammen. Alt Jetzt Neu ist das thema der kommen­ den architekturtage (16. und 17. mai), die nun seit 2002 biennal zum siebten mal statt­ finden. Eine veranstaltung, die österreich­ weit mittlerweile auch in vielen kleinen ge­ meinden an 2 tagen stattfindet und die eine gemeinsame anstrengung der berufsver­ tretung und der architekturstiftung mit ih­ ren mitgliedern, den architekturhäusern, ist. Das grundkonzept einer varanstaltung, die anstelle einer zentralen veranstaltung über das ganze land reicht, spiegelt nicht nur die verschiedenartigkeit der österreichischen planenden szene wider, sondern ist damit auch europaweit einzigartig. Durch die ge­ meinsame regie, bewerbung, auch thematik gelingt es ein sehr „breites“ publikum zu er­ reichen, beim letzten mal waren das nume­ risch über 35.000 menschen. Alt und neu in einem land, in welchem das bauen im bestand immer stärker an be­ deutung gewinnen wird, in welchem es einen starken und angemessen agierenden denk­ malschutz und zahllose landesgesetze und entsprechende gremien zu dieser thematik gibt und welches dadurch konstrukte wie je­ nes des weltkultuerbes durchaus entbehren kann. Die vorgenannten agieren entlang kla­ rer vorgaben und entsprechender verfahren, geben insofern dem bauherrn wie dem archi­ tekten rechtssicherheit und sind offensicht­ lich auch in diesem sinne angemessen, um das thema alt und neu oder bauen im be­ stand gut abzudecken. Georg Pendl (Präsident der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten) N

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Nachhaltigkeit mit Sternchen Falls Sie sich fragen, wie man eigentlich einen Stern wie unsere Sonne baut und was man da­ für einkaufen muss, so kann ich ein wenig hel­ fen. In seiner Geburtsstunde vor cirka genau 13,8 Milliarden Jahren war das heutige Univer­ sum, nach all dem, was wir bislang wissen, eine Singularität, also ein Punkt ohne Ausdeh­ nung mit extrem hoher Masse. Ob sie es also aus dem Kreuz heben oder in die Knie gehen, ist da egal. Aber schon wenig später, genauer gesagt nach 10­­30 Sekunden, kann man sich das Universum als Kugel mit einem Zentimeter Durchmesser vorstellen. Sehr schematisch na­ türlich. Mag man sich denken: „Ein Zentimeter ist auch noch nicht besonders groß.“ Aber für ein Universum, das in der ersten 10­­43­tel Se­ kunde noch punktförmig war, ohne Raum und Zeit, ist das eine tolle Leistung. Verzehnhoch­ fünfzigfachen Sie einmal Ihre Ausdehnung in 10­­30 Sekunden, dann reden wir weiter. Im ers­ ten Bruchteil einer Sekunde nach dem Beginn des Universums wurde extrem viel Energie frei, was zu einer plötzlichen gewaltigen Aus­ dehnung des gesamten Raums führte, die bis heute kein Ende gefunden hat. Rund 100 bis 200 Millionen Jahre danach haben sich auf­ grund der Schwerkraft dichte Gaswolken ge­ bildet und aus diesen wiederum gigantische Sonnen. Diese waren allerdings noch um ein Vielfaches schwerer als unsere heutige Sonne. Und haben deshalb früher einen Schlaganfall bekommen, wenn man so will. Sie haben nur kurze Zeit gebrannt, manche nur 25.000 Jahre, was für eine Sonne echt nicht viel ist. Aber da­ bei wurden im Inneren dieser Sonnen alle Ele­ mente vom Kohlenstoff bis zum Uran erzeugt. Als sie ausgebrannt waren, sind diese giganti­ schen Sonnen nicht mit Burn­out in Kranken­ stand gegangen, sondern explodiert. Binnen kürzester Zeit wurde so sehr viel Material ins All geschleudert. Wohin auch sonst. Und aus diesem Sternenrestmüll haben sich in den dar­ auffolgenden 200 bis 500 Millionen Jahren neue, kleinere Sonnen gebildet. Zuerst waren es wieder nur große Gas­ und Staubwolken, aber mit der Zeit formten sich aus diesen Wol­ ken einzelne dichte Gaskugeln, die dann zu leuchten begannen. Und fertig waren neue Sterne wie unsere Sonne. Wobei neu fast ein wenig übertrieben ist. Denn wenn man es ge­ nau nimmt, ist unsere Sonne eigentlich ein Se­ condhandstern aus Explosionsabfällen. N Martin Puntigam Kabarettist, Autor und MC der Science Busters Dusls Schwerpunkt 293 4|5 Puntigams Kolumne | Dusls Schwerpunkt

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Alles ist gut ges Ziel ihrer Arbeit genannt. Ach ja, nicht zu vergessen, dass die Altersvorsorge der Zivil­ techniker ebenfalls in das aufgrund seiner Größe stabilere staatliche System übergeführt ist. Eigentlich können wir Funktionäre nun un­ sere Arbeit in der Standesvertretung einstel­ len und uns wieder allein dem eigenen Tages­ geschäft oder auch unseren Hobbys widmen. Sie sind nicht dieser Meinung? Sie glau­ ben, dass es weiterhin den Einsatz der Stan­ desvertreter braucht? Wir sollten weiterma­ chen im Fordern der Einführung des Prüfinge­ nieurs, auch wenn diesmal das Dach der Schu­ le in Spittal Gott sei Dank nicht eingestürzt ist? Wir sollten weiter darauf bestehen, dass für unsere Arbeit auch eine qualitative Ausbil­ dung Grundvoraussetzung bleibt? Wir sollten nicht zulassen, dass der Anspruch auf Pla­ nungsqualität durch ruinösen Preiswettbe­ werb ausgehöhlt wird? Ich bin ganz Ihrer Meinung. Wir haben ei­ nige schöne Erfolge in der Vertretung der Inte­ ressen unseres Berufsstandes erzielen kön­ nen. Oder auch einige Verschlechterungen der Rahmenbedingungen zumindest teilweise ab­ wehren können. Besonders die Geschlossen­ heit innerhalb der Kammer, aber auch – wie zu­ letzt beim Gewinnfreibetrag – der Schulter­ schluss mit den anderen freien Berufen und auch mit der Wirtschaftskammer haben uns Ziviltechniker zu einem auch für die Politik wahrnehmbaren Gesprächspartner gemacht. Im späten Frühjahr wählen wir unsere Vertre­ ter neu. Sie können dann Ihren Beitrag leisten, damit es so bleibt. Sei es, indem Sie sich als Funktionär zur Verfügung stellen oder zur Wahl gehen. Damit wir dann einmal sagen können: Alles ist gut. N Nähere Informationen sind auf Seite 32–34 zu lesen. Rudolf Kolbe Vizepräsident der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten Alles ist gut? Der Gewinnfreibetrag ist also doch nicht ganz abgeschafft worden. Und im Regierungsprogramm steht die Absicht, das Normenwesen neu zu gestalten. Die meisten Bundesländer haben die OIB­Richtlinien in die Baugesetzgebung implementiert. Auch das leistbare Wohnen wird von den zuständigen Politikern immer wieder als besonders wichti­ Alt Jetzt Neu Frühstück! Ich sitze über meiner lokalen Tages­ zeitung. Da stolpere ich über eine Hofer­Wer­ bung mit einem schönen Bild. Ein Striezel Leber­ käse. Titel „Leberkäs – Neu mit Naturkruste“. Hoppala! Das ist neu, das ist wirklich neu. Seit Jahrzehnten backen sie den Leberkäse und der hat jetzt eine Naturkruste. Bin ganz weg! Seit über drei Jahren wurde in Brüssel die neue Vergaberichtlinie gebacken. Viele Köche sind hingeflogen. Im März soll die letzte Unter­ schrift daruntergesetzt werden und dann gilt’s. Wird die alte Richtlinie jetzt dadurch neu? Ein alter Traum der ZiviltechnikerInnen ist, dass ihre umfangreiche Ausbildung, Praxis, die dadurch hohe Qualität der geistigen Leistung ir­ gendwann auch einmal bezahlt werden. Wir zer­ martern uns das Gehirn für unsere Auftraggebe­ rInnen, damit wir zu guten Lösungen kommen. Bezahlt wird aber maximal die Zeit, die wir das Hirn gemartert haben, nicht, was dabei heraus­ kommt. Was wir jetzt von der Vergaberichtlinie schon wissen, ist, dass dieser alte Traum alt blei­ ben wird. Denn wenn man einen Traum noch­ mals träumt, ist er ja nicht neu – auch wenn er von vorne beginnt. Wir haben es nicht geschafft, dass das Verhandlungsverfahren für geistige Dienstleistungen zwingend anzuwenden ist – schade! Auch wenn das noch lange keine Garan­ tie für eine gerechte Entlohnung für die Hirn­ marterung wäre. Der Markt reguliert alles. Dass diese Über­ zeugung aber ein alter Hut ist, weiß man spätes­ Klaus Thürriedl Vorsitzender der Bundessektion der Ingenieurkonsulenten tens seit der Finanzkrise 2008. Und wenn man in diesem Land hochqualitative ZiviltechnikerIn­ nen­Leistungen nicht mehr bezahlen will, dann müssen wir halt den Gürtel enger schnallen und statt dem Schnitzerl einen Leberkäs‘ essen, jetzt aber mit neuer Naturkruste. N War das nun der berühmte erste Schritt? Normenstrategie“. In der Übersetzung: „Wir versuchen den durchgegangenen Gaul Nor­ menwesen wieder einzufangen.“ Es be­ schränkt sich natürlich nicht bloß auf die Über­ schrift, genannt werden auch konkrete Maß­ nahmen, wie die dringend notwendige Novel­ lierung des Normengesetzes von 1971, stärkere Kontrolle des Normungsinstitutes, Normung nur mehr auf Antrag und damit ver­ bunden ein Einspruchsrecht gegen Nor­ mungsanträge, Schaffung einer Schlichtungs­ stelle und zu guter Letzt: erleichterter Zugang zu Normen und zum Normungsprozess. Auch soll die „Finanzstruktur“ des Normenwesens neu ausgerichtet werden. Soll heißen, es wird bezweifelt, ob das derzeitige „Geschäftsmo­ dell“ des Normungsinstituts – also möglichst viele Normen aufzulegen und zu verkaufen, um die eigenen Kosten zu decken – tatsächlich im Interesse der Allgemeinheit steht. Die NR­ Abg. Ruth Becher, Vorsitzende des parlamenta­ rischen Bautenausschusses, denkt sogar laut über die Eingliederung des Normungsinstituts ins Wirtschaftsministerium nach. All dies darf als positive Entwicklung und als Folge der Kri­ tik und der Bemühungen der letzten zwei Jah­ re gesehen werden. Eine Kritik, die nicht nur die bAIK, sondern auch zahlreiche Mitstreite­ rInnen ständig und nachdrücklich formuliert haben. Es war ein erster Schritt. In die richtige Richtung. Weitere, vor allem die Umsetzung der Vorhaben, werden folgen müssen. Das Ziel kommt näher, ist aber noch nicht erreicht. N Christian Aulinger Vorsitzender der Bundessektion der Architekten Die Regierung hat in ihrem Programm für die kommende Legislaturperiode ein Vorhaben angeführt, das sich vollinhaltlich mit den For­ derungen der bAIK nach einer Reform des Nor­ menwesens deckt. Im Sprech des Regierungs­ programms nennt sich das: „Entwicklung einer Standpunkte

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Denkmalschutz: Erstarrte Festung oder wandelbares Instrument? Der Denkmalschutz ist nach wie vor ein entscheidender Player, der die Entwicklung unserer Städte maßgeblich beeinflusst. Will sich die Institution nicht als rückwärtsgewandte Disziplin verstehen, die das Erbe der Vergangenheit konserviert und somit aus der Gegenwart herauslöst, muss sie sich kritischen Fragen stellen, um für die Zukunft Relevanz zu beweisen. Wie würden unsere Städte aussehen, gäbe es Der Denkmalschutz, verstanden als ein Instru­ nicht den Denkmalschutz, der mit schützen­ ment zur reinen Konservierung der Vergan­ der Hand die Monumente, wesentliche Zeit­ genheit, droht zu einer bürokratischen Fes­ zeugen der Vergangenheit, davor bewahrt, im tung zu erstarren, die ausschließlich reaktiv Strom der Gegenwart unterzugehen? Die eu­ agiert und zunehmend an Zukunftsrelevanz ropäische Stadt würde ihre Identität verlieren, verliert. In Europa werden warnende Stim­ die in einer irreduziblen Mehrdeutigkeit be­ men laut, die an den Grundfesten der Disziplin gründet liegt, die eine fortdauernde Überlage­ rütteln und ein radikales Infragestellen liebge­ rung historischer Schichten erst hervorbringt. wordener Prämissen fordern. Es handelt sich Eine lebendige Stadt ist ohne die Gegenwart dabei keineswegs um akademische Forderun­ der Vergangenheit nicht denkbar. Der Denk­ gen, die hinter verschlossenen Türen erhoben malschutz ist ein wesentliches Instrument im werden. Die Uhr tickt, da viele Denkmäler der Kampf gegen die Tabula­Rasa­Mentalität und Architektur des 20. Jahrhunderts, die nicht ge­ Geschichtsvergessenheit, die unsere Städte schützt sind, in Vergessenheit geraten und epidemisch heimsuchen. Der Schutz von Kultur­ von Zerstörung bedroht sind – insbesondere gütern, baulichen Ensembles bis hin zum die Denkmäler der Nachkriegsmoderne, Zeu­ Weltkulturerbe sichert einen universellen An­ gen einer sozialen Konzeption der Raumpro­ spruch auf die Erhaltung des wertvollen archi­ duktion, die im gegenwärtigen Zeitgeist nur tektonischen und städtebaulichen Bestands. auf wenig Sympathie stoßen. Dabei geht es Ein Umbau der Stadt, der durch die Summie­ nicht alleine um enigmatische Gebäude wie rung privater Begehrlichkeiten angetrieben den Palast der Republik in Berlin, dessen Ab­ wird, kann das kollektive (Menschen)Recht riss auch Empörung hervorgerufen hat, son­ auf Erbe nicht gewährleisten. Die notwendige dern auch um die Frage, ob nicht auch schein­ Balance zwischen belebendem Wandel und bar banale und durchschnittliche Gebäude bewahrender Konstanz ist eine politische und und Ensembles schützenswert wären, die von gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nicht einer Alltags­ und Gesellschaftsgeschichte ab­ von der oft prekären Kurzsichtigkeit der Ta­ seits der großen Ereignisse und herausragen­ gespolitik abhängen darf. In die Transformati­ den Monumente zeugen. Diese Diskussion ist on der Stadt müssen die Landmarken der Ver­ auch insofern von Bedeutung, da gleichzeitig gangenheit eine aktive Rolle spielen, wollen ein problematischer Trend zu Restauration wir die Vielstimmigkeit erhalten, die große Er­ feststellbar ist, der auch die Forderung nach zählungen auszeichnet. Gleichzeitig wohnt Rekonstruktion der Vergangenheit beinhaltet dem Denkmalschutz, also einer Disziplin, die – man denke an die Forderung nach Wiederauf­ per definitionem dem Bewahren verpflichtet bau des Berliner Stadtschlosses in Form einer ist, eine inhärente Instabilität inne. Diese teilt 1:1­Stilkopie. sie mit der Geschichtswissenschaft, deren Un­ Unsere Altstädte verwandeln sich zuneh­ tersuchungsgebiet sich ebenfalls laufend er­ mend in blutleere Museen, die sich an den Er­ weitert und dabei alte Gewissheiten mitunter fordernissen der Konsumgesellschaft und der auf den Kopf stellt. Während über die Kernauf­ touristischen Vermarktung der Stadt orientie­ gaben des Denkmalschutzes beinahe Kon­ ren. Auch der Denkmalschutz spielt in diesem sens zu herrschen scheint, dominieren an den Trend zur kommerziellen Musealisierung der Rändern – da, wo es darum geht, die unmittel­ historischen Bausubstanz eine entscheiden­ bare Vergangenheit zu evaluieren und neue de Rolle, da er oft einem zeitgemäßen Um­ Sichtweisen und Instrumente zu entwickeln – gang mit dieser entgegensteht. In manchen Unsicherheiten, die immer wieder in hitzig ge­ Fällen wären aber gerade radikale Eingriffe führten Disputen zum Ausdruck kommen. und Umnutzungen, die einen subtilen Dialog Die Frage, was für wen schützenswert ist, zwischen Vergangenheit und Gegenwart auf muss in einem mühevollen Prozess ständig ästhetischer und programmatischer Ebene er­ neu ausverhandelt werden. lauben, die nachhaltigste Strategie, die vitale Existenz des baulichen Erbes in einer lebendi­ gen Stadt zu sichern. Andre Krammer N 293 6|7 Plus/Minus

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Alt Jetzt Neu Das Schwerpunktthema wird in dieser Ausgabe von Projekten dreier Architek­ turbüros begleitet. Fattinger Orso Architektur, Wien, raumlaborberlin und superuse studios, Rotterdam, beantworten auf den Seiten 18 bis 21 Fragen zum Verhältnis zwischen Alt und Neu in ihrer experimentellen Architektur praxis. Allen drei ist der sensible Umgang mit dem sozialen wie auch dem baulichen Kontext gemein. Dabei loten sie oftmals in temporären Installationen den Möglichkeitsraum der jeweiligen Orte mit unkonventionellen Baustoffen oder recycelten Materialien aus. Rekombination und Umdeutung kommen dabei immer wieder als architektonische Strategie zum Einsatz. Sebastian Jobst N raumlaborberlin The Big Crunch 06. 06. 2011–30. 06. 2011 Darmstadt, Deutschland

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Über das Neue in der Technik | Boris Groys im Gespräch mit Sebastian Jobst Boris Groys gilt durch seine Arbeit an einer Kulturökonomie des Neuen und zur russischen Avantgarde als einer der bedeutendsten Medien­ theoretiker, Kunstkritiker und Philosophen des 20. Jahrhunderts. In der Publikation „Über das Neue, Versuch einer Kulturökonomie“ (1992) ging er der Frage nach, wie sich im Kontext der Postmoderne noch neue ästhetische Konzepte schaffen und als solche erkennen ließen. Im Ge­ spräch mit Sebastian Jobst erklärt er, wie ebendiese Theorie des Neuen auf Technik und Architektur zu übersetzen sei. Jobst: Alt und Neu sind sprachlich sehr ambi­ valente Begriffe, weil sie sowohl ein zeitliches als auch kontextuelles Phänomen beschrei­ ben. In Ihrem Buch „Über das Neue“ gingen Sie der Frage nach, was in der Sphäre der Kul­ tur das Neue charakterisiert. Groys: Der unmittelbare Impuls, dieses Buch zu schreiben, war der Diskurs über die Unmöglichkeit des Neuen. In der Postmoderne war dieser Diskurs sehr en vogue und unterschwellig auch sehr bestim­ mend für die damalige kulturelle Arbeit. Die Idee des Buches war, dass wir so etwas wie ein kulturel­ les Gedächtnis haben, das heißt, dass wir Archive haben wie Museen oder Bibliotheken oder auch ganze Städte als urbane Räume. Etwas, das Aus­ kunft gibt, wenn ein Gebäude gebaut wird, um im­ stande zu sein, etwas zu planen, das im Vergleich zu diesen Archiven als neu verstanden wird. Das Neue ist also etwas, das in Bezug auf das kulturelle Ge­ dächtnis immer relativ besetzt werden muss. J: Die Behauptung der Postmoderne war, Neues könne nicht mehr geschaffen werden, alles sei nur noch eine Interpretation von bereits Dagewesenem. G: Aber woher weiß man, dass es unmöglich ist? J: Es müsste ein absoluter Blick, der alles bis­ her Geschaffene erfassen kann, vorausgesetzt sein. G: Ja, genau. Aber das ist natürlich nicht möglich. Das heißt, die Frage nach dem Neuen ist immer eine strittige Frage. Immer wenn jemand den Anspruch erhebt, etwas Neues gemacht zu haben, können an­ dere das hinterfragen, zu einem endgültigen Urteil zu gelangen ist allerdings schwierig. Dafür benötigt man eben diesen totalen Überblick, den wir aber natürlich nicht haben. Deshalb sind alle Antworten relativ. J: Archive als zwar lückenhafte Überblicke ver­ einfachen dies. In „Über das Neue“ differen­ zieren Sie zwischen dem wissenschaftlichen Streben nach Neuem, das auf Archiven auf­ baut, und dem System der Mode, das kein Ge­ dächtnis hat. Wie ließe sich die Technik in diesem Kontext beschreiben? G: Wenn wir über die Technik sprechen, dann ist das Neue ein problematischer Begriff. In der Tech­ nik gibt es überhaupt kein Streben nach Neuem, in der Technik gibt es ausschließlich das Streben nach Besserem. Wenn ich beispielsweise mein altes iPhone gegen eine neuere Version austauschen will, dann kaufe ich dieses iPhone nicht, weil es neu ist, sondern weil ich glaube, dass es besser ist. Das Neue an sich spielt in der Technik überhaupt keine Rolle. Entsprechend werfe ich das alte iPhone weg, weil ich es nun ja ersetzt habe. Wenn ich allerdings als Künstler ein neues Bild produziere, dann kann ich nicht behaupten, dass dieses Bild in irgendeiner Weise besser ist. Ein Künstler kann beispielsweise nicht sagen, sein neues Bild sei besser als ein Bild von Leonardo da Vinci, allerdings kann er behaup­ ten, es sei neu im Vergleich zu da Vinci. Um das zu beweisen, stellt er das Bild ins Museum, das heißt ins Archiv, neben ein Bild von Leonardo da Vinci. Dadurch wird das Bild von da Vinci nicht ersetzt, sondern vergleichbar. Das Streben nach dem Neuen funktioniert vollkommen unterschiedlich zum technischen Streben nach Verbesserung. Das sind einfach zwei sehr unterschiedliche Formen. J: Wobei sich diese Logiken in der Vermark­ tung der Technik überschneiden. Dem Konsu­ menten wird oft suggeriert, er benötige be­ stimmte Produkte nur ihrer Neuheit wegen. G: Trotzdem lautet die Versprechung immer, es ist neu und besser. Ein weiteres Beispiel wäre das „Schwarze Quadrat“ von Malewitsch, darauf kann der Betrachter nichts sehen, es ist ein schwarzes Monochrom. Ein neues Fernsehgerät, das lediglich einen schwarzen Bildschirm anzeigt, ließe sich aber natürlich nicht verkaufen. Das neue Fernsehgerät lässt sich nur mit seiner Funktion, leuchtenderen Farben oder einer höheren Auflösung bewerben. Der Verzicht auf eine unmittelbare Funktion ist nur in der Kunst und Kultur machbar, nicht in der Technik. Entsprechend sind das zwei unterschied­ liche Vorgänge. J: Verlieren funktionelle Dinge gegenüber neueren Versionen ihren Anspruch, etwas am besten zu erfüllen, während kulturelle Er rungenschaften einander ergänzen? G: Wir ersetzen das eine durch das andere, weil wir denken, dass es schlecht sei. Allerdings kann man, wie Heidegger und viele andere vorgeschlagen ha­ ben, nachträglich die technische Entwicklung als eine künstlerische interpretieren. Unter diesem Aspekt betrachtet, lässt sich sagen, dass obwohl das Alte funktional schlichter war, die Lebensform, die damit verbunden war, ästhetischer und lebenstech­ nisch angenehmer war. Das ist der Grund, warum auch im technischen Bereich Menschen manchmal 293 8|9 Über das Neue in der Technik

