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289, Zeitschrift der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten März 2013, www.daskonstruktiv.at, Euro 9,– | GZ 12Z039152 M | VPA 1070 Wien 289, Von oben betrachtet sieht sie wie eine Siedlung aus. Doch will in einer Zeltstadt niemand wohnen. Sie for­ miert sich aus Motiven, die gegensätzlicher nicht sein könnten: Feiern, Tanzen, Musizieren befinden sich am oberen Rand der menschlichen Glücksskala. Naturkatastrophen und Kriege am Tiefpunkt. Festival, Flut und Flucht geben Anlass zum Umzug auf die grüne Wiese, zum Zeitsprung ins Nomaden­ tum. Das Zeltlager ist so sehr eine architekturfreie Zone, dass einem nach wenigen Tagen des Natur­ terrors das Bauwesen beinahe schon wieder ein wenig sympathisch wird. Zieht die Horde ab, ist Müll der letzte stumme Zeuge eines solchen Ballungs­ raums des allzu Menschlichen. Über dies flüchtige Phänomen könnte man von oben hinwegsehen, stünde nicht „temporäre Archi­ tektur“ als neuestes bauliches Rezept zur globalen Müllvermeidung in Diskussion. Die Idee des Recy­ clings greift auf die Architektur über und inspiriert zu Bauwerken, deren „Lifecycle“ für 50 bis 70 Jahre veranschlagt wird. Dabei schwingt die Hoffnung mit, man würde dem „Raumschiff Erde“ weniger zur Last fallen, wenn man versichert, ohnehin nur fünf Minu­ ten lang (in planetarischer Zeitrechnung) ein Stück Naturraum für den Menschen nutzen zu wollen. Die Zeltlager­Vision der Nachhaltigkeit will, dass schon die Planung auf den Abriss zielt. Welch groß­ artiges Geschäftsmodell für die Bauwirtschaft! Von ganz weit oben, planetarisch und langfristig betrachtet, könnte sich aber als noch viel nach­ haltiger herausstellen, für die Ewigkeit zu bauen. Mit Ergebnissen, die auch in 500 Jahren noch halten und erfreulich sind. Wolfgang Pauser N Mit dem Konzept des Autors lassen sich jene Fragen stellen, die Michel Foucault aufgeworfen, aber nicht behandelt hat: „Wie sich der Autor in einer Kultur wie der unseren individualisiert hat, […] von welchem Zeitpunkt an man begonnen hat, nicht mehr das Leben von Helden, sondern das von Autoren zu erzählen, wie sich die Grundkategorie der Kritik ‚Mensch und Werk‘ heraus­ gebildet hat …“ Werk ohne Autor

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Inhalt 3 4 5 6 Editorial, Pendls Standpunkt Puntigams Kolumne, Dusls Schwerpunkt Standpunkte: Rudolf Kolbe, Walter Stelzhammer, Walter Neubauer Plus / Minus: Braucht die Stadt mehr Planung? André Krammern 7 Werk ohne Autor 8 – 11 Der verblichene Autor | Von der Autorität des Originären und der Anonymität des Kollektivs Wolfgang Pircher 12 – 13 Wo Technik endet und „Baukunst“ beginnt | Eine Betrachtung der Rechtslage Thomas Höhne 14 – 16 Open Source: „Let the revolution begin“ | Wie ein neues Verständnis der Zusammenarbeit die Gesellschaft verändern will Mathias Rittgerott 17 – 20 Teamarbeit macht klug. Teamarbeit macht blöd. | Was macht den Unterschied? Wolfgang Pauser 21 – 24 Die Dekonstruktion des Architekten | Ein Streifzug durch die gebaute Welt ohne Urheberschaft. Wojciech Czaja 25 – 29 Stadt ohne Autor | Wie viel Planung braucht der urbane Raum? Sebastian Jobst im Dialog mit Wencke Hertzsch, Reinhard Seiß undThomas Madreiter 32 Überlegungen zur Hofkarte | Klare Eigentumsgrenzen sind keine Selbstverständlichkeit Dietrich Kollenprat 34 – 36 Europäische Ingenieurkonsulenten | European Council of Engineers Chambers, ECEC – Ein Dachverband vertritt die Ingenieursinteressen in Europa. Die bAIK ist vorne mit dabei. Michael Krassnitzer 37 – 39 Modernisierungsschub für Österreichs Untergrund | Die Sanierung des Wasser- und Kanalnetzes Judith Brandner 40 – 41 Empfehlungen, Jüngste Entscheidung, Krassnitzers Lektüren 42 Porträt Karl Bernd Quiring Anna Soucek 43 Fehlanzeige, Das nächste Heft 44 Von oben Impressum konstruktiv 289 Medieninhaber und Herausgeber Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten (bAIK) 1040 Wien, Karlsgasse 9 T: 01­505 58 07­0, F: 01­505 32 11 www.daskonstruktiv.at Erscheinungsweise Auflage Einzelpreis Abopreis pro Jahr vier Mal jährlich 13.500 Stück 9,00 Euro 24,00 Euro Lektorat Dorrit Korger Grafisches Basiskonzept Gassner Redolfi, Schlins Bohatsch und Partner, Wien Gestaltung vektorama. grafik.design.strategie Wien Druck Ueberreuter Print GmbH, Korneuburg Gedruckt auf SoporSet Premium Abbildungen Seite 3: Courtesy: Knoll Galerie Wien, Anca Benera F. = Fotograf und Arnold Estefan // Seite 4: Ingo Pertramer, A. = Architekt Andrea Maria Dusl // Seite 5: Otto Hainzl, bAIK, Bundesministerium für Arbeit und Soziales // Seite 7–13: Fabrice Le Nezet // Seite 14­15: Arduino, www.opensourceecology.org/Marcin Jakubowski, Albert Company Olmo, Jan Glasmeier und Line Ramstad // Seite 18–20: Courtesy: Peter Kogler und Galerie Nikolaus Ruzicska, Salzburg // Seite 22–23: A. Verein s2arch / F. Dobmeier // Seite 24: A. BKK­3 / F. Hertha Hurnaus // Seite 26–29: Atelier Olschinsky // Seite 34: Mirjam Groen // Seite 36–38: vektorama.grafik.design. strategie Wien // Seite 42: Karl Bernd Quiring // Seite 43: Redaktion KONstruktiv, Roeland Otten // Seite 44: Alexander Blach Die Redaktion ersucht diejenigen Urheber, Rechtsnachfolger und Werknutzungsberechtigten, die nicht kontaktiert werden konnten, im Falle des fehlenden Einverständnisses zur Vervielfälti­ gung, Veröffentlichung und Verwertung von Werkabbildungen bzw. Fotografien im Rahmen dieser Publikation um Kontaktaufnahme. Das Gestaltungskonzept dieser Zeitschrift ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts ist unzulässig. Die Texte, Fotos, Plandarstellungen sind urheberrechtlich geschützt. Offenlegung gemäß §25 Mediengesetz ist auf www.daskonstruktiv.at veröffentlicht. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben ausschließlich die Meinung des Autors wieder, die sich nicht mit der des Herausgebers oder der Redaktion decwken muss. Für unverlangte Beiträge liegt das Risiko beim Einsender. Sinn­ gemäße textliche Überarbeitung behält sich die Redaktion vor. Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Zugunsten der Lesbarkeit wird, wenn von den Autorinnen und Autoren nicht anders vorgesehen, auf geschlechtsspezifische Endungen verzichtet. Das Zitat auf dem Titel wurde dem Text „Der verblichene Autor“ von Wolfgang Pircher entnommen. Fehlanzeige Betreten verboten – Überreglementierte Freiräume Der Gebrauch öffentlichen Raums wird zunehmend durch explizite Verbote und versteckt ausgeübte Kontrollmechanismen eingeschränkt. Oder Stadträume werden überhaupt privatisiert und zulässiges Verhalten infolge von „Hausordnungen“ diktiert. Verbote sollen Unvorhergesehenes verhindern. Der öffentliche Raum wird heute gerne als urbaner Mittagstisch betrachtet, der bis ins letzte Detail gestaltet und definiert ist, auf dem alles seinen Platz hat und die Tischmanieren streng eingehalten werden. Auch Parkanlagen drohen sich durch ein Übermaß an Verboten zu musealen Schauräumen zu wandeln. Verbotsschilder und subtil gestaltete Schwellen trennen betretbare und für die „Anschauung“ reservierte Zonen. Parkanlagen bleiben oder werden wieder zu altmodischen Flaniermeilen. Urbane Natur wird zum Ornament. Kontemplative Betrachtung aus der Distanz ersetzt das Verweilen und die Aktivität im Raum. Schauen und Gebrauchen sind aber zwei grundverschiedene Kategorien des Raumerlebnisses. Freiräume sollten robust und vielfältig bespielbar sein, Platz für Improvisation und Unvorhergesehenes bieten und das Verweilen von jedermann und jederfrau erlauben. Wir brauchen mehr Freiräume, weniger Verbotsräume, mehr Möglichkeiten des alltäglichen Gebrauchs, weniger Gestaltung. André Krammer N Das nächste Heft „Gutes Design ist unsichtbar“ (Lucius Burkhardt), Gleiches gilt für einen riesigen Teil der Technik, die uns täglich umgibt. Viele der Prozesse, die aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken sind, werden hinter Fassaden und anderen Hüllen verborgen, während andere Funktionen, wie etwa kabellose Kommunikationsnetze, tatsächlich unsichtbar ein dichtes Netz über die physische Welt legen. Ebendiesen unsichtbaren Wirkungen wird sich das nächste KONstruktiv widmen. Redaktion, Anzeigen & Aboverwaltung art:phalanx Kunst­ und Kommunikationsbüro Clemens Kopetzky (Geschäftsleitung) Redaktionsteam Susanne Haider, Sebastian Jobst, Heide Linzer 1070 Wien, Neubaugasse 25 /1 /11 T: 01­524 98 03­0, F: 01­524 98 03­4 redaktion@daskonstruktiv.at, anzeigen@ daskonstruktiv.at, abo@daskonstruktiv.at Redaktionsbeirat Walter Chramosta (Architekturpublizist), Gerald Fuxjäger (Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Steiermark und Kärnten), Georg Pendl (Präsident der bAIK), Rudolf Kolbe (Vizepräsident der bAIK und Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Oberösterreich und Salzburg), Sabine Oppolzer (Kulturjournalistin), Wolfgang Pauser (Konsumforscher & Berater), Walter Stelzhammer (Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und Burgenland) Roeland Otten, Dazzle Painted Electricity Substation, Installation im öffentlichen Raum, Akrylfarbe und Anti­Graffiti­Beschich­ tung, 2 x 1,5 x 2,5 m, 2012 Mit seinen urbanen Interventionen thematisiert Roeland Otten die allgegenwär­ tige unbeachtete Infrastruktur der Stadt. Obwohl die Bemalung wie ein perspektivisches Camouflage wirkt, ziehen die alltäglichen Objekte dennoch mehr Aufmerksamkeit auf sich.

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Editorial Auf den ersten Blick wird der Autor mit Kreativität assoziiert und als Urheber und somit auch Inhaber von Rechten verstanden. Betrachtet man den Begriff jedoch etwas näher, finden sich rasch die sprachlichen Wurzeln der Autorität, also der Vorstellung strenger hierarchischer Strukturen und der Entscheidungsmacht in ihm, damit einher geht auch die Verantwortung für getroffene Entscheidungen. Wohl nicht rein zufällig wurde dem Autor diese Nähe zur Macht gerade in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts zum Verhängnis, als die Meisterdenker dieser Zeit, Roland Barthes und Michel Foucault, seinen Tod proklamierten. Doch Begriffe, denen bereits seit jeher das baldige Ende prophezeit wurden halten sich bekanntlich am längsten und mit Debatten rund um Themen wie Open Source, Creative Commons und partizipative Planungsprozesse geht die Hinterfragung des Autors in eine weitere, aber sicherlich nicht finale Runde. In Bedrängnis gerät der Autor zunehmend auch durch das Diktat der ökonomischen Effizienz. Wo enge finanzielle Korsetts den gestalterischen Freiraum auf ein Minimum einschränken, geht die Entscheidungshoheit des Autors verloren. Dies gilt sowohl im kleinen Maßstab als auch in der Stadtplanung, denn öffentlicher Raum und Architektur sollten in erster Linie der Lebensqualität und nicht nur der Funktionalität und wirtschaftlichen Interessen verpflichtet sein. Als lenkendem Moderator könnte dem zeitgenössischen Autor dabei eine wichtige Rolle zukommen, wenn technische, wirtschaftliche und soziale Aspekte miteinander zu vereinbaren sind. Sebastian Jobst N Pendls Standpunkt Dass ohne architektur, die menschliche gesellschaft und darüber hinaus alles was uns umgibt, nicht denkbar wäre, steht – meines erachtens nach – außer frage. Im tagesaktuellen geschehen rund um den parlamentsumbau und andere baustellen ist architektur, vor allem die zeitgenössische, ständig gegenwärtig und in der gegenwart erlebbar. Doch was passiert mit der vergangenheit und vergänglichkeit von architektur und den architekturschaffenden? Geschichte baut immer auf der kenntnis und dem nichtvergessen des vergangenen. Kulturelle identität basiert, so wie die menschliche, auf erinnerungen. Diese müssen sorgfältig gepflegt werden, sonst ist die gesellschaft wie eine person ohne gedächtnis dement. Eine demente kultur entwickelt keinerlei nach vorne gerichtete kraft. Traditionelles werkzeug gegen diese form des vergessens ist das einrichten eines museums. Warum gibt es also kein architekturmuseum in österreich? Denn ganz aktuell stellt sich die frage, ob und wie der nachlass von architektInnen in österreich verwaltet wird. Die antwort gibt leider derzeit – im falle roland rainers – eine garage in kärnten! Ein museum darf aber nicht einzig den zweck der nachlassverwaltung erfüllen, sondern trägt nach meinem verständnis sorge für das materielle und geistige erbe von kulturschaffenden. Es ist ein ort der architekturforschung, wo entwürfe, ideen und modelle katalogisiert, inventarisiert und auch restauriert werden. Ein museum sammelt nicht lediglich, sondern hinterfragt und reanimiert die vergangenheit und unsere erinnerungen dieser. Der handlungsbedarf steht außer zweifel. Für mich bedeutet dieser zustand, dass wir uns gemeinsam für ein festhalten und aufzeichnen der geschichte von architektur einsetzen und damit konzepte zur schaffung eines museums für architektur in österreich unterstützen müssen. So wie das museum of finnish architecture – zweitältestes architekturmuseum europas – seit 1956 kontinuierlich wertvollste arbeit liefert, soll sich ein solches in österreich auch dem bedarf nach raum für die sammlungen unserer nachkommen und der erforschung von architektur widmen. Eine solche institution kann nur auf bundesebene entstehen, daher der dringende appell an die zuständige ministerin, sich dieses themas anzunehmen. Georg Pendl (Präsident der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten) N Anca Benera and Arnold Estefan, I work therefore I’m not, variable Maße, mixed media Installation, 2012, courtesy: Knoll Galerie Wien, Anca Benera & Arnold Estefan In ihrer Werkserie dokumentierten Anca Benera und Arnold Estefan ihre Arbeitstage am PC mithilfe einer Software, die jede Bewegung des Mauszeigers aufzeichnete.