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zurückgehen, auf ältere Techniken zurückgreifen. Auf diese Techniken greifen sie allerdings nicht zurück, weil sie im funktionalistischen Sinne, son­ dern weil sie Ihnen ästhetisch reizvoller zu sein scheinen. Das war beispielsweise im Jugendstil oder im England des ausgehenden 19. Jahrhunderts der Fall, als die Leute begannen, auf vorindustrielle Produktionsweisen zurückzugreifen. Das zeigt, dass die Logik der technischen Innovation, eine Logik der Verbesserung und die Logik der ästheti­ schen Innovation in vielen Fällen konträr sind. Wir können aus ästhetischen Gründen etwas wäh­ len, das wir aus rein praktischen Gründen nicht wählen würden. J: Wäre ein heutiges Beispiel dafür die Retrolo­ gik zeitgenössischer Populärkultur? Hier wer­ den ebenfalls nicht nur ältere Kulturfragmen­ te neu interpretiert, sondern auch ältere Gerä­ te oder Techniken wiederverwendet. G: Ich denke, diese Retrowellen folgen einer ästheti­ schen Logik im weiteren Sinn, sie bewegen sich im Lifestyle. Sie orientieren sich nicht an der Ästhetik des Designs einzelner Gegenstände, sondern an der ästhetischen Gestaltung gewisser Lebensformen. Daraus ergibt sich der Gegensatz, dass technische Innovationen aus funktionaler Sicht besser sind, aber aus ästhetischen Gründen und des Lebensstils wegen ältere Formen vorgezogen werden. Das ist im 20. Jahrhundert wie auch heute eine weit verbreitete Praxis. Ein Rückzug in ein ästhetisch befriedigen­ deres Leben lässt sich aber bereits im Mittelalter oder später bei Rousseau beobachten, eine Bewe­ gung der Revolution gegen den Progress. In diesem Spiel zwischen Besserem und Neuem stellt sich uns eine komplizierte Wahl, und wir praktizieren kompli zierte Strategien, um sie zu treffen. J: Lassen sich so betrachtet diese Rückgriffe als Kritik am Fortschrittsglauben lesen? G: Ja, dieser Rückgriff ist eine Form des Protests an der Ideologie des Fortschritts, Fortschritt jedoch nicht verstanden als Erneuerung, sondern als Ver­ besserung. Wenn wir bereit sind, unsere Lebensfor­ men, auch wenn wir sie lieben, zu opfern, bedeutet das nur vordergründig Fortschritt. Das Neue kann paradoxerweise gerade aus der Verweigerung des Fortschritts entstehen, im Sinne einer Metanoia. Es gibt zwischen Neuem und Besserem eine Kluft, in der sich die heutige ästhetische Imagination bewegt. J: Die Logik der Verbesserung setzt somit die vorhandenen Strukturen nur fort. G: Sie werden zwar nicht infrage gestellt, aber gleichzeitig unterwandert. Durch die Einführung des Internets wurde beispielsweise sehr vieles un­ terwandert, Museen, Bibliotheken und andere Formen von Archiven. Während neue Formen der Überwachung ermöglicht wurden, die davor noch nicht umsetzbar waren. Das technisch Bessere brachte uns viele Veränderungen, die ursprünglich nicht mitgedacht wurden. J: Weil besonders solche Techniken viel mehr Lebensbereiche als anfänglich angenommen durchdringen. G: Wenn uns etwas angeboten wird, ist unsere positive Reaktion oft mit der Vorstellung verbun­ den, dass alles andere beim Alten bliebe und nur dieser eine Aspekt besser werde. Das traf auch auf das Internet zu, doch das Alte wurde, wie wir heute wissen, in vielen Bereichen dadurch komplett verän­ dert. Es war eben nicht die Aktion der Einführung des Internets, sondern ein Prozess, und am Ende wachten wir in einer neuen Welt auf, in der das Alte nicht mehr gilt. J: Dieser Logik folgend ist die Verbesserung nie eine Ergänzung, sondern ersetzt immer Altes. G: Ich würde es noch radikaler ausdrücken. Die Ein­ führung der Verbesserung ersetzt nie nur einen As­ pekt, sondern zieht Veränderungen in vielen ande­ ren Bereichen nach sich. Die Einführung des Autos bedingte natürlich auch die entsprechende Infra­ struktur, und so durchziehen nun überall Highways den Raum, und Eisenbahnen und andere Verkehrs­ mittel verloren ihre damalige Relevanz. Ebenso müsste in Konsequenz des Internets das Museum als Gebäude abgeschafft und durch eine Website ersetzt werden. Das führt zu einem permanenten Update, auch der eigenen Person. Letztlich muss ich mich psychisch als auch physisch ständig updaten. Ich muss schließlich meinen Lebensstil ständig an die sich verändernde Umgebung anpassen. So infi­ zieren sich alle Bereiche gegenseitig, so funktioniert der Fortschritt. J: Entgegen der Annahme, das Internet würde Museen ablösen, lässt sich nach wie vor geradezu ein Museumsboom beobachten. Ließe sich behaupten, dass eine Gesellschaft des permanenten Updates als Kontrapunkt nach immer mehr kulturellem Gedächtnis verlangt? G: Die Funktion des Museums hat sich vollkommen verändert. In der Vergangenheit waren die Museen Orte der permanenten Kollektion, das waren stille Orte der Präsentation der Kunstgeschichte. Heutige Museen sind hingegen Orte der Wechselausstel­ lungen, nun finden Konzerte, Performances oder Vorträge, deren Dokumentationen auch online be­ trachtet werden können, statt. Die Museen sind heute so beschaffen, dass sie das Internet mit Neuigkeiten aus der Kunstsphäre füttern. Über das Neue in der Technik

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J: Eine gegenläufige Entwicklung lässt sich vor allem in den europäischen Städten beob­ achten, die durch den Denkmalschutz gleich­ sam zur Dauerausstellung werden und die dem urbanen Raum eigentlich immanente permanente Transformationsprozesse verlie­ ren. Verliert die Stadt durch den Versuch, sie zu bewahren, dadurch nicht eine ihrer wich­ tigsten Charakteristika? G: Ich denke, man muss sich die Frage stellen, für wen eigentlich die Städte gebaut sind und wozu sie dienen. Die heutigen Städte sind praktisch für Tou­ risten gebaut. Das Subjekt des heutigen urbanen Lebens ist der Tourist. Idealerweise verbringt er drei Tage in einer Stadt und dann fliegt er in eine andere. Ebenso ist der Geschäftsmann oder der in­ ternationale Kurator immer in Bewegung, alle jet­ ten und zirkulieren. Die heutigen Städte sind muse­ ale Räume, denn man kommt in eine Stadt wie in ein Museum und möchte dort ins selbe Café gehen, das man bereits von einem früheren Aufenthalt her kennt, anschließend will man durch die altbekann­ ten Straßen spazieren und dann fragt man sich, ob es eine neue Ausstellung gibt. Städte funktio­ nieren genauso wie Museen als Ausstellungsorte. Die Raumbedingungen sollen stabil bleiben, aber die Ausstellungen sollen sich abwechseln, sodass der internationale Tourist beides hat, sowohl seine Erinnerung an seinen früheren Besuch plus neue Erfahrungen. Das scheint der Wunsch des interna­ tionalen viel beschäftigten Touristen zu sein, das ist die Sicht und Lebensweise, die die Gestaltung britischer Städte weitestgehend prägt. J: Doch eigentlich verlieren die Städte dadurch ihre eigentlichen Qualitäten, macht doch der permanente Wandel das Urbane erst aus. G: Gleichzeitig lässt sich in den europäischen Städ­ ten beobachten, dass die Verhaltensweisen ihrer Bewohner sehr stabil bleiben. Die Bevölkerung agiert und bewegt sich in der Stadt auf die gleiche Weise, es herrscht eine gewisse kulturelle Stabilität. Bedingt auch durch den internationalen Städtetou­ rismus, ich glaube, er ist so etwas wie eine riesige Maschine zur Herstellung des ewig Gleichen. Das ist, was Tourismus eigentlich aufzwingt. J: Müsste man eine derartige Situation nicht eher Stagnation als Stabilität nennen? G: Ja, es ist eine Form der Stagnation, aber eine pro­ duzierte. Es beschreibt keine Abwärtsbewegung durch Stillstand, vielmehr ist es eine permanente Restauration. Um Kunstwerke im Museum auszu­ stellen, stabilisiert man dort die Temperatur und Luftfeuchtigkeit, man kümmert sich darum, dass alles gleich bleibt. Das ist eine große Investition, denn es erfordert viel Arbeit. Etwas in einem guten Zustand zu erhalten ist viel schwieriger, als etwas zu ändern. J: Das lässt sich aus rein technischer Sicht na­ türlich auch für die Architektur sagen, schließ­ lich ist es weit schwieriger, Altbestand zu er­ halten und die Sicherheit der Bewohner oder anderer Nutzer zu gewährleisten, als etwas neu zu bauen. G: Genau deshalb hat man das Gefühl, dass diese Stabilität oder Sustainability sehr viel Kraft und Investition erfordern. Gegenteiliges sieht man bei­ spielsweise hier in New York, manche Gegenden er­ kennt man innerhalb kürzester Zeit nicht mehr wie­ der, weil so vieles abgerissen und neu gebaut wurde. Als Antwort auf die Frage, warum das so ist, hört man oft, dass es einfach zu schwierig sei, dass es zu viel Kraft und Investition erfordert. Dazu ist man in Europa jedoch bereit, und das, würde ich sagen, ist auch nicht schlecht. J: Durch Modelle wie Life­Cycle­Buildings hält jedoch genau diese Temporarität auch in Eu­ ropa Einzug. Von der Errichtung bis zum ge­ planten Abriss sind hier bereits alle Kosten, 293 10 | 11 Über das Neue in der Technik

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Energieaufwände und Investitionen berech­ net. Zeichnet sich an solchen Gebäuden ein Paradigmenwechsel ab, eine Art Erneuerungs­ zwang ist hier bereits mit eingeplant? G: Um auf das Beispiel der Stadt als Museum zu­ rückzukommen, ließe sich sagen, dass in diesem Fall die Stadt keine Dauer­, sondern eine Wechsel­ ausstellung wird. Im Sinne dessen, dass eine Wech­ selausstellung unabhängig von ihrer Qualität und von ihrem Publikumserfolg immer bereits ein ge­ plantes Ende hat. Vielleicht ist es in Städten ebenso, allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass die architekturgeschichtlich wichtigen Städte Europas nicht erhalten bleiben. J: Die historisch relevanten Gebäude und urbanen Ensembles bleiben sicher weiterhin erhalten, allerdings stellt sich doch die Frage, ob spätere Generationen nicht eine Art archi­ tektonische Erinnerungslücke aufweisen werden. G: Ja, aber das ist so in der Logik unserer Zeit, die alles Temporäre vorzieht und nichts mehr für länge­ re Zeit oder gar die Ewigkeit schafft. Unsere Zeit ist die Zeit der Vorläufigkeit. Das ist nicht nur in der Baukunst, sondern auch in der Politik oder anderen Bereichen so, überall wird auf das Temporäre und Vergängliche gesetzt. Diese Vergänglichkeit stellt wie in der Mode, wenn ein Trend aufkommt, immer bereits die Frage, wann er sich wohl ändern wird. J: Diese Form der Temporarität lässt sich eben­ falls in der Ökonomie, mit ihrem ständigen Streben nach Innovation und Wachstum, be­ obachten. G: Im Endeffekt ist es nicht Wachstum, sondern ständiges Ersetzen und Verbessern. Wir sprechen also eigentlich von einer Form von beständigem Wandel, irgendetwas kommt hinzu, etwas anderes geht dadurch wieder verloren. Wir leben in Kapital­ flüssen. N raumlaborberlin House of Contamination 2010 Turin, Italien Über das Neue in der Technik

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Brücken­ und Kahlschlag | Denkmalschutz in Salzburg Norbert Mayr Architekturhistoriker, Stadtforscher, Autor.  Neben freiberuflicher Forschungs­, Publika­ tions­ und Kuratoren­ tätigkeit zur öster­ reichischen und internationalen Archi­ tekturgeschichte und Architekturtheorie lehrt er unter anderem an der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst, FH Salzburg, TU Wien. Salzburg ist bekannt für den strengen Schutz seines historischen Stadtkerns, bereits 1967 wurde das Alt­ stadterhaltungsgesetz erlassen: Akribisch begut­ achten die Sachverständigenkommission für die Altstadterhaltung (SVK) und das Bundesdenk­ malamt Neu­ und Umbauprojekte. Das Zentrum steht zudem unter strenger Beobachtung der Weltkulturerbe­Schützer UNESCO bzw. ICOMOS. Zu Recht hinterfragenswert sind oft Dichte und An­ gemessenheit von Be­ und Verbauungen. Bedauer­ licherweise wächst der reaktionäre, überwunden geglaubte Geist gegen zeitgemäßes Bauen aber wie­ der gefährlich an. Drei prächtige Brücken bzw. Stege bereicherten am Beginn des 20. Jahrhunderts das Stadtbild von Salzburg. Die Lehener Brücke (ehemal. Erzherzog­ Ludwig­Viktor­Brücke) plante der geniale Konstruk­ teur Josef Melan (mit Architekt Franz von Krauß), sie wurde ebenso ersetzt wie der damalige Makartsteg. In seiner ganzen Pracht erhalten ist der Mozart­ steg mit seinen ebenfalls dezenten Jugendstilde­ kors. Entwurf und Ausführung für die dreifeldrige Fachwerkbrücke mit Stabbögen lieferte die Wiener Brückenbau­Anstalt Ignaz Gridl (1903). Die Ingeni­ eurbaukunst bändigte die statischen Notwendig­ keiten, das Baudenkmal ersten Ranges erhielt eine filigrane, zarte Außenerscheinung. Kaum weniger beeindruckend präsentierte sich der 1905 eröffnete Makartsteg, der allerdings in den 1960er­Jahren einem banalen Neubau wich. Durch einen EU­weiten Wettbewerb konnte anstelle des wiederum baufällig gewordenen Stegs der 2001 er­ öffnete Neubau entstehen. Das Salzburger Architek­ turbüro HALLE 1 entwickelte gemeinsam mit Trag­ werksplaner Johann Lienbacher diese zweifeldrige Stahl­Balkenbrücke. Das dynamische Design eines „sanft über den Fluss gelegten Blatts“ verankert nur ein leicht gekippter, asymmetrisch platzierter Pfei­ ler. Mit silberfarbenem „Bauch“, in dem sich die Farbschattierungen des Wassers spiegeln sollen, und reduzierten Nironetz­Brüstungen bemühten sich die Architekten um die visuelle Entmateriali­ sierung des 400 Tonnen schweren Bauwerks. Der Steg vermittelt – schleifenförmig, ähnlich einem Salzachbogen – zwischen Makart­ und Hanusch­ platz und eröffnet im Gehen sich verändernde Stadtansichten. Mit dem Makartsteg entstand im Stadtzentrum nach 100 Jahren wieder eine besondere Symbio­ se aus Architektur und Ingenieurbaukunst. Gleichzeitig schrieb sich – von der Bevölkerung sehr positiv aufgenommen – Baukultur auf der Höhe ih­ rer Zeit mit elegantem Schwung direkt in die altehr­ würdige Altstadtsilhouette ein. Einfügung statt Anpassung Das war im 20. Jahrhundert nicht immer so, un­ auffällige, aber triviale Anpassung bestimmte viele Jahrzehnte das Neu­ und Umbaugeschehen im his­ torischen Zentrum von Salzburg. Der Makartsteg bedeutete einen besonders präsen­ ten Baustein in der Entwicklung der Öffnung der Altstadt für zeitgemäßes Bauen. Bereits seit Ende der 1980er­Jahre entstanden viele bemerkenswerte, für das Prinzip der Einfügung stehende Bauwerke. Der Gestaltungsbeirat forcierte die Öffnung der Sachverständigenkommission für die Altstadterhal­ tung (SVK) für engagiertes Bauen. Das erste Beispiel war das nach Plänen von Architekt Fritz Lorenz 1988 fertiggestellte Haus Arenbergstraße 29b. Otto Kapfinger fasst die damalige Entwicklung zu­ sammen: „Wie kann in die prominente Zeile im rechten Flussufer ein Neubau ohne Stilkopie einge­ fügt werden? 1985 war das die Gretchenfrage für den 1. Gestaltungsbeirat. Die eingereichten Pläne waren indiskutabel, und der Beirat, damals auch für diesen Altstadtteil zuständig, wollte nachwei­ sen, dass die lokal längst nur mehr negativ behan­ delte Frage positiv lösbar ist. Trotz vieler Vorgaben gab es doch ein stimmiges, nobles Ergebnis: ein schlichter, klarer Baukörper, subtil auf den Kontext reagierend, doch mit zeitgenössischen Elementen, von der Straße zurückgesetzt auf ein Plateau, das mit rauer Stützmauer zum Gehsteig abgrenzt. […] Freitreppen, Innentreppen, Podeste, Terrassen, Loggien durchdringen und umgeben das Haus, verklammern Innen und Außen.“ 1 Ende 2011 gewann das Architekturbüro Storch Ehlers Partners (Hannover) den Wettbewerb „Wohn­ bau City Life“ am Dr.­Franz­Rehrl­Platz zur Verbau­ ung einer ehemaligen Vorhaltefläche für einen Tunnel durch den Kapuzinerberg knapp innerhalb des Altstadtschutzgebiets. Die benachbarte Bebau­ ung an der Arenbergstraße entlang des steil anstei­ genden, bewaldeten Kapuzinerberges ist architek­ tonisch vielfältig vom 16. bis 20. Jahrhundert ge­ prägt. Am Beginn der historischen Ausfallstraße steht eine herrschaftliche, schlossartige Villa, zu welcher der großzügige Park als westliche Nachbar­ schaft des Wettbewerbsgebiets gehört. Im Osten definiert hingegen das 1953 eröffnete Unfallkran­ Moderne Architektur im Dialog mit der histori­ schen Stadt gewährleistet das qualitätsvolle Weiterbauen im 21. Jahrhundert und baut Brü­ cken zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. 1 Der Text stammt aus dem Führer Baukunst in Salzburg seit 1980 (2010). Dieser dokumentiert zahlreiche gelungene, zeitgemäße Bauwerke und Umbauten in der Altstadt, die diesem Haus in den letzten 25 Jahren gefolgt sind. 293 12 | 13 Brücken­ und Kahlschlag

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raumlaborberlin Küchenmonument 2006 Duisburg kenhaus (Architekten Josef Hawranek, Paul Gep­ pert, Josef Holzinger und Wolfgang Bauer) einen beträchtlichen Maßstabsprung. Das einstimmig prämierte Siegerprojekt re­ agiert – so das nachvollziehbare Urteil der Jury – „selbstverständlich und zeitgemäß auf die komple­ xe städtebauliche Situation als Gelenk zwischen den unterschiedlichen Strukturen der historischen Be­ bauung an der Arenbergstraße, dem Gründerzeit­ viertel an der Salzach und der Großform des Kran­ kenhauses“. Die rhythmische Abfolge von Volumina bietet Querbezüge zum Grünraum. Außerdem weckt sie Assoziationen zum historischen Zentrum, seinen engen Gassen, Wegen, Plätzen und gewach­ senen Strukturen. Monolithische Körper aus Sicht­ beton (Zusatz Weißzement) mit präzise gesetzten bündigen Öffnungen beherbergen individuell ge­ schnittene Wohnungen mit schönen Ausblicken und vorgelagerten Terrassen. Die von Jury und Anrainervertretern geforderte Überarbeitung führte zu einer verringerten Bau­ masse direkt an der Arenbergstraße, was die Einfü­ gung stark verbesserte. Die SVK beurteilte das über­ arbeitete Projekt positiv: Es „fügt sich harmonisch in die Stadtlandschaft ein, da es die bestehenden typischen Elemente der Umgebung in die Neubau­ körper integriert und weiterentwickelt“. Ganz anders sah das die ADVISORY MISSION. Der ICOMOS REPORT forderte nicht nur, „die stö­ rende Höhe des Projekts an der gesamten Länge zu verringern, indem auf das fünfte Obergeschoß ver­ zichtet wird“, sondern auch, „die Struktur in zwei oder drei klar definierte Einzelbaukörper“ zu glie­ dern und sich bei der „Gestaltung der Fassaden und Fenster an die vor Ort anzutreffenden Formate“ an­ zunähern. Solche Empfehlungen der Mission, die mit Ent­ wurfs­ bzw. Gestaltungstipps massiv in die Grund­ konzeption des Projekts bis hin zur Detaillierung eingreifen, sind äußerst problematisch. Explizit Architekturdetails zu fordern erinnert an eine Zeit, in der ambitioniertes zeitgemäßes Bauen in der Altstadt verunmöglicht oder so beschnitten wurde, dass dessen Stimmigkeit und Qualität massiv darunter litt. Der Vorwurf der ADVISORY MISSION, das Neubau­ projekt widerspräche dem Altstadterhaltungsge­ setz, geht juristisch ins Leere: Der Gesetzgeber hat in Erläuterung des §5 eindeutig festgehalten, „daß eine historisierende Bauweise, eine Imitation alter Bauten, nicht nur nach dem geltenden Recht nicht gefordert ist, sondern auch nicht erstrebenwert er­ scheint“. Dieser Passus bildet die Basis für die er­ freuliche Öffnung der Altstadt für zeitgemäßes Bauen. Dieses Bemühen der SVK ist – trotz zahlrei­ cher Kritikpunkte am Agieren dieses Gremiums – spürbar, gut und wichtig. Für die ADVISORY MISSION läuft das Rehrl­ platz­Projekt „den Emotionen der Salzburger Bürger zuwider, die sich mit dieser Stadt identifizieren“. Es gibt allerdings keine homogene Gruppe „Salzburger Bürger“ mit alleinigem Wahrheits­ anspruch. Im „Wiener Memorandum“, dem Ergebnis der UNESCO­Konferenz zum Thema „Weltkulturerbe und zeitgenössische Architektur“ 2005 steht unter „Grundsätze und Ziele“ zu lesen: Brücken­ und Kahlschlag

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„Die zentrale Herausforderung der zeit­ genössischen Architektur in der historischen Stadtlandschaft besteht darin, einerseits auf die Entwicklungsdynamik zu reagieren, um sozioökonomische Veränderungen und Wachs­ tum zu ermöglichen und andererseits gleichzei­ tig das überlieferte Stadtbild und sein Umfeld zu respektieren.“ Zeitgemäße Bei­ träge zur Baukul­ tur müssen einen schlüssigen und eigenständigen Charakter mit größtmöglichem Respekt vor Bau­ substanz und Bau­ ensemble verbin­ den, sensibel auf Ort, Umfeld und stadträumliche sowie baukulturelle Kontexte reagieren und sich ihnen einfügen, ohne sich formal anzubiedern. Ziel muss ein solch hoher Qualitätsanspruch sein, dass damit das baukulturelle Erbe erweitert wird. Allerdings wächst der überwunden geglaubte, reaktionäre Geist gegen zeitgemäßes Bauen wieder gefährlich an. In diesem Sinne problematisch argu­ mentiert auch die ADVISORY MISSION. Ihre Forde­ rung, das Siegerprojekt zu modifizieren, hat sich auf die Frage der Dichte und Höhenentwicklung zu be­ schränken. Tatsächlich haben Investorenprojekte häufig viel zu massive Kubaturen. Die Frage der An­ gemessenheit gilt es immer zu stellen bzw. die Art der Verwertung von Bauplätzen zu hinterfragen. Die Altstadt von Salzburg ist kein statisches „Stadtbild“, sondern ein dynamisches Gefüge. Die gedeihliche Entwicklung der Stadt wird nicht durch das dogmatische Einfrieren oder gar Rekons­ truieren alter Ansichten erreicht, sondern durch ein Weiterbauen, das sich in der respektvollen Beachtung der Spezifika eines Orts begründet. Salz­ burg besitzt eine besondere Topografie mit Becken­ lage und Stadtbergen und einem vielfältigen Sicht­ und Beziehungsnetz: Die meisten Plätze weisen zwei besondere Qualitäten auf, analysierte der Stadthistoriker Gerhard Plasser: Neben den Platz­ wänden als Begrenzungen des Blicks eröffnen sich – als zweite Perspektive – Sichtbeziehungen zu Stadtbergen und Gebirge. Aktuell soll sich im Bahn­ hofsviertel das sogenannte Bodner­Hochhaus (Ar­ chitekten HALLE 1) massig vor die Silhouette des Untersbergs schieben. Versinnbildlicht das nahe Hotel Europa von 1956 in Salzburgs Skyline die Wiederaufbau­Euphorie, wird das Bodner­Hoch­ haus Symbol von Investorenwillkür (die ÖBB war die treibende Kraft) und Planungskulturlosigkeit. Salzburg will dem Hochaus­Zeitgeist nachhe­ cheln und eine heterogene Skyline, wie sie z. B. den Linzer Bahnhof prägt, schaffen. Dieser seit Jahrzehnten verstärkt kursierenden internationalen „Mode“ widersetzt sich Helsinki mit bemerkenswerter Konsequenz. In der finni­ schen 600.000­Einwohner­Metropole ist es un­ möglich, dass sich kommerzielle Hochhauspro­ jekte in die Skyline einschreiben dürfen. Fattinger Orso Architektur. Festivalzentrum REGIONALE XII 22. 06. 2012–22. 07. 2012 Murau, Österreich 293 14 | 15

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Der Text entstand auf der Basis des Beitrags „Zu viel und zu wenig“, der für den kommenden ICOMOS World Report „HERITAGE AT RISK“ zur Situation in Salzburg beauftragt wurde. Als Mitglied von ICOMOS Austria beobach­ te ich mit Bedauern und Besorgnis die auch in dieser Institution wahrnehmbaren Ressentiments gegen­ über zeitgemäßer Architektur. Eine aus­ führlichere Version des Textes findet sich unter www.kooperativerraum.at und wurde im August 2013 der Redaktion des World Report übermittelt, ob und wann er darin erscheinen wird, ist fraglich. Der Architekturtheoretiker Kenneth Frampton er­ klärte im März 2013: „Eine der destruktivsten As­ pekte der spätmodernen Welt ist der Wildwuchs von Hochhäusern, eines bedeutungsloser als das andere. Es ist ein Wunder, dass immer noch ein paar europäische Metropolen kaum durch Hoch­ häuser vernarbt sind: Oslo, Stockholm, Kopenha­ gen, Edinburgh und – mindestens bis jetzt – Zürich.“ (Neue Zürcher Zeitung, 9. März 2013) Der historische Kern Salzburgs bildet nur weni­ ge Prozent des Stadtgebiets. Während in Salzburgs Altstadt jeder Umbau unter Beobachtung von Fach­ leuten wie Bevölkerung steht, steigt der Verlust an Baudenkmalen des 20. Jahrhunderts in der Stadt Salzburg dramatisch. Außerhalb der Postkarten­ idyllen der Altstadt wächst mit jedem dieser Abrisse ein anonymes, identitätslos entwurzeltes Salzburg. Nicht in dem vom Tourismus okkupierten Stadt­ kern, sondern „im Fleisch, im Körper der Stadt“ (Richard Sennett), wo gelebt und gearbeitet wird, verliert das „Weltkulturerbe“ seine Vielfalt, sein Gesicht. Ein brandaktuelles Beispiel ist die Nachnut­ zung der Riedenburgkaserne, die eine jahrhunder­ telange wehrgeschichtliche Tradition besitzt. Anfang 2014 fand der Realisierungswettbewerb für dieses letzte zentrumsnahe Areal von solch stadthistorischer Bedeutung und Größe (37.000 Quadratmeter) statt. Viele seiner Bauwerke, bei­ spielsweise jene der 1930er­Jahre im Nordwesten, bieten Potenziale für intelligentes Weiterbauen. Bereits vor Jahrzehnten haben Wissenschaftler im Auftrag der Stadt das Hauptgebäude und das Nach­ barhaus an der Moosstraße, das ursprünglich den Turn­ und Fechtsaal aufnahm (beide um 1890) sowie die Reithalle (1926) als erhaltenswert einge­ stuft. Zudem wurde die traditionsreiche Kaserne als Ensemble gewürdigt. Bemerkenswerterweise gilt nun der Ensemble­ Erhebungsbogen als unauffindbar. Bei der Erstel­ lung des Bebauungsplans ignorierte die Stadt diese drei Erhaltungsgebote, nur die Biedermeiervilla im Nordosteck behielt ihren Schutz. Allerdings sollte für die Villa im ursprünglichen Entwurf der Wettbe­ werbsbedingungen der Abriss ermöglicht werden: Für den alternativen Ersatzbau ist „die qualitative Verbesserung der städtebaulichen Situation […] sowie die wirtschaftliche Notwendigkeit […] als Vor­ aussetzung für die Beantragung der Aufhebung die­ ses Erhaltungsgebotes nachzuweisen“. Der Protest der ARGE Riedenburg war erfolgreich. Die Dialog­ plattform mehrerer Architekturinstitutionen for­ derte zudem die Erhaltung der baukulturell wert­ vollen Riedenburghalle von 1926, die bis vor weni­ gen Jahren denkmalgeschützt war. Als vorhandenes Raumpotenzial und öffentlicher Ort kann sie ein zentraler Baustein für das sinnvolle Weiterentwi­ ckeln des Stadtteils sein. Der Gestaltungsbeirat stellte daraufhin diese Option den Wettbewerbs­ teilnehmern frei, prompt beschloss der städtische Planungsausschuss den Abriss. „Das neue Quartier soll eine Adresse bilden und Identifikationspunkt sein“, fordern die beiden Bau­ träger bzw. Eigentümer im Wettbewerb. Die 17 teil­ nehmenden Architektenteams hatten sich dem Pa­ radoxon zu stellen, in der in der Dichte stetig stei­ genden Neubebauung künstlich einen „Identifika­ tionspunkt“ zu schaffen, nachdem fast alle vorhandenen baulichen Identitätsmerkmale be­ seitigt sein werden. Neben den Versäumnissen des Bundesdenk­ malamts fehlt der Stadtplanung und ­politik jegli­ ches Verständnis, ganz zu schweigen von einer vor­ ausschauenden Strategie, wie man diese baukultu­ rellen Ressourcen – sie sind auch wichtige Identi­ tätspunkte in sich rasant verändernden Stadtteilen – erhalten und nachnutzen kann. Bei der Rieden­ burghalle ging es allein um die Absiedelung der Turnvereine, damit wurde eine öffentliche Nut zung aus dem künftigen Wohngebiet eliminiert. Eine optimierte, ressourcenschonende Stadt­ teilreparatur mit Substanz, die den Bestand und dessen räumliche Potenziale nutzt, statt unhinter­ fragt taugliche Gebäude(teile) zu entsorgen, ist in Salzburg noch nicht angekommen. Anstelle der Ab­ riss­ und „Tabula rasa“­Mentalität muss ein intelli­ gentes Weiterbauen am Bestand Einzug halten. Dies bedeutet keineswegs einen „Glassturz“, son­ dern ein zeitgemäßes Weiterentwickeln der Bau­ substanz mit Respekt. N Brücken­ und Kahlschlag

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Architekturtage 2014 | Alt Jetzt Neu Am 16. und 17. Mai 2014 finden österreichweit wieder die Architekturtage statt – die größte biennale Veranstaltung für Architektur und Baukultur. Diesmal ste­ hen unter dem Motto „Alt Jetzt Neu“ das Bauen im Bestand, Denkmalschutz so­ wie Um­ und Neunutzung im Fokus. In allen Bundesländern und über die Gren­ zen hinweg gibt es die Möglichkeit, bei Exkursionen, Baustellen­ und Bürobesu­ chen, Vorträgen, Filmen, Ausstellungen und Festen Architektur unmittelbar vor Ort zu erleben und Neues zu entdecken. Spezielle Angebote für junge Menschen ergänzen das Programm. Seit ihrem Start 2002 dienen die Architekturtage ei­ nem breiten Publikum zur Bewusstseinsschärfung für Architektur im Alltag. Kuratiert werden die Programme vor Ort entsprechend der regionalen Archi­ tekturlandschaften. Die vorgestellten Highlights bieten einen Einblick in das vielfältige Angebot. Das gesamte Programm finden Sie unter www.architekturtage.at. Die Architekturtage finden seit 2002 biennal auf Initiative der Kam­ mern der Architekten und Ingenieurkonsulenten und der Architekturstif­ tung Österreich statt. Vorarlberg In Dornbirn, Bregenz und dem Bregenzerwald la­ den Zeitreisen ein, Häuser und Plätze zu erkunden, die zwischen Alt und Neu Wege in die Zukunft wei­ sen: Interventionen rücken den Leerstand ins Be­ wusstsein und Ausstellungen präsentieren beispiel­ hafte Umbauten. In Krumbach sind Bushaltestellen von internationalen Architekten zu besichtigen, in Bezau wird ein ehemaliges Sägewerk zur Bühne und in Andelsbuch präsentieren ArchitektInnen ihre Zukunftsvisionen. Das Format Zeitspuren stellt Fra­ gen zu Neubau und Adaptierung sowie der Zukunft traditioneller Häuser und gewachsener Strukturen. Tirol Touren in Begleitung von ArchitektInnen und loka­ len ExpertInnen in Fließ, Hall, Hopfgarten, Inns­ bruck, Lienz, Rattenberg, Telfs und Zirl bieten Ein­ blicke zu Interventionen im historischen Bestand, zu Adaptierungen und Revitalisierungen von Bau­ ten aus den unterschiedlichsten Epochen genauso wie zu zeitgenössischen Implantaten. Beim Ab­ schlussfest am Abend des 17. Mai wird der Innsbru­ cker Rapoldipark zu einem Aktionsraum. Gefeiert wird dort auch die Grundsteinlegung einer in Öster­ reich einzigartigen Einrichtung: einer Architektur­ und Kunstwerkstatt für junge Menschen. Salzburg Im Mittelpunkt des Geschehens steht ein prominen­ tes Altstadthaus als Ausgangspunkt für viele Veran­ staltungen und Ort für Unmögliches und Fantasti­ sches. Dort illustriert eine Ausstellung von Studie­ renden der TU Innsbruck anhand von Beispielen aus Salzburg die unterschiedlichen Nutzungsmög­ lichkeiten von bestehender Bausubstanz und be­ leuchtet die Rolle der zeitgenössischen Architektur im Wechselspiel von Denkmalschutz, Altstadterhal­ tung und Stadterneuerung. Unmittelbar erlebbar ist die Verbindung von Alt und Neu auch direkt vor Ort: etwa im Rathaus oder am neuen Bahnhof. Kärnten Das Programm webt ein vielschichtiges Netz zwi­ schen Generationen und Regionen und erstreckt sich über eine Woche. Es bietet eine Architektur­ filmreihe im Volkskino Klagenfurt, drei Ausstel­ lungseröffnungen, eine Exkursion nach Slowenien, Stadtsafaris für junge Menschen sowie eine Radtour von Klagenfurt nach Maria Saal. Das Steinhaus am Ossiacher See sowie ein Hotel in Bad Kleinkirch­ heim sind weitere Hotspots. Zum Abschluss wird das Architektur Haus Kärnten durch ein temporäres Gerüst verändert – wobei der alte Baukörper zu ei­ nem neuen Blattwerk transformiert wird. 293 16 | 17 Architekturtage 2014

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Niederösterreich Bei Spaziergängen – einem feinsinnigen „um die Häuser ziehen“ – sowie Fahrradtouren durch Nie­ derösterreichs Städte und Dörfer werden Geschich­ ten gefunden und erzählt, die sich von den Fassaden ablesen lassen. Ebenso vielfältig wie die Fassaden ist das weitere Programm: Junge Menschen entwer­ fen Möbel für das Kunsthaus Horn, praktische In­ formationen zur zukunftsfähigen Sanierung von Einfamilienhäusern bietet die Veranstaltung „Hilfe – Altes Haus“, der Baustoff Lehm steht in Mitterretz­ bach im Zentrum und der Hausherr ermöglicht ei­ nen Blick hinter die Fassade von Schloss Ernst­ brunn. Oberösterreich „zurück | in die Zukunft“ spürt Veränderungen von Bauen, Leben und Wohnen nach. Im Videoscree­ ning „Sieben Häuserbiografien“ berichten Bewoh­ nerInnen von ihren Erfahrungen mit Architektur: über den Umgang mit alter Bausubstanz, Bau­ und Umbauerlebnisse sowie die Veränderungen ihres Wohnumfelds. Auch Leerstand ist ein Zustand der Veränderung. Nach einem Spaziergang zu vakanten Gebäuden informieren ExpertInnen darüber, wie dieses Potenzial genutzt werden kann. Architektur und Erinnerung ist am Sonntag Thema von Exkursi­ onen nach Steyr und in die Region Mauthausen – Gusen – St. Georgen. Steiermark Im Fokus stehen das Altern von Architektur sowie die vielfältigen Möglichkeiten, den Recyclinggedan­ ken in der Architektur zu etablieren, um den Wert von verbauten Ressourcen, leer stehenden Gebäu­ den oder vermeintlichem Abfall neu zu sehen. Bei der Veranstaltung „Trash Boom Bang – Nichtweg­ werfarchitektur“ kommen dazu ExpertInnen unter­ schiedlicher Disziplinen zu Wort, Architekturspa­ ziergänge und ­fahrten interpretieren das Thema in Stadt und Land sowie im Dialog mit Maribor. Die schon traditionelle Banale 14 zeigt an der TU Graz, was abseits des universitären Alltags passiert. Wien Bei sorgfältig zusammengestellten Touren – mit Bus, U­Bahn oder zu Fuß – lassen sich alte und neue Gebäude in fachkundiger Begleitung entdecken und anschließend in Architekturbüros besprechen. Der Bogen ist weit gespannt: Klein und Fein steht neben Groß und weithin Sichtbar. Ein Fokus liegt auf den aktuellen Großprojekten WU Campus sowie Haupt­ bahnhof/Sonnwendviertel. Evident wird das Motto „Alt Jetzt Neu“ beim Eröffnungsfest am Donnerstag­ abend im ehemaligen Postamt Mondscheingasse. Und die schon traditionelle Kooperation mit Bratis­ lava erweitert den Blick über die Landesgrenze. Grenzüberschreitung Bratislava Burgenland In der neuen Architekturgalerie contemporary in Eisenstadt stehen die typisch burgenländischen Streckhäuser im Mittelpunkt einer Ausstellung. Auf­ gezeigt werden das Potenzial dieser traditionellen Bauform und die vielfältigen Herausforderungen bei ihrer Umgestaltung. Bei einer Fahrradtour am Neusiedlersee werden Orte besucht, die Wein und Architektur innovativ verbinden, und auch der Film „Flucht ins Schilf“ spielt am See. Einblick in privat oft schwer zugängliche Bauten und Diskussions­ möglichkeiten mit PlanerInnen und ArchitektInnen bieten Architekturvisiten im ganzen Land. Grenzüberschreitung Maribor Grenzüberschreitung Ljubljana Architekturtage 2014

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Perspektivverschiebung | Über den zweiten Blick auf vermeintlich Altbekanntes Sebastian Jobst Redaktion KONstruktiv, im Dialog mit: Ein Bauen ohne Bestand gibt es nicht, ebenso keine Baustoffe, seien sie neu oder recycelt, die nicht mit Bedeutung aufgeladen sind. Das machen Architek­ turpraktiken, die im experimentellen Feld der tem­ porären architektonischen Interventionen im Seit 1999 arbeitet das Kollektiv raumlabor­ berlin an den Schnittstel­ len zwischen Architektur, Stadtplanung, Kunst und Intervention. Der Stadtraum als Projektionsfläche von Transformation und Erneuerung dient ihren Installationen als Hintergrund für alterna­ tive Nutzung, der Thematisierung gemein­ samer Kultur, urbaner Diversität und Divergenz. Für raumlaborberlin antwortete Markus Bader. Fattinger Orso Architek­ tur, Wien, deckt mit Designobjekten, Innen­ einrichtungskonzepten und Ausstellungsdesign bis hin zu Installationen im öffentlichen Raum ein vielseitiges Handlungs­ feld ab. Das Zusammen­ spiel von Gestaltung, Planung, Kontext und Kommunikation steht im Sinne einer qualitätvollen Umsetzung der Bauauf­ gabe im Vordergrund. Für Fattinger Orso Architektur antwortete Peter Fattinger. superuse studios aus Rotterdam wurden für ihren unkonventionellen Umgang mit Bauaufga­ ben und den verwende­ ten Ressourcen bekannt. Design und Architektur verstehen sie unter Berücksichtigung des Kontexts und Ver­ wendung gebrauchter Materialien oder Industrieprodukte als nachhaltigen, wert­ schöpfenden Kreislauf. Für superuse antwortete Césare Peeren. öffentlichen Raum auf unkonventionelle Weise bekannte Materialien zweckentfremden oder die Bedeutung von Orten durch kleine Perspektivver­ schiebungen verändern, sichtbar. Das Baustoffreper­ toir reicht dabei von Paletten über Baugerüste, Be­ standteile alter Haushaltsgeräte und Containern bis hin zu ausrangierten Rotorblättern von Windrädern. Einige Architekturbüros loten so gerade im Be­ kannten neue Potenziale aus und beschäftigen sich intensiv mit der Zwischen­ und Umnutzung beste­ hender Orte und Raumsituationen. Diese Architek­ turpraktiken werden oftmals im Kontext der Kon­ sumkritik, besonders nachhaltigen Umgangs mit Ressourcen oder künstlerischer Praktiken gesehen. In den Hintergrund treten bei dieser Betrachtungs­ weise oft die eigentlichen architektonischen Qualitä­ ten der Planungen. Sebastian Jobst befragte dazu Fattinger Orso Architektur, Wien, superuse studios, Rotterdam, und raumlaborberlin, die für ihre außer­ gewöhnlichen Projekte internationales Renommee erhalten haben. Die Räume definieren die Benutzung. Die Benutzung definiert Räume. Wie sehen Sie dieses Verhältnis in Bezug auf Zwischen­/Umnutzungen von Altbestand? superuse studios Bei superuse studios haben wir etliche leer stehende Gebäude, manche davon historisch, ausgestattet oftmals unter Abweichung von der ursprünglichen Be­ nutzung des Gebäudes. Momentan bauen wir eine Ledergerberei zu Büros um. Ich glaube nicht, dass die Frage, ob Räume die Nutzung definieren oder um­ gekehrt, entscheidend dafür ist, ob ein leer stehendes Gebäude wieder in Ge­ brauch genommen wird. Meiner Erfah­ rung nach sind es oft die am meisten ge­ liebten Gebäude, die wieder benutzt wer­ den, nicht unbedingt die praktischsten. Und die am meisten geliebten Gebäude haben oft Charakter oder eine bedeutsa­ me Geschichte. Wenn einem Gebäude Charakter und Identität fehlen und es nicht geliebt wird, läuft es Gefahr, aufgegeben oder abgeris­ sen zu werden, auch wenn es ein „anpas­ sungsfähiges“ Gebäude ist oder flexible Bürostrukturen aufweist, die „neutral“ sein sollen. Wenn Menschen einen Raum oder ein Gebäude lieben, aus welchem Grund auch immer, möchten sie sich dar­ in aufhalten, und dann finden sie einen Weg, es wieder zu nutzen und eine Funk­ tion dafür. raumlaborberlin Als Anhänger von Lefebvre verstehen wir den Raum als ein Produkt sozialen Han­ delns und nicht als seien die Nutzungen bereits in den Raum eingeschrieben, inso­ fern gehen wir vom Menschen und nicht vom Objekt aus. Die gängige Zwischen­ und Umnutzungspraxis zeigt, dass Räume viel mehr leisten können, als ihre ursprünglich intendierte Konzeption vorsah. Mittlerwei­ le konnte man das an unterschiedlichsten Beispielen erleben, Fabriken, die zu Woh­ nungen werden, Wohnungen, die wieder zum Arbeiten genutzt werden, um nur die markantesten Pole aufzuzählen. Fattinger Orso Architektur Uns interessiert besonders die Wechsel­ beziehung zwischen menschlichem Ver­ halten und räumlicher Umwelt hinsicht­ lich der Benutzung öffentlicher Räume. Welche Handlungsmöglichkeiten oder auch ­beschränkungen bietet ein beste­ hender Raum und was braucht es, um diese zu aktivieren bzw. zu entschärfen? Temporäre Zwischennutzungen in Form von Aktionen oder Interventionen im öffentlichen Raum bieten dabei eine gute Möglichkeit, Sichtweisen auf einen bestehenden Ort zu verändern und ein­ gebrannte Wahrnehmungsweisen zu hinterfragen. Temporäre Projekte haben dabei den großen Vorteil, dass man we­ sentlich mehr Spielraum zum Experi­ mentieren hat als im engen Korsett der Permanenz. Auf diese Weise kann Neues erprobt und diskutiert werden und somit im besten Fall ein nachhaltiger Entwick­ lungsprozess gestartet werden. 293 18 | 19 Perspektivverschiebung