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Ich einfach unverbesserlich Martin Puntigam Kabarettist, Autor und MC der Science Busters Das Portfolio des Homo sapiens kann sich sehen lassen. Pyramiden, Demokratie, Code civil, Kernspaltung und Online-Kirchenaustritte, you name it. Er bildet sich nicht wenig auf die Urheberschaft der Menschheitsgeschichte ein, und wenn andere Tierarten kommen und das Copyright verletzen, dann schickt er die Kammerjäger. Unsterblichkeit ist deshalb die große Leidenschaft von uns Menschen, und viele wünschen sich deshalb, dass nach ihrem Tod der Name erhalten bleibt, wenigstens eine Straße nach ihnen benannt wird oder zumindest ein Platz. Warum das so ist, lässt sich schwer sagen, denn kaum etwas kann uns Menschen so egal sein wie das, was nach unserem Tod mit uns passiert. Falls man bereit ist, es billiger zu geben, und damit zufrieden ist, dass ein Flugzeug unseren Namen trägt, dann wäre der Nachruhm leichter zu sichern. Es gibt nämlich eine sehr schöne Spekulation unsere Existenz betreffend: Unsere Gene benutzen uns als Wirt, um sich fortzupflanzen, und gaukeln uns Menschen dafür Bewusstsein vor. Wir denken also: „Alles, was wir lt. Gesetzgeber Eigentum nennen dürfen zzgl. Familie ha- ben wir selber geschaffen, und zwar in kürzester Zeit, und schauen für unser Alter noch immer gut aus, das soll uns erst einer nachmachen!“, aber in Wirklichkeit will sich nur eine Erbanlage reduplizieren, sagen wir das Gen „Haare aus der Nase ab 40 Jahren“. Und weil Gene zu schwach sind, um den Fernseher einzuschalten, oder zu ungeschickt, um Flugzeuge zu bauen, mit denen man auf Urlaub fliegen kann, nisten sie sich im Menschen ein und lassen ihn glauben, er sei die Krone der Schöpfung und seit fünf bis sieben Millionen Jahren in der Evolution tätig. Die Gene spielen demnach mit uns, und man muss einräumen, sie verstehen Spaß, wenn sie dann so was wie Genetiker, Kosmologen und Neurophysikerinnen zulassen, die erklären, wie Geist, Bewusstsein und Materie zusammenhängen. Sind wir also die Billigflieger, mit denen Gene in den Urlaub aufbrechen? Wollen wir nur ans Meer, wenn unsere Gene Urlaub brauchen? Wir wissen es nicht genau. Aber wenn, dann wäre immerhin schon ein Linienflugzeug nach uns benannt, ohne dass wir es wüssten. N Dusls Schwerpunkt Puntigams Kolumne | Dusls Schwerpunkt

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John Doe Rudolf Kolbe Vizepräsident der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten Im anglikanischen Sprachraum wird der Name John Doe verwendet, wenn man jemanden benennen will, dessen wirklicher Name nicht bekannt ist. Unser Max Mustermann oder Herr Müller sozusagen. Und vor einigen Wochen habe ich wieder einmal gedanklich jemanden John Doe genannt. Warum auch nicht? Es ist ja nicht üblich, dass man als Ingenieur in Verbindung mit seinen Werken gebracht wird. Natürlich ist es wichtig, dass die ungewöhnlichste Konstruktion eines Gebäudes nicht in sich zusammenbricht. Natürlich muss die kühnste Brücke allen Belastungen widerstehen. Natürlich soll die herausforderndste Weiterentwicklung einer Maschine auch die Umweltbelastung reduzieren. Und klarerweise sollen sich die von beiden Seiten gegrabenen Tunnelröhren in der Mitte des Berges treffen. Alles Ingenieurleistungen, die unsere Gesellschaft als selbstverständlich voraussetzt. Man bestellt, bekommt geliefert und geht zur Tagesordnung über. Um nicht missverstanden zu werden: Ich gönne es den Architekten von Herzen, mit ihren Projekten genannt und gefeiert zu werden. Ich wünsche mir aber mehr Selbstbewusstsein der Ingenieure, ihr namensgebendes Ingenium mehr in den Vordergrund zu stellen. Der exzellente Tragwerksplaner, der kreative Maschinenbauer, der innovative Verkehrsplaner – bitte vor den Vorhang! Ich glaube, dass diese Imagepflege nicht nur für den Einzelnen wichtig wäre, sondern auch mithelfen könnte, die Probleme des fehlenden Technikernachwuchses zu verringern. Drängen wir gemeinsam die Zahl der „Werke ohne Autor“ zurück und nennen die Namen der Erbringer von hervorragenden Ingenieurleistungen mit derselben Selbstverständlichkeit wie die von hervorragenden Architekten. Also, mein John Doe hat die neue Seilbahn konzipiert, die mich kürzlich auf meinen Skiberg brachte, und heißt … N Wer dressiert heute wen in der Bauwelt? Von Dompteuren und wilden Tieren In der freien Wildbahn unserer Tierwelt gilt das Primat des Stärkeren. Unsere Berufswelt wird derzeit von einer allumfassenden Welle neuer Regelwerke heimgesucht. Die freie Wildbahn für kreative, geistig-schöpferische Leistungen wird zu einem immer engeren Gehege. Wer behält unter diesem Wandel das Primat des Stärkeren? Eigentlich sollten es wie bisher wir Kreativen sein. Dennoch haben uns die Dompteure einzelner Interessengruppen eingeholt. Gute Planung resultiert oft nicht mehr aus der „normativen Kraft des Faktischen", sondern beugt sich unfreiwillig der „vernormten Kraft des Fiktiven“. Wobei hier von einschlägigen Interessengruppen Einzelthemen der Nutzung von Bauwerken zu neuen Standards hochgespielt werden, die nicht mehr dem allgemeinen Nutzerverhalten entsprechen. Neben dem zusätzlich unbezahlten Aufwand für uns Planende werden unter diesen neuen Prämissen Bauwerke komplizierter und daher teurer. Einzelaspekte sind häufig nicht aufeinander abgestimmt, weil nicht praxiserprobt. Planende und Behörden sind die Leidtragenden im Graubereich der Auslegungsvermutungen neuer Vorgaben. Im Terrain der Interpretationsspielräume verlieren wir so unsere fachlich fundierte Umsetzungskompetenz gegenüber den Auftraggebern. Wirtschaftliche Profiteure daran sind die Verwalter dieses Normenwesens. Konsequenter wäre es, diese Regelwerke frei zugänglich zu machen, schließlich sind wir alle zur Einhaltung verpflichtet. Wir als Berufsgruppe blockieren uns seit Jahren durch das Walter Stelzhammer Präsident der Kammer für Architekten und Ingenieurkonsultenten für Wien /NÖ /Bgl. selbst auferlegte Ehrenamt. Es verhindert, die Normenausschüsse mit praxiserfahrenen Experten aus unseren Reihen gegen entsprechende Honorierung zu besetzen. Wollen wir in Zukunft Dompteure im Baugeschehen sein oder, der gezähmten Tierwelt zugehörig, in kontrolliertem Gehege durch vorgerichtete Feuerreifen springen? N Die Überführung der WE aus der Sicht des Sozialministeriums Wir freuen uns über diesen gemeinsamen Erfolg. Die Überführung stellt eine „Win-winSituation“ dar: Für die ZiviltechnikerInnen werden diverse Benachteiligungen beseitigt. Gleichzeitig wird die allgemeine Pensionsversicherung um eine kleine, aber wichtige Berufsgruppe erweitert. Dieser Schritt bestätigt auch die Attraktivität und Leistungsfähigkeit der allgemeinen und sozialen Pensionsversicherung in Österreich. ZiviltechnikerInnen tragen in ihren Berufen große gesellschaftliche Verantwortung. Sie sind zusätzlich auch eine starke Gruppe von ArbeitgeberInnen. Somit tragen sie mit ihren Dienstgeberbeiträgen zur Finanzierung unseres Pensionssystems bei: Der stärker werdende Wettbewerb führt aber leider oft dazu, dass DienstgeberInnen Beschäftigungsformen bevorzugen, die nicht der Pensionsversicherung unterliegen. Jüngere DienstnehmerInnen haben gegen den Abschluss von (Schein-)Werkverträgen manchmal auch gar keinen Einwand, weil auch sie sich dann Pensionsbeiträge ersparen und ihnen „netto“ mehr übrig bleibt. Das ist aber kurzsichtig: Die Betroffenen erwerben keine Anwartschaften für ihre Pensionsversicherung. Nicht zuletzt drohen hohe Nachzahlungen, weil der Gesetzgeber gegen die Flucht aus dem Sozialrecht wirksame Maßnahmen ergriffen hat. Die Pensionsversorgung lebt von den Beiträgen der aktiven Beschäftigten. Diese sind die Basis der Pensionszahlungen. Durch die Überführung erweitert sich die gesellschaftliche Verantwortung der ZiviltechnikerInnen nun auch um die Mitverantwortung für die Finanzierung unseres – gemeinsamen – Pensionssystems. N Walter Neubauer ist Beamter im Sozialministerium und war maßgeblich an den Verhandlungen zur Überführung der WE in das FSVG beteiligt. Durch das „Pensionsfonds-Überleitungsgesetz“ sind seit heuer alle ArchitektInnen und IngenieurkonsulentInnen im Freiberuflichen Sozialversicherungsgesetz pensionsversichert. Die Berufsvertretung der ZiviltechnikerInnen hat damit ein jahrzehntelang verfolgtes Ziel erreicht. Standpunkte

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Braucht die Stadt mehr Planung? Ein Verortungsversuch zu Planungsskepsis und Steuerungswunsch. Neue Formen der Entwicklungssteuerung, wie etwa kooperative Planungsverfahren, die den Prozess und den Diskurs in den Mittelpunkt stellen, deuten einen Ausweg an. Die Zukunft der Stadt ist von einer gut durchdachten Planung abhängig. Stadt reguliert sich nicht selbst. Insbesondere eine nachhaltigere und ökologischere Stadtentwicklung kann nur über zentral gesteuerte Strategien erreicht werden. Das Wachstum der Stadt muss in vernünftige Bahnen gelenkt werden, nicht zuletzt um Flächenverbrauch zu reduzieren und Naturräume zu sichern. Stadt ist nicht nur Ausdruck ökonomischer Zwänge und Optionen, sondern auch immer eine gesellschaftspolitische Konstruktion. Einzelne Akteure, ob gemeinnütziger oder privater Ausrichtung, können das große Ganze nicht überblicken und für das Gemeinwohl keine Verantwortung übernehmen. Ohne Planung treten Akteure auf die Stadtbühne, die jeweils ihr eigenes Stück inszenieren. Es gibt heute keine philanthropischen Privatiers, denen die Verantwortung für die Schaffung von leistbarem Wohnraum und qualitätsvollem öffentlichem Raum überantwortet werden könnte. Ohne eine kontinuierliche öffentliche Raumund Infrastruktur zerfällt die Stadt in zusammenhanglose Fragmente. Die Verwaltung als Vertretungsorgan des demokratischen Souveräns ist dem Gemeinwohl verantwortlich und kann als einzige Instanz einen Interessenaustausch sicherstellen. Der entfesselte Markt, die Ökonomie können das nicht leisten. Die jüngste Krise des Finanzmarktes hat die irrationale Seite des Marktes offengelegt. Eine Laisser-faire – Mentalität hinterlässt einen im wahrsten Sinn des Wortes ruinösen Stadtkörper und zersiedelte Landschaften. Leer stehende Kinocenter und Gewerbeimmobilien, schwach frequentierte Einkaufszentren und eine im Meer der Einfamilienhäuser untergehende Landschaft zeugen davon. Nur eine koordinierende und selbstbewusste Planung, die Einzelinteressen zu transzendieren vermag, kann da gegensteuern. Der von Trend und Moden abhängige Markt ist per se kurzlebig, während die Infrastruktur und die Bauproduktion einer Stadt vergleichsweise träge sind und vor allem kostspielig. Nur große und langfristige Visionen, Strategien und Konzepte – abgehoben vom stadtpolitischen Alltag – können die Zukunft positiv beeinflussen. In der Vergangenheit entstanden die „schönen Städte“ nicht unter der Ägide einer bürokratischen Planung, sondern durch ein sich weitgehend von selbst regulierendes Wachstum. Das mediterrane Dorf, das sich malerisch über einen Hügel ausbreitet, die kleinteilige mittelalterliche Stadt, deren Straßen, Wege und Plätze wir immer wieder aufsuchen, sind aufgrund von Überlieferung und Gewohnheitsrecht entstanden, abseits starrer Reglements. Jede Planungsdoktrin – welcher ideologischen Färbung auch immer – hat in den vergangenen Jahrzehnten zu keiner nachhaltigen Stadtentwicklung geführt. Schon lange existiert kein einheitliches Leitbild mehr, auf das sich eine Gesellschaft heute einigen könnte und das von der Planungsabteilung einer Stadt umgesetzt werden könnte. Auch unsere Städte unterliegen längst dem Primat des Ökonomischen, ob uns das gefällt oder nicht. Der Markt reguliert über Angebot und Nachfrage die Raumproduktion auf die effizienteste Weise. Im Schatten einer globalisierten Wirtschaft müssen Planungsinstrumente wie Stadtentwicklungspläne und Masterpläne versagen. „Raum“ an sich ist angesichts des dominierenden medialen Raums eine zweitrangige Kategorie. Die Stadt ist kein Kunstwerk (mehr). Neue öffentliche Räume entstehen heute meist im Gebäudeinneren oder sind längst in privater Hand. Kommerziell ausgerichtete Großstrukturen dominieren heute die Stadtlandschaft. Die Architektur hat den Städtebau endgültig abgelöst. Die Wirtschaft ist der Motor der Stadtentwicklung. Niemand kann und sollte sich über existente ökonomische Parameter hinwegsetzen. Die Stadtplanung sollte sich auf wenige Agenden zurückziehen und Infrastruktur sicherstellen, die zukünftige Entwicklungen ermöglicht. Chronisch leere Stadt- und Staatskassen verlangen privat finanzierte Initiativen und Projekte. Stadtentwicklung und Städtebau sind heute ohne private Investoren nicht mehr denkbar. Der Autor der Stadt wurde von einem immer größer werdenden Autorenkollektiv abgelöst. Verwaltung kann heute im besten Fall zwischen den Akteuren, die tatsächlich Stadt herstellen, vermitteln und Entwicklungsprozesse ermöglichen. André Krammern N Plus/Minus

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Werk ohne Autor Bei Ingenieuren und Architekten jedoch steht die Neuproduktion zur Debatte. Hier als technische Innovation. Dort als baukünstlerisches Werk. Ausgangspunkt des Neuen, und damit jeglicher Entwicklung, sei „der Mensch“, heißt es in gut humanistischer Tradition. Dies meinte die Figur eines bürgerlichen Individuums männlichen Geschlechts in der seltenen Sonderform des sogenannten Originalgenies. Im Reich der Technik trat dieses hervor als Erfinder. In der Welt des Bauens als „der berühmte Architekt“. Beide sind still und heimlich von der Weltbühne verschwunden. Technische Produktentwicklung findet im Teamwork statt. Nicht in der Garage, nicht im Dachbodenstübchen, sondern in großen Firmen. Wolfgang PauserN „Weight“ Fabrice Le Nezet, 2012 In der Serie „Measure“ versuchte der Designer und Künstler Fabrice Le Nezet den abstrakten Begriffen Gewicht, Entfernung und Winkel Gestalt zu geben. Geichzeitig lässt die Formensprache der Werke die Frage nach dem Unterschied zwischen Technik und Kunst zu.

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Der verblichene Autor | Von der Autorität des Originären und der Anonymität des Kollektivs Wolfgang Pircher Ausbildung in elektrischer Nachrichtentechnik und Elektronik, Studium der Volkswirtschaftslehre und Philosophie an der Universität Wien. Pircher ist Assistenzprofessor am Institut für Philosophie der Universität Wien u. a. mit dem Forschungsschwerpunkt Technologiegeschichte und -philosophie, insbesondere die Genealogie des Ingenieurs. Einer der letzten DEFA-Filme, Peter Kahanes Die Architekten, zeigt den sukzessiven Verlust der Autorfunktion eines Architekten, der mit fast 40 Jahren endlich einen Bauauftrag bekommt, ein Kollektiv aus ehemaligen Studienkollegen in Weimar bildet und nun mit politischen und ökonomischen Hindernissen konfrontiert von seinem Entwurf immer mehr Abstriche machen muss. Daran zerbricht nicht nur das Kollektiv, sondern auch seine Ehe. Die kritische Bestandsaufnahme der Verhältnisse in der DDR, die den Film auszeichnet, wurde von der Geschichte überholt, denn als der Film in die Kinos kam, gab es die DDR nicht mehr. Die in der DDR verbreitet gewesene Plattenbauweise lässt sich dem Ingenieurwesen zuordnen, das keinen Autor kennt. Vielmehr taucht der Ingenieur als Autor an einem anderen Schauplatz auf: bevorzugt auf dem der Schule. Die Idee des Bauens mit industriell vorgefertigten Elementen entspringt an den französischen Ingenieursschulen des 19. Jahrhunderts und hier begegnen wir dem Ingenieur als Lehrer und Autor (von Lehrbüchern). Von Jean-Nicolas5 Giorgio Vasari: Le Vite de’ più eccellenti architetti, pittori, et scultori italiani, da Cimabue infino a’ tempi nostri: descritte in lingua toscana da Giorgio Vasari, pittore arentino – Con una sua utile et necessaria introduzione a le arti loro. L. Torrentino, Florenz 1550, 2 Bde. 1568 erschien eine neue, erweiterte Ausgabe [Lebensbeschreibungen der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten]. 6 Vgl. Karen-edis Barzman: The Florentine Academy and the Early Modern State. The Discipline of Disegno, Cambridge 2000. 7 Anthony Grafton: Leon Battista Alberti. Baumeister der Renaissance. Aus dem Amerikanischen von Jochen Bußmann, Berlin2002, S. 144: „Wenn aber Alberti sich zuallererst als Ingenieur sah, dann lassen sich einige Eigenheiten seines Buchs Über die Malkunst, an denen Historiker seit Langem herumgerätselt haben, sehr viel leichter erklären. Albertis Bemühen, sowohl auf Darüber hinaus aber bleibt die Problematik der Autorschaft des Architekten virulent, auch jenseits der DDR.1 Louis Durand, dem ersten veritablen Architekturlehrer an der École Polytechnique, über seine Schüler Rohault de Fleury und Charles-Louis Mary bis hin zu Adolf Behne und Ernst Neufert lässt sich eine Entwicklungslinie der industriell gefertigten Gebäude ziehen, die immer wieder den Vorwurf des normierenden Bauens (und damit des normierten Lebens) auf sich gezogen hat.2 Dagegen wird üblicherweise die Kreativität des eher künst lerisch orientierten Architekten ins Spiel gebracht. Der Architekt wird hier als genuiner Autor seines Werkes gesehen, welcher der beständigen Gefahr ausgesetzt ist, dass dieses Werk verändert, modifiziert, kurzum verdorben wird. Dieser Typus des Architekten geht auf die italienische Renaissance zurück, genauer, sie ist eine Erfindung von Leon Battista Alberti.3 In Albertis Theorie ist ein Bauwerk die identische Kopie des Entwurfs eines Architekten. Die damit einhergehende Aufspaltung in Entwurf und Ausführung ermöglicht die moderne Definition des Architekten als eines Autors. Die strikte Trennung zwischen dem entwerfenden Architekten und dem ausführenden Baumeister verlangt ein Kommunikationsmedium, mit dem der eine dem anderen seine Intentionen deutlich machen kann. 1 Für den Film gilt üblicherweise der Regisseur als Autor, also jener, der das Drehbuch, das meist nicht von ihm verfasst wurde, in die filmische Realisierung übersetzt. 2 Dazu u. a. Ulrich Pfammatter: Die Erfindung des modernen Architekten. Ursprung und Entwicklung seiner wissenschaftlich-industriellen Ausbildung, Basel 1997; Christine Hannemann: Die Platte. Industrialisierter Wohnungsbau in der DDR, Berlin 2000. Zusammenfassend Wolfgang Pircher/Christa Kamleithner: „Der von Gott verlassene Baubetrieb“, in: Annett Zinsmeister (Hg.): Plattenbau oder Die Kunst, Utopie im Baukasten zu warten, Hagen 2002, S. 9 – 25. 3 Mario Carpo: The Alphabet and the Algorithm, Cambridge, Mass. 2011. 4 Michel Foucault: „Was ist ein Autor?“, in: Schriften zur Literatur, Frankfurt/M., Berlin, Wien: Ullstein 1979, S. 7 – 31, hier S. 10. Lateinisch wie auf Italienisch eine technische Sprache zu entwickeln, die imstande war, so komplexe Dinge wie die Festlegung eines Fluchtpunkts, die Gestaltung eines sich nach hinten verjüngenden Fußbodens oder Platzes und die Beherrschung der Anatomie des menschlichen Körpers zu beschreiben, erinnerte stark an die literarischen Bemühungen von Ingenieuren wie Taccola. Auch sie verfassten Bücher über ihre Künste, um ihren gesellschaftlichen Rang und den der von ihnen praktizierten Fachgebiete zu erhöhen. All ihre Anstrengungen zielten darauf, Geräte zu entwerfen und überdies auch noch eine Terminologie zu kreieren, mit der sich deren Konstruktion und Verwendung in klaren Worten beschreiben ließ.“ 8 Vgl. dazu Antoine Picon: French Architects and Engineers in the Age of Enlightenment, Cambridge 1992. Diese Funktion übernimmt die maßstabstreue Zeichnung. Sie ist, so wird man später sagen, die Sprache des Ingenieurs (und natürlich auch die des Architekten). In der italienischen Renaissance wird die Zeichnung unter dem Begriff des disegno mit Idee und Denken gleichgesetzt. Die Zeichnung wurde zu dieser Zeit nicht erfunden, aber sie wurde mit einem überragenden Wert ausgestattet. Seit dieser Zeit konstruiert man „Papiermaschinen“. Wie Mario Carpo betont, ergibt sich aus dem um 1450 von Alberti erhobenen Anspruch der Autorschaft des Architekten, d. h. der neuen Methode des Bauens qua „Fernsteuerung“, also des Einsatzes von Medien wie der Zeichnung, die Forderung nach entwurfsgetreuem Bauen. Wäre das ausgeführte Bauwerk nicht die identische Kopie des Entwurfs, dann wäre der Architekt nicht länger alleiniger Autor. Das Problem der identischen Kopie fand sich zu dieser Zeit schon in der Überlieferung und Vervielfältigung von Texten, die ja vor dem Buchdruck abgeschrieben werden mussten und die damit der willentlichen oder irrtümlichen Veränderung durch den Kopisten unterworfen waren, der damit Der verblichene Autor