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Recycling und Détournement von Materialien und Produkten werden oft im Kontext der Konsumkritik verortet. Welche Rolle spielt das in Ihrer Arbeit? superuse studios Unsere Arbeit dreht sich darum, wie wir uns als Gesellschaft bewegen und Ener­ gie und Ressourcen verbrauchen. Mit un­ seren Projekte können wir zeigen, dass mit intelligenten Recyclingstrategien und gutem Design ein Nettowert geschaf­ fen werden kann, indem man Ressourcen nutzt, die im System bereits vorhanden sind und anderenfalls verloren gingen. Viele Gegenstände und Systeme, in die viel Design und Konstruktionsenergie geflossen sind, werden zum Recycling wieder auseinandergenommen oder sie werden beseitigt, aber mit neuen, ähnli­ chen Materialien ersetzt. Diese Prozesse könnten verkürzt oder umgangen wer­ den, indem diese sogenannten „Abfall“­ Gegenstände „abgebaut“ oder „geerntet“ werden, um in ihrem (fast) Originalzu­ stand wieder genutzt zu werden. Wo an­ dere Abfall sehen, sehen wir Potenzial und eine Gelegenheit, eine alternative Nutzung zu entwerfen. Ich erforsche die Eigenschaften und Materialbeschaffen­ heiten von Abfall und versuche, sie intelli­ gent und funktional in neue Designs ein­ zubinden: Flugzeuginnenpaneele als akustische Wände; Holz aus Industrie­ Kabeltrommeln als Gebäudeverschalun­ gen; Windturbinenblätter als Spielplatz­ mobiliar etc. raumlaborberlin Am Beispiel der Palette, die zu den billigs­ ten Baumaterialien zählt und ja sogar nur ausgeliehen werden kann, lässt sich zeigen, wie solche Materialien mittlerweile total im Designkontext angekommen sind. Man findet sie als Messestand auf der Hypo Real Estate, als Innenausstattung in Filialen hochpreisiger Modeketten, was aufzeigt, dass die Aufladung von Materialien mit ei­ ner bestimmten Bedeutung heute nicht mehr funktioniert. Zu beobachten ist, dass ursprünglich in einem kritischen Kontext eingesetzte Materialien sehr schnell in ei­ nem komplett kommerziellen Umfeld wie­ der aufgegriffen werden und ihre Bedeu­ tung damit wieder verlieren. Das ist ein Hintergrund, vor dem wir arbeiten. Wir gingen bei unserem Projekt „House of Con­ tamination“ Fragen nach unserem materi­ ellen Umsatz, nach unserem footprint und als Schluss daraus der Frage, ob wir nicht eigentlich unsere Lebensweise verändern und unsere comfort zone verlassen müss­ ten, nach. Leaving the comfort zone ist, wenn nicht ein Appell, dann doch die Fra­ ge, wenn wir Reyclingobjekte oder ­struktu­ ren bauen. Fattinger Orso Architektur Zwar finden sich in unseren Arbeiten Ele­ mente, die man der Praktik des Recyc­ ling und Détournement zuordnen kann wieder, der Einsatz dieser ist jedoch nicht primär konsumkritisch motiviert. So kamen z. B. im Zuge des temporä­ ren Projekts DÉJÀ VU über 7000 Geträn­ kekisten als Bauelemente zum Einsatz. Eine rein pragmatische Entscheidung, welche auf die Eigenschaften der Ele­ mente zurückzuführen war: ästhetisch ansprechend, stabil, modular und vor allem kostenfrei, weil nach dem Projekt wieder in ihren ursprünglichen Kreislauf rückführbar. Beim Projekt add on. 20 höhenmeter wurden wiederum zweckentfremdete und manipulierte architektonische Ver­ satzstücke verwendet. Wie in einer Colla­ ge wurden dabei gewohnte menschliche Grundbedürfnisse mit ihren entspre­ chenden visuellen Symbolen zitiert beziehungsweise interpretiert und im Spannungsfeld zwischen Öffentlichkeit und Privatheit diskutiert. Fattinger Orso Architektur in Kooperation mit Michael Rieper und Studierenden der TU Wien add on. 20 höhenmeter 17. 06. 2005–31. 07. 2005 Wien, Österreich

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Fattinger Orso Architektur in Koopera­ tion mit Michael Rieper Bellevue. Das gelbe Haus 25. 06. 2009–13. 09. 2009 Linz, Österreich superuse studios Espressobar *K 2008 Delft, Niederlande Ein zunehmend schnellerer soziokulturelle Wandel beschleunigt auch den Alterungsprozess architektonischer Konzepte und definierter Gebäudefunktionen. Wie lässt sich solchen Prozessen begegnen? superuse studios Architekten sollten akzeptieren, dass ihre Rolle beim Entwurf eines Raums oder einer Architektur nicht den Endpunkt der Entwicklung des Designs darstellt, son­ dern einen von vielen Schritten in einem ständigen Veränderungsprozess. Sie müs­ sen eine Architektursprache entwickeln, die sich an Veränderungen anpassen kann, also auf eine Art entwerfen, dass Änderungen des Entwurfs nicht seine Integrität zerstören. Für mich bedeutet das, weniger sterile und weniger abstrakte Umgebungen zu schaffen und vielfältige Atmosphären und Räume zu kreieren. Ich unterscheide zwischen einer soliden, alterungsresistenten architektonischen Struktur und eher temporären Innenele­ menten, und als Materialien benutze ich robusterweise solche, die mit dem Alter besser werden, die ästhetisch umgewan­ delt oder einer neuen Bestimmung zuge­ führt werden können. Die von superuse studios entwickelte Arbeitsweise setzt dies in die Praxis um. Von einem existie­ renden Gebäude auszugehen bedeutet meist, dass die Architektur nicht „perfekt“ ist und Anpassungsbedarf besteht. Innen­ elemente wie Möbel hinzuzufügen, um den Raum nutzbar zu machen, ist reversi­ bel und lässt sich einfach verändern. Allein die Tatsache, dass wir mit Abfall­ materialien arbeiten, macht das Design weniger steril und alterungsbeständiger. raumlaborberlin Ich würde nicht von einem zunehmend schnelleren soziokulturellen Wandel spre­ chen, sondern um es mit Baecker zu sagen, vom Umbruch zur nächsten Gesellschaft. Durch die grundlegende Änderung unserer Kommunikationsmöglichkeiten durch den Computer werden beinahe alle Gesell­ schaftsbereiche infrage gestellt. Rückkop­ pelungen dieser Verschiebung reichen bis in den realen Raum, beispielsweise ändert sich im Moment die moderne Aufteilung von Wohnen, Arbeit und Mobilität radikal. Gleichzeitig pluralisiert sich die Gesell­ schaft, wodurch wir als Gestalter neue Wege finden müssen, Räume nicht zu stark vorzudefinieren. Anders als in der internati­ onalen Moderne versuchen wir nicht den Menschen gleich mitzuerfinden. Ich glaube zwar auch nicht, dass es einen neutralen Raum oder neutrale Gestaltung gibt, son­ dern gehe davon aus, dass Raum stets auf­ geladen ist. Neutral wird oft als funktional im Sinne einer effizienten Monofunktiona­ lität verstanden, damit ist natürlich eine ganze Geisteshaltung eingebaut. Deshalb suchen wir nach spezifischen Räumen, die durch viele mögliche Stimmungen anre­ gend und sinnlich wirken. Fattinger Orso Architektur Die Frage ist, ob allein der zunehmend schnellere soziokulturelle Wandel für den beschleunigten Alterungsprozess verantwortlich ist oder dieser nicht eher durch eine zunehmend orientierungslo­ sere Stadtbaupolitik hervorgerufen wird, die vielfach den Anschein erweckt, von den Wünschen kapitalorientierter Inves­ toren geleitet zu sein. Aber auch die klas­ sischen „top down“­Instrumente der Stadtplanung scheinen den heutigen Anforderungen nicht gerecht zu werden. Vielmehr könnten alternative Planungs­ strategien wie „Bottom up“­Ansätze her­ angezogen werden, um im Sinne einer nachhaltigen Planung sozialräumliche Entwurfsaspekte zu erkennen und in den Gestaltungsprozess zu integrieren. 293 20 | 21 Perspektivverschiebung

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Eine wachsende breite Öffentlichkeit entdeckt die Vorzüge der Gründerzeitbauten mit ihren offenen Struktu­ ren, die mittlerweile längst über ihre ursprünglich intendierte Nutzungsdauer bestehen. Was lässt sich daraus für zeitgenössische Architektur lernen? superuse studios Ich glaube, es ist eine Kombination etli­ cher Elemente, die diese Architektur zu einem beliebten Beispiel für Wiederver­ wendung macht. Innerhalb einer solchen Struktur, die das aufweist, was man hohe Decken und neutrale, geräumige Grund­ risse nennt, kann die Raumaufteilung leicht verändert und angepasst werden. Genauso oder vielleicht sogar noch wichti­ ger ist jedoch, dass diese Aspekte mit der Position der Gebäude im urbanen Gefüge zusammenfallen und mit einigen wenigen charakteristischen architektonischen De­ tails der Fassaden und oft auch im Inne­ ren, die die Leute dazu bringen, sich in ein Gebäude zu verlieben. Um mehrfach in verschiedenen Epo­ chen benutzt zu werden, sollte ein Gebäu­ de technisch solide gebaut sein, mit stra­ pazierfähigen Materialien und mit einer soliden, geräumigen Struktur. Es sollte jedoch nicht völlig neutral oder charakter­ los werden. Es sollte einige charakteristi­ sche Merkmale haben, typische Details und Aspekte seiner Zeit, um ein Gebäude zu sein, zu dem Menschen eine emotiona­ le und sentimentale Beziehung aufbauen können und dies auch tun. Wie bei allen Dingen des Lebens könnte es sein, dass es um eine gute Mischung aus emotionalen und rationalen Entscheidungen geht. raumlaborberlin Bei der Gründerzeit muss man im Auge behalten, dass die heutige Nutzungsdich­ te deutlich geringer ist als zur Entstehung dieser Bauten. Wir verbinden mit diesen Strukturen dadurch einen ganz anderen Komfort und Lebensgefühl als ursprüng­ lich rein ökonomisch möglich war. In Ber­ lin haben wir derzeit einen durchschnitt­ lichen Verbrauch pro Kopf von circa 40 m² Wohnfläche, gleichzeitig sind wir in den Städten mit einem sich schließenden Wohnungsmarkt konfrontiert, der vor allem Neuankömmlingen kaum Raum bietet. Also muss man sich als Gestalter die Frage stellen, wie architektonische Strukturen verschiedene Nutzungen mög­ lich machen. Eine der zentralen Aufgaben ist dabei Arbeit und Wohnen wieder näher aneinander zu bringen. Wie lässt sich, um es mit Dieter Läpple zu sagen, das produ­ zierende Gewerbe wieder in unseren Städ­ ten denken? Damit einhergehend stellt sich die Frage, wie es möglich ist, nicht nur Dienstleistungen in den Städten an­ zusiedeln und auf Produktionen am an­ deren Ende der Ozeane zu verzichten. Fattinger Orso Architektur Wir wohnen und arbeiten selbst in einem Gründerzeitbau und wissen dessen räumliche Qualitäten und Nutzungsof­ fenheit sehr zu schätzen. Insbesondere die Zuschaltbarkeit von Räumen durch die großen Flügeltü­ ren ist ein Attribut, das vermehrt in den zeitgenössischen Wohnbau transferiert werden könnte. Vergleicht man den Aus­ führungsstandard von Gründerzeitbau­ ten mit heutigen Wohnbauten, so muss man zudem feststellen, dass Neubauten meist viel schneller altern und zum Bei­ spiel oft bereits nach wenigen Jahren Sa­ nierungsarbeiten an der hoch subventio­ nierten und weit überschätzten Wärme­ dämmverbundfassade durchgeführt werden müssen. Dies zeigt uns, dass wir unsere Auffassung nachhaltiger Archi­ tektur ändern müssen, und das begin­ nend beim Aspekt ihrer Qualität. Perspektivverschiebung

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Siloland | Alt, staubig und modern Heidi Pretterhofer, Dieter Spath sind ArchitektInnen in Wien. Ihre Arbeit bewegt sich an der Schnittstelle von Architektur, Urbanis­ mus, Kulturproduktion und Theorie. Die Unter­ suchungen zu den Getreidespeichern sind Baustein des mehrjähri­ gen Forschungsvorha­ bens „Rurbanismus“, das sich mit den Ver­ änderungen im ländli­ chen Raum beschäftigt. Mehr als 150 Getreidesilos strukturieren die Ackerbau­ gebiete Niederösterreichs, sie sind Landmark, zufälli­ ges Wahrzeichen der Kulturlandschaft des ausgehen­ den 20. Jahrhunderts und könnten als „Agrarkirchen“ der Region bezeichnet werden. Im Gegensatz zu ande­ ren technischen Wahrzeichen des infrastrukturell hochgerüsteten ländlichen Raums, den Windrädern, Ölpumpen und Hochspannungsleitungen, kann den Silos eine raumordnerische Aufgabe zugesprochen werden. Sie stehen dem Kirchturm gegenüber, sind in der Regel höher als dieser und vervollständigen eine Art „Doppelturmprinzip“ im Dorf. Sie rhythmisieren wunderschön die flache, leicht ondulierte Landschaft der Ackerbaugebiete und bilden ein Netzwerk von Hochpunkten, bestens angebunden an die Bahninfra­ struktur. Das Fassungsver­ mögen der Silos war und ist Indika­ tor der jeweiligen Agrarintensität ei­ ner Region und gleichzeitig weithin sichtbares funkti­ onales Logo der Genossenschaft. Rund 2.000.000 Tonnen Getreide wurden 2012 in Niederösterreich geerntet, etwa zwei Drittel davon wurde, in Silos ge­ trocknet, gespeichert und verteilt, man könnte die bis zu 70 Meter hohen Türme auch als gebaute Wirtschaftsdiagramme bezeichnen und Ausdruck der Industrialisierung der österreichischen Land­ wirtschaft. Das Lagern des Schüttgutes 1 ermöglicht es mit der Ware zu spekulieren, und es zum „richtigen“ Zeitpunkt zu verkaufen, beispielsweise nach Italien, um dort zu Barilla­Nudeln veredelt zu werden und dann beim Nahversorger unseres Vertrauens im Regal zu stehen. Timeline Getreidespeicher Seit die Menschen Getreide als Nahrungsmittel ver­ wenden, gab es die Herausforderung der Lagerung, über Jahrtausende hinweg waren es geschlossene Be­ hälter (Töpfe, Körbe, Kästen), je größer, umso besser. Der wahrscheinlich älteste Getreidespeicher wurde in Drah' in Jordanien 2 gefunden und ist über 11.000 Jah­ re alt, und steht für den Anfang der Landwirtschaft. In Niederösterreich beginnt die Geschichte des altertümlichen Silos in Zeiselmauer, wo sich der ältes­ te „Körnerkasten“ der Region befindet, eine Nachnut­ zung einer spätrömischen Festungsanlage, die Teil des Donaulimes war. Das Gebäude stammt aus dem 4. Jahrhundert und wurde im Mittelalter als Getreide­ speicher genutzt und blieb dadurch erhalten. Im Barock wurden die Schüttkästen vorzugsweise auf Anhöhen platziert, um sicherzustellen, dass das kostbare Gut trocken bleibt. Dicke Wände sorgen für gleichmäßige Temperaturen, kleine Öffnungen für gute Belüftung, die Lagerung des Getreides erfolgte auf mehreren gut unterlüfteten Holzböden, in welche das Getreide geschüttet wurde. Und obwohl die Funktion und das Programm immer dasselbe ist, gibt es keine baugleichen Silos, sie haben sehr unterschiedliche Höhen, Proportionen, Additionen und Accessoires. Eigentümer waren entweder der Adel oder der Klerus, der Speicher zeigt die Macht­ und Besitz­ verhältnisse. Nach den Bauernaufständen Mitte des 19. Jahrhun­ derts kam es zu einem Vakuum, die neuen freien Bauer mussten erst ein System des Lagerns und Ver­ teilens der Ernte finden und vor allem auch eine Form der Finanzierung und des Kreditwesens. 1862 gründe­ te Friedrich Wilhelm Raiffeisen den ersten Spar­ und Darlehenskassenverein in Deutschland, der günstige Darlehen vergab. Zehn Jahre später führte der Ge­ danke der bäuerlichen Selbsthilfe in Österreich zur Verabschiedung des Genossenschaftsgesetzes. Die neue Macht am Land ist nun Raiffeisen. Ziel des Raiffeisenverbandes war die Einrichtung einer Zahl­ stelle, die Organisation des Ein­ und Verkaufswesens der landwirtschaftlichen Genossenschaften und die Errichtung von Lagerhäusern, wobei anzustreben war, „das ganze Land mit einem Netz kleinerer Lagerhäu­ ser zu überziehen“. 3 1886 wurde die erste Raiffeisen­ kasse in Niederösterreich gegründet und auch das erste genossenschaftliche Getreidelagerhaus in Pöch­ larn errichtet. Weitere Genossenschaften folgten. Bis in die 50er­Jahre des 20. Jahrhunderts folgten diese Getreidelager der Typologie eines Hauses. Diese Speicherhäuser waren horizontal organisiert, quasi mehrgeschoßige Hallen mit Gebäudehöhen bis zu 25 Metern. Die äußere Hülle war Mauerwerk aus Ziegel oder Stein und hatte ein Satteldach mit ver­ schiedenen Aufsätzen und Auslässen. 1 Schüttgut: ein körniges oder auch stückiges Gemenge, das in einer schüttfähigen Form vorliegt 2 Das runde Bauwerk mit einem Durchmesser von drei Metern hatte Mauern aus Steinen und getrock­ neter Erde, obenauf saß ein Flechtwerk aus Pfosten, Zweigen und Schilfrohr. Der Boden innerhalb des Gebäudes war erhöht und hatte Öffnungen, sodass unter dem Lagergut Luft zirkulieren konnte. 3 Verband ländlicher Genossenschaften in Niederösterreich (Hg.), 1898–1973. 75 Jahre Verband ländlicher Genossenschaften in Niederösterreich Es wurden erstmals systematisch Nutzpflanzen angebaut und das sichere Lagern der Ernte war entscheidend für das Überleben der nun sess­ haft werdenden Menschen. Mittlerweile sind Menschen und Getreide mobil ge­ worden, die Notwendigkeit des Lagerns bleibt aller­ dings, denn die Möglichkeit, zu lagern, bedeutet auch der Volatilität des Getreidepreises nicht unmittelbar ausgesetzt zu sein. In der Nachkriegszeit setzte eine enorme Mecha­ nisierung und Rationalisierung aller Produkti­ onsmethoden und Arbeitsvorgänge in der Land­ wirtschaft ein. Aber es war nicht der Traktor, sondern der Mähdre­ scher, dessen Einzug in den bäuerlichen Maschinen­ bestand gegenüber früheren Zeiten eine völlig neue Situation schuf. Mit der rasant steigenden Zahl an 293 22 | 23 Siloland

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Mähdreschern kam es zu einem immer geballteren Angebot an Erntegut, das von den Lagerräumen auf­ genommen werden musste. 1953 wurde daher eigens eine Bauabteilung im Lagerhaus­Verband eingerichtet, die unverzüglich mit dem Bau von Getreidesilos begann. Eine rege Bautätig­ keit setzte ein, die nachhaltig auch das Bild der Land­ schaft verändern sollte. Es erfolgte ein Typologiewech­ sel, die Speicher wurden nun vertikal (bis zu 45 Meter), das Haus richtet sich auf zu einem Halbturm, die Z­ Achse dominiert das Escheinungsbild, errichtet wur­ den sie in Gerüstbauweise. Ein Staffelgeschoß on top vervollständigte den Speicher zum Aussichtsturm, das Satteldach entfiel. Anfang der 60er­Jahre ermöglichte ein Technolo­ giesprung das weitere Wachsen der Getreidetürme, mit der Übernahme der Gleitschalungsbauweise konnten schnell und kostengünstig mächtige Betonsilos errich­ tet werden, der höchste Turm (70 Meter) ragt in Petro­ nell aus der Landschaft und blickt nach Bratislava. Die Entdeckung der Silos durch die Architekten Die Getreidesilos sind das architektonische Rendez­ vous zwischen Agrarwirtschaft und Moderne. Die Mit­ te des 19. Jahrhunderts in Amerika entwickelten Bau­ ten mit ihrer einfachen, konkreten und funktionalisti­ schen Form wurden von den europäischen Architekten bewundert und verklärt. Von Gropius über Le Corbu­ sier bis Worringer galten sie als Beweisstück für eine Fiktion. Im Kolhaasschen Sinne könnte man von fal­ schen Fakten sprechen. 1913 publizierte Walter Gropi­ us erstmals Fotos von amerikanischen Silobauten, die Bildunterschrift verortet das Gebäude in Buenos Aires, 1922 verwendet Le Corbusier das gleiche Bild, allerdings leicht modifiziert, er ließ das Satteldach per Fotomontage entfernen, und transferierte das Gebäude nach Kanada. 1927 wurde dann dieses retu­ schierte Foto von Wilhelm Worringer übernommen. Keiner hatte dieses Gebäude je persönlich gesehen. Eine wirkliche Analyse dieser Gebäudetypolo­ gie führte erstmals Reyner Banham in seinem Buch „A Concrete Atlantis. U.S. Industrial Buildings and 60 m 50 m 30 m 15 m Schüttkasten Harmanndorf 1690, H = 14 m Speicherhaus Mühlbach 1958, H = 16 m Halbturm Gerüstbau Ernstbrunn 1961, H = 30 m Turm Gleitschalungsbau Hausleiten 1974, H = 60 m Sonderformen unterschiedl. Bauweisen Großkrut 1980 Betonsilo, H = 57 m 2010 Metallsilo, H = 34 m European Modern Architecture 1900–1925“ durch, also 73 Jahre, nachdem Gropius die Silos in den Architekturdiskurs eingeführt hat. Den „Architekturdichtern“ der Moderne galten die Silos als Inspiration und Versprechen. Bauer“ des Bildhauers Carl Hermann ist die sym­ bolträchtige Figur eines Sämannes; Fruchtbarkeit, Reichtum und Bodenhaftung sind die Werte, die es zu erhalten gilt. Interessant ist, dass in Niederösterreich die Silos erst zu einem Zeitpunkt auftauchen, wo sie in Amerika schon wieder verschwinden, die Blütezeit der Hafenstandort wie z. B. Buffalo, ist vorbei, die riesigen Siloanlagen werden abgetragen oder umgenutzt. Die Zeitverzöge­ rung in NÖ hängt auch mit der kleinteiligeren Agrar­ struktur zusammen. Die ländlichen Genossen­ schaften haben nie wirklich mit der Tradition ge­ brochen und haben ihre „modernen“ Korntürme selbstbewusst mit volkstümlichen und religiösen Kunstwerken geschmückt, Sgraffitos, Mosaike und auch Plastiken wurden angebracht. Am beeindru­ ckendsten ist eine 54 Tonnen schwere Skulptur am Silo in Waidhofen an der Thaya. Der „Steinerne In dieser Gleichzeitigkeit von Tradition, Moderne und vor allem Pragmatismus könnte man die Genossenschaftssilos vielleicht als „Quasi­ objekte“ im Sinne Bruno Latours bezeichnen, der behauptet: „Wir sind nie modern gewesen.“ Staubige Nachhaltigkeit, ein Update Bemerkenswert ist, dass der Großteil der Silos noch in Verwendung ist, und sie beinahe zufällig eine sehr nachhaltige Gebäudetypologie darstellen. Der große Vorteil der Betonsilos im Vergleich zu den jüngeren Stahlsilos ist deren Trägheit, Temperatur und Feuch­ tigkeitsunterschiede werden nur sehr langsam weiter­ Siloland

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Torbau des Totentempels des Königs Sahu Re Dacota Elevator, Buffalo Getreidesilo in Buenos Aires Getreidesilos und Elevatoren in Kanada Getreidesilo in Kanada Walter Gropius, 1913 Le Corbusier, 1922, Satteldach lithografisch entfernt Wilhelm Worringer, 1927 4 RURBAN: Zusammenset­ zung von urban und rural. Bezeichnet eine räumli­ che Qualität, die sich den gewohnten städtischen Deutungsmustern entzieht: 1. stadtländisch, 2. landstädtisch. Vgl. Heidi Pretterhofer, Dieter Spath, Kai Vöckler, LAND. Rurbanismus oder Leben im postruralen Raum, HDA Graz 2010 geleitet, das Getreide hat konstante Lagerbedingun­ gen und kann so bis zu einem Jahr gelagert werden, dann wird der Speicherplatz für die nächste Ernte benötigt. Überraschend ist, dass diese hermetischen, ver­ tikalen Lagerräume eine komplexe, grazile Innenar­ chitektur von Schläuchen und Rohren beherbergen. Diese sind notwendig, um die einzelnen Silozellen zu befüllen und zu entleeren. Das Getreide wird getrock­ net, „zieht um“ (Fachjargon der Silomeister, wenn das Schüttgut von einer Zelle in eine andere verlagert wird), wird mehrfach gefiltert, gesiebt und schließlich verladen (Bahn oder Lkw). Bei diesen Arbeiten kommt es zu erheblichen Staubentwicklungen, da die Konsis­ tenz von Getreide zwischen flüssig und fest angesiedelt ist. Die individuellen Getreidekörner bilden Konglo­ merate mit Bruchflächen, die durch gegenseitige Rei­ bung Feinstaub erzeugen. Als zeitgemäßes „update“ werden Silos heute auch als Senderstandort bewirtschaftet. Die „Senderfunkti­ on“ der Silos unterstreicht die These, dass Silos als Ge­ neratoren eines neuen Siedlungsraumes operieren. Sie sind bereits da; vertikale Lagerräume, die ihr Pro­ gramm ändern bzw. es zusätzlich zur ursprünglichen Aufgabe ergänzen können. Sendeanlagen ohne Silos stellen oftmals ein gestalterisches Problem dar, und es gibt sehr befremdliche Unternehmungen, diese Aufga­ be zu lösen, beispielsweise wurden in der Steiermark Plastiktannenbäume entworfen und errichtet, um die Senderanlagen im Wald zu tarnen. In England behalf man sich eines Fake­Silos, der seriell wie ein Fertigteil­ haus produziert werden kann, ebenfalls mit dem Ziel, den Sender zu verstecken. Die Landmarks, wie sie die Lagerhaus­Silos darstellen, können dieses Ge­ staltungsproblem lösen. Silos senden Bilder, Gespräche und Informatio­ nen, die einen neuen „rurbanen“ 4 Raum akti­ vieren. Entsprechend der Bauordnung fallen diese Türme unter die Kategorie von Hochhäusern. Viele der Silos haben (noch) Verbindung zum Schienennetz und hät­ ten dadurch Potenzial, als lokale Terminals zu fungie­ ren, wo von Rad, Bus, Pkw auf die Bahn gewechselt werden kann. Die hohe Silodichte in den ehemaligen Grenzregionen Marchfeld und Weinviertel kann zum selbstbewussten Startpunkt für eine neue europäische Kultur­ und Siedlungslandschaft werden. Die Unter­ scheidung in rurale und urbane Siedlungsformen ist nicht mehr zeitgemäß. Der Mythos des Ländlichen ist eine städtische Perspektive, umso mehr erscheint es notwendig, aus der Sicht des Landes auf die Entwicklung der Lebensräume im 21. Jahrhundert zu schauen. Denn die ländlichen Räume haben in den vergange­ nen 20 Jahren nicht nur einen (infra)strukturellen Wandel erfolgreich abgeschlossen, sondern auch eine eigenständige Entwicklung vollziehen können, die sich auf besondere Weise mit dem Städtischen ver­ knüpft und Merkmale einer zukünftigen Siedlungs­ weise in Europa beinhaltet. Durch die rasante Fortent­ wicklung der Transport­ und Kommunikationstech­ nologie ist der ländliche Raum auf eine bisher unbe­ kannte Weise bis in den globalen Maßstab hinein mit dem Städtischen verknüpft. N 293 24 | 25 Siloland

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Urban Mining | Rohstoffe in Nicht-Wohngebäuden Liselotte Schebek Professur für das Fachgebiet Stoffstrom­ management und Ressourcenwirtschaft an der TU Darmstadt Leiterin des Forschungs­ projekts „Techno­Öko­ nomische Potenziale der Rückgewinnung von Rohstoffen aus dem Industrie­ und Gewerbe­ gebäude­Bestand“ (PRRIG) Jan Wöltjen Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Baubetrieb, TU Darmstadt, Schwerpunkt: Urban Mining Yunbo Li Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut IWAR, TU Darmstadt, Schwerpunkt: Stoffstrom­ management und Ressourcenwirtschaft Britta Miekley Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut IWAR, TU Darmstadt, Schwerpunkt: Abfalltech­ nik sowie Industrielle Stoffkreisläufe Benjamin Schnitzer Mitarbeiter am Institut für kommunale Geoinfor­ mationssysteme (IKGIS) e. V., Geodätisches Institut, TU Darmstadt, Schwerpunkt: Land­ management Christoph Motzko Institutsleitung, Institut für Baubetrieb, TU Darmstadt, Schwerpunkt: Bau­ organisation Hans­Joachim Linke Prodekan des Instituts für Bau­ und Umweltingeni­ eurwissenschaften, TU Darmstadt Das Thema der Rohstoffsicherheit steht heute im Mit­ telpunkt des öffentlichen Interesses: Steigende Prei­ se, beispielsweise für Stahl und Kupfer, aber auch die Diskussion um die Verfügbarkeit von „strategischen“ Rohstoffen für Zukunftstechnologien haben dieser Problematik eine hohe Aktualität verliehen. Aber ge­ rade die wirtschaftlich bedeutenden metallischen Rohstoffe werden nicht im engeren Sinne „ver­ braucht“, sondern bleiben als Materialien und Ele­ mente auch beim und nach dem Gebrauch von Pro­ dukten erhalten. Das Motto „Aus Alt mach Neu“ sollte also gerade im Fall von Metallen zum Tragen kommen, umso mehr, als Schrott und Altmetalle technologisch in den Kreisläufen der Metall verarbeitenden Indust­ rie prinzipiell beliebig oft recycelt werden können. Dies gilt in besonderem Maß für den Baubereich, der in langlebigen Infrastrukturen und Gebäu­ den den größte Anteil des „anthropogenen Lagers“ enthält. Zwar liegen erste Schätzungen vor, die für Deutsch­ land einen Bestand von ca. 106 Millionen t Metallen im Bausektor ausweisen (Angerer 2009). Diese Schät­ zungen auf der volkswirtschaftlichen Ebene sind je­ doch für Planer, Immobilienbesitzer und Abbruch­ unternehmer nicht ausreichend, um für konkrete Gebäude Potenziale zu identifizieren und Maßnah­ men beim Rückbau zu konzipieren. Hinzu kommt ein wesentlicher Unterschied zwischen natürlichen La­ gerstätten und anthropogenen Lagern: Natürliche Lagerstätten werden dann abgebaut, wenn die Roh­ stoffe benötigt werden. Anthropogene Lager werden aber nicht „abgebaut“ wegen ihrer Rohstoffinventa­ re, sondern sie verändern sich getrieben von ökono­ mischen Faktoren: vom Nachfrageverhalten der Kon­ sumenten, von der Investitionstätigkeit der Industrie, von der Marktentwicklung im Immobilienbereich. Wo aber finden sich die „verbrauchten“ Metalle? Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass durch Herstellung und den Konsum langlebiger Pro­ dukte mittlerweile erhebliche Mengen von Materialien im Bestand jeder Industriegesell­ schaft enthalten sind. Täglich genutzte Konsumprodukte wie Fortbewe­ gungsmittel oder elektronische Geräte, Infrastruk­ turen für die Bereitstellung von Strom, die Wasserver­ sorgung oder die Klimatisierung, Straßen und Bau­ werke bilden zusammen das „anthropogene Lager“, dessen Inventar an Metallen heute für industrialisier­ te Länder auf ca. 10 bis 15 t pro Kopf der Bevölkerung geschätzt wird (Gerst 2008). Der Begriff des „Urban Mining“ umschreibt die Erwartung, dass wir Roh­ stoffe auch aus diesem anthropogenen Lager wieder­ gewinnen können und damit – mindestens zum Teil – die Nachfrage nach primären Rohstoffen ersetzen können. Diese Erwartung ist heute auch die wesent­ liche Motivation der Abfall­ und Kreislaufwirtschaft: Mit dem rechtlichen Instrumentarium des Kreislauf­ wirtschaftsgesetzes und neuen technologischen Verfahren der Sortierung und Trennung wurden für viele Altprodukte die Voraussetzungen für eine Schließung von Kreisläufen geschaffen. Trotzdem gelangt nur ein Teil der „verbrauchten“ Metalle tat­ sächlich in eine hochwertige Verwertung zurück. Dies ist nicht nur auf (noch) fehlende Aufbereitungs­ technologien, sondern auch auf vielfältige Probleme bei der Erfassung von Altprodukten und Sekundär­ rohstoffen zurückzuführen – und oft beruhen diese Probleme im Kern darauf, dass wir nicht oder nicht präzise genug wissen, welche Metalle sich wo und in welcher Form im Bestand des anthropogenen Lagers befinden. Planungen zur Rückführung von Rohstoffen benötigen daher auch Wissen über die zeitliche Dynamik des anthropogenen Lagers. Im Fall des Baubereichs kann davon ausgegangen werden, dass Materialien in einem Gebäude – abhän­ gig von dessen Nutzungsart und Konstruktionsweise – für mindestens 40, nicht selten jedoch für mehr als 100 Jahre verbleiben. Aufgrund dieser langen Verweil­ zeiten ist es eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe, diese Dynamik zu prognostizieren. Mit diesen Fragestellungen beschäftigt sich das Forschungsprojekt „Techno­Ökonomische Potenziale der Rückgewinnung von Rohstoffen aus dem Indust­ rie­ und Gewerbegebäude­Bestand“ („PRRIG“), in dem drei Fachgebiete der TU Darmstadt mit industriellen Partnern zusammenarbeiten. Das Forschungsprojekt konzentriert sich auf Rohstoffinventare im Bestand von Industrie­ und Gewerbegebäuden. Dieser Teil des Baubereichs zeichnet sich im Vergleich zu Wohnge­ bäuden durch den höheren Anteil technischer Ge­ bäudeausrüstung aus, aber auch durch deutlich kürzere „Umlaufzeiten“ bis zu einer Umnutzung, einem Teilabbruch oder dem vollständigen Abbruch. Nichtwohngebäude umfassen sehr unterschiedliche Arten von Gebäuden: Dies können sowohl Produk­ tions­ als auch andere Funktions­ und Bürogebäude sein, aber auch (Lager)Hallen, Verkehrsgebäude oder Gebäude im Bildungsbereich. Das Forschungs­ projekt untersucht diesen Sektor in und für den konkreten Untersuchungsraum des Rhein­Main­ Gebietes und umfasst Fallstudien mit Gebäudeeigen­ tümern und Kooperationen mit regionalen Akteuren: In Kooperation mit Immobilieneigentümern werden Urban Mining

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superuse studios Rewind @ Willemsplein 2012 Rotterdam, Niederlande konkrete Gebäude und Abrissvorhaben untersucht; flächenbezogene Daten werden von regionalen Ak­ teuren zur Verfügung gestellt. Damit werden erstmals in einem regionalen Untersuchungsraum umfassen­ de empirische Informationen zum Gebäudebestand ermittelt. Um die Dynamik dieses Bestandes zu unter­ suchen, werden basierend auf Erhebungen und Ex­ perteninterviews Szenarien zur Entwicklung der Im­ mobiliennachfrage in unterschiedlichen Teilmärkten des Immobiliensektors erarbeitet. Diese dienen dazu, mithilfe eines Materialflussmodells und basierend auf den ermittelten Informationen zum heutigen Bestand, Simulationsrechnungen zu den zukünftig zu erwartenden Rückflüssen von Materialien durchzu­ führen. Die Erfassung und Rückführung von Materia­ lien aus dem Abriss werden anhand konkreter Fallbei­ spiele des Rückbaus oder Abrisses von Gebäuden un­ tersucht. Methodisch werden die Forschungsfragen mit zwei komplementären Untersuchungsansätzen bearbeitet: „Topdown“ werden flächenbezogene Informationen über den Gebäudebestand, z. B. aus Katastern, Statistik und Literatur ausgewertet. „Bot­ tom­up“ erfolgt die Erhebung von Informationen und Daten zu konkreten Standorten, Gebäudebeständen bzw. Einzelgebäuden. Die Ergebnisse beider Ansätze werden verknüpft über Typologien von Gebäuden und Gebäudekomponenten, aus denen die Relevanz eines durch bestimmte Eigenschaften charakterisier­ ten Gebäudes oder Standortes für den Gesamtbe­ stand abgeleitet werden kann. Kern der Arbeiten sind die Praxisuntersuchun­ gen zu Gebäuden und Immobilienstandorten in Kooperation mit Industriepartnern und anderen Immobilienbesitzern, beispielsweise Kommunen. Bei diesem als induktives Vorgehen zu charakterisie­ renden „Bottom­up“­Ansatz werden exemplarisch Standorte und Gebäude im Detail aufgenommen. Dies umfasst die Auswertung von Dokumentationen zum Gebäudebestand sowie die Durchführung von Vor­Ort­Erhebungen zu Gebäude(teilen) und Ab­ bruchverfahren. Die für das Rohstoffrückgewin­ nungspotenzial als besonders relevant identifizier­ ten Bauteile sind in diesem Zusammenhang die Bau­ teile des Tragwerks, die verschiedenen Bestandteile der technischen Gebäudeausrüstung, die Fassaden­ verkleidung und ­unterkonstruktion, der Dachbelag, 293 26 | 27

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superuse studios Stadsgevel 21. 04. 2011–25. 06. 2012 Rotterdam, Niederlande Gerst 2008: Michael D. Gerst, Thomas. E. Graedel: In­Use Stocks of Metals: Status and Implications; Environmental Science & Technology 2008 42 (19), 7038–7045 Schiller 2010: Schiller,G.; Deilmann, C.; Gruhler,K.; Röhm, P.: Ermittlung von Ressourcenschonungs­ potenzialen bei der Verwertung von Bauab­ fällen und Erarbeitung von Empfehlungen zu deren Nutzung, Texte Nr. 56/2010, UBA­FBNr: 001401, Förderkennzei­ chen: 3708 95 303, 2010 Umweltbundesamt der Sonnenschutz und die Fensterrahmen. Die Ergeb­ nisse werden entsprechend der im Forschungspro­ jekt entwickelten Typologien in einer Datenbank ver­ waltet und ausgewertet. Aus der Zusammenführung mit generischen Informationen zu Gebäudekompo­ nenten – z. B. Elektro­ oder Lüftungssystemen – wer­ den die Mengen der verbauten Rohstoffe ermittelt und Abhängigkeiten vom Alter des jeweiligen Gebäu­ des, seinem ursprünglichen Zweck bzw. jüngeren Nut­ zungsarten und damit einhergehenden Umbauten und Sanierungen ermittelt. Wesentlicher Bestandteil der Forschung ist auch die Insitu­Untersuchung des Baustellenbetriebs im Hinblick auf Potenziale zur Ver­ besserung des „rohstofforientierten Rückbauprozes­ ses“: Welche der eingebauten Metalle werden zu welchen Anteilen separiert? Haben organisatorische Maßnahmen einen Einfluss auf deren Menge? Durch die wissenschaftliche Begleitung ausgewählter Abbruchvorhaben kann auf Basis eines Abgleichs zwischen den theoretisch aus den Projek­ tierungsunterlagen ermittelten Rohstoffinventaren mit den in situ ermittelten Kennwerten eine Plausibi­ lisierung der Rohstoffmengen vorgenommen werden. Als Ergebnis der Vor­Ort­Untersuchungen wird an einzelnen Standorten so das konkrete Rück­ gewinnungspotenzial bisher noch verlorener Rohstoffe ermittelt. Diese und die weiteren Ergebnisse der Praxisuntersu­ chungen werden zusammenfassend im Hinblick auf übergreifende Empfehlungen und einen Maßnahmen­ katalog zum Urban Mining im Bereich der Industrie­ und Gewerbegebäude ausgewertet. Insgesamt soll das Forschungsprojekt PRRIG erstmals eine fundierte Einschätzung ermöglichen, in welchem Zeithorizont, in welchen Segmenten des (Gewerbe)Immobilien­ marktes und/oder für welche Rohstoffe Urban Mining eine ökonomisch und technologisch realisierbare Op­ tion darstellt – Ergebnisse, die nicht nur wissen­ schaftlich spannend sind, sondern auch für Immobili­ enbesitzer und Planer neue Einschätzungen für pra­ xistaugliche Maßnahmen zu ökonomischen und öko­ logischen Einsparungen eröffnen könnten. N Forschungsprojekt „Techno­Ökonomische Potenziale der Rück­ gewinnung von Rohstof­ fen aus dem Industrie­ und Gewerbegebäude­ Bestand“ („PRRIG“): Das Projekt wird geför­ dert im Zeitraum März 2013 bis Februar 2015 durch das Bundesministe­ rium für Bildung und Forschung im Rahmen der Förderrichtlinie „r³­ Innovative Technologi­ en für Ressourceneffizi­ enz – Strategische Metalle und Mineralien“. Projektpartner sind drei Fachgebiete der TU Darmstadt (Fachgebiet Stoffstrommanagement und Ressourcenwirt­ schaft, Institut für Baubetrieb, Fachgebiet Landmanagement) sowie die Industriepartner Adam Opel AG und Re2area GmbH. 293 28 | 29 Urban Mining

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Das Rezept zur perfekten Küche. Beratung, Planung und Realisierung. Alles aus einer Hand. Professionalität in der Gastronomieausstattung erfordert Erfahrung in Planung und Baustellenbegleitung komplexer Projekte. Wir kennen die Arbeitsabläufe in modernen Großküchen und die damit verbundenen Anforderungen und stellen unser Wissen gerne in der Zusammenarbeit mit ArchitektInnen unseren KundInnen bei der Umsetzung auch hochkomplexer Projekte zur Verfügung. Stölner Group – wir wissen, worauf es ankommt. Stölner GmbH Günter Maurer Key Account Manager +43 (0) 676 830 81 307 Herzogenburgerstraße 9, 3100 St. Pölten T + 43 (0) 27 42 36 22 20-0 Burggasse 120, 1070 Wien T + 43 (0) 1 52 24 674 office@stoelner.at | www.stoelner.at group