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„Distance“ Fabrice Le Nezet, 2012 Der verblichene Autor

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zu einem unerwünschten Koautor wurde. Mit dem Konzept des Autors lassen sich jene Fragen stellen, die Michel Foucault aufgeworfen, aber nicht behandelt hat: „Wie sich der Autor in einer Kultur wie der unseren individualisiert hat, welchen Status man ihm zugewiesen hat, seit wann man sich zum Beispiel daran gemacht hat, Authentizitäts- und Zuschreibungsuntersuchungen anzustellen, in welches Wertsystem der Autor eingeordnet wurde, von welchem Zeitpunkt an man begonnen hat, nicht mehr das Leben von Helden, sondern das von Autoren zu erzählen, wie sich die Grundkategorie der Kritik ‚Mensch und Werk‘ herausgebildet hat …“ 4 Eines der ersten Bücher, die dem Verhältnis Mensch und Werk nachgehen, ist Diogenes Laertius’ Leben und Meinungen berühmter Philosophen, wahrscheinlich im 3. Jahrhundert n. Chr. verfasst. Es ist ein Buch, das sich anderer Bücher, zumeist nicht die Originalwerke der behandelten Philosophen, sondern solche aus dritter Hand, bedient. Spätere Künstlerbiografien, wie z. B. jene von Vasari 5, haben auch den Zweck, eine neue Kunstauffassung zu etablieren. Vasari schrieb ja nicht umsonst das Gründungsmanifest der Academia del disegno.6 Im Frankreich des 18. Jahrhunderts trennen sich die Wege von Architekt und Ingenieur, indem sie verschiedenen Schulen zugeordnet werden: Die Architekten besuchen die École des Arts, während die künftigen Ingenieure an der École des Ponts et Chaussées lernen, wie man Straßen und Brücken baut.8 In der Folge kreuzen sich die Wege unvermeidlich wieder. Neuerdings kann man nach der Eigenart des „digital turn“ in der Architektur fragen. Für Mario Carpo endet die Zeit der Identität zwischen Entwurf und Ausführung, wie sie Alberti für den Architekten als Autor seines Werks reklamiert hat, mit dem Aufkommen digitaler, also elektronischer Techniken. Ein elektronisch generierter Entwurf durchläuft mehrere Übersetzungen, die nicht mehr notwendig unter der Kontrolle des entwerfenden Architekten stehen. Somit ist er nicht mehr der alleinige Autor des Endprodukts und kann nicht alle seine Details bestimmen. Damit ist der unausgesprochene, aber virulente Kern der Albertischen Theorie, wonach der Entwurf das Original und das Bauwerk die Kopie davon ist, aufgehoben. Gerade die gesteigerten Entwurfsmöglichkeiten, welche die elektronischen Medien bieten, indem sie die geometrischen zu kontinuierlichen, nicht linearen Formen überschreiten und diese zudem noch ständig variabel halten können, macht den Autor im Albertischen Sinne hinfällig. Denn, so Carpo, wenn Variationen zu jeder Zeit im Prozess des Entwurfs und der Herstellung stattfinden können und diese zudem interaktiv und in Kollaboration ablaufen, findet sich kaum noch jemand, der dies alles „autorisieren“ könnte. Hier handelt es sich um das Verhältnis Autor und Text, denn sowohl Laertius wie Vasari schreiben über die Werke anderer und etablieren sich damit selbst als Autor. Auch Alberti verficht seine Architekturtheorie in einem Text: De re aedificatoria, und ging damit ins kollektive kulturelle Gedächtnis ein. Man könnte daraus schließen, dass das Verhältnis Autor – Text zumindest ein privilegiertes ist und andere Formen der Autorschaft davon abgeleitet sind. Im Verhältnis Brunelleschi zu Alberti treffen wir auf seltsame Ungleichgewichte, der eine ein berühmter Architekt (obwohl gelernter Goldschmied), der die Kuppel des Florentiner Doms in neuartiger Bauweise ausführt und der gleichzeitig Maschinen für den Bau erfindet, namentlich einen Baukran mit Wechselgetriebe. Es wird erzählt, dass Brunelleschi die Bauzeichnungen für diesen Kran so aufteilte, dass die damit beauftragten Werkstätten nicht über die Gesamtkonstruktion Bescheid wussten und er diese somit geheim halten konnte. Für eine weniger erfolgreiche Erfindung, nämlich ein Schiff mit Hebevorrichtung für den Transport von Marmor, erhielt er 1421 ein Patent. Diese Doppelrolle als Architekt und Ingenieur, die Brunelleschi erfüllt, war für die Renaissance nichts Ungewöhnliches. Auch Leonardo da Vinci konstruierte allerlei Maschinen und pries sich selbst als Erfinder von Kriegsgerät an. Der Biograf von Alberti, Antony Crafton, schlägt vor, auch Alberti als Ingenieur zu begreifen, namentlich bezogen auf das Buch über die Malerei, das Alberti Brunelleschi widmete.7 Es handelt sich vermehrt um kollektive Entscheidungen, die den Charakter des Anonymen an sich haben. Eine Anonymität, an welche die Ingenieure seit Langem gewöhnt sind. N Der verblichene Autor

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Wo Technik endet und „Baukunst“ beginnt | Eine Betrachtung der Rechtslage Wie kommt die Architektur ins Urheberrecht? Beim Wort genommen, ist diese Frage ganz einfach zu beantworten: Gemäß § 3 Urheberrechtsgesetz (UrhG) gehören zu den Werken der bildenden Künste – neben Lichtbildkunst und angewandter Kunst (Kunstgewerbe) – auch jene der Baukunst. Ist jede Architektur „Baukunst“? Ist „Baukunst“ Voraussetzung, der Segnungen des Urheberrechts teilhaftig zu werden? Was ist überhaupt „Baukunst“? Thomas Höhne ist Rechtsanwalt in Wien (Höhne, In der Maur & Partner) und Autor zahlreicher Publikationen im Bereich Informationsund Medienrecht, darunter des Buchs „Architektur und Urheberrecht“. Ist es das, von dem „Zünd-Up“ sagten: Wer „Baukunst“ sagt, wird erschossen. Um ein Werk im Sinn des UrhG zu sein, muss es nicht Kunst sein; der Grad des ästhetischen oder künstlerischen Werts ist dafür bedeutungslos. „Baukunst“ muss also nicht „Kunst“ sein. Schon der Gesetzgeber des UrhG 1936 hat klargestellt, dass unter einem Werk der Baukunst Bauten zu verstehen seien, „in denen eine künstlerische Raumvorstellung mit den Mitteln der technischen Konstruktion zum Ausdruck gebracht wird, gleichviel mit welchem Stoff der schöpferische Raumgedanke verwirklicht wird, welchem Zweck der Bau dient und ob der Raumgedanke das primäre war oder ob er sich an die im Vordergrund stehende Lösung einer technischen Aufgabe angeschlossen hat.“ Dennoch: Nicht die Lösung des technisch-konstruktiven Problems ist es, die urheberrechtlichen Schutz genießt, sondern nur die eigenpersönliche künstlerische Gestaltung (also nicht Kunst, aber doch künstlerisch? Man sollte den Juristen das Definieren verbieten …). Bei Werken der Baukunst (so der Oberste Gerichtshof) sei der Gestaltungsspielraum eingeschränkt (weil eben an der Grenze von Technik und Kunst), sodass das kreative Ausnutzen dieser Variationsbreite über das Vorliegen eines Werks der bildenden Kunst entscheide. Von Baukunst könne man erst reden, wenn die gestellte Aufgabe auf technisch verschiedene Weise zu lösen und die Ausführung nicht bloß zweckmäßig, sondern zugleich künstlerische Gestaltung sei. Urheberrechtlicher Schutz könne daher nie der zweckbezogenen technischen Konstruktion an sich zukommen, sondern nur dem mit ihrer Hilfe geschaffenen Bauwerk als der Verwirklichung einer künstlerischen Raumvorstellung. Es muss sich um eine „individuelle, eigentümliche Leistung handeln, die sich vom Alltäglichen, Landläufigen, üblicherweise Hervorgebrachten abhebt“. Einer Architektenleistung, die sich in Konstruktionslösungen für eine bei entspre- chenden Wohnhäusern übliche Raumaufteilung und äußere sowie innere Gestaltung und in der Anpassung an die Umgebung erschöpft, fehlt der besondere schöpferische Gehalt. Je mehr ein Bauwerk durch Funktion, technische Konstruktion und Umfeld vorgegeben ist, desto deutlicher muss es sich von durchschnittlichen Lösungen gestalterisch abheben, um Urheberrechtsschutz genießen zu können. Es müssen besondere gestalterische Elemente hinzutreten, die dem Bauwerk sein eigenschöpferisches Gepräge geben, etwa die sich vom Üblichen abhebende Außenflächen- und Fassadengestaltung, die Art der Aufgliederung mehrerer Baukörper im Rahmen eines Gesamtbauwerks, die besondere Gliederung des Gebäudes in verschiedene Trakte mit hervorstechender und differenzierter Gestaltung etc. Und wann beginnt die „Baukunst“? Schon im Kopf des Planers? Viele Werke der bildenden Kunst entstehen im Zuge eines kontinuierlichen Prozesses kreativen Schaffens, weshalb nicht erst die endgültige Form urheberrechtlichen Schutz genießt. Die Formgebung muss allerdings so weit fortgeschritten sein, dass der geistige Gehalt bereits Gestalt angenommen hat und die erforderliche Individualität zum Ausdruck bringt – was bei der bloßen Idee noch nicht gegeben ist. Skizzen und Entwürfe müssen die schöpferische Leistung des geplanten Werks bereits erkennen lassen, wenn auch noch nicht in allen Einzelheiten darstellen. Ab dem Zeitpunkt, zu dem die Idee konkrete Gestalt in der Außenwelt annimmt, beginnt der Schutz des Urheberrechts. Werke der Baukunst sind also grundsätzlich bereits als Entwürfe geschützt. Das ist nicht anders als bei anderen Werken, hier aber von großer praktischer Bedeutung, gehen doch die Entwürfe in Form von Bauplänen bereits durch zahlreiche Hände – auch in digitaler Form. Voraussetzung ist allerdings, dass die individuellen Züge, die das Bauwerk als persönliche geistige Schöpfung qualifizieren, bereits im Entwurf ihren Niederschlag gefunden haben. „Baukunst“ ist auch weiter als „Architektur“; sie bewegt sich an der Grenze von Technik und Kunst und umfasst auch Werke der Ingenieurkunst. Unter der Voraussetzung des kreativen Ausnutzens eines Gestaltungsspielraums sind Modelle, Pläne, Zeichnungen und Entwürfe als Vorstufen von Bauwerken geschützt. Die Form der Darstellung ist dabei ebenso gleichgültig wie der Träger. 12 | 13 Wo Technik endet und „Baukunst“ beginnt

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„Angle“ Fabrice Le Nezet, 2012 Manchmal wird gestritten, wer im frühen Entwurfsstadium welchen Beitrag geleistet hat. Da hilft es, seine Beweise durch sorgfältige Dokumentation zu sichern und schriftliche Vereinbarungen zu treffen. Was uns schon zur nächsten Frage bringt: Wer ist nun Urheber? Ganz einfach: Urheber eines Werks der Baukunst ist jener, der es erschafft – angefangen vom ersten Entwurf. Arbeiten mehrere Urheber an einem Werk, so sind sie, wenn ihre Beiträge untrennbar miteinander verbunden sind, Miturheber, und das Urheberrecht steht ihnen gemeinsam zu. Sind die Anteile identifizierbar und trennbar, so spricht man von Teilurhebern und verbundenen Werken (z. B. das Schaffen verschiedener Gebäudeteile durch verschiedene Architekten). Der Teilurheber hat urheberrechtliche Ansprüche nur für seinen Teil, kann diese aber wiederum unabhängig von anderen Teilurhebern wahrnehmen. Je nach den konkreten Umständen kann – auch ohne ausdrücklichen Vertrag! – durch eine derartige Zusammenarbeit eine Gesellschaft Bürgerlichen Rechts entstehen, was grundsätzlich schon dann der Fall ist, wenn zwei oder mehrere ihre Arbeit vereinen, um einen gemeinsamen wirtschaftlichen Erfolg (nämlich Gestaltung und Verwertung eines urheberrechtlich geschützten Werks) zu erzielen. Anstatt ungewollte gesetzliche Regelungen übergestülpt zu bekommen, empfehlen sich für jeden Fall der Zusammenarbeit mehrerer Kreativer vertragliche Regelungen, die die wechselseitigen Rechte und Pflichten im Verlauf von Planung und Bau und für die nachfolgende Verwertung (einschließlich der Entscheidung darüber, wie das Werk am Schluss auszusehen hat) klarstellen. Gibt ein anderer dem Architekten seine klaren Vorstellungen vor, so verbleibt (auch wenn der Anweisende Hundertwasser heißt) meist doch noch ein gestalterischer Spielraum. Nützt der Architekt diesen Spielraum durch künstlerische Ausgestaltung, so erwirbt er Urheberrechte am Plan und damit auch an dem nach diesem Plan errichteten Bauwerk. Dass der Architekt dem Bauherrn nicht unbedingt einen fertigen Entwurf auf den Tisch knallt, sondern Bauen oft etwas Prozesshaftes ist, in dem der Dialog zwischen Bauherrn und Architekten wesentlich ist, nimmt dem Architekten nicht die Urheberschaft. In aller Regel ist es immer noch der Architekt, der die gemeinsam gesponnenen Ideen in konkrete Formen gießt. Bleibt für den (meist angestellten) Architekten überhaupt kein Spielraum zur Verwirklichung eigener künstlerischer Ideen und beziehen sich die Anweisungen nicht nur auf die künstlerische Grundausrichtung, sondern auch auf die architektonischen Details in ihrer konkreten Ausformung, so ist er Gehilfe und nicht Miturheber. N Wo Technik endet und „Baukunst“ beginnt