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Österreich I +II ORF III Kultur und Information präsentiert die prägen­ den historischen Dokumentarreihen von Hugo Portisch und Sepp Riff in umfassenden Neuauflagen: auf den neuesten Stand der Technik gebracht und inhaltlich den jüngsten historischen Kenntnissen angepasst. ÖSTERREICH I Die Geschichte Österreichs vom 1. Weltkrieg bis 1945 ÖSTERREICH II (Folge 1–12) Die Staatswerdung Österreichs 1945 jeweils 6 DVDs, Bildformat 16:9, Stereo Sprache: Deutsch, Untertitel: Deutsch Nachhaltigkeit ohne Raumplanung? Podiumsdiskussion des Ausschusses Nachhaltiges Bauen der bAIK Wann? Mittwoch, 7.5.2014, 19 Uhr Wo? Erste Bank Event Center, Petersplatz 7, 1010 Wien Grundlage nachhaltigen Bauens ist der raumplaneri­ sche Kontext. Angesichts der Abwanderung und Zer­ siedlung des ländlichen Raums wird die Problematik in kleineren Gemeinden besonders augenscheinlich. Erst in Verbindung erreichen eine nachhaltige Raum­ planung und energieeffiziente Gebäudekonzepte ihre jeweiligen Zielsetzungen. Denn langfristige Sied­ lungskonzepte minimieren durch kurze Wege den Pendlerverkehr, sie ermöglichen eine besonders res­ sourcenschonende infrastrukturelle Anbindung und verhindern die soziale Erosion der Gemeindekerne. Eine Herausforderung, die nur in Zusammenarbeit der unterschiedlichen AkteurInnen auf politischer als auch planender Ebene sowie durch partizipative Pla­ nungsmodelle zu bewältigen ist. Am 7. Mai 2014 geht eine ExpertInnenrunde auf Einla­ dung des Ausschusses Nachhaltiges Bauen der bAIK den zugrunde liegenden Konzepten österreichischer best practices und Visionen für eine neue Kultur der Siedlungsplanung nach. JOUR FIXE VERGABERECHT Schramm Öhler Rechtsanwälte veranstalten ein­ bis zweimal monatlich einen Vortragsabend zu den Themen des Vergabe­ und Baurechts mit den Top­ Vergabeexperten Österreichs. jeweils Donnerstag ab 17 Uhr Ort: 1010 Wien, Bartensteingasse 2 (3. Stock), Vortragssaal Nächste Veranstaltungen: „UWG und Vergaberecht“: 3. April 2014, 17.00 Uhr „Neueste Entwicklungen an der Schnittstelle von Ver­ gaberecht und Beihilfenrecht“ mit Jaeger (Max­ Planck­Institut für Immaterialgüter­ und Wettbe­ werbsrecht) „Vergabetalk – die aktuellsten Entscheidungen“: 24. April 2014, 17.00 Uhr Diskussion über die wichtigsten vergaberechtlichen Entscheidungen des EuGH, des VwGH sowie des BVwG und deren Auswirkungen auf die Vergabepra­ xis“ mit Reisner (Bundesverwaltungsgericht) Keine Teilnahmegebühr Erhältlich im gut sortierten Fachhandel und im ORF Shop, Argentinierstraße 30a, 1040 Wien, T: (01) 501 70 373, F: (01) 501 70 375, E: orfshop@ORF.at, URL: http://shop.ORF.at Anmeldung bis 6. 5. 2014: www.arching.at/podiumsdiskussion16 Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten, Wien Rosa Frey, T: +43 (0)1 505 58 07­73 Weitere Informationen und Programm: Schramm Öhler Rechtsanwälte OG 1010 Wien, Bartensteingasse 2 Tel +43 (0)1 409 76 09 www.schramm­oehler.at kanzlei@schramm­oehler.at 293 30 | 31 Anzeigen

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Das Regierungsprogramm| aus Sicht der ZiviltechnikerInnen Am 16.12.2013 wurde das Kabinett Faymann II angelobt. Das Regierungsprogramm stieß auf massive Kritik der Opposition und der Öffentlichkeit. Aus Sicht der Interessenvertretung der ZiviltechnikerInnen ist diese Kritik in Hinblick auf die Steuerpolitik der Regierung zu teilen. Daneben finden sich aber auch erfreuliche Ansätze, die im Sinne einer differenzierten Analyse im Folgenden ebenfalls nicht unerwähnt bleiben sollen. Georg Pendl, Präsident der Bundeskammer der Architekten und Ingeni­ eurkonsulenten, Rudolf Kolbe, Vizeprä­ sident der Bundeskam­ mer der Architekten und Ingenieurkonsulenten Steuerpolitik Das Regierungsprogramm sah eine Reihe von Steuer­ erhöhungen vor, die vom Parlament inzwischen auch beschlossen wurden: Alkohol­, Tabaksteuer, NOVA etc. Die Optik war sehr unglücklich, hatte doch etwa Vizekanz­ ler Spindelegger wenige Wochen zuvor im Wahlkampf angekündigt: „Mit mir gibt es keine Steuererhöhungen.“ Eine der beabsichtigten Maßnahmen hätte insbesondere Selbstständige hart getroffen: Der Gewinnfreibetrag (ein Äquivalent für die Begünstigung der Unselbstständigen bei der Besteuerung des 13. und 14. Monatsgehalts) sollte deutlich eingeschränkt werden. Dagegen liefen sowohl die Kammern der Freien Berufe als auch die Wirtschafts­ kammer Sturm. Wenige Tage vor dem geplanten Be­ schluss im zuständigen Ausschuss des Nationalrates richteten die Präsidenten aller Kammern der Freien Berufe und WKO­Präsident Leitl ein gemeinsames Pro­ testschreiben an die Regierungsspitze und an Parlamen­ tarier aller Parteien. Diese Einigkeit aller gesetzlichen Interessenvertretungen der Selbstständigen verfehlte ihre Wirkung nicht: Die Koalitionsparteien haben die geplante Maßnahme deutlich entschärft: Der Gewinn­ reibetrag bleibt im Wesentlichen unverändert. Auch ein Ankauf von Wertpapieren ist weiterhin möglich und führt zu einer Ausschöpfung des Gewinnfreibetrages, aller­ dings nur mehr im Falle der Anschaffung von Wohnbauan­ leihen. Von dieser Beschränkung auf Wohnbauanleihen erhofft sich die Bundesregierung mehr Geld für den Wohnbau und damit eine Ankurbelung der Realwirt­ schaft. Aus Sicht der Architekten und Ingenieurkonsulen­ ten ist zu hoffen, dass dieser Effekt tatsächlich eintritt. Durch das gemeinsame Auftreten der gesetzlichen Interessenvertretung der Freiberufler und der WKO konnte somit ein „Sonderopfer“ der Selbstständigen zur Budgetsanierung verhindert werden. Alle anderen Steuererhöhungen sind aber überwiegend bereits mit 1. 3. 2014 in Kraft getreten. Diese Eile würden wir uns auch bei anderen Punk­ ten des Regierungsprogrammes wünschen. Normenpolitik Bei aller Kritik müssen auch positive Ansätze im Regie­ rungsprogramm erwähnt werden: Bekanntlich hat die Bundeskammer an die kandidierenden Parteien vor der Nationalratswahl drei Forderungen gerichtet. Eine dieser 293 32 | 33 Das Regierungsprogramm

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Fragen betraf das Normengesetz, die gesetzliche Grund­ lage der Tätigkeit des Austrian Standards Institute (ASI). Dieses Normengesetz stammt in seinen Grundzügen aus dem Jahr 1954. Wir haben eine Novellierung und Moderni­ sierung dieses Gesetzes gefordert, wobei bestehende Normen entrümpelt, die Transparenz erhöht und die Effizienz des ASI gesteigert werden sollen. Das Regierungs­ programm sieht offenbar ebenfalls Reformbedarf und stellt eine Novellierung des Normengesetzes in Aussicht. Erfreulich daran ist, dass das Thema „Normen“ damit auf der Agenda der Politik steht. Die Interessenvertretung der ZiviltechnikerInnen hat zu diesem Thema mehrere Medienberichte lanciert, Gespräche mit anderen Interes­ senvertretungen und politischen Entscheidungsträgern geführt und damit wesentlich dazu beigetragen, das Problembewusstsein der Politik zu wecken. Jetzt kommt es – wie beim gesamten Regierungsprogramm – natürlich auf die konkrete Umsetzung des Programmes an. Aufgabe der Bundeskammer wird es sein, weiter „am Ball“ zu bleiben. Vergaberecht Eine weitere Frage, die die Bundeskammer an die Parteien im Wahlkampf gerichtet hat, betraf das Vergabegesetz. Dabei hat die Bundeskammer einmal mehr moniert, dass mit einer Kostenersparnis bei der Ausführung, Instand­ haltung und den Betriebskosten nur bei effizienter Planung gerechnet werden kann. Die umfassende Beur­ teilung der Wirtschaftlichkeit eines Angebotes ist für geistige Dienstleistungen ein Muss. Eine Vergabe an den „Billigstbieter“ ist zwar EU­rechtlich zulässig, verursacht letztlich aber Mehrkosten für die öffentliche Hand. Deshalb hat die bAIK von den wahlwerbenden Parteien die verpflichtende Festlegung des Bestbieterprinzips gefordert. Die Regierung hat das zugesagt und in ihr Programm aufgenommen. Die Bundeskammer wird die Umsetzung dieses Versprechens im Zuge der anstehen­ den Novelle des Vergabegesetzes einfordern. Faire Honorare für hochwertige Leistungen Auch auf die dritte Forderung der gesetzlichen Interessen­ vertretung der ZiviltechnikerInnen, nämlich eine Rechts­ grundlage für eine Honorarordnung nach deutschem Vorbild zu schaffen, haben SPÖ und ÖVP im Wahlkampf zur Nationalratswahl überraschend positiv reagiert. Im Regierungsprogramm haben die beiden Parteien diese Forderung aber (noch?) nicht berücksichtigt. Die Finanz­ krise der letzten Jahre hat zwar den Glauben der Politik an die positiven wirtschaftlichen Folgen eines unregulierten, freien Marktes auf europäischer und österreichischer Ebene erschüttert. Konkrete Maßnahmen lassen aber weiter auf sich warten. Da die „Deregulierung“ weiter massiv auf europäischer Ebene forciert wird, wird dieses Thema im Brennpunkt der Forderungen der Bundeskam­ mer an die zum Europäischen Parlament kandidierenden Parteien stehen. Am 16. und 17. Mai 2014 finden in diesem Jahr die Architekturtage in ganz Österreich statt. Unter dem Motto „Alt Jetzt Neu“ laden sie wieder zu einem außergewöhnlichen Architekturereignis ein! Ein umfangreiches Programm bietet vielfältige Möglichkeiten, Architektur hautnah zu erleben, Neues zu entdecken und Ungewöhnliches zu verstehen. Projektpartner www.architekturtage.at zeughaus.com Anzeige

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Komplexe Planungsaufgaben können nicht allein nach marktwirtschaftlichen Kriterien honoriert werden. Das ist weder im Interesse der AuftraggeberInnen noch der ZiviltechnikerInnen. Angesichts der unzureichenden Bereitschaft der Politik, unserer Forderung ensprechend dem deutschen Vorbild einer allgemein verbindlichen Honorarordnung zu folgen, wird die Bundeskammer versuchen, die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten nach Abschluss von Honorarvereinbarungen mit einzel­ nen öffentlichen AuftraggeberInnen verstärkt zu nutzen. Verwaltungsreform Eine „Verwaltungsreform“ steht inzwischen seit Jahrzehn­ ten auf der Agenda der Politik. Leider enthält das Regie­ rungsprogramm 2013 bis 2018 zu dieser Thematik mehr allgemeine Bekenntnisse als konkrete Maßnahmen. Als „technische Notare“ stehen die Ziviltechniker bereit, die öffentliche Verwaltung zu entlasten. Die Vielfalt der technischen und naturwissenschaftlichen Fragestellun­ gen, der sich die öffentliche Verwaltung gegenübersieht, verlangt geradezu nach einer Auslagerung von Staatsauf­ gaben an Personen, die von Berufs wegen über den erforderlichen Sachverstand verfügen. So eine Auslage­ rung spart Verwaltungskosten und nützt gleichzeitig den Bürgern, z. B. durch eine Beschleunigung von Verwal­ tungsabläufen und eine stärkere „Praxisorientierung“ behördlicher Entscheidungen. Weitere Punkte im Regierungsübereinkommen Es liegt in der Natur der Sache, dass das Regierungsüber­ einkommen ZiviltechnikerInnen in zahlreichen Punkten mehr oder weniger intensiv berührt. Beispielhaft seien erwähnt: Das Thema „leistbares Wohnen“; die finanzielle Ausstattung der Siedlungswasserwirtschaft; der Ausbau des e­Governments; das Thema „Almenvermessung“; der schon in der letzten Periode gescheiterte Wunsch nach Etablierung interdisziplinärer Gesellschaften etc. Eine umfassende Analyse all dieser Punkte wurde im Generalsekretariat erstellt. Diese Analyse ist Grundlage unserer interessenpolitischen Arbeit in den nächsten Jahren. Mit der Überführung der WE und der Verankerung der Themen „Normen“ und „Vergaberecht“ im Regie­ rungsprogramm konnten wir zuletzt schöne Erfolge verzeichnen. Ziel ist es, den Einfluss und die Durchset­ zungskraft unserer Berufsgruppe zu erhalten bzw. schritt­ weise auszubauen. N Verschenkte Erlöse? Einfach zu öffentlichen Aufträgen PlanerInnen verschenken mitunter Erlöse, weil sie sich nicht an öffent­ lichen Ausschreibungen beteiligen. Dabei geht es um ein Volumen von mehr als 45 Milliarden Euro, das öffentliche Auftraggeber jährlich vergeben. Sind öffentliche Vergaben nur eine Domäne der „Großen“? Keineswegs. Die Nutzungsstruktur der Liste geeigneter Unterneh­ mer® (LgU), Eignungsnachweisdatenbank im Auftragnehmerkataster Österreich, zeigt genau das Gegenteil auf: Diese wird zu 40% von Kleinstunternehmen bis max. 9 MitarbeiterInnen genutzt. Die größte Gruppe sind Kleinunternehmen bis 50 MitarbeiterInnen (41%). Nur 5% der Eingetragenen entfallen auf Großunternehmen.Der Auftragneh­ merkataster Österreich (ANKÖ) bringt als führendes Portal für die Vergabe öffentlicher Aufträge Auftraggeber und Unternehmen unkompliziert zusammen. Vorteile für ArchitektInnen und IngenieurkonsulentInnen: • Direkte Verknüpfung zur bAIK – aufrechte Befugnisse und Filialen sind tagesaktuell über die Schnittstelle ersichtlich; das Unternehmensprofil der bAIK­Mitglieder ist für öffentliche Auftraggeber ständig präsent. • Einsichtsberechtigte User haben alle Nachweise zur Eignungs­ prüfung online in strukturierter Form und aktuell verfügbar – ohne Verwaltungsaufwand für ArchitektInnen und Ingenieur­ konsulentInnen. • Wenn Sie sich um öffentliche Aufträge bewerben, müssen Sie Ihre vergaberechtlichen Eignungen immer wieder neu nachwei­ sen. Die Eintragung in die LgU spart Zeit und Kosten! Sie bestim­ men das Aktualisierungsintervall für alle Eignungsnachweise selbst. Das heißt, Sie werden verständigt, bevor ein Eignungs­ nachweis „veraltet“ ist. • Verbesserte Auffindbarkeit bei Direktvergaben: detaillierte Suche für AuftraggeberInnen (nach Tätigkeitsbereich, Bundes­ land, Mitarbeiterzahl, Umsatz, KSV Rating etc.) • Für Mitglieder, die Vergabeverfahren abwickeln: Mängelbehe­ bung über den ANKÖ möglich (Nachforderung und Setzung von Fristen direkt über das System) • Gemeinsam zu öffentlichen Aufträgen: Auf die ZiviltechnikerIn­ nen wartet ein erweiterter Anwendungsbereich der „LgU+“: Die neue „Push & Pull“­Funktion erleichtert die Suche nach Koope­ rationspartnerInnen. Um sich gegenseitig gut zu ergänzen, die Stärken zu fördern und die Zusammenarbeit zu optimieren, können Anfragen einfach über das System verschickt werden. • Innovatives Design: Einfachheit, Schlichtheit und hohe Benut­ zerfreundlichkeit haben oberste Priorität. Dipl.­Kfm. Dr. Alfred Jöchlinger , Geschäftsführer Auftragnehmerkataster Österreich Anschützgasse 1, 1150 Wien t +43 1 333 66 66 11 office@ankoe.at www.ankoe.at 293 34 | 35 Das Regierungsprogramm/Verschenkte Erlöse?

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Baukultur in Niederösterreich Mehr als die Summe von Architektur und Kunst 1 Nikolaus Gansterer, „Libra – Balancing The Invisible“ im Justizzentrum Korneuburg, Arge Dieter Mathoi Architekten und Architekturwerkstatt din a4, © Wolfgang Woessner 2 Maider López, „Mountain“, Grafenegg, © Paris Tsitsos 3 Peter Sandbichler, „Schwarze Schafe“, Stockerau, © Wolfgang Woessner 4 Adriane Wachholz, „Coming Home“, Landespflegeheim Mödling, Architekt Hannes Toifel, © Christian Wachter Anzeige

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Die Mauern und das Leben | Der Architekt: ein einsamer Künstler, der mit großer Geniegebärde wahnwitzig übersteigerte Ideen aufs Papier wirft? Mein Jahr als Bauherr und andere architektonische Kleinigkeiten: aus den Erfahrungen eines „Spectrum“-Redakteurs. Wolfgang Freitag Seit 1984 als Journalist tätig, u. a. für „Die Presse“ und „Kurier“ sowie „Die Bühne“. Mitarbeit an Theaterprojekten, Film­ und Videodoku­ mentationen. Seit 1995 Redakteur des „Spectrum“. Der Beitrag basiert auf einem Vortrag im Architekturforum Oberösterreich und ist erstmals im „Spectrum“ der Tageszeitung „Die Presse“ am 18. Jänner 2014 erschienen. Seit einiger Zeit liegt er vor mir auf dem Schreibtisch: der dicke Pappschuber, zwei Bände fassend, mit „100 zeitge­ nössischen Architekten“. Eigentlich und vor allem: mit ihren Architekturen. Und es sind selbstredend nicht irgendwelche Architekten und nicht irgendwelche Architekturen, die Philip Jodidio, Spezialist in einschlägigen Kompendien, da versammelt hat. Es sei ihm um jene getan gewesen, „die in vorderster Reihe das Geschehen in der Architektur beeinflussen“, nicht um irgendwelche architektonischen Hinterbänkler. Dass der Standard dieser „,hehren‘ Beispiele“ im architektonisch Allgemeinen „nicht erreicht“ werde, davon ist Jodidio überzeugt. Wer dafür verantwortlich zu machen ist? Am wenigsten die Architekten: „Der Baugrund, das Budget, der Bauherr – alle diese Faktoren können unter Umständen genauso viel oder sogar mehr Einfluss auf den Erfolg oder Misserfolg eines Gebäudes haben als der Architekt und die Architektin selbst.“ Und überhaupt: „Sollte am Ende der Bauzeit irgendein Rest von Stil übrig bleiben, so wird dieser in der Regel mit den falschen Möbeln oder Topfpflanzen vom Bauherrn beseitigt.“ Haben wir uns doch gleich gedacht: Die böse Wirklichkeit macht noch die schönste Architektur kaputt. Kein Wunder, dass diese böse Wirklichkeit auch möglichst ausgespart bleibt, soll Architek­ tur ins Bild gerückt werden. Architekturfotografie bedeutet nicht nur, aber auch in Jodidios Sammlung: eine Welt ohne Menschen. Geisterstädte, Geisterhäuser, Geisterlandschaf­ ten. Dass Architektur Form ist, no na. Aber nur Form? Form, die sich womöglich ihrer Funktion und ihres Funktionierens schämt? 20 Jahre lang verwalte ich mittlerweile schon die Architekturseite des „Spectrum“, und ich wüsste nicht einmal annähernd die Zahl der Architekturbände zu nennen, die in dieser Zeit durch meine Hände gegangen sind. Aber die allermeisten zeigten, was sie zeigen wollten, genau so, wie es Jodidios Bände tun: leere Museen, leere Plätze, leere Straßen, leere Gänge, leere Zimmer und selbstredend nirgendwo auch nur die Andeutung einer Nutzung all der schönen Dinge, die sich da eine oder einer erdacht hat. In diesen 20 Jahren habe ich zwar gut 1000 Architek­ turkritiken für das „Spectrum“ redaktionell betreut, aber ich habe keine einzige geschrieben. Aus gutem Grund: Ein Stab exzellenter freier Mitarbeiter voller Kennerschaft hat es mir erspart, auf einem Feld zu dilettieren, auf dem es mir an fachlicher Expertise mangelt. Ich bin kein Architekturkri­ tiker und ich werde nie einer sein. Schon lange vor diesen 20 Jahren hat mich allerdings genau das beschäftigt, was nur allzu oft nicht nur in der Architekturfotografie, auch im architektonischen Fachdiskurs ausgeblendet bleibt: die Wechselwirkung zwischen Architektur und jenen, für die sie doch eigentlich bestimmt ist. Architektur wird uns präsen­ tiert, als würde man uns ein Musikstück nur als Partitur vorhalten. Die Interpretation, die diese Partitur erst zum Klingen bringt, scheint nicht weiter von Belang, schon gar nicht ihre Interpreten, also wir alle, im Gegenteil: Beides wird offenkundig – und keineswegs nur bei Jodidio – als störend wahrgenommen. Jedenfalls solange es sich einer unmittelbaren Steuerung entzieht: Auffallend ist, dass im Unterschied zu den menschenleeren Architekturfotografi­ en die Visualisierungen künftiger Projekte von – virtueller – Bevölkerung nur so wimmeln. Weil man sie praktischerwei­ se genau dorthin zu platzieren vermag, wo’s gerade gefällig ist? Architektur als Weltinszenierung, der Architekt ihr 293 36 | 37 Die Mauern und das Leben

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allmächtiger Regisseur, der ein Ensemble nur da zulässt, wo Eigenmächtigkeiten von vornherein ausgeschlossen sind: Ist es das, was Architekten wollen? Das vergangene Jahr machte mich zum Bauherrn. Die Bauaufgabe, die es zu lösen galt, war von den Dimensio­ nen klein, was die äußeren Zwänge betrifft hingegen quasi riesengroß: Thema war der Um­ und Ausbau eines Reihen­ hauses aus den Zwanzigerjahren, eines der Vorzeigestücke der Wiener Siedlerbewegung. Die äußeren Zwänge sind rasch aufgezählt: die einschlägigen Bauvorschriften, die sowieso, weiters eine Art Ensembleschutz, der die Gestal­ tungsmöglichkeiten straßenseitig limitiert, dann noch ein strenger formaler Katalog, der von der Siedlungsgenossen­ schaft, der das Haus ja eigentlich gehört, vorgegeben wird – und vor allem die beschränkten finanziellen Mittel des Bauherrn, so ein Redakteursgehalt ist schließlich kein Alles­ist­möglich­Treffer in der Lotterie. Insbesondere letztgenannter Punkt treibt Bauherren eher selten in die Arme der Architektenschaft, steht die Befassung dieser Zunft doch im Geruch, vor allem eines, nämlich kostspielig, zu sein. Entsprechende Hinweise, ich hätte mich mit meinem Umbauwunsch einer Architektin anvertraut, schien Nachbarn und andere Mitsiedler (und übrigens auch die Mitarbeiter der zuständigen Genossen­ schaft) immer ein Stück von mir abrücken zu lassen: als wolle man diesem offenbar vollkommen Wahnsinnigen denn doch nicht zu nahe kommen. Im Übrigen werden jedem Umbauwerber seitens der Genossenschaft die Dienste eines einschlägig erfahrenen Baumeisters ange­ priesen, der dann ohne sonderliche Ambition abliefert, was er halt abliefern kann. Ergebnis: In der ganzen Siedlung, und es ist mit mehr als 1000 Wohneinheiten die größte in Wien, wird man die architektonische Fachmitwirkung an den zahlreichen Um­ und Ausbauten der jüngeren Vergangenheit mut­ maßlich an den Fingern einer Hand abzählen können. Mir jedenfalls ist bis dato nur ein einziger weiterer Fall bekannt geworden. Und möglicherweise hätte nicht einmal ich den Gang in ein Architekturbüro gewagt, wäre da nicht jene Begeg­ nung vor Jahren gewesen, die alles Folgende erst möglich gemacht hat. Eine junge Architektin bot sich an, Beiträge für die Architekturseite des „Spectrum“ zu schreiben und anlässlich eines Vorstellungsgesprächs zeigte sie mir eine Mappe mit ihren bisher umgesetzten Projekten. Da ging es immer wieder um die vielleicht aufregendste aller Künste: aus nichts mit Kreativität und klug disponierten Mitteln so viel zu machen, als hätte man über alles verfügt. Und damals war ich mir schon sicher: Würde ich jemals in die Lage kommen, das Siedlungshaus, es ist mein Elternhaus, für meine Zwecke adaptieren zu wollen, ich würde mich an diese Architektin wenden. Vor drei Jahren war es dann so weit: Ich beauftragte die Architektin mit einem ersten Entwurf, Anfang vergan­ genen Jahres haben die Bauarbeiten begonnen, seit Ende September wohne ich mit Frau und Kind in dem Haus, und dass wir dort so zufrieden sind, hat einen seiner wesent­ lichsten Gründe darin, dass das gesamte Vorhaben vom ersten Tag an von wechselseitigem Austausch und von der gemeinsamen Suche nach gemeinsamen Lösungen geprägt war. Natürlich gab es da auch Auseinandersetzungen, natür­ lich gab es in dem einen oder anderen Detail unterschiedli­ che Positionen, natürlich hatten wir als Bauherren unsere Bedürfnisse und unsere Ressourcen, und die Architektin hatte ihre Ideen, ihre Vorstellungen und, ja, auch ihre ästhetische Handschrift, aber nichts davon war Selbst­ zweck, alles war dem gemeinsamen Ziel untergeordnet, unter schwierigen Bedingungen ein Ergebnis zu erreichen, wie es selbst unter viel besseren Bedingungen nicht besser hätte zustande kommen können. Und wenn ich mir heute mein Siedlungshaus an­ schaue, dann ist es nicht einfach das Ergebnis eines Pla­ nungsakts und seiner Umsetzung, dann ist es vor allem das Ergebnis von vielen Monaten der Kommunikation. Die Mauern, die Fenster, die Zimmer, vom Keller bis zum Dach, von den Böden bis zu den Lichtschaltern: Sie alle sind aus dem vielleicht kostbarsten Baumaterial gefügt, das es gibt – dem Gespräch. Und an dieser Stelle möchte ich der Die Mauern und das Leben

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Architektin danken, die all das ermöglicht hat: Sie heißt Judith Eiblmayr und hat übrigens vergangenen Herbst einen lesenswerten Band über die erstaunliche Siedlungsge­ schichte von Strasshof herausgebracht. Sicher bin ich nicht der Einzige, der, sei es als Architekt, sei es als Bauherr, schon solche oder wenigstens ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Doch das Bild des Architekten, wie es sich, nicht zuletzt befördert von Publikationen wie der eingangs erwähnten, in der Öffentlichkeit repräsentiert findet, entspricht dem geraden Gegenteil von dem eines Kommunikators. Da haben wir es mit dem einsamen Künstler zu tun, der mit großer Geniegebärde seine womög­ lich wahnwitzig übersteigerten Ideen aufs Papier oder auf den Computerbildschirm wirft, ohne Achtung für die Menschen, die betroffen sind, ohne Achtung für die Welt, die ihn umgibt, ohne Achtung für die Wirklichkeit. Und das zu Honoraren, die unsereinem den Atem nehmen. Dass die Wahrheit womöglich ganz anders aussieht, hat nicht viel zu bedeuten. Solange nicht einmal einer wie ich mit der größ­ ten Selbstverständlichkeit ein Architekturbüro betritt, wenn es der Sache nach angezeigt ist, so selbstverständlich, wie einer zum Arzt geht, wenn ihn der Magen drückt, so lange, meine ich, liegt ein ordentliches Stück Bewusstseins­ bildung vor der Architektenschaft. Denn es reicht nicht, mit noch so ambitionierten Vorzeigeprojekten die Welt zu bestücken. Die Qualität einer Architekturlandschaft zeigt sich für mich darin, dass sie die Allgemeinheit ganz und gar erfasst, Architektur nicht als exklusive Angelegenheit für eine Handvoll Auserwählter, seien es Private, seien es öffentliche Institutionen, sondern als etwas, was jedermann und jederfrau zu Diensten ist, wenn er/sie ihre Dienste benötigen. Eine Architektur für alle muss das Ziel sein, nicht um eine heranwachsende und immer zahlreicher werdende Architektenschaft mit Arbeit zu versorgen, sondern weil so, und nur so, ein intelligenter, kreativer, schonender Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen möglich ist, allen voran der vielleicht wichtigsten und gleichzeitig knappsten Ressource überhaupt: der Gestalt der Welt, die uns umgibt. Dass wir davon noch ein gutes Stück entfernt sind, wird jeder wissen, der sich offenen Auges durch Österreich bewegt. Warum das so ist? Da muss ich auch vor meiner, der medialen Türe kehren. Ein Gutteil architektonischer Berichterstattung heimischer Medien entfällt auf Architekten und auf Bauten, die so weit entfernt vom – sagen wir – Alltag in einem Wiener Arbeiterbezirk sind wie der Mann im Mond von der Wirklichkeit. Dieser Zug ins Sensationell­Spektakuläre hat unterschiedliche Hintergründe: zum einen den urmenschli­ chen, dass uns, also die Leser, Seher, Hörer, die Öffentlichkeit insgesamt, das offenkundig Außerordentliche zunächst einmal mehr interessiert als das, was seine besondere Qualität möglicherweise erst auf den zweiten, dritten Blick erweist oder womöglich erst in seiner freudvollen Nutzung über Jahre. Zum anderen darin, dass ein schiefer Winkel nun einmal leichter als „besonders“ zu erkennen ist als ein rechter, eine vielfach gekrümmte Titanplattenhaut eher wundernimmt als schlichter Verputz, dass irgendein dekonstruktivistisches Glasgebirge eher staunen macht als der noch so raffiniert gewählte Rhythmus einer einfachen Lochfassade – und dass sich über Wolkenschlösser so viel einfacher schreiben lässt als über Differenzierung im Detail, wohldurchdachte Grundrisse, Sorgfalt in der Materialienwahl. Verkürzt gesagt: 100 Zeitungszeilen über das Guggen­ heim­Museum in Bilbao haben wahrscheinlich hundert­ oder tausendmal mehr Leser als der Bericht über ein noch so klug ausgeführtes Kleinspital in Hintertupfing, und man braucht nicht einmal einen intimen Kenner der Materie, der sie schreibt, das kann zur Not auch der lokale Korrespon­ dent erledigen, der sonst nur über Wirtschaft oder Politik berichtet und sich im Übrigen keinen Tupf um Architektur schert – denn das Spektakel liefert auch ihm Erzählstoff in Fülle, und die Beschränkung auf 100 Zeitungszeilen macht eine darüber hinausgehende Auseinandersetzung über­ flüssig. Ergebnis: Es sind die Architektur gewordenen Hungerkünstler, die Damen ohne Unterleib, die Elefanten­ menschen, die unser Bild davon, was zeitgemäße Architek­ 293 38 | 39 Die Mauern und das Leben

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mit der Vertragswahrheit routinemäßig nicht ganz so genau tur ist, in der Öffentlichkeit maßgeblich bestimmen, eine nehmen, Ihr über Jahrzehnte mühsam Zusammengespartes Freakshow, die wir gern besichtigen, wie wir die Jahrmarkt­ überantworten – oder auch nur einen Gebrauchtwagen sensationen vergangener Tage besichtigt haben – mit abkaufen? wohligem Gruseln und zugleich in der Gewissheit, dass all Mein Bild des Architekten ist ein ganz anderes: das das mit uns selber gottlob gar nichts zu schaffen hat. eines Menschen, der seinen Beruf nicht zuletzt als einen Um nicht missverstanden zu werden: Zu den großen, sozialen versteht, fernab eines Geniekults, dafür aktives faszinierenden architektonischen Eindrücken meines Mitglied einer Gesellschaft, an deren innerem, ästheti­ Reiselebens zählt unstreitig ein Besuch im Guggenheim­ Museum zu Bilbao, und dass es nur beschränkt seiner schem wie menschlichem Zusammenhalt er nicht nur eigentlichen Aufgabe dienlich ist, nämlich Ausstellungen teilhat, sondern wirkmächtig mitarbeitet. Es geht um den die rechten Spielflächen zu liefern, sehe ich ihm jederzeit Diskurs, den Austausch, das Gespräch unter Gleichberech­ angesichts der Urwucht seiner äußeren Figur, seines tigten, die ihre je eigenen Erfahrungen und Kenntnisse in inneren Raumgefüges und nicht zuletzt angesichts seiner diesen Diskurs, diesen Austausch, dieses Gespräch einbrin­ so gut wie vollkommenen Positionierung im Stadtganzen gen – zum Nutzen aller. nach. Nur: Stellen wir uns einmal eine Welt voller Guggen­ Ich weiß, dass es diese Architekten gibt, ich habe es nicht zuletzt selbst als Bauherr erlebt, und mit einiger heim Bilbaos vor. Gewissheit sind sie sogar weit in der Mehrheit. Doch ihre Das heißt: In Wirklichkeit gibt es die ja schon längst. Frank Gehrys Metallplatten­Etüden finden sich mittlerweile Stimmen sind die leiseren – und deshalb gilt es, sie lauter zu machen. So laut, dass die paar Alphatiere, die heute das beispielsweise auch in Seattle, Los Angeles, Chicago oder Erscheinungsbild des Architekten in der Öffentlichkeit Hannover. Wie sich überhaupt und ganz und gar global dominieren, endlich die Rolle einnehmen, die ihnen im Städte, die etwas auf ihre Weltläufigkeit halten, an ihren besseren Falle zusteht: als Anreger, Aufreger, Querdenker Rändern oder auch in ihrer Mitte neuerdings eine Art Architekturzoo einrichten, in die ihnen die gerade angesag­ – nicht als Maß dafür, was es heißt, Architekt zu sein. N testen Architekturschöpfergötter die seltsamsten Kreatu­ ren setzen – weil diese Städte an dem mitnaschen wollen, was in jedes Handbuch der Tourismusindustrie mittlerweile als „Bilbao­Effekt“ Einzug gehalten hat. Ja, Architektur ist hip und hopp – aber welche Architektur? Und wenn dann die zu Role Models gepushten Architektensuperstars den Mund aufmachen, dann ist das, was da herauskommt, mitunter so gar nicht angetan, den Eindruck der Weltfremdheit zu konterkarieren. Was soll sich, nur so zum Beispiel, ein angehender Häuselbauer denken, wenn er hört, dass einer der vornehmsten Vertreter interna­ tionaler Architektenzunft die x­fache Überschreitung der Baukosten seines Renommierprojekts kühl mit dem Hin­ weis rechtfertigt, um an einen solchen Auftrag zu kommen, müsse man halt lügen? Würden Sie Mitgliedern eines Berufsstands, dessen renommierteste Proponenten es Die Mauern und das Leben

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Im Wettbewerb: kgV und ggT Kunst und Kultur haben es in der Krise gut, heißt es. Sie brauchen „Krise“ geradezu, um die bestehenden Verhältnisse hinterfragen und Neues etablieren zu können. Die Kunst muss sich selbst „Krisensituationen“ schaffen, um zu weiterführenden Setzungen vorzudrin­ gen. Es sind Akte der Kultur, die solche „Krisen“ herstellen und auch für beendet erklären kön­ nen. Die Baukultur hat das Instrument Archi­ tekturwettbewerb hervorgebracht, in dem man eine produktive „Krisensituation“ des planenden Denkens sehen kann. In diesen Ta­ gen der Krisenpermanenz – öffentliche Haus­ halte sind klamm, öffentliche Auftraggeber verzagt, souveräne Bauherren eine Seltenheit – ist nicht zu beobachten, dass temporäre „Kri­ sen“ des Planens, insbesondere Architektur­ wettbewerbe, zu besonderer Blüte kämen. Vielmehr erodieren Wettbewerbsgrundsätze und ­methoden. Phänomen 1: Formal regulär anlegte Wettbewerbe werden inhaltlich durch zu viele Freiheitsgrade überfordert, sind dadurch letztlich irregulär. Phänomen 2: Anstandslos begonnene Realisierungswettbe­ werbe erweisen sich nach der Entscheidung für einen Gewinner als Testläufe für die Pro­ jektmachbarkeit, das Wettbewerbsverspre­ chen war hohl. Phänomen 3: Auftraggeber ver­ stehen Verfahren über Realisierungsplanung nicht als Vorentscheidung über die Planung, sondern nur über den Planer; das realisierbare Projekt soll erst nach der Auftragserteilung bestimmt werden. In diesen Phänomenen wird ein Interessenkonflikt Teilnehmer/Auslo­ ber sichtbar, der Architekturwettbewerbe seit ihrer Erfindung umtreibt. Eine Assoziation zur Mathematik umreißt den Widerspruch zwi­ schen den Perspektiven. Die Teilnehmer inter­ essiert das kleinste gemeinsame Vielfache (kgV) der Aufgabe, das ist das kompakteste, konzeptiv straffste Projekt, das sowohl utilita­ ristische als auch ästhetische Ansprüche der Aufgabe erfüllt. Auch wirkliche Fachpreisrich­ ter suchen danach. Die Auslober wollen dage­ gen den „größten gemeinsamen Teiler (ggT), das ist das aufwandsärmste Projekt, durch das sich die dem Projekt immanenten Wider­ sprüche gerade noch ohne Rest auflösen las­ sen. Verfahren, die bei der Entscheidung nur einer der beiden Perspektiven folgen, sind kei­ ne Wettbewerbe. Die produktive „Krise“ des Architekturwettbewerbs besteht in der Preis­ gerichtskonsultation über die aushaltbare Differenz zwischen kgV und ggT. Diese Ver­ handlung beginnt in der Wettbewerbsvorbe­ reitung und endet beim Wettbewerbsent­ scheid. Wird keine Kompromissformel gefun­ den, gibt es eine wirkliche Krise zusätzlich. Diese Zeit braucht Bauherren mit doppeltem Krisenbewusstsein. Walter M. Chramosta N Birnenempfehlung Die klassische Glühbirne ist seit ihrem sinnlosen Verbot nur noch als Sinnbild im Einsatz. Immer dann, wenn eine innovative Idee illustriert werden soll, fällt Grafi­ kern nichts ein. Außer der Birne. Wie gut, dass es neuerdings Bir­ nen gibt, die uns Menschen von Intelligenzleistungen entlasten: Intelligente Birnen! Philips hat die Intelligenz in die Birne gebracht. „HUE“ – das englische Wort für „Farbtönung“ – ist der Name der intelligenten Bir­ ne, die einen so wichtigen Beitrag zum „Intelligenten Haus“ leisten soll wie dieses zur „Intelligenten Stadt“. Drahtlos hängt sie am Inter­ net. Gesteuert wird sie von einer Handy­App. Über diesem universa­ len Vernetzungszusammenhang schwebt nur noch die Cloud, und auf dieser Wolke sitzt, wie einst der liebe Herrgott, die NSA. Sie weiß nicht nur, wann du aufstehst und wann du zu Bett gehst, sondern auch, in welcher Stimmungslage du dich befindest, ob du dich erho­ lungsbedürftig fühlst und wie sehr du unter Einsamkeit leidest. Kommst du abends nach Hause, ist deine Birne dank Geodaten schon vorinformiert und begrüßt dich „wie ein glücklicher Welpe, aber ohne Sabbern und angekaute Schuhe“ (Werbetext), indem sie sich schon vorweg einschaltet oder Farbton und Helligkeit verän­ dert. Mit welchen Lichtsignalen sie dich dann über Börsen­ und Sport­ spielstände auf dem Laufenden hält, wählst du selbst. Die HUE kann jederzeit Ur­ laubsstimmung verbreiten. Dazu wählt man entweder ein eigenes Urlaubsfoto oder tauscht eines aus der HUE­Community und zieht es in die App. Sofort werden Far­ ben und Lichtstimmung ausgele­ sen und „in den Raum gemalt“. Bei Hochstimmung kann auf Disco­ Lichtorgel umgeschaltet werden. Damit ermöglicht die Birne, ge­ danklich mal so richtig abschalten zu können. Intelligente Wesen erkennt man daran, dass sie ein Gedächtnis haben. Dass sie aus dem Abgleich momentan erhobener Daten mit denen der Vergangenheit Schlüsse ziehen. Und davon abgeleitet ei­ genständige Aktivitäten setzen. Das Intelligente Haus erkennt un­ sere Wünsche besser und früher als wir selbst. So werden wir am Ende nicht nur vom intelligenten Steuern, sondern auch vom Wün­ schen entlastet. Wolfgang Pauser N Zündempfehlung Architektur müsse brennen, for­ derten Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky 1980 in ihrem viel be­ achteten Manifest. Beinahe wie die ironische Übersetzung dieses Schlachtrufs muten Naihan Lis Kerzen an. Maßstabsgetreu bil­ den sie die markantesten archi­ tektonischen Himmelstürmer ab, unter anderen finden sich das Empire State Building, der Berli­ ner Fernsehturm, das Shanghai World Financial Center oder der Taipei 101 in der Kollektion. An In­ spiration wird es der Architektin und Designerin aus Peking auch künftig nicht fehlen, wird doch momentan in China bereits an weiteren Superlativen gebaut. Die ökonomische Machtbe­ zeugung wird in Wachs gegossen zum Inbegriff heimeligen Cocoo­ nings, zurückgezogen in die eige­ nen vier Wände lässt sich so doch ein Funken weite Welt ins Wohn­ zimmer zaubern. Vielleicht meint sogar der eine oder andere der­ art der rauen Urbanität anony­ mer Großprojekte im Privaten zu­ mindest symbolisch eins auswi­ schen zu können. Vielleicht aber sollen die brennenden Miniaturtürme im Sinne eines memento mori an die Vergänglichkeit alles durch den Menschen Geschaffenen er­ innern. Denn auch wenn die äl­ testen Konstruktionen längst erloschener Zivilisationen noch heute der Zeit trotzen, werden sie schlussendlich doch auch vollkommen verfallen sein. Aus einer anderen Warte be­ trachtet könnte auch von gen­ derkritischem Design, das einen Brandanschlag im Kleinen auf das phallozentrische Weltbild heutiger Skylines verübt, die Sprache sein. Wie auch immer Sie die Objekte interpretieren, nun kann vermeintlich jeder Archi­ tektur zum Brennen bringen. www.naihanli.com Redaktion N 293 40 | 41 Aus dem Wettbewerb | Empfehlungen