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Open Source: „Let the revolution begin“ | Wie ein neues Verständnis der Zusammenarbeit die Gesellschaft verändern will In den Augen von Marcin Jakubowski beginnt die Zivilisation mit einem Traktor. „Civilization Starter Kit“ nennt er sein Kompendium an Bauanleitungen für einfache Maschinen, das auch eine solche Landmaschine beinhaltet. Ein Betonmischer ist dabei und Solarpaneele. Kosovo eine Behausung ersinnen, als die Kosovaren selbst? Wer könnte besser Gemeinschaftszentren in Kenia bauen als Kenianer. „Nicht designen! Bauen!“, fordert Sinclair. Dazu müsse man den Betroffenen lediglich das richtige Werkzeug in die Hände geben: Architektenwissen als Open Source. Diese Offenheit ermuntere zudem die Einheimischen, beispielsweise bei der Errichtung eines Gemeindezentrums anzupacken, statt lediglich vom UN-Flüchtlingshilfswerk Planen aufspannen zu lassen. Weil es dem Polen darum geht, der Menschheit von Nutzen zu sein, macht er jedes Detail seiner Konstruktionsskizzen öffentlich. Mathias Rittgerott, Journalist und Diplomgeograf. Er schreibt als freier Autor für den Stern und ist Mitarbeiter der Reportagenagentur Zeitenspiegel. Er lebt in Stuttgart. Jakubowski ist damit ein Vorreiter einer Open-SourceBewegung, in der längst nicht mehr nur Softwareprogrammierer mitmarschieren, sondern auch Leute, die an Hardware arbeiten. Selbst Designer und Architekten sind unter ihnen. Jeder kann Farmer werden, auch ohne Investitionen in „John Deere“ oder „Fendt“, ermuntert Jakubowski. Dabei geht es den Open-Source-Verfechtern nicht primär darum, von Konzernen unabhängig zu werden und den Slogan abzustauben: Small is beautifull. Sie sehen sich eher einer Graswurzelbewegung verpflichtet, bei der jeder mitwirken kann, Dinge – hart oder soft – zu verbessern. „Probleme sind lokal, Lösungen sind lokal“, sagt Cameron Sinclair während eines TED-Talks, der Vortragsreihe eines Thinktanks. Es seien nicht Experten in fernen Studierstuben, die erfolgreich an Aufgaben herangehen, sondern das Kollektiv lokaler Experten, welcher Fachrichtung auch immer, womöglich ohne formale Ausbildung. Wer wüsste nicht am besten, wie Flüchtlinge im Die Vorstellung vom Alleskönner Dorf scheint etwas romantisch und gegen Experten gerichtet. Das soll sie aber nicht. Open-Source-Anhänger trachten keinesfalls danach, professionelle Könner auszuschließen. „Weit davon entfernt, den traditionellen Architekt zu ersetzen, zielt das Projekt darauf ab, es Designern zu erlauben, auf einem völlig neuen Weg zusammenzuarbeiten. Auf einem Weg, der fünf Milliarden potenziellen Kunden Zugang zu ihren Fähigkeiten und Wissen eröffnet“, ist bei www.architecturforhumanity.org zu lesen. Architekten, Designer, Ingenieure sind genauso eingeladen mitzuwirken wie Lokalpolitiker, Regierungsvertreter, Technologiepartner, Lehrer, NGOs. So vernetzt sollen „Hunderte von Tausenden von Ideen“ entstehen, wie Bauwerke die Lebensbedingungen in Kenia und China verbessern – aber auch in Holland. Open-Source-Architektur beschränkt 1 Parallel zur „Open-Hardware“ ist Arduino ein Code, der ebenfalls im Sinne von Open-Source von zahlreichen Teams verbessert und weiterentwickelt wird. 2 Marcin Jakubowski begeistert überall Menschen mit seiner Idee einer „open-sourceecology“, die Landwirtschaft müsse seiner Meinung nach wieder kleiner und unabhängiger werden. 3 openarchitecture.org versteht sich als Plattform für Know-h ow-Transfer und als Treffpunkt für Menschen, die ihre Umwelt mitgestalten wollen. Schlafsäle der CDC School in Mae Sot, Thailand von Albert Company Olmo, Jan Glasmeier und Line Ramstad 14 | 15 Open Source: „Let the revolution begin“

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sich nicht auf arme Länder, wo der Ansatz helfen kann, Kosten niedrig zu halten. Wenn viele Teilnehmer rund um die Welt Ideen testen, Designs zeigen und Verbesserungen einbringen, können die Ergebnisse besser sein, als wenn lediglich Mitarbeiter eines Büros zusammen an einem Projekt arbeiten und sich bei Wettbewerben als Konkurrenten aus dem Feld schlagen wollen, ja müssen. „Let the revolution begin“, schallt es, etwas übermütig, aus der Open-Source-Gemeinde. Das klingt nach linken Parolen. „Produktionsmittel in Arbeiterhand“ lässt sich Jakubowskis Vision zusammenfassen. der Fötus bewegt (und ein Stuhl, der twittert, wenn auf ihm gefurzt wird). Alle diese mehr oder minder sinnvollen Ideen wären ohne Open Source kaum umgesetzt worden. Die Arduino-Erfinder sind besonders stolz, wenn jemand dank ihres Open-Source-Controllers erfolgreich ein Unternehmen gründet. Open Source heißt nämlich nicht „kostenlos“ und ohne Gewinnstreben. Für eine Spezialuhr wollte ein Start-up bei Kickstart 70.000 Euro einsammeln. Am Ende wurden zehn Millionen geboten. Bei genauem Hinsehen findet man Open-SourceProjekte jeder Größenordnung. Die NASA rief „clickworker“ auf, für die Marsmission Tausende Krater zu kartieren. Am Betriebssystem „Linux“ haben 65.000 Softwareprogrammierer gemeinsam geschrieben. Massimo Banzi sieht in Open Source eine Befreiung von Hindernissen. „You don’t need anyone’s permission to make something great“, sagt der Italiener. Er hat 2005 den Mikrocontroller „Arduino“ entwickelt. Mit dieser Platine könne „jedes Kind“ Elektrogeräte erfinden, Banzis Zielgruppe waren jedoch zunächst Designstudenten, die sich beklagten, keinen geeigneten Elektro-Experimentierkasten für ihre Ansprüche zu finden. Wie Arduino funktioniert, hat Banzi bis ins kleinste Detail online veröffentlicht. Jeder mit ein bisschen technischem Verständnis kann nicht nur die Expertise der Erfinder nutzen, sondern auch auf die anderer Nutzer zurückgreifen, denn die sind verpflichtet, zugänglich zu machen, wie ihr Gerät funktioniert. „Hardware wird geteilt wie ein Kulturgut, wie ein Lied, wie ein Gedicht“, sagt der Italiener. Allein der Name „Arduino“ ist geschützt. Der Ideenreichtum der Nutzer ist faszinierend. Da wurde ein Quadrocopter gebaut, eine Playstation-Steuerung für einen körperlich Behinderten, ein Gürtel für Schwangere, der twittert, sobald sich Eine Lücke, die einer ließ, füllte ein anderer. Einen Fehler, der einem unterlief, korrigierte ein anderer. Das ist eines der Erfolgsgeheimnisse. Initiator Linus Benedict Torvalds hatte in seinem Aufruf schlicht geschrieben: „Anregungen willkommen, ich kann jedoch nicht versprechen, sie zu benutzen.“ Doch zuweilen bremsen Patente, Lizenzen und Copyright den Erfindungsdrang von Einzelkämpfern und Kleingruppen. Geistiges Eigentum wird als Nemesis für Open Source beschrieben, weil sich beide gegenseitig bedrohen. Traditionell wird jede noch so kleine Entwicklung, jedes Detail patentiert. Das ist für Unternehmen und Forscher die Rückversicherung, dass sie nicht viel Geld in Forschung investieren und die Ergebnisse von Konkurrenten Open Source: „Let the revolution begin“

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kopiert werden. Beschränkungen haben unzweifelhaft ihre Vorteile: Sie können wie ein Gütesiegel Qualität versprechen. Open-Source-Streiter beklagen hingegen, Copyright und Patente schnürten Ideen ein, weil sich Entwickler als Konkurrenten sehen und das Ziel, ein Produkt zu verbessern, aus den Augen verlieren. Das Verhältnis zwischen geistigem Eigentum und geistiger Freiheit sei aus der Balance geraten. Der Unternehmer Richard Jefferson spricht von Verkalkung. Milliarden würden unproduktiv dafür ausgegeben, zu schützen, was gemeinsam genutzt werden könnte. Von Patenten als „Angriffswaffe“ ist gar die Rede. Während traditionell „All rights reserved“ gilt, kann bei Open Source etwas holprig von „All rights free“ gesprochen werden. Es gibt einen ganzen Satz von Lizenzen, die die Nutzung von Wissen stufenweise wie bei einer Treppe einschränken. Mit „Some rights reserved“ kann man diese Schritte überschreiben. Jeder kann so sein Fachwissen teilen. Auf die Startseite haben Freiwillige keinen Zugriff. „Leute haben ständig Bilder von einem großen Penis daraufgestellt“, sagt Wales. Wie bei Wikipedia ist bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen zentral, dass die Inhalte stimmen. An Open-Source-Publikationen müssen dieselben Maßstäbe angelegt werden wie an die Fachzeitschriften renommierter Fachverlage. Michael Eisen hat ein Projekt ins Leben gerufen, die Früchte wissenschaftlicher Arbeit einfacher zugänglich zu machen – und günstiger dazu. Eisen ist nicht irgendein Biologe, er arbeitet am Lawrence Berkeley National Laboratory und hat sich mit dem StanfordBiochemiker Pat Brown und dem Medizin-Nobelpreisträger Harold E. Varmus zusammengetan. Ihr Projekt ist die „Public Library of Science“ (PLOS). Deren User können dort Artikel lesen, downloaden, kopieren, verteilen, drucken, suchen, verlinken. Dass Erfinder, Planer, Designer Verantwortung tragen für ihr Tun, scheint logisch. Ganz gleich, ob Open Source oder patengeschützt. Ein falsch eingetragener Marskrater ist unproblematisch. Eine Fehlfunktion der automatischen Gießkanne, die twittert, wie es der Yucca geht und ob sie Wasser braucht, mag schlimmstenfalls dazu führen, dass die Pflanze eingeht. Verheerende Folgen könnte es indes haben, wenn das Erdbeben-Warnsystem eines 14-jährigen Chilenen spinnt. Kaum auszudenken, was passieren würde, wenn das Gerät fälschlicherweise vor einem starken Beben warnt und Menschen Hals über Kopf flüchten. Der Junge hat stolze 280.000 Follower, die ihm vertrauen. Komplizierter wird es, wenn ein Schaden entsteht, weil die Arbeit des Nutzers schlecht war, auf der die eigene Entwicklung fußt. Doch auch hier gibt es Sicherungssysteme, indem der Schwarm der Nutzer Fehler aufspürt und behebt. Ein Musterbeispiel ist das Onlinewörterbuch „Wikipedia“. Eine erste Version namens „Nupedia“ scheiterte. Die Hürden, einen Beitrag zu veröffentlichen, waren zu hoch. Es genügte nicht, sich zu registrieren. Autoren mussten vielmehr sieben bis acht Runden an Verifikation durchstehen. „Nach zwei Jahren und einem Batzen Geld hatten wir zwölf Artikel“, sagt der Visionär Jimmy Wales. Jedes Wort der Texte stimmte hundertprozentig, doch diese penible Qualitätskontrolle war zwecklos. Wales trug die Verantwortung – für ein Dutzend Texte. Beim zweiten Anlauf setzte Wales auf Wiki, eine Open-Source-Software, die Änderungen online ermöglicht. „Wikipedia“ gehört heute zu den wichtigsten Webpages überhaupt und funktioniert streng nach dem Prinzip der Öffentlichkeit. Jeder kann einen Artikel verfassen, jeder kann ihn weiterentwickeln, wobei jeder überprüfen kann, ob ein Artikel stimmt. Das Ganze geschieht ohne Honorar. Diese Offenheit mache (von Steuerzahlern bezahlte) Wissenschaft für die Allgemeinheit zugänglich. Zunächst hatte PLOS damit zu kämpfen, dass Veröffentlichungen in „Science“ oder „Nature“ mehr Gewicht haben und akademischen Ruhm versprechen. Das änderte sich dadurch, dass Forscher der Eliteuniversitäten von Harvard, Princeton und Yale in der freien Bibliothek Artikel veröffentlichten. Open Source trägt mit Erfolgen wie Wikipedia, Linux, Arduino nicht mehr den Makel, eine vermeintlich leichtgewichtige Versammlung zweitrangiger Möchtegern-Experten zu sein. Open-Source-Projekte können Gewicht haben. Sei es eine Fachbibliothek, Unterkünfte für Flüchtlinge, Platinen für Elektrobastler oder ein Traktor. Wer sich den Trecker von Jakubowski anschaut, hat überdeutlich das Grundgesetz von Open Source vor Augen: Die Methode ist revolutionär, nicht unbedingt die Ergebnisse. N www.opensourceecology.org www.openarchitecturenetwork.org www.arduino.cc 16 | 17 Open Source: „Let the revolution begin“

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Teamarbeit macht klug. Teamarbeit macht blöd. | Was macht den Unterschied? Wolfgang Pauser beschäftigt sich als Kulturwissenschaftler, Autor und Berater mit Konsum, Produkten, Marken und Märkten. In den 90er-Jahren schrieb er Kolumnen über Konsumwelten für Die Zeit und unterrichtete Architekturtheorie am Institut für Wohnbau und Entwerfen an der TU Wien. Der Kapitalismus hat den Kollektivismus besiegt. Zumindest, so weit dieser sich hinter dem Eisernen Vorhang befunden hatte. Mittlerweile hat der Kollektivismus eine neue Heimat gefunden: das Büro. Im Herzen des Kapitalismus, der Firma, der Organisationsform, der Arbeitswelt hat er sich eingenistet. Und neue Namen bekommen. Flache Hierarchie, Lean Management, Teamwork, Projektarbeit, Open Source, e-Collaboration, Crowdsourcing, Partizipation, Selbstorganisation, Schwarmintelligenz und Open Innovation prägen das aktuelle, vielleicht auch nur das modische Bild des Produzierens. Manche feiern diese Entwicklung als Demokratisierung und Aufwertung des Individuums. Andere mahnen, die Gewinne der Massenproduktion würden mit zunehmender Größe eines Unternehmens von dessen Verwandlung in einen basisdemokratischen Debattierclub aufgezehrt. Dort würden sinkende Reallöhne mit der Gelegenheit, sich in „Meetings“ wichtigzumachen, aufgewogen. Soweit es um bloße Reproduktion geht, möge die Bilanz in dieser Frage von Betriebswirten gezogen werden oder auch von stilistischer Präferenz. Ausgangspunkt des Neuen, und damit jeglicher Entwicklung, sei „der Mensch“, heißt es in gut humanistischer Tradition. Dies meinte die Figur eines bürgerlichen Individuums männlichen Geschlechts in der seltenen Sonderform des sogenannten Originalgenies. Im Reich der Technik trat dieses hervor als Erfinder. In der Welt des Bauens als „der berühmte Architekt“. Beide sind still und heimlich von der Weltbühne verschwunden. Technische Produktentwicklung findet im Teamwork statt. Nicht in der Garage, nicht im Dachbodenstübchen, sondern in großen Firmen. Diese schreiben sich auch im Fall des Gelingens den Erfolg auf die Fahnen. Die einfallsreichen Angestellten bleiben anonym und ohne weitere Rechte. Auch aus dem Bauwesen ist der große, geniale Architekt verschwunden. Das mythologische Gedächtnis an ihn halten zwei Nachfolgefiguren aufrecht: der Künstlerarchitekt, vom Feuilleton dafür gepriesen, dass er kaum baut, weil seine Position zu innovativ, diskursbezogen, exzentrisch, radikal oder originell ist. Und der Stararchitekt. Star kann nur noch sein, wer hundert Leute hinter sich hat, die in weitgehend selbstständiger Teamarbeit Bauten gestalten, die unter einem gemeinsamen Namen vermarktet werden. Der Stararchitekt ist ein Marketing- und Medienphänomen, seine Aufgabe liegt im Repräsentieren, Netzwerken und Verkaufen. Sein Name ist nicht mehr der eines Architekten, sondern die Marke eines Großbüros. Ausnahmen bestätigen die Regel. Diese wird vorgegeben von der Globalisierung nicht nur der Konkurrenz, sondern auch der Medien. Erst ab einer gewissen Größe wird man zum „Player“. Erst ab einer gewissen Kapitalisierung lässt sich für eine Marke breite Aufmerksamkeit gewinnen. Mit dem Verschwinden der einsamen Heldenfiguren Erfinder und Architekt haben sich die Produktionsweisen der einst so verschiedenen Arbeitsfelder Technik und Baukunst einander angenähert. Gearbeitet wird in wechselnden Teams, zusammengestellt für einzelne Projekte. Weder despotische Chefs noch autoritäre Abteilungsleiter machen Vorschriften, sondern meist sehr junge „Projektmanagerinnen“ stimmen Arbeitspakete ab, laden ein zu Meetings, vereinbaren Prozesse und Timelines, moderieren Debatten und beschwichtigen Konflikte, motivieren zum Durchhalten und erinnern die Mitglieder der Teams an nahende Abgabetermine. Bloßes Ausführen ist nur noch das Schicksal der Praktikanten. Und da deren Tätigkeit nicht bezahlt wird, braucht man sie auch nicht mehr unter Arbeit subsumieren. Arbeit im engeren Sinne erfolgt selbstgesteuert, zumindestens dem Anschein nach. Pflicht ist nur, per Du zu sein und sich im Habitus privat, relaxed, gutgelaunt und im sportlichen Sinne leistungslustig zu präsentieren. Die Bereitschaft dazu schreibt man mit dem Wort „teamfähig“ in den Lebenslauf. Nicht nur die Arbeitsweise in partizipativen Projektteams verbindet nun Ingenieur- und Architekturbüros, sondern auch die daraus entstehende Notwendigkeit, die verloren gegangene Erfinderoder Architektenpersönlichkeit durch eine Marke zu ersetzen. Bei Ingenieuren und Architekten jedoch steht die Neuproduktion zur Debatte. Hier als technische Innovation. Dort als baukünstlerisches Werk. Das Publikum, Medien wie Märkte, dulden nämlich die neue Autorlosigkeit innovativer Hervorbringungen keineswegs. Für deren Außensicht muss daher eine fiktive Persönlichkeit eigens konstruiert und werblich kommuniziert werden. Die Firma entzieht als juristische Person schon im Arbeitsvertrag ihren Mitarbeitern alle Rechte an deren Ideen, um diese gebündelt für sich zu verwerten. Dieser Verlust an Autorschaft geht jedoch Hand in Hand mit einer verstärkten Teamarbeit macht klug. Teamarbeit macht blöd.

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Peter Kogler Ohne Titel (Hirn), 2008, Lack auf Aluminium; Unikat, 140 x 140 cm / 55 x 55 in, Courtesy Gallerie Nikolaus Ruzicska, Salzburg Wiederkehr des Mythos vom singulären Urheber dort, wo es um die Propaganda der „Markenpersönlichkeit“ geht. Die Urheberschaft, eben erst zu Grabe getragen von allerlei Begeisterungen fürs Demokratische, Kollektive und Egalitäre, wird sogleich wieder exhumiert und als geschminkte Leiche auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten zur Schau gestellt, um für das Produkt und die Verwertungsrechte daran den Mehrwert eines Markenprodukts zu lukrieren. Gleichzeitig entwickeln sich Urheber- und Patentschutz in entgegengesetzte Richtungen. Von Amerika aus verbreitet sich die Tendenz, den Begriff des Patents auszuweiten. Was bisher dem spezifisch technischen Effekt vorbehalten war, soll nun vermehrt auch Geschäftsmodellen, runden Ecken und Pflanzensamen als Schutz vor Nachahmung zur Verfügung stehen. Die gegenteilige Tendenz ist in der Entwicklung des Urheberrechts an künstlerischen Werken zu beobachten. Im Internet hat sich eine spezielle Kultur und rechtspolitische Überzeugung entwickelt, die am liebsten jede schöpferische gestalterische Leistung als Gemeingut gratis zur Verfügung gestellt sehen will. Genährt wird diese Bewegung zur Abschaffung des Urheberrechts von der Funktionslogik des Computers, einer Kopiermaschine, die, wie manche meinen, Kopierschutz prinzipiell technisch unmöglich macht. Angesichts dieser divergenten Entwicklung von Patent- und Werkschutz ist es wenig verwunderlich, dass 2007 ein Architekt, der Schweizer Hans Zwimpfer, einen Grundriss zum Patent angemeldet hat, um diesen dann unter der Marke pile up™ zu verwerten. Nicht nur das rechtliche, auch das ideologische Chaos ist nach dem „Tod des Autors“ und seinem Wiederaufleben als geschützte Marke beträchtlich. Die Begründungen, warum an eine innovative Hervorbringung Rechte geknüpft sein sollen oder nicht, folgen nicht der Logik, sondern der Machtposition auf dem politischen und ökonomischen Feld. Waffengleichheit ist zwischen Saatgutkonzernen und Musikern nicht gegeben. Doch wie gut funktioniert sie, was leistet sie, die anonym im Team erschaffene Innovation? Sind zehn Köpfe klüger als einer oder verderben viele Köche den Brei? Erst kürzlich konnte ich an zwei Kreativworkshops teilnehmen. Im ersten ging es um die Entwicklung einer Marke, im zweiten um technische Produktentwicklung. Die Effekte der Teamarbeit auf die Qualität des Ergebnisses könnten verschiedener nicht sein. Ein Schweizer Markenberater lud mich zu einem Workshop ein. Dort versammelten sich die Topmanager des auftraggebenden Unternehmens, 18 | 19 Teamarbeit macht klug. Teamarbeit macht blöd.

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Brandingexperten und Kreative. Ein Moderator führte durch den Prozess. Er stellte Fragen nach der Identität, nach Eigenschaften, Zielen, Märkten und Qualitäten, sowohl des Produkts als auch des Unternehmens. Im Brainstorming schrieben die Teilnehmer ihre Antworten in Form einzelner Worte auf Kärtchen. Diese wurden an die Wand gepinnt und in einer zweiten Runde gemeinsam evaluiert. Jede Stimme, jeder Einfall zählte gleich viel, ausgewählt wurde demokratisch. Zumindest in den ersten Runden. Das letzte Wort hatte der Boss. Obwohl durchwegs intelligente Menschen involviert sind, scheint das Verfahren geradezu dafür angelegt, Nonsens zu produzieren. Schon beim Brainstorming wird niemandem länger als 20 Sekunden Zeit zum Nachdenken gewährt, wie um die Wette purzeln die ersten Einfälle hervor. Es sind die häufigsten in Medien kolportieren Klischees zum Thema. Wie könnte es anders sein? Manager zeigen sofort eine kindische Lust daran, zwei Stunden lang „Werber“ spielen zu dürfen. Und sich selbst zu beweisen, dass sie Sprüche von der Sorte, die sie täglich in der Werbung hören, auch selbst „kreativ“ hervorzubringen imstande sind. Ausgewählt wird dann, was in dem Sinne „toll klingt“, dass es genau wie die Werbung aller anderen Marktteilnehmer klingt. Aus geschäftlichen Gründen tut jede Brandingagentur gut daran, ihrem Kunden die Euphorie beim Wettlauf ums schärfste Eigenlob nicht zu ver- miesen. Ist es dem Moderator gelungen, Konsens über jene „Markenattribute“ und „Begeisterungseigenschaften“ herzustellen, die künftig die „Markenpersönlichkeit“ charakterisieren sollen, bleibt ihm noch die schwierige Aufgabe, die immer gleichen Klischeeworte (kundenorientiert, nachhaltig, motiviert, wachstumsorientiert, leidenschaftlich, modern …) so zusammenzumontieren, dass sich Aussagen formulieren lassen, die zumindest im Moment der Abnahme durch den Kunden diesem als einleuchtend erscheinen. So entstehen Dokumente, die niemand verstehen kann, der bei den Workshops nicht mit dabei war. Am Ende wird ein Logo gestaltet, von dessen beliebiger Form behauptet wird, sie sei „die Umsetzung“ der erarbeiteten Markenpersönlichkeit. Der Vorteil dieses Verfahrens liegt in der Kürze des Wegs zur Konsensbildung. Für zerstrittene Führungsetagen ein wahrer Segen! Die Schwäche liegt darin, dass nur der kleinste gemeinsame Nenner aller Gedanken das Rennen macht. Dieses läppische Ergebnis kann jeder überprüfen, der sich die Mühe macht, im Internet die MissionStatements und Markenphilosophien großer Unternehmen zu vergleichen: Man liest in tausend schlechten Formulierungen den immer gleichen Text. Einen Text, dessen einzige Funktion es ist, vom Mitbewerb unterscheidbar zu machen. Peter Kogler Ohne Titel, 2008, Lack auf Aluminium; Unikat, 140 x 140 cm / 55 x 55 in, Courtesy Gallerie Nikolaus Ruzicska, Salzburg Teamarbeit macht klug. Teamarbeit macht blöd.

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Peter Kogler Ohne Titel (Glühbirne), 2008, Lack auf Aluminium; Unikat, 140 x 140 cm / 55 x 55 in, Courtesy Gallerie Nikolaus Ruzicska, Salzburg Geschockt vom Erlebnis dieser planmäßigen Verblödung mittels Teamarbeit reiste ich, den Koffer voller Vorurteile, zum Kreativworkshop eines Anbieters von Innovationsmanagement, der den Prinzipien von „Open Innovation“, insbesondere der „LEAD User Methode“, folgt. Dabei werden Kunden gesucht, die das Produkt des Auftraggebers aus eigener Initiative abändern, ergänzen oder weiterentwickeln. Bastler, Tüftler, Hobbyerfinder ebenso wie Entwickler aus vergleichbaren Technikgebieten. Vertreter des Auftraggebers sind in der Minderzahl. Das Brainstorming erfolgt in kleinen Runden, deren Teilnehmer nach jeweils 20 Minuten ausgewechselt werden. Die Fragestellungen werden von Team zu Team weitergereicht und weiterbearbeitet. Nach zwei Tagen waren fünf innovative Produkte entwickelt und in ihren Marktchancen evaluiert. Das Teamwork hatte funktioniert! Besser als jeder Einzelne, besser auch als jedes Team innerhalb einer Organisation. Offenbar ist die bei Ameisen und Bienen entdeckte Schwarmintelligenz nicht umstandslos auf Menschen übertragbar. Die Innovationskraft von Köpfen wächst keineswegs automatisch mit ihrer Zahl. Auch wenn Neuronen einzeln dumm und erst verschaltet intelligent sind, ist daraus nicht zu folgern, dass man zum „Superbrain“ gelangt, bloß weil man Menschen zusammenarbeiten lässt. Bei technischen Aufgaben funktioniert Open Innovation, weil jeder Einzelbeitrag vom Team sofort und vollständig rational nachvollziehbar ist. Weil die Komplexität zwar hoch, aber doch endlich und in Komponenten zerlegbar ist. Wesentlich zum Erfolg trägt auch das Fehlen sozialer und ökonomischer Beziehungen zwischen den Teilnehmern bei. Der Brandingworkshop hingegen scheiterte nicht nur an den sozialen Beziehungen zwischen den Akteuren, sondern primär, weil die Erzeugung von neuem Sinn nur von Menschengehirnen leistbar ist. Ein solches Hirn muss dann auch nachdenken dürfen, ohne in dieser seiner Spezialkompetenz von anderen systematisch behindert zu werden. Mein Fazit aus den beiden Workshop-Erlebnissen ist paradox: Teamwork wurde erfunden, um das Arbeiten menschlicher und sozialer zu machen. Seine besten Ergebnisse bringt es, wenn man Gruppendynamik unterbindet und die Teammitglieder voneinander isoliert. N 20 | 21 Teamarbeit macht klug. Teamarbeit macht blöd.

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Die Dekonstruktion des Architekten | Ein Streifzug durch die gebaute Welt ohne Urheberschaft. Wojciech Czaja geboren 1978 in Ruda Slaska, Polen, ist freischaffender Architekturjournalist und arbeitet vor allem für Der Standard. Seit 2011 ist er Gastprofessor an der Universität für Angewandte Kunst. Kürzlich erschien im Verlag Anton Pustet „Zum Beispiel Wohnen“. Das britische Wirtschaftsmagazin The Economist zeichnet sich durch eine klare, einfache Sprache aus. Die Texte kommen ohne Metaphern aus, die Sätze sind kurz und prägnant, nach Fremdwörtern sucht man vergeblich. Doch die größte Besonderheit der wöchentlich erscheinenden Zeitschrift: Die Urheber der einzelnen Artikel werden der Öffentlichkeit nicht bekanntgegeben, alle Texte werden anonymisiert abgedruckt. Im Fokus steht einzig und allein die Qualität des Mediums. Oder, wie im Style Guide auf der Economist-Website nachzulesen ist: „Wir garantieren eine einheitliche Sprache, ganz so als wären alle Artikel von einem einzigen Autor geschrieben. So kann sich der Leser besser auf die Inhalte konzentrieren.“ The Economist ist einzigartig auf diesem Gebiet. Der Verzicht auf Autorenschaft ist in der Creative Industry nur selten zu finden. Bestenfalls noch kann man sich auf den 1988 verstorbenen Architekten Bernard Rudofsky beziehen, der den Begriff der „Anonymen Architektur“ prägte. In seinem 1964 erschienenen Buch Architecture Without Architects. A Short Introduction to Non-Pedigreed Architecture (deutsche Fassung 1989, Residenz Verlag) widmet er sich all jenen Bauten, die fernab von Medienrummel und kulturellem Wert den Großteil unserer gebauten Umwelt ausmachen. Der Berliner Architekt und Künstler Lukas Feireiss bietet an der Freien Universität Berlin derzeit sogar einen eigenen Kurs an, um sich mit den Gegebenheiten informellen Schaffens vertraut zu machen: Architektur ohne Architekten. Im Englischen gibt es dafür den Begriff der vernacular architecture. Im Deutschen müssen wir stammeln und umschreiben. Die Suche nach der auch außerhalb des angloamerikanischen Raumes gelebten Idee anonymen Schaffens zieht weite Kreise mit sich. Es ist just der Südtiroler Medienzampano Matteo Thun, der die Idee anonymer Autorenschaft für sich beansprucht – und damit auch lautstark wirbt. „Seit 1995 entwerfe ich nur noch anonym“, sagt Matteo Thun in einem Interview unter vier Augen. „Es steht nirgends mehr mein Name drauf. Ich bin ein entschiedener Gegner des Autorendesigns und der Autorenarchitektur. Vielmehr glaube ich an eine Qualität, die ohne Autorenschaft auskommt.“ Zwar stimmt es, dass auf den von ihm entworfenen Espressotassen für Meinl, Illy und Lavazza nirgends mehr sein Name zu finden ist, doch wo Matteo Thun drin ist, da kann man sicher sein, dass die Auftraggeber alles Erdenkliche tun, um diese Investition in die Marke auch entsprechend sichtbar zu machen. Immer wieder rühmen sich die Produzenten mit der Handschrift des italienischen Universalgenies. Schaden tut’s nicht. Das beweist auch das Niedrigenergiehaus O sole mio, das nach vielen Jahren immer noch das stolze Aushängeschild des mittlerweile insolventen Fertighausproduzenten Griffner Haus ist. Von Anonymität keine Spur. Und in seinem kürzlich erschienenen Buch Matteo Thun. The Index Book sieht man 270 Seiten lang großformatige Fotografien seiner bekanntesten Architekturprojekte, aber auch von vermeintlich anonymen Kaffeetassen, Küchenmessern und diversen Kleinutensilien für Wohnen und Büro. Sieht so der Verzicht auf Urheberschaft aus? Der Verdacht liegt nahe, dass es sich bei der namenlosen Zurückhaltung des Mailänder Architekten und Designers nur um eines handelt: um einen richtig guten Marketing-Gag. Die Suche geht weiter. Es gibt in Österreich rund 1,6 Millionen Einfamilienhäuser. Jedes dritte davon ist ein Fertighaus. Pro Jahr werden zwischen Bodensee und Neusiedlersee 4000 bis 5000 Häuser von der Stange verkauft, Tendenz steigend. 34 Prozent davon werden allein in Niederösterreich errichtet, wo auch die meisten Mitglieder des Österreichischen Fertighausverbandes beheimatet sind. Anonyme Architektur bezeichnet demnach jenes Segment des Bauens, das ohne Mitwirkung einer professionellen gestalterischen Planung entsteht. Also rund 99,9 Prozent des globalen Bauvolumens. Wahrscheinlich ist der Fertighausbau in diesem Land die einzige Branche, die dem Kunden glaubwürdig die Illusion zu vermitteln mag, sich für wenig Geld Individualität einkaufen zu können. Und das trotz standardisierter Bausteine. Die Vortäuschung ersehnter Tatsachen ist perfekt. Mittlerweile gibt es sogar schon ein eigenes Jobprofil, das eigens für diese Sparte zugeschnitten wurde. Seit 2002 kann man beim Österreichischen Fertighausverband den Beruf des „Fertigteilhausbauers“ erlernen. Probleme mit Anonymität und mit Unterschlagung der Autorennennung darf man bei der Ausbildung freilich nicht mitbringen. Weitaus salonfähiger ist die Anonymität des Urhebers, wenn es um Projekte mit einer entsprechend sozialen Komponente geht. Einerseits kommt bei österreichischen Bauträgern immer häufiger Partizipation, also die Einbindung von Interessenten und Betroffenen in einen Planungsprozess, zur Anwendung. Andererseits haben sich in den letzten Jahren vermehrt Baugruppen gebildet, die es bevorzugen, ein Projekt im Alleingang zu entwickeln und den Architekten beziehungsweise die Architektin nur noch für Beratungsdienste sowie für technische Ausführung und behördliche Abwicklung heranzuziehen. Einmal mehr tritt die planerische Zunft in den Hintergrund. Die Dekonstruktion des Architekten