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Grenzfälle der Leistungs­ fähigkeit in öffentlichen Vergabeverfahren Das BVA hatte sich mit der Frage zu beschäfti­ gen, ob ein Bauunternehmer geeignet ist, den ausgeschriebenen Auftrag – nämlich die Er­ richtung eines Stahldaches beim Umbau des Hauptbahnhofes Salzburg – auszuführen. Hinsichtlich der technischen Leistungsfä­ higkeit wurde in den Ausschreibungsunterla­ gen gefordert, dass Bieter u. a. „mindestens 2 bis maximal 4 vergleichbare Aufträge“ nach­ weisen müssen. Die Auftragsausführung hat nach der EN 1090­2 und den darin festgelegten Ausführungsklassen zu erfolgen. Die Antragstellerin (zweitgereihte Biete­ rin) brachte vor, dass das ausgeschriebene Stahldach eine besondere Komplexität auf­ weise, was eine unüblich hohe Genauigkeit in der Ausführung erfordere. Die Referenzpro­ jekte der präsumtiven Zuschlagsempfängerin seien nicht vergleichbar, weil sie keinen ähnli­ chen technischen Schwierigkeitsgrad aufwei­ sen würden. Das BVA kam zu einem anderen Ergebnis: „Vergleichbar“ bedeutet nicht gleich oder gleichwertig. Da die Referenzen in ihrer tech­ nischen Komplexität und in ihrem Umfang dem Auftrag vergleichbar sein müssen, kön­ nen in diesem Fall die in den Ausschreibungs­ unterlagen geforderten Ausführungsklassen als Vergleichsmaßstab herangezogen werden. Die vorgelegten Referenzprojekte, welche nach denselben Ausführungsklassen der EN 1090­2 ausgeführt wurden, genügten daher für die Vergleichbarkeit. Betreffend die finanzielle und wirtschaft­ liche Leistungsfähigkeit musste jeder Bieter ein KSV­Rating von weniger als „500“ nachwei­ sen. Die Antragstellerin argumentierte, dass es der präsumtiven Zuschlagsempfängerin trotz niedrigem KSV­Rating an der erforderli­ chen Leistungsfähigkeit fehle. Da sie bisher nur einen Umsatz von rund 4 Mio. Euro im Jahr erwirtschaftete und der geschätzte Auftrags­ wert bei rund 3 Mio. Euro liege, betrage ihr „Projektrisiko“ nämlich mehr als 0,2. (Das „Pro­ jektrisiko“ ist das Verhältnis von Auftragssum­ me ohne USt zum durchschnittlichen Jahres­ umsatz der letzten drei Jahre und sollte nach der „Oberndorf­Formel“ nicht über 0,2 liegen.) Das BVA sprach dazu aus, dass die Leis­ tungsfähigkeit nicht nur anhand der Aus­ schreibungsunterlagen, sondern auch an­ hand der Anforderungen des Auftrags zu mes­ sen ist. Daher ist im gegenständlichen Fall auch die Höhe des Projektrisikos zu prüfen, das bei der präsumtiven Zuschlagsempfänge­ rin tatsächlich deutlich über der Grenze von 0,2 lag. Nach einer Gesamtbetrachtung – auch von zusätzlichen vorgelegten Unterlagen wie einer Bankauskunft und einer Auskunft von Gebietskrankenkasse und Finanzamt – kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass die finanzi­ elle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dennoch gegeben ist. (BVA 4.10.2013, N/0088­BVA/10/2013­40) Gregor Stickler/Martina Windbichler (Schramm Öhler Rechtsanwälte www.schramm­oehler.at) N „Entartete Baukunst“? Zum Umgang mit dem Neuen Bauen 1933–1945 Anke Blümm Wilhelm Fink Verlag 2013 „Aus einer Kiste wurde ein Haus“: Worüber eine Hamburger Zeitung 1933 mit großer Freude berichtete, hatte seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutsch­ land System: die gezielte Beseiti­ gung moderner Architekturele­ mente. In ihrem Buch „Entartete Baukunst“? hat Anke Blümm das wissenschaftlich bislang kaum be­ achtete Phänomen der Entmoder­ nisierung von Bauten in der Zeit des Nationalsozialismus unter­ On Food and Cooking sucht. Da man schwerlich alle Häu­ Das Standardwerk ser, die der Ästhetik der Moderne der Küchenwissenschaft gehorchten, abreißen konnte, set­ Harold McGee zen die nationalsozialistischen Matthaes Verlag Stadtverwaltungen vor allem auf eine Maßnahme: Gebäude mit Flachdächern bekamen Sattel­ oder Walmdächer aufgesetzt. „Wohnmaschinen in wildem Kubis­ mus aus Glas, Eisen und Beton“, beschrieb eine Bauzeitschrift der­ artige „Steildach­Aktionen“, wer­ de „ein heimatliches Gewand“ übergeworfen. Wer aber glaubt, modernes Bauen sei im Dritten Reich unmöglich gewesen, der irrt. Anders als etwa in der bildenden Kunst gab es keinen Baustil, der ex­ plizit als „entartet“ gebrandmarkt war. Nicht zuletzt aufgrund wider­ sprüchlicher Äußerungen der Na­ ziführung gab es für Architekten und Baufachleute keine eindeuti­ Warum wird Eiklar weiß und hart, gen Richtlinien. So kam es dazu, wenn man es erhitzt? Warum hat dass im Industrie­ und Rüstungs­ aufgewärmtes Fleisch einen scha­ bau bis in die 1940er­Jahre hinein len Geschmack? Wie wird Bier modern gebaut wurde, durchaus richtig gelagert? Wer die Antwor­ auch mit Flachdächern. Auch die­ ten auf diese Fragen sucht, der ser Aspekt wird in Blümms exzel­ wird in „On Food and Cooking“ lenter Arbeit angesprochen, der von Harold McGee fündig. Dieses Fokus freilich liegt auf der Entmo­ 1984 erstmals erschienene „Stan­ dernisierung, in der sich der Natio­ dardwerk der Küchenwissen­ nalsozialismus nicht nur von sei­ schaften“ liegt nun endlich in ner totalitären, sondern auch von deutscher Sprache vor. Es ist ei­ seiner miefigen Seite zeigt. nes jener Nachschlagewerke, in dem man nur kurz etwas nachle­ sen möchte und sich dann für Stunden darin verliert. Man hat sich zwar nie gefragt, wie Karl der Große auf den Geschmack von Schimmelkäse kam oder warum Pflanzen keine Muskeln haben – aber hier liest man es mit großem Interesse. Auf ebenso klare wie fundierte Weise werden in dem fast 1000 Seiten starken Band Ba­ siswissen über Grundnahrungs­ mittel ausgebreitet, traditionelle und moderne Methoden der Nah­ rungsmittelproduktion erläutert und die naturwissenschaftlichen Grundlagen des Kochens darge­ legt. Nach der Lektüre weiß man, welche Substanzen Geschmack hervorbringen, wie man Weinres­ te am besten aufbewahrt und kennt die Historie des Brotes. Eine Pflichtanschaffung nicht nur für Lebensmitteltechniker, son­ dern schlichtweg für alle, die ver­ stehen wollen, was passiert, wenn wir kochen, essen und ge­ nießen. Michael Krassnitzer N Jüngste Entscheidung | Krassnitzers Lektüren

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„Fotografie ist Verführung“ | Anna Soucek geboren in Wien, Studium in London. Mitarbeit an Ausstellungen, Mitbe­ gründung des forum experimenteller architek­ tur. Freie Mitarbeit bei Radio Österreich 1 (Kunstradio, Leporello, Diagonal, Nachtquartier) Die Architekturfotografin und Künstlerin Margherita Spiluttini im Porträt Architektur herausgegebenen Wienführer zu dokumen­ tieren, für Spiluttini der Einstieg in die professionelle Architekturfotografie. „Das war eine ungeheuer interessante Zeit“, sagt sie, „weil auch die Fotografie selber einen ganz anderen Stellenwert hatte. Während die Fotografie vorher sehr anekdotisch und narrativ war, begann man im Laufe der 1970er­ und 80er­Jahre das Medium neu zu bewerten, die Einflusskraft der Fotografie anzuerkennen und auch ihren Kunstcharakter wahrzunehmen. Diese Zeit war für mich geprägt von einer Atmosphäre der Erneuerung. Für mich persönlich, indem ich mich beruflich orientieren musste, auch im Hinblick auf meine weibliche Identität, weil es eine Zeit der gesellschaftspolitischen Veränderung war. Das hat meine Sicht auf die Architekturfotografie natür­ lich geprägt.“ Wie ein begehbares und benutzbares Bauwerk als zweidimensionales Foto dargestellt werden kann, diese grundlegende Frage hat Spiluttini – auch mit wachsender Erfahrung – stets begleitet, fehlen doch auf einem Foto nicht nur die dritte Dimension, sondern auch die Gerüche, die Geräusche, der Wind, die Wärme oder Kälte, die Umgebung eines Bauwerks. Fotografie erforde­ re daher, so Spiluttini, unheimlich viel Interpretation durch die Betrachter. In Wirklichkeit sei Fotografie eine Abstraktion der Wirklichkeit, sie könne daher nicht den Anspruch erheben, Wirklichkeit abzubilden. Margherita Spiluttini fotografiert heute nur noch wenig, greift aber für Ausstellungen und Publikationen auf ihr rund 100.000 Fotos umfassendes Archiv zurück. Für ihre aktuelle Ausstellung „Täuschung und Leere“ in der Christine König Galerie (seit 14. März 2014) hat sie aus ihrem Archiv Bilder von Architekturen ausgesucht, die nicht mehr existieren, Innenräume, die wegen des Able­ bens der Bewohner geräumt wurden, wie die Wohnungen von Margarethe Schütte­Lihotzky, Victor Gruen oder Karl Schwanzer; eine durch einen Brandanschlag zerstör­ te Skulptur; oder Häuser, die aufgrund von Spekulations­ verlusten abgerissen wurden. Einen architekturhistori­ schen Zusammenhang will Spiluttini mit diesem Querschnitt ihres Werks nicht darstellen, sagt sie. „Alle Architekturen haben ihre Geschichte, auch wenn diese nicht erkennbar sein muss. Ich selbst war mit allen verbunden, allein dadurch, dass ich sie fotografiert habe, als sie noch da waren.“ Zum Thema „Täuschung“ zeigt Spiluttini unter anderem eine Aufnahme der gemal­ ten Scheinkuppel in der Jesuitenkirche, fotografiert vom perspektivisch richtigen Standpunkt, und stellt sie einem Foto der Michaelerkuppel, die wie eine Fälschung aus­ sieht, gegenüber. Während in der Architektur oft etwas vorgetäuscht wird, kommt Spiluttini ohne die blickmani­ pulierende Bearbeitung ihrer Fotos aus. Sie hat stets analog fotografiert und möglichst ohne künstliche Beleuchtung. Was anderen Fotografen als zu retouchie­ render Makel ist, ob unpässliches Wetter oder Spuren menschlicher Anwesenheit, trägt bei Spiluttinis Foto­ grafien zu ihrer Perfektion bei. N Wenn sie einen Raum betritt, sieht Margherita Spiluttini gleich Fotos, das geht ganz automatisch, sagt die Foto­ künstlerin. Ein Patentrezept, wie Architekturen, ob Einfamilienhäuser, Interieurs oder Ingenieurbauten, abzulichten sind, hat sie nicht. Dennoch erkennt man in ihren Arbeiten eine Haltung, einen künstlerischen Anspruch, der dem Bauwerk ebenso Respekt gebietet wie den Umständen, unter denen das Foto entsteht. Das Spektakel ist es nicht, was sie bei Bau­Objekten sucht, sondern vielmehr Feinheiten im Raumaufbau, subtile Eingriffe, Materialitäten, erst auf den zweiten Blick erkennbare Besonderheiten, die ein Objekt und seine Umgebung ausmachen. Schwierig zu fotografieren findet sie hingegen plakative architektonische Äußerun­ gen, die auf Effekte aus sind, „das ist ein bissel langweilig für mich“, sagt sie. Seit sie begonnen hat, Architekturen zu fotografieren, hat sie zahlreiche Ausstellungen, unter anderem im Architekturzentrum Wien, gestaltet, sie hat Monografien herausgebracht und im Auftrag von nam­ haften Architekten, etwa Herzog & de Meuron, deren Bauten dokumentiert. Viel beachtet ist Margherita Spiluttinis Serie „Nach der Natur. Konstruktionen der Landschaft“, im alpinen Raum entstandene Aufnahmen von Lawinenverbauungen, Tunnels, Brücken, Paßstraßen, Steinbrüchen, Schluchten und Stauseen – gebaute Land­ schaft und zugleich Ingenieurleistungen, die den Unwirt­ lichkeiten der Natur trotzt. Als Architekturfotografin begann Margherita Spiluttini zu arbeiten, als es diesen Beruf in Österreich noch nicht gab. 1947 in Schwarzach im Pongau geboren, hatte sie ihren Vater, einen Baumeister, als Jugendliche oft auf Baustellen begleitet. In Innsbruck machte sie eine Ausbildung als medizinisch­technische Assistentin, danach arbeitete sie – mit Kenntnissen der medizinischen Fotografie – am Wiener AKH in der nuklearmedizinischen Abteilung. Sie heiratete den ebenfalls in Schwarzach gebürtigen Architekten Adolf Krischanitz, der als HTL­ Schüler ein Praktikum im Baubetrieb ihres Vaters ge­ macht hatte. Nach der Geburt ihrer Tochter begann sie zu fotografieren, einfach so, wie sie sagt, als Hobby. Sie machte Fotoreportagen für Zeitschriften und beglei­ tete die Frauenbewegung. Im Austausch mit den Architek­ tur­Avantgardisten der 1970er­Jahre und auch im intellek­ tuellen Umfeld des Forum Stadtpark entwickelte sie ihr Verständnis von Architektur und entdeckte erweiterte Möglichkeiten der Fotografie – ihre eigentliche fotografi­ sche Bildung habe sie über Veranstaltungen der Grazer Camera Austria erhalten, meint sie heute: „Ich habe unheimlich viel gelernt, einen Blick bekommen für Raum­ situationen, Lichtreflektionen, Durchblicke, Körperlich­ keiten innerhalb der Architektur – und die Übung war, das auch darzustellen.“ Seit 1981 ist Spiluttini als freischaffen­ de Fotografin tätig. Neben den Fotos für Architekturre­ zensionen von Otto Kapfinger und Dietmar Steiner in der Tageszeitung „Die Presse“ war der Auftrag, rund 500 Bauwerke für einen von Adolf Krischanitz und Otto Kapfinger für die Österreichische Gesellschaft für 293 42 | 43 „Fotografie ist Verführung“

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Inhalt 3 4 5 6 Editorial, Pendls Standpunkt Puntigams Kolumne, Dusls Schwerpunkt Standpunkte: Rudolf Kolbe, Klaus Thürriedl, Christian Aulinger Plus / Minus: Denkmalschutz: Fehlanzeige Das urbane Dorf Erstarrte Festung oder wandelbares Instrument? André Krammer 7 8 – 11 12 – 15 16 – 17 18 – 22 Alt Jetzt Neu Über das Neue in der Technik | Boris Groys im Gespräch mit Sebastian Jobst Brücken- und Kahlschlag | Denkmalschutz in Salzburg Norbert Mayr Architekturtage 2014 | Alt Jetzt Neu Perspektivverschiebung | Über den zweiten Blick auf vermeintlich Altbekanntes Sebastian Jobst im Dialog mit superuse studios, raumlaborberlin und Fattinger Orso Architektur Wien 22– 24 Siloland | Alt, staubig und modern Heidi Pretterhofer, Dieter Spath 25– 28 Urban Mining | Rohstoffe in Nicht-Wohngebäuden Liselotte Schebek, Jan Wöltjen, Yunbo Li, Britta Miekley, Benjamin Schnitzer, Christoph Motzko und Hans-Joachim Linke 32 – 34 Das Regierungsprogramm| aus Sicht der ZiviltechnikerInnen Georg Pendl, Rudolf Kolbe 34 Verschenkte Erlöse? 36 – 39 Die Mauern und das Leben | Wolfgang Freitag 40 – 41 42 43 44 Aus dem Wettbewerb | Empfehlungen | Jüngste Entscheidung | Krassnitzers Lektüren Porträt Margherita Von oben Die Konzeption des „urbanen Dorfs“ inmitten der Stadtlandschaft ist mehr Wunschbild als Wirklichkeit. Es handelt sich um eine Projektion, in der eine nachvollziehbare Sehnsucht nach Kleinmaßstäblichkeit und vormoderner Ordnung zum Ausdruck kommt. Die überschaubare Welt des Grätzels bildet eine schützende Insel der Behaglichkeit im anonymen Häusermeer. Die unmittelbare Nachbarschaft wird zum kollektiven Wohnzimmer erklärt und vom urbanen Chaos abgegrenzt. Das urbane Dorf ist aber keineswegs nur eine harmlose Idylle. Es ist auch ein trojanisches Pferd, in dessen Innerem antiurbane Ressenti­ ments lauern. Die ambivalente Rezeption genuin urbaner Erfahrung, die das einzelne Individuum durch Unvorhersehbares immer wieder herausfordert, hat im Dorf inmitten der Stadt ihren einstigen kulturellen Mehrwert verloren. Vom weichgezeichneten Bild abweichende Objekte und Praktiken werden gerne durch mehr oder weniger subtile Mechanismen des Ausschlusses an den Rand gedrängt – dorthin, wo die Reststadt ihren Anfang nimmt. Die Urbanität, die erst im unauflösbaren Spannungsfeld zwischen klein­ und großmaßstäblichen Systemen entsteht, ist hingegen nicht immer leicht konsumierbar, oft nur aushaltbar. Aber der Preis kann dann manchmal auch altmodisch Authentizität heißen: Leben statt Idylle. André Krammer N Spiluttini Anna Soucek Christian Kühn, Kommissär des österreichischen Beitrags zur diesjährigen Architekturbiennale in Venedig, geht mit dem Ausstellungskonzept der Typologie von Parlamenten als Räume der Macht nach. Fehlanzeige, Das nächste Heft Impressum konstruktiv 293 Medieninhaber und Herausgeber Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten (bAIK) 1040 Wien, Karlsgasse 9 T: 01-505 58 07-0, F: 01-505 32 11 www.daskonstruktiv.at Erscheinungsweise Auflage Einzelpreis Abopreis pro Jahr vier Mal jährlich 14.500 Stück 9,00 Euro 24,00 Euro Lektorat Dorrit Korger Grafisches Basiskonzept Gassner Redolfi, Schlins Bohatsch und Partner, Wien Gestaltung vektorama. grafik.design.strategie Wien Druck Ueberreuter Print GmbH, Korneuburg Gedruckt auf SoporSet Premium Abbildungen Seite 4: Ingo Pertramer, Andrea Maria Dusl // F. = Fotograf Seite 5: Otto Hainzl, bAIK // Seite 7: A + F A. = Architekt raumlaborberlin // Seite 9: Boris Groys // Seite 10–11: A + F raumlaborberlin // Seite 13: A raumlaborberlin| F Marco Canevacci // Seite 14–15: A Fattinger Orso Architektur. | F Peter Fattinger // Seite 16–17: vektorama. grafik.design.strategie, Wien // Seite 19: A Fattinger Orso Architektur. in Kooperation mit Michael Rieper | Sebastian Schubert, architekturbild.at // Seite 20: A Fattinger Orso Architektur. | F Peter Fattinger // Seite 21: A + F superuse studios // Seite 23–24: Pretterhofer/ Spath // Seite 26–28: A + F superuse studios // Seite 30: Eric Allix Rogers // Seite 32–39: vektorama. grafik. design.strategie, Wien // Seite 42: Iris Ranzinger // Seite 43: Matteo, Andreas Balon // Seite 44: Benedikt Groß Die Redaktion ersucht diejenigen Urheber, Rechtsnachfolger und Werknutzungsberechtigten, die nicht kontaktiert werden konnten, im Falle des fehlenden Einverständnisses zur Vervielfältigung, Veröffentlichung und Verwertung von Werkabbildungen bzw. Fotografien im Rahmen dieser Publikation um Kontaktaufnahme. Das Gestaltungskonzept dieser Zeitschrift ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts ist unzulässig. Die Texte, Fotos, Plandarstellungen sind urheberrechtlich geschützt. Offenlegung gemäß §25 Mediengesetz ist auf www.daskonstruktiv.at veröffentlicht. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben ausschließlich die Meinung des Autors wieder, die sich nicht mit der des Herausgebers oder der Redaktion decken muss. Für unverlangte Beiträge liegt das Risiko beim Einsender. Sinngemäße textliche Überarbeitung behält sich die Redaktion vor. Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Zugunsten der Lesbarkeit wird, wenn von den Autorinnen und Autoren nicht anders vorgesehen, auf geschlechtsspezifische Endungen verzichtet. Das Zitat auf dem Titel wurde dem Text von Norber Mayr entnommen. Redaktion, Anzeigen & Aboverwaltung art:phalanx Kunst- und Kommunikationsbüro Clemens Kopetzky (Geschäftsleitung) Redaktionsteam Susanne Haider, Sebastian Jobst, Heide Linzer 1070 Wien, Neubaugasse 25 /1 /11 T: 01-524 98 03-0, F: 01-524 98 03-4 redaktion@daskonstruktiv.at, anzeigen@ daskonstruktiv.at, abo@daskonstruktiv.at Redaktionsbeirat Walter Chramosta (Architekturpublizist), Gerald Fuxjäger (Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Steiermark und Kärnten), Georg Pendl (Präsident der bAIK), Rudolf Kolbe (Vizepräsident der bAIK und Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Oberösterreich und Salzburg), Sabine Oppolzer (Kulturjournalistin), Wolfgang Pauser (Konsumforscher & Berater), Walter Stelzhammer (Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und Burgenland) Das nächste Heft Als Kurator der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig wirft Rem Koolhaas die Frage nach den „fundametals“ der Architektur auf. In der kommenden Ausgabe geht das KONstruktiv entsprechend den Grundlagen der Architektur sowohl auf konstruk­ tiver als auch gestalterischer Ebene nach. Darüber hinaus werden die Grundlagen technischer Berechnungen sowie die soziologischen Grundbedürfnisse an die Architektur beleuchtet.

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293, Zeitschrift der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten März 2014, www.daskonstruktiv.at, Euro 9,– | GZ 12Z039152 M | VPA 1070 Wien 293, „Moderne Architektur im Dialog mit der historischen Stadt gewährleistet das qualitätsvolle Weiterbauen im 21. Jahrhundert und baut Brücken zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“ Alt Jetzt Neu Von oben betrachtet wirkt das Feld wie das Fell einer Giraffe. Handelt es sich um ein gentechnisches Experiment, das deren DNA in den Hafer sticht? Oder um Land-Art, die solchen Pflanz kritisieren will? Tatsächlich ist das natürlich wirkende Muster künstlich hergestellt. Eine Computergrafik, übersetzt ins großformatige Medium der Bepflanzung. Der Traktor wurde elektronisch hochgerüstet, die Saatmaschine zu so etwas wie einem Tintenstrahldrucker umgebaut. Auf den Flecken ist nun Hafer gewachsen, in den Säumen dazwischen sind Kräuter und Blumen gesprossen. Benedikt Groß, Pionier des „Generativen Gestaltens“, ist mit seinem „Avena+ Test Bed“ zufrieden und erntet Zustimmung von vielen Seiten. Denn der von ihm programmierte Algorithmus verfolgt mehrere Ziele. Im Freilandversuch wird „Precision Farming“, computergesteuerte Landwirtschaft, erprobt. Die Biodiversität soll unterstützt werden. EU-Subventionsprogramme werden erfüllt, die Probleme von Monokulturen gemildert, der Einsatz von Chemie zur Schädlingsbekämpfung reduziert. Auch die Umstellung des Ackerbaus von Nahrungs- auf Energieproduktion wird getestet. Nicht zuletzt kann auf diese Weise die Bebauung von Landflächen kompensiert werden, nach dem Vorbild des Handels mit Emissions-Zertifikaten. Die generative Landschaftsgestaltung folgt dem Prinzip, dass der Computer zum Gestalter wird und der Gestalter zum Programmierer. Musterbildung, die sich nach vorgegebenen Parametern selbst organisiert, verbindet neuerdings Natur, Technik und Ästhetik. Ob das Experimentier-Feld im süddeutschen Unterwaldhausen ein Muster für die geprintete Landschaft der Zukunft ist, kann nicht der Blick von oben, kann nicht einmal der weiteste Weitblick erkennen. Wolfgang Pauser N