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„Wenn man mit künftigen Bewohnern partizipativ zusammenarbeitet, dann ist das eine iterative Annäherung an ein vorab noch nicht genau definiertes Endresultat“, meint Franz Sumnitsch von BKK-3. Gemeinsam mit dem kürzlich verstorbenen Architekten Johnny Winter zeichnet er unter anderem für die Wohnheime Sargfabrik und Miss Sargfabrik in Wien-Penzing verantwortlich. „Ich sehe Partizipation vor allem als Kritik am Entwurf sowie als Wunsch und Verbesserungsvorschlag, aber auch als aktive, offensive Mitgestaltung“, so Sumnitsch. „Ob ich das Copyright für mich allein beanspruche? Sicher nicht!“ „Nein, das sehe ich nicht so“, entgegnet der Wiener Architekt Franz Kuzmich. Gemeinsam mit Erich Müller, Martin Wurnig und Ottokar Uhl plante er in den Achtzigerjahren die Wohnhausanlage Wohnen mit Kindern in Floridsdorf. Die Mitsprache ging damals sogar so weit, dass die Eigentümerinnen und Eigentümer ihre Fenster und Balkone mitplanen konnten. „Obwohl die Menschen intensiv in den Planungsprozess involviert sind, würde ich Parti zipation niemals als Reinpfuschen in meine Arbeit sehen. Die Entscheidungen fallen zwar in der Gruppe, aber die tatsächliche Umsetzung dieser Wünsche obliegt immer noch mir.“ Bis heute engagiert sich Kuzmich regelmäßig im partizipativen Wohnbau. Die Wildheit ist zahmer geworden, das Potpourri der Farbenund Formenvielfalt im Vergleich zu damals kleiner und übersichtlicher. Orts- und Kulturwechsel. Nach dem Vorbild von Ärzte ohne Grenzen wurde 2010 die international agierende Organisation Architektur ohne Grenzen gegründet. Zu den aktuellen Entwicklungshilfeprojekten zählen vor allem Sanierungen sowie Wohnbauten, Schulen, Krankenhäuser und diverse andere Gemeinschaftseinrichtungen in Montenegro, Bhutan, Pakistan, Niger, Südsudan und Kivalina, einem 400-Seelen-Kaff im äußersten Nordwesten Alaskas. „Die Urheberschaft spielt in unseren Projekten überhaupt keine Rolle“, sagt Gunda Maurer, Gründerin und Vorsitzende des Vereins mit Sitz in Wien. Wie sensibel diese selbstlose Form von Architektur sein kann, beweist eine in Südafrika angesiedelte Schulbauinitiative von s2arch. In den letzten Jahren errichtete der österreichische Verein in Zusammenarbeit mit Ithuba Capital eine Grundschule in Zonkizizwe im Süden Johannesburgs und eine in Mzamba an der Wild Coast im Eastern Cape. Motto beider Projekte: Eine Gruppe von Architekturstudenten entwickelt gemeinsam einen Baustein zur Schulerweiterung, kümmert sich um die Finanzierung und Ausführung und fliegt anschlie- Der Architekt sei in diesem Fall jene Instanz, die dem Laienpublikum mit seiner Expertise eine Struktur vorgibt, innerhalb ihrer die unterschiedlichen Wünsche dann verarbeitet und in Form gebracht werden können. ßend nach Südafrika, um das Projekt mit eigenen Händen in die Realität umzusetzen. Die Studenten kassieren dafür Noten und Semesterwochenstunden, die Schüler und Arbeitskräfte vor Ort profitieren durch Initiative, Kapital, Perspektive und technisches Know-how. Bis jetzt waren rund zehn Fakultäten aus Österreich, Slowenien und Deutschland am Bau der beiden Ithuba Schools beteiligt – darunter sowohl Universitäten als auch Fachhochschulen mit technischem Schwerpunkt. Zuletzt wurden die Bauabschnitte der TU München und der RWTH Aachen fertiggestellt. Derzeit werden die Baustellengerüste von Architekturstudenten der Hochschule für Angewandte Wissenschaften München (HM) und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) bekraxelt. „Wir wissen, dass die einzelnen Fakultäten mit dem jeweiligen Projekt für sich werben, und das ist auch gut so“, meint der Wiener Gemeinderat und Landtagsabgeordnete Christoph Chorherr, der Ithuba School in Mzamba. Der von Christoph Chorherr geleitete Verein s2arch errichtete gemeinsam mit Architekturstudenten aus Österreich und Deutschland diese Grundschule an der südafrikanischen Wild Coast. Copyrightfragen haben sich bisher keine gestellt. „Wir arbeiten im Team. In unserer Arbeit geht es um Prozesse und Resultate, nicht um Namen.“ 22 | 23 Die Dekonstruktion des Architekten

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den Verein 2004 gegründet hat und seitdem leitet. „Mit dem Copyright hatten wir noch nie Probleme. Aber ich muss gestehen, dass wie die tatsächliche Urheberschaft im Detail bis heute noch nicht geklärt haben. Das Projekt basiert auf Respekt und Vertrauen.“ Respekt vor der Sache haben auch die Einwohner des benachbarten Magagula Townships. Die Slumsiedlung ist voll von winzigen Ziegelbauten und abenteuerlich zusammengeschraubten Blechverschlägen, in denen ganze Großfamilien wohnen. Fertighausbau, Partizipation, Entwicklungshilfe – die typologischen Beispiele für Architektur ohne Autorenschaft lassen sich hierzulande an einer Hand abzählen. Weitaus fündiger wird man in den Medien. Es reicht, eine x-beliebige Tageszeitung, Zeitschrift oder Werbebroschüre eines österreichischen Bauträgers aufzuschlagen. Ab und zu fällt ein hübsch verputztes Lehmhaus mit bunten Fenstern, lustigen Ready-Mades und dekonstruktivistischen Anklängen ins Auge. Der Einfluss des Entwicklungshilfeprojekts ist unverkennbar. „Viele von uns haben beim Bau der Schule mitgeholfen“, sagt einer der Bewohner. „Wenn man da so viele Wochen mit den Studenten zusammenarbeitet, dann bleibt was hängen. Was soll ich sagen? Mir gefällt diese Architektur richtig gut.“ Da wird mit Baufirmen, Finanzinstituten und Dienstleistern geworben, da werden Bauträger, Projektentwickler und sogar Fotografen genannt, doch vom Quell der Architektur fehlt meist jede Spur. „Die Architekten werden fast nie genannt, und das ist erstens rechtswidrig und zweitens eine Sauerei“, sagt der auf Urheberrecht spezialisierte Rechtsanwalt Thomas Höhne. „Das war bei den Fotografen früher auch der Fall, aber da gab es eine stärkere Lobby und eine weitaus aktivere Standesvertretung. Ab und zu haut die Architektenkammer den Medien Die Dekonstruktion des Architekten

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„Ob ich das Copyright für mich allein beanspruche? Sicher nicht!“ Architekt Franz Sumnitsch von BKK-3 über das von ihm und Johnny Winter geplante Partizipationsprojekt Miss Sargfabrik in Wien-Penzing. bereits auf die Finger, aber ganz allgemein gesagt lässt sich diese Zunft viel zu viel gefallen.“ Erst im Mai 2011 brachte die Post eine Briefmarkenserie mit zeitgenössischen österreichischen Bauten heraus. Da sieht man etwa das Kunsthaus Bregenz (Peter Zumthor), das Ars Electronica Center in Linz (Treusch Architecture) oder das Museum Liaunig in Kärnten (querkraft). Zwar bieten die kleinen selbstklebenden Etiketten genug Platz, um den Briefmarkengestalter zu nennen (Prohaska), doch die eigentlichen Urheber dieser Werke müssen sich damit zufriedengeben, wie’s scheint, ein Werk ohne Autor abgeliefert zu haben. Der Verzicht auf Autorenschaft ist in den kreativen Berufen weiter verbreitet, als man meinen würde. Da ist The Economist mit seiner praktizierten Informationstransparenz noch das positivste Exempel von allen. N 24 | 25 Die Dekonstruktion des Architekten

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Stadt ohne Autor | Wie viel Planung braucht der urbane Raum? 1 „Wer baut Wien? Hintergründe und Motive der Stadtentwicklung Wien seit 1989“ von Reinhard Seiß, erschienen 2007 im Verlag Anton Pustet Die Frage nach einem oder mehreren Autoren der Stadt setzt eine zugrundeliegende Fragestellung voraus, nämlich ob Stadt denn überhaupt planbar wäre. An den Enden dieses Antwortspektrums finden sich Standpunkte, die einerseits die Stadt als komplexes, selbst organisiertes System, in dem es keinen Planer geben kann beziehungsweise in dem jeder Bewohner selbst Autor ist, verstehen, andererseits die Stadt als ordnungsbedürftiges Chaos, das der Planung und Reglementierung, eben der Autorität des Autors bedarf, um einigermaßen stabile Formen annehmen zu können, auffassen. So konträr diese Ansätze auch sein mögen, ergänzen sie sich komplementär, und so gilt es, produktiven Prozessen die nötigen Freiheiten in der Transformation und Entwicklung der Stadt einzuräumen und destruktive Entwicklungen, seien sie sozialer, ökonomischer oder ökologischer Art, durch kluge Planungen und Reglementierungen so weit wie möglich einzudämmen. Auch wenn es den mythenumwobenen solitären Planer der Stadt wohl in dieser Form nie gab, bleibt die Frage nach den Autoren bestehen, und so lässt sich zumindest festhalten, dass die Menge aktiver Koautoren und ihre Handlungsräume deutlich zugenommen haben. Dies lässt sich sowohl für die Entwicklung urbaner Großprojekte wie der Neuplanung und Umsetzung gesamter Stadtquartiere als auch für kleingliedrige Projekte feststellen. Einerseits entdeckten internationale Investorengruppen die Immobilienentwicklung als lukratives Aktionsfeld, andererseits wurden in den letzten Jahren zunehmend mehr Stadtbewohner, organisiert in privaten Initiativen, zu aktiven Teilhabern in Entscheidungsprozessen über ihre unmittelbare Umwelt. Immer häufiger treten neben dauerhaften Planungen temporäre Nutzungen brachliegender Areale oder leer stehender Gebäude in den medialen Fokus. Diese Zwischennutzungen ermöglichen Experimente und fügen dem trägen System Stadt einen zusätzlichen dynamischen Zeithorizont hinzu. Bei diesen Gruppen handelt es sich jedoch nur um die an urbaner Teilhabe und Gestaltung am aktivsten beteiligten, nicht zu vergessen sind dabei natürlich die Interessen der Bewohner, die sich eben nicht in aktiver Form engagieren wollen beziehungsweise können. Im Spannungsfeld dieser zum Teil konkurrierenden Interessen findet sich heute Stadtplanung wieder. Den Kern der Aufgabe bildet dabei ein fortlaufender Verhandlungsprozess zwischen kommunalen und ökonomischen Interessen, zur Debatte steht dabei je nach Standpunkt jedoch, wie solche Eingriffe und Regulative aussehen sollen. Dementsprechend definiert die jeweilige Herangehensweise auch die Rolle der einzelnen urbanen Akteure. Das KONstruktiv befragte dazu die Stadt- und Regionalplanerin Wencke Hertzsch, die am Department für Raumplanung der Technischen Universität Wien im Fachbereich Soziologie an Stadterneuerung und Stadtteilmanagement sowie an Partizipation und Kommunikation in Planungsprozessen forscht, den Raumplaner, Buchautor und Filmemacher Reinhard Seiß, dessen Buch „Wer baut Wien?“1 bereits in der 4. Auflage nicht an Aktualität eingebüßt hat, und den seit Jänner amtierenden Wiener Planungsdirektor Thomas Madreiter. N Sebastian Jobst Redaktion KONstruktiv, im Dialog mit: Wencke Hertzsch arbeitet seit mehr als zehn Jahren als Stadtund Regionalplanerin in Berlin und Wien. Seit 2007 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin zum Thema urbaner Phänomene, räumlicher Auswirkungen sozialer Ungleichheiten, sozialund communityorientierter Planung sowie zu kommunikativen und kooperativen Planungsprozessen an der TU Wien. Sie ist als Politikberaterin tätig und veröffentlicht Fachbeiträge. Reinhard Seiß Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist, Produktionen für Fernsehen und Hörfunk. Internationale Lehr- und Vortragstätigkeit, Mitglied des Baukulturbeirats im Bundeskanzleramt sowie der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung. Thomas Madreiter Studium der Raumplanung an der TU Wien. Von 2005 bis 2013 Leiter der Magistratsabteilung 18, Stadtentwicklung und Stadtplanung, 2011 interimistischer Leiter der Magistratsabteilung 20, Energieplanung, seit Jänner 2013 Leiter der Gruppe Planung in der Magistratsdirektion der Stadt Wien, Geschäftsbereich Bauten und Technik. Stadt ohne Autor

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Träumte die französische Revolutionsarchitektur noch von strikt symmetrischen Planstädten, hat sich das Verständnis von Stadt seither grundlegend verändert, als selbstorganisierender und wuchernder Organismus wurde sie oftmals skizziert. Wie viel Planung braucht das System Stadt überhaupt? Wencke Hertzsch Das System Stadt braucht mehr Planung, als es auf den ersten Anschein vermuten lässt. Hat man in der Moderne (Raum)Planung – im Sinne einer Entwicklungsplanung – noch mit den Begriffen allgemein wissenschaftlicher Rationalität, Zukunftsorientierung, Steuerung und Koordination verbunden, um Stadtentwicklung kontrolliert zu gestalten, gelten diese Sichtweisen heute mehr als überholt. So lauten die Leitbegriffe des neuen Denkens bzw. der neuen Realität vielmehr Unsicherheit und Selbstorganisation, Nichtlinearität und Komplexität. Ergänzt wird diese „Unübersichtlichkeit“ durch ein Wachsen des Akteursspektrums. Damit werden auch die Interessen und Verantwortlichkeiten multipler und müssen verhandelt und zusammengeführt werden. Zuweilen treffen auch sehr ungleiche „PartnerInnen“ aufeinander, wenn wir bspw. an die Macht des Marktes und die Bedürfnisse der Zivilgesellschaft denken. Vor diesem komplexen Hintergrund ist es eine öffentliche und in dem Fall kommunale Planungsaufgabe, die Rahmenbedingungen so zu gestalten und auf deren Einhaltung zu achten, dass kommunikative und kooperative Planungsprozesse sowie ein fairer und transparenter Umgang ermöglicht werden, um Stadtentwicklung als Gemeinschaftsaufgabe zu begreifen. Reinhard Seiß Die Stadt ist seit Anfang an das Produkt von Planung. Planung hat dabei nichts mit idealisierten Stadtgrundrissen oder gebauten Veduten gemeinsam. Planung gibt den Akteuren der Stadtentwicklung einen möglichst klaren Rahmen vor, um ihre individuellen Interessen aufeinander abzustimmen, Konflikte zu minimieren und aus der Summe der einzelnen Nutzungsansprüche ein für die Allgemeinheit auch längerfristig dienliches Ganzes zu formen. Wie Städte ohne Planung aussehen, können wir insbesondere in den Randzonen unserer Ballungsräume beobachten. Ohne Planung wird die Stadt auch in Hinkunft nicht auskommen. Die Idee von der Stadt als „sich selbst organisierender und wuchernder Organismus“ halte ich entweder für eine romantische Illusion im Glauben, Planung stehe zwangsläufig im Widerspruch zur Kreativität und Entfaltung der Bürger – was nicht stimmt –, oder aber für eine feige Ausrede jener, die sich und ihre Interessen durch Planung eingeschränkt fühlen: Seien es Politiker und Investoren, seien es Bauträger oder auch Architekten. Thomas Madreiter Die Zeit von Idealstadtentwürfen ist längst vorbei. Stadt ist ein komplexes soziales, technisches, ökonomisches, kulturelles Konstrukt. Das spricht allerdings noch lange nicht gegen eine solide öffentliche Planung im Rahmen von Stadtentwicklung. Diese Planung übersteigt allerdings in zunehmendem Maß reine Gestaltung. Sie widmet sich verstärkt Fragen einer sozialen, ökonomischen und ökologischen Robustheit. Sie erbringt Lösungen auf Basis partizipativer Ansätze, die massiv über herkömmliche Bürgerbeteiligung hinausgehen. Die Rolle der Planer wandelt sich damit. Neben dem nach wie vor unverzichtbaren technischen und rechtlichen Rüstzeug benötigen sie oder er zahlreiche neue Qualitäten: Sie müssen Konflikte erkennen und lösen können, müssen auf Augenhöhe verhandeln können, müssen komplexe Projekte mit modernen Managementmethoden abwickeln können und müssen insbesondere mit Lust und Leidenschaft kommunizieren können. 26 | 27 Stadt ohne Autor

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Während die Schlüsselfiguren der modernen Architektur noch ganze Städte nach ihren Vorstellungen gestalten wollten, scheint diese Vorstellung heute überkommen. Welche Akteure formen Ihrer Meinung nach Städte heute maßgeblicher? Wencke Hertzsch Wir haben uns mit einem veränderten Verständnis von Planung mittlerweile von dem Modell des Machers und Entscheiders in Gestalt von Architekt und Planer verabschiedet bzw. sind zuweilen noch dabei. Heute sind wir mit einem vielfältigen und komplexen AkteurInnenspektrum konfrontiert, in dem Rollen und Macht ganz unterschiedlich verteilt sind. Wichtig erscheint, je nach Anlassfall dieses Spektrum genau zu identifizieren und die eingenommenen Rollen und Absichtserklärungen offenzulegen, um so in einem vor allem kooperativen Miteinander Stadt und Raum gemeinsam zu entwickeln. So bestehen die Realitäten von Stadtentwicklung aus dem Handeln vieler AkteurInnen. Dabei stehen öffentliche AkteurInnen keinesfalls immer im Zentrum von Entwicklungsprozessen. Einer besonderen Bedeutung bei Planungsvorhaben wird heute der Kraft der Zivilgesellschaft zugesprochen. Die Einbindung dieser AkteurInnen hat die „Planungs- und Beteiligungslandschaft“ in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend verändert und somit haben sich auch das Bild und die Rolle von Stadt im Umgang mit ihren BürgerInnen verändert: Partnerschaftlich und bürgerInnenorientiert soll geplant und gestaltet werden. Ein Versprechen, das in der Praxis nicht immer gehalten werden kann. Reinhard Seiß Die Zeiten Otto Wagners oder auch Le Corbusiers sind vorbei – und den totalen Gestaltungsanspruch jener Epochen immer wieder als Schreckensbild einer undemokratischen Stadtentwicklung in die heutige Planungsdebatte hineinzuwerfen ist lächerlich. Die gegenwärtige Ablehnung von Stadtplanung – von zeitgemäßer Stadtplanung – durch maßgebliche Architekten und Planer ist geradezu ein Paradoxon. Sie stellen dadurch ihren eigenen Beruf in Abrede. Und auf politischer Ebene ist das oft hohle Gerede von nötiger Flexibilität in der Stadtentwicklung und der Nichtfestlegbarkeit von Strukturen ein Indiz für die weit fortgeschrittene Verantwortungslosigkeit unserer Entscheidungsträger. Nutznießer dieses Vakuums sind jene, die es vermögen, ihre Interessen in der Stadt durchzusetzen: einflussreiche Grundeigentümer, die Banken und Versicherungen mit ihren auf Immobilien fokussierten Fonds, Projektentwickler mit guten politischen Kontakten, die Bauwirtschaft mit ihrem Totschlagargument der Arbeitsplatzsicherung. Verlierer sind allen anderen voran die nachfolgenden Generationen. Thomas Madreiter Zu meinen, moderne Stadt ist das Ergebnis eines dominierenden Architekten, ist wohl mehr als naiv. Klarerweise sind aber zeitgemäße, moderne Architektur und engagierter Städtebau nach wie vor wesentliche Basisqualitäten eines neuen Stadtteils. Trotzdem sind die Einflüsse etwa von Infrastrukturen und generellen Normsetzungen oft weit bestimmender dafür, welche Art von Stadt letztlich entsteht. Tja, und dann braucht es immer noch jemanden, der investiert und Projekte umsetzen will. Und über all dem steht auch so etwas wie die kulturelle Grundhaltung einer Bürgerschaft zu ihrer Stadt. Wie wir das auch immer gewichten, wir haben es jedenfalls nicht mit dem Produkt eines einzelnen Heroen zu tun. Öffentliche Planung muss hier auf Basis eines holistischen Verständnisses klug und ausgewogen die verschiedenen Akteure integrieren. Stadt ohne Autor

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Die Forderung nach Partizipation wird in der breiten Öffentlichkeit auch in Bezug auf Stadtplanung immer stärker. Welche Modi partizipativer Planungsprozesse sind überhaupt sinnvoll? Wie viel Partizipation tut der Stadtplanung, die auf sehr langfristige und komplexe Prozesse Einfluss nimmt, gut? Wencke Hertzsch Grundsätzlich gilt für mich, dass Partizipations- und Beteiligungsangebote im Sinne eines kooperativen Planungsverständnisses jedem Planungsprozess gut tun. Aber natürlich nicht um jeden Preis. Entsprechende Formate und Angebote müssen sich sinnvoll in entsprechende Planungsvorhaben und –prozesse einfügen, AkteurInnen und PartnerInnen müssen eruiert und adäquat angesprochen werden, und es muss sichergestellt sein, dass die Ergebnisse in den Prozess zurückfließen und Berücksichtigung finden. Partizipation kann dabei auf mehreren Ebenen stattfinden: von der transparenten Information zum Planungsgeschehen als niedrigste Stufe der Partizipationsmöglichkeit über Anhörungs- und Teilhabeangebote bis hin zu ganz konkreten Mitbestimmungs- und Gestaltungsmöglichkeiten als höchste Stufe von Partizipation. Grundsätzlich gilt dabei: WEN will ich WORAN beteiligen und WIE erfolgt die Ergebnissicherung? Auf den ersten Blick eine einfache Frage, doch im Detail sind wir mit heterogenen Zielgruppen, einer Fülle von Beteiligungsformaten und komplexen Planungsabläufen konfrontiert. Insgesamt sind Partizipation und Beteiligung mittlerweile quantitativ im planerischen Mainstream angekommen. Es gibt kaum noch Planungsprozesse, die ohne entsprechende Beteiligungsformate auskommen. Doch ein Diskurs über die Qualität und Angemessenheit entsprechender Formate wird meines Erachtens noch zu wenig geführt und bedarf einer sowohl planungspraktischen als auch wissenschaftlichen Reflexion und Aufarbeitung. Reinhard Seiß Ich denke, als Faustregel gilt: Je lokaler und unmittelbarer eine Planung Niederschlag findet, umso größer sollte die Einbindung der betroffenen Bevölkerung sein. Das kann bis hin zu einer weitreichenden Übertragung der Planungskompetenz an die Bürger gehen. Die übergeordneten und langfristigen Ziele der Stadtentwicklung sollten eigentlich von der Politik und den sie beratenden Planungsexperten vorgegeben werden. Das funktioniert aber nur dann, wenn die planungspolitischen Zielvorgaben sachlich motiviert und am langfristigen Gemeinwohl orientiert sind. Dies war in Österreichs Städten in den letzten 20 Jahren aber nur sehr selten der Fall. Es mangelt dabei vielfach nicht nur an der politischen Kultur, auch der dafür nötige öffentliche Diskurs fehlt aufgrund einer unbefriedigenden bis fragwürdigen medialen Berichterstattung und Reflexion weitgehend. Gelegentliche Volksbefragungen zu – aus dem Kontext herausgelösten – planungsoder verkehrspolitischen Themen ersetzen im Übrigen weder echte Partizipation noch entbinden sie die Politik von ihrer Verantwortung. Thomas Madreiter Stadtplanung ist komplex, oft in der Wahrnehmung von Bürgern kompliziert. Planung muss daher immer erklären, vermitteln, in Varianten und Alternativen denken, letztlich Akzeptanz schaffen. Entscheidend für erfolgreiche Partizipation ist jedenfalls ein umfassendes Akteursverständnis. Insofern gibt es für mich einmal unverzichtbare Basisbestandteile, wie etwa eine angemessene Information, die überhaupt allfällige Partner in die Lage versetzt, zu partizipieren. Dann sind angepasst an die jeweilige Problemstellung Prozesse zu organisieren, die es erlauben, auf ergänzende lokale und sachliche Expertise angemessen zuzugreifen. Das erleichtert – richtig gemacht – Planung ungemein und vermeidet unliebsame Überraschungen. Optimale Partizipation aktiviert Engagement. Daraus jetzt abzuleiten, dass bei jedem stadtplanerischen Vorhaben nächtelang mit Bürgerinnen und Bürgern Pläne zu wälzen sind, wäre aber weit überzogen. Sowohl die zeitlichen Ressourcen der Bürger wie auch der öffent lichen Akteure sind wertvoll und verlangen einen sparsamen und zweckmäßigen Umgang. Die Toolbox ist groß, man muss sich eben angemessen zu bedienen wissen. 28 | 29 Stadt ohne Autor

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Als mediales Schlagwort ist die Zwischennutzung als urbanes Potenzial im Moment sehr präsent. Was lässt sich von den „Zwischennutzern“ für die Stadtplanung lernen? Wencke Hertzsch Natürlich lässt sich von ihnen ein flexibler und vor allem auch unkonventioneller Umgang mit Raumaneignungsprozessen lernen. Überdies können wir im Zuge der Zwischennutzungsdebatte lernen, dass es in Städten Freiräume braucht, um neue Wege gehen zu können: Freiraum zum einen im Sinne eines räumlichen Leerstands, zum anderen auch im Sinne eines gedanklichen Möglichkeitsraums. Viele Städte haben dieses Potenzial bereits erkannt und verbinden mit Zwischennutzungsprojekten einen Motor räumlicher Entwicklung und knüpfen die Hoffnung daran, stadtstrukturelle und sozialräumliche Veränderungsprozesse, die über die konkrete Nutzung hinausgehen, anzustoßen. Von der Ansiedlung temporärer Projekte wird erwartet, dass sie Aufmerksamkeit auf eine bis dato vernachlässigte Immobilie oder sozioökonomisch benachteiligte Nachbarschaft lenken, die Atmosphäre von Innovation und Aufbruch verbreiten und auch Investition von Kapital bewirken. Diese Praxis gerät im Zuge der Gentrifizierungsdebatte zunehmend in Kritik und ist zu hinterfragen. So läuft man auch Gefahr, ZwischennutzerInnen als Aufwertungsmotoren zu instrumentalisieren. Reinhard Seiß Der Charme von Zwischennutzungen offenbart einige zentrale Defizite in unseren Städten: Zum einen sind sie eine temporäre Spielart der weitgehend abhandengekommenen Nutzungsvielfalt beziehungsweise der kleinräumig fehlenden Nutzungsdurchmischung. Zum anderen offenbart die geringe Anzahl an erfolgreichen Zwischennutzungen, wie erschütternd groß der Anteil jener Bauten und Strukturen ist, die aufgrund rechtlicher, vor allem aber baulicher Einschränkungen für jede andere Nutzung als die ursprünglich vorgesehene gar nicht infrage kommen. Das gilt für die fehlende Flexibilität der meisten Zweckbauten seit den 1970er-Jahren ebenso wie für die faktische Unmöglichkeit, Stadtstrukturen wie reine Wohngebiete, Gewerbegebiete oder suburbane Einkaufsagglomerationen in urbane Quartiere zu transformieren. Schließlich verdeutlichen die Schwierigkeiten bei beabsichtigten Zwischennutzungen, wie problematisch insbesondere in Ballungsräumen die in Österreich geradezu sakrosankte Verfügungsgewalt über Grund und Boden durch den jeweiligen Eigentümer ist. Thomas Madreiter Zwischennutzer haben oft Pioniercharakter. Sie erkunden die verborgenen Chancen eines Ortes, finden zu unvermuteten Lösungen. Für mich sind sie so etwas wie kulturelle Kristallisationskerne für eine Stadt. Sie spielen mit dem Bedeutungsoffenen. Die wesentliche Erkenntnis für Stadtplanung liegt für mich daher darin, dass nicht alles ex ante vorherbestimmbar ist, dass sich gewisse Dinge vielmehr entwickeln müssen. Wir müssen auch lernen, Raum für Aneignungsprozesse zu lassen. Und genau das ist städtisch, die minutiös durchgeplante Stadt hingegen wäre notwendigerweise provinziell. Stadt ohne Autor

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JOUR FIXE VERGABERECHT Schramm Öhler Rechtsanwälte veranstalten einmal monatlich einen Vortragsabend zu den Themen des Vergabe- und Baurechts mit den Top-Vergabeexperten Österreichs. Nächste Veranstaltung: Jour Fixe-Special: 18. April 2013, 17.00 Uhr „Neues im Vergaberecht – Die neuesten Entwicklungen in der vergaberechtlichen Gesetzgebung“ mit Fruhmann (BKA) Jour Fixe Vergaberecht | ein Mal im Monat | jeweils Donnerstag ab 17 Uhr Ort: 1010 Wien, Bartensteingasse 2 (3. Stock), Vortragssaal Keine Teilnahmegebühr Weitere Informationen und Programm: Schramm Öhler Rechtsanwälte OG 1010 Wien, Bartensteingasse 2 T: +43 (0)1 409 76 09 www.schramm-oehler.at kanzlei@schramm-oehler.at OPEN SPACES Architektur ist international. Wir auch. Als Marktführer für Glas-Faltwände und Balkonverglasungen bietet Solarlux weltweit innovative Öffnungskonzepte für anspruchsvolle Architektur. Realisieren Sie mit unseren Verglasungslösungen großflächige Öffnungen und transparente Räume – energieeffizient, hochwertig in Technik und Material sowie mehrfach ausgezeichnet im Design. Solarlux liefert jenseits uniformer Standards maßgeschneiderte Lösungen „made in Germany“ für Objekte jeder Größenordnung. In über 50 Ländern der Welt. Wir unterstützen Sie gern mit einem international erfahrenen Team bei der individuellen Entwicklung und Ausführung von Projekten – vom ersten Planungsstadium bis zum Baustellen-Management. YTONG IST FüR SIE DURCHS FEUER GEGANGEN – UND DABEI GANz COOl GEBlIEBEN! YTONG-Brandwand Verbundstein 24 cm unverputzt REI-M 90 YTONG-Zwischenwand Verbundstein 10 cm unverputzt EI 180 YTONG zur Brandabschottung Planstein 7,5 cm unverputzt EI 90 Solarlux Austria GmbH T: +43 (0)512 209023 F: +43 (0)512 908161 www.solarlux.at info@solarlux.at www.ytong.at 30 | 31 Anzeigen

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Überlegungen zur Hofkarte | Klare Eigentumsgrenzen sind keine Selbstverständlichkeit Dietrich Kollenprat geboren 1948, Studium Vermessungswesen an der TU Graz, seit 1978 Ingenieurkonsulent für Vermessungswesen in Klagenfurt , seit 1981 gerichtlich beeideter und zertifizierter Sachverständiger für Vermessungswesen, seit 2006 Vorsitzender der Bundesfachgruppe Vermessungswesen. 1 Grenzkatastergrundstücke sind in der digitalen Katastralmappe (DKM) an der strichlierten Unterstreichung der Grundstücksnummer erkenntlich. 2 Dem Fachmann erscheint diese Rundungsvorschrift bereits überaus schwierig einhaltbar, weil bereits bei einem Grundstück von 100 m Länge die einseitige Nutzungsgrenze genauer als 0,5 m eingehalten werden muss, um nicht fehlerhafte Flächenangaben vorzunehmen. Hier ist zu beachten, dass meist für die Eintragung der Nutzungsgrenze des laufenden Jahres Orthofotos älteren Datums als Grundlage bereitgestellt werden. Grundsätzlich darf man davon ausgehen, dass es sich unter Grundeigentümern herumgesprochen hat, dass die Ersitzung von Teilen von Grundstücken, die gem. § 50 Vermessungsgesetz (BGBl 3.06.1968) im Grenzkataster 1 einverleibt sind, nicht möglich ist. Bei Grundstücken des Grundsteuerkatasters ist allerdings eine Ersitzung von Teilflächen nach wie vor möglich. Oftmals wird die Meinung vertreten, dass für die Ersitzung von Grundstücksteilen der Ablauf der Ersitzungszeit, dies sind 30 Jahre bei privaten (§ 1470 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch) und 40 Jahre bei juristischen Personen (§ 1472 ABGB), ausreicht. Richtigerweise sind die Voraussetzungen einer Ersitzung jedoch eine ersitzungsfähige Sache, ein qualifizierter Besitz und dessen Ausübung während einer bestimmten Zeit. Gefordert wird somit die Redlichkeit und Echtheit des Ersitzenden. Redlicher Besitzer ist derjenige, der aus wahrscheinlichen Gründen die Sache, die er besitzt, für die seine hält (§ 326 ABGB). Der § 345 ABGB definiert den unechten Besitz. Wenn jemand in den Besitz eindringt oder durch List oder Bitte heimlich einschleicht und das, was man ihm aus Gefälligkeit, ohne sich einer fortdauernden Verbindlichkeit zu unterziehen, gestattet, in ein fortwährendes Recht zu verwandeln sucht, so wird der an sich unrechtmäßige und unredliche Besitz noch überdies unecht. In entgegengesetzten Fällen wird der Besitz für echt angesehen. Nun zur Hofkarte: Praktisch seit der Einführung der agrarischen EU-Flächenförderungen sind das zuständige Bundesministerium und die Interessenvertretung der Landwirte bestrebt, dem Förderungswerber ein Instrument beizustellen, mit dem man seine Antragsflächen ermitteln und bekanntgeben kann. Die Hofkarte, als Kombination aus Orthofotos und der 3 digitalen Katastralmappe (DKM), Bei der bisherigen Beachtung der einschläist dazu ein geeignetes Mittel. gigen Informationen Da der Förderungswerber sind den Autoren keine selbst bzw. unterstützt durch Aufklärungen diesbeeinen beigestellten Digitalisierer züglich aufgefallen. 4 Davon ausgenommen kaum in der Lage sein dürfte, die müssen solche Fälle sein, Nutzungsgrenzen aus der Hofwo eine oft einmalige, karte seiner Liegenschaft mit unbeabsichtigte gleicher Genauigkeit wie etwa Übernutzung mit Duldung erfolgt ist und katastrale Eigentumsgrenzen ein Konsens zwischen zu erfassen, und überdies die den Beteiligten hergeGenauigkeit der Hofkarten mit stellt wurde. 5 entsprechenden Fehlern behafDie für katastrale Vermessungen zuständitet sein kann, sieht die Normiegen Stellen sind gem. § 1 rung vor, dass die FlächenangaLiegTeilG u. a. Ingenieurben auf 1 ar (d. h. 100 m²) auf- bzw. konsulenten für Vermesabzurunden sind.2 sungswesen (Zivilgeometer). Das ZiviltechniNebst dieser für den Laien ker-Verzeichnis unter leicht einsichtigen Schwierigkeit www.zt.co.at/baik listet der Abgrenzung der Nutzung alle Architekten und Ingenieurkonsulenten hat der Gesetzgeber wohl auch österreichweit auf. bedacht, dass die für die Hof- kartenerstellung benutzten Grundlagen, nämlich die DKM und das Orthofoto, im Regelfall nicht die geometrisch exakte Lage des abgebildeten Objekts wiedergeben. Neben der Lage des zu digitalisierenden Benutzungsabschnitts innerhalb des umzubildenden Luftbildes hat die Topografie im Interessengebiet eine entscheidende Auswirkung auf die Lagegenauigkeit bei der Orthofotoerstellung. Kann bei aktuellen Orthofotos davon ausgegangen werden, dass die Georeferenzierung der Orthofotovorlage (= Luftbild) mit hinreichender Genauigkeit ermittelt wurde, so trifft dies für das Digitale Geländemodell (DGM) oftmals auch heute nicht zu. Aus Kostengründen werden hier DGM-Datensätze verwendet, die entsprechende Höhenungenauigkeiten aufweisen. Dadurch kann die Umbildung des Luftbildes aus seiner Zentralprojektion in die Orthogonalprojektion, die ein Orthofoto darstellt, nicht mit jener Lagegenauigkeit erfolgen, die für die Ableitung der Nutzungsgrenzen für die gegenständliche Aufgabenstellung aus den Orthofotodaten notwendig wären. Darum sind Auswertungen aus Orthofotos stets mit Einschränkungen bezüglich ihrer Lagegenauigkeit zu betrachten. Ein weiterer Ungenauigkeitsfaktor ist die digitale Katastralmappe des Grundsteuerkataster, die bei oftmals nur grafisch vorliegenden Grundstücksgrenzen diese lediglich als unverbindliche Grenzen zur Verfügung stellen kann. Die obige Darstellung zeigt auf, dass bei der Digitalisierung von Förderungsflächen aus den Hofkarten dreierlei Komponenten an Genauigkeits- bzw. richtiger an Ungenauigkeitsfaktoren – Interpretation, Ungenauigkeit des Orthofotos und Ungenauigkeit der DKM – in Betracht zu ziehen sind. Nach diesen technischen Problemen soll aber auch auf einen rechtlichen Aspekt hingewiesen werden, der freilich wohl von juristisch kompetenten Stellen abzuklären ist:3 Wenn dem Antragsteller (d. h. Landwirt) die Hofkarte ausgehändigt wird und er dabei feststellt, dass seine Nutzungsgrenze, die stets nach seiner und des Nachbarn einvernehmlicher Meinung auch die langjährige Eigentumsgrenze war, nicht mit der DKM-Grenze übereinstimmt, so geht wohl die Voraussetzung „Redlichkeit, Echtheit“ (siehe Einleitung) verloren. Des Weiteren könnte sogar bei einer Eintragung der festgestellten Antragsflächen in eine Liste mit der Unterscheidung „auf eigenen und auf fremden Grundstücken“ unterstellt werden, dass die DKM-Grenzen von den jeweils Betroffenen anerkannt werden.4 Zur Klärung der aufgezeigten Problematik bei der Ermittlung der Antragsunterlagen über die Hofkarte sollte sich daher der kritische Antragsteller vom Zivilgeometer 5 seines Vertrauens beraten lassen und ggf. eine Grenzfeststellung und den Eintrag der nunmehr vermessenen und somit richtigen Eigentumsgrenze in die DKM veranlassen. N 32 | 33 Überlegungen zur Hofkarte

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Architektur in Niederösterreich: zwischen Kultur und Landschaft Auf der Suche nach Synergien schaffen Architektur und Kunst neue Formen der Baukultur. 1 feld72, Platzgestaltung Paasdorf + Wolkon ©Hertha Hurnaus 2 Dietmar Feichtinger, Donauuniversität Krems; Iris Andraschek & Hubert Lobnig, Life between Buildings © Margherita Spiluttini 3 ah3 Architekten, UnterWasserReich Schrems; Ingeborg Strobl, Fassadengestaltung © Margherita Spiluttini 4 henke und schreieck Architekten, Bahnhof Baden; Brigitte Kowanz, Another Time Another Place © Wolfgang Wössner Anzeige

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Europäische Ingenieurkonsulenten | European Council of Engineers Chambers, ECEC – Ein Dachverband vertritt die Ingenieursinteressen in Europa. Die bAIK ist vorne mit dabei. Michael Krassnitzer geboren 1967 in Graz, Studium der Philosophie. Lebt als freier Journalist mit den Schwerpunkten Kulturgeschichte und Medizin in Wien. Liberalisierung, Marktöffnung, Deregulierung, Transparenz: Diese Prinzipien hat sich die Europäische Union an die Fahnen geheftet. Das klingt erst einmal gut, weil es das Aufbrechen verkrusteter Strukturen verspricht; pathetisch formuliert: Weil es Freiheit verheißt. Doch wessen Freiheit? Cui bono? Derzeit schlägt zum Beispiel die geplante EU-Richtlinie über die Konzessionsvergabe in Sachen Wasserversorgung hohe Wellen. Offiziell sollen dabei Mauscheleien unterbunden werden, wenn Kommunen ihre Wasserversorgung privatisieren wollen. Die Richtlinie würde jedoch in der Praxis dazu führen, dass Gemeinden ihre Wasserversorgung nicht mehr einfach so an öffentliche Unternehmen auslagern können, sondern diese europaweit ausschreiben müssen. Das käme einer Zwangsprivatisierung gleich, denn zum Zug kämen dann wohl vor allem die großen Wasserkonzerne. Dasselbe Spiel läuft genauso in vielen anderen Bereichen. Auch im Bauwesen versuchen die großen, europaweit tätigen Baukonzerne ihre spezifischen Interessen unter dem Schlagwort „Deregulierung“ als allgemeine Interessen zu verkaufen. Und viel zu oft erweist sich die EU als das sprichwörtliche „Europa der Konzerne“ und lässt sich vor den Karren der Großunternehmen spannen. Dann werden Richtlinien ausgearbeitet und in den einschlägigen Gremien eingebracht, von denen allein die Konzerne und nicht die Bürger profitieren. Zum Glück gibt es auch entgegengesetzte Kräfte. Einer der Gegenspieler der Baukonzerne auf europäischer Ebene ist der europäische Dachverband der Ingenieurkammern (European Council of Engineers Chambers, ECEC). „Der Zweck des Dachverbandes ist es, die Ingenieursinteressen im Lichte der europäischen Gesetzgebung zu bündeln und gegenüber der EU-Kommission und dem EU-Parlament zu vertreten“, erklärt ECEC-Generalsekretär Dipl.-Ing. Klaus Thürriedl: „Denn die Rahmenbedingungen für unseren Berufsstand werden in Brüssel gemacht.“ Die für Ingenieurkonsulenten relevante Gesetzgebung passiert nicht im österreichischen Nationalrat, vielmehr handelt es sich um europäische Richtlinien, die eins zu eins in nationale Gesetze umzusetzen sind. Der ECEC 34 | 35 Europäische Ingenieurkonsulenten

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unterhält daher ein eigenes Büro in Brüssel, in dem viele Jahre später Unbill blühen, bis hin zum Entzug der Befugnis. Für Bauunternehmen hingegen gilt nur die einige Juristen beschäftigt sind, die das EU-politische dreijährige Gewährleistungspflicht für unbewegliche Parkett beobachten und Kontakte organisieren. Die Sachen. politische Arbeit übernehmen die Funktionäre des Dach„Wir wollen daher eine saubere Trennung zwiverbandes. Im November des Vorjahres wurden diese schen Planung und Ausführung“, bekräftigt Thürriedl: bei der 9. Generalversammlung des ECEC neu gewählt, „Wenn beim Bauen beides in einer Hand ist, bleibt die seither ist der Vorsitzende der Bundessektion IngenieurQualität auf der Strecke.“ Kein Wunder, dass die Ingenikonsulenten der Bundeskammer der Architekten und eurkonsulenten den großen Baukonzernen, die am Ingenieurkonsulenten (bAIK) Thürriedl auch Generalseliebsten als alleinige Generalübernehmer auftreten kretär des europäischen Dachverbandes. Das ist kein würden, ein Dorn im Auge sind. Doch auch die EU-KomZufall: Der ECEC wurde vor genau zehn Jahren unter mission sieht den ECEC scheel an: „Die Kommission maßgeblicher Mitwirkung der bAIK in Wien gegründet interpretiert regulierte Berufe und die dazugehörigen und Österreicher waren stets prominent in entscheiKammern als Hemmnis für die Marktentwicklung“, denden Positionen vertreten. „Die europäischen Ingenieurkonsulenten haben sagt der Generalsekretär. Vor diesem Hintergrund eine sehr wichtige soziale Funktion“, heißt es in einem sind auch die aktuellen Entwicklungen zu betrachten, ECEC-Grundsatzpapier: „Die Qualität ihrer Arbeit ist ein mit denen sich der europäische Dachverband in den wichtiger Faktor für den Lebensstandard in Europa.“ nächsten Jahren auseinandersetzen muss. Ingenieurkonsulenten sind in ihrer Arbeit allein den Da wäre zum Beispiel die neue BerufsanerkenAuftraggebern und den gesetzlichen Berufspflichten nungsrichtlinie. Dabei geht es um europaweite Standards sowie den Standesregeln verpflichtet. Profitmaximierung, betreffend Ausbildung, Praxis und Berufsberechtigung, so heißt es in einem vom ECEC herausgegebenen „Code also das, was in Österreich die Befugnis ist. Dass die Standards europaweit angeglichen werden und Ingeniof Conduct“, dürfe keinen Einfluss auf die Arbeit von eurkonsulenten grenzübergreifend tätig werden können, „Chartered Engineers“ haben, wie die international ist grundsätzlich auch ein Anliegen des ECEC. Die Kommisgebräuchliche Berufsbezeichnung lautet. Nachhaltigkeit und Qualität liegen im ureigenen Interesse der Ingenieursion jedoch will die Anforderungen drastisch senken: konsulenten, denn für Planungsmängel kann ihnen noch In Hinkunft soll ein drei- bis vierjähriges Bakkalaureats- Schützen Sie sich und Ihr Unternehmen vor etwaigen Schadenersatzansprüchen! Aon Holdings Austria GmbH Ihr Partner in Sachen Sicherheit & Versicherungen Ihr Berater: Prok. Peter Artmann I 1110 Wien, Geiselbergstraße 17 I t +43 (0)57800-159 I peter.artmann@aon-austria.at Aon_Anzeige_Konstruktiv.Jänner2013.indd 1 26.02.2013 14:23:45 Anzeige

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ECEC-Mitglieder: • Bulgarien • Deutschland • Griechenland • Italien • Kroatien • Mazedonien • Montenegro • Österreich • Polen • Serbien • Slowakei • Slowenien • Spanien • Tschechische Republik • Ungarn • Zypern studium zur Ausübung des Ingenieurkonsulentenberufs genügen. Der ECEC hingegen fordert eine fünfjährige universitäre Ausbildung plus fünf Jahre Praxis plus Ziviltechnikerprüfung. „Wenn jeder alles machen darf, wo bleibt dann die Qualität? Wer schützt den Konsumenten?“, fragt Thürriedl: „Es kann doch nicht nur um den billigsten Preis gehen.“ Genau das ist auch eines der wichtigsten Anliegen des ECEC, wenn es um die geplanten Reformen in Sachen öffentliche Ausschreibungen geht. Die europäischen Ingenieurkonsulenten wollen, dass in den Vergaberichtlinien für Bauaufträge nicht der billigste Preis, sondern auch Qualität und Nachhaltigkeit berücksichtigt werden. Sie wünschen sich, dass die sogenannten Life-CycleCosts in den Ausschreibungen berücksichtigt werden, also die gesamten Kosten, die im Laufe des Lebenszyklus eines Gebäudes anfallen – und dieser dauert bekanntlich wesentlich länger als die Gewährleistungsfrist. Wehren hingegen muss sich der ECEC gegen den Plan überzogener Mindestanforderungen an Ausschreibungsbewerber. Die EU möchte, dass der Jahresumsatz des Unternehmens das Dreifache des Auftragswerts ausmacht, Thürriedl hingegen hält den doppelten Jahresumsatz im Verhältnis zum Auftragswert für ausreichend. „Ingenieurbetriebe sind meist Kleinstbetriebe, die es schwer haben, solche Anforderungen zu erfüllen“, gibt der Generalsekretär zu bedenken. Von der geplanten Neuregelung würden also nur Großbüros profitieren. Ein drittes wichtiges Ziel für die nächsten Jahre ist die Erweiterung des ECEC. Die bislang 16 Mitgliedsländer liegen derzeit ausschließlich in Zentral- und Südeuropa. Wichtige europäische Länder wie Frankreich, Großbritannien, die Benelux-Staaten und die skandinavischen Länder sind nicht vertreten. Diese Länder möchte Thürriedl mit ins Boot holen. In manchen Fällen wird das schwierig: bei jenen Ländern, in denen die „Chartered Engineers“ nicht durch eine Kammer, also eine Körperschaft öffentlichen Rechts, sondern durch einen Verein vertreten werden – etwa in Großbritannien. Für jene Länder ist der Status eines „korrespondierenden Mitglieds“ angedacht. Für die Geografie der ECEC gibt es übrigens historische Gründe: Das Kammerwesen in vielen benachbarten Ländern ist nämlich ein Erbe des Habsburgerreiches. Allein deswegen gibt es in allen Nachfolgestaaten der einstigen Donaumonarchie derartige Einrichtungen. Andere Länder wiederum haben Kammern nach österreichischem Vorbild installiert – etwa Griechenland vor genau 90 Jahren. N 36 | 37 Europäische Ingenieurkonsulenten

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Modernisierungsschub für Österreichs Untergrund | Die Sanierung des Wasser- und Kanalnetzes Judith Brandner geboren 1963 in Salzburg, Japanologin und Übersetzerin für Englisch und Japanisch. Sie ist freie Radio- und Printjournalistin (u. a. Ö1, Spektrum) und Buchautorin. 2012 erschien bei Picus „Reportage Japan – Außer Kontrolle und in Bewegung“. 1 Weitere Informationen sind unter www.wasseraktiv.at/ vorsorgen zu finden. Mit der Infrastruktur in einem Land ist das so eine Sache – erst wenn sie nicht reibungslos funktioniert, wissen die BürgerInnen, was sie daran haben. Oder, wie Dipl.-Ing. Roland Hohenauer, der Vorsitzende der Bundesfachgruppe Wasserwirtschaft in der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten, formuliert: „Ein Stau am Gürtel in Wien wegen der Reparatur eines Wasserrohrbruchs, wie es durch die Frostaufbrüche nach dem Winter häufig wieder der Fall ist, ist eigentlich die beste Werbung für uns Ingenieure.“ Denn da wird die Infrastruktur sichtbar, die ansonsten ein Schattendasein führt. Erst, wenn der Kanal übergeht oder aus der Wasserleitung kein sauberes Trinkwasser mehr kommt, dann wird auch, wer nicht von berufswegen mit Kultur- und Wassertechnik befasst ist, auf das aufmerksam, was im Untergrund unserer Städte und Gemeinden verborgen ist: das weit verzweigte Netz an Trink- und Abwasserleitungen. Und das umfasst österreichweit rund 165.000 Kilometer an öffentlichen Leitungen und mindestens noch mal so viel an privaten Zuleitungen, die in den letzten Jahrzehnten gebaut worden sind. „In den österreichischen Städten und Gemeinden sind viele Millionen Euro vergraben!“, bringt es Dipl.-Ing. Roland Hohenauer auf den Punkt. Mit der Bewusstseinskampagne Vor Sorgen! 1 wendet sich eine Initiative, der u. a. die Österreichische Vereinigung für das Gas- und Wasserfach OVGW, der Österreichische Wasser- und Abfallwirtschaftsverband ÖWAV, das Lebensministerium, Städte- und Gemeindebund, sowie die jeweiligen Wasserwirtschaftsorganisationen der Bundesländer angehören, an die Öffentlichkeit und an die österreichischen Gemeinden. Denn die Infrastruktur, die für unser aller tägliches Leben so notwendig ist, kommt allmählich in die Jahre – auch wenn sie zum Glück noch nicht ganz so alt ist wie die Vorreiter der Wiener Kanalisation. Denn die hat tatsächlich eine lange Geschichte. Um 100 n. Chr. verfügte das Militärlager der 13. Legion in Vindobona bereits über eine „moderne“ Abwasserentsorgung. Die hohen hygienischen Standards der Römer gingen durch geopolitische Ereignisse in den Jahrhunderten danach verloren. Im Mittelalter landete auch in Wien, wie in anderen europäischen Städten, der Hausmüll und der Abfall vieler Handwerkszünfte auf der Straße oder im nächsten Bach. Bei Hochwasser wurden die übel riechenden Abfälle und Abwässer in die nahe gelegene Donau geschwemmt. Epidemien und Seuchen waren die Folge dieser unhygienischen Zustände. Doch schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts, 1739, war Wien als erste Stadt Europas innerhalb der Stadtmauern vollständig kanalisiert. Im 19. Jahrhundert wurde das Kanalnetz beständig erweitert und ausgebaut, was u. a. durch den Fall der Stadtmauern notwendig geworden war. 1914 gab es in Wien schon fast 1000 Kilometer Straßen- und 1500 Kilometer Hauskanalnetz. Den besten Beweis für die Attraktivität des Wiener Kanalnetzes lieferte die weltberühmte Verfolgungsjagd zwischen Orson Welles und dem Penicillinschmuggler Harry Lime im Nachkriegsfilm „Der Dritte Mann“, auf dessen Spur noch heute zahlreiche Touristen durch die Wiener Kanalisation streifen. Heute sind etwa 93 Prozent aller österreichischen Haushalte an die öffentliche Wasserversorgung und die Abwasserentsorgung angeschlossen. Die Qualität der heimischen Trinkwasserversorgung ist hervorragend und gehört mit zu den Dingen, auf die die ÖsterreicherInnen zu Recht stolz sind. Das Österreichische Wasserrecht stammt aus 1959. Um diese Zeit hatte der intensive Ausbau der öffentlichen Wasser- und Abwasserleitungen im ländlichen Raum begonnen. Und diese Leitungen sind es, die nun nach und nach saniert werden müssen. Die Lebensdauer eines Kanals liegt ja, je nach Material (Beton, Steinzeug, Guss oder Kunststoff) zwischen 50 und 100 Jahren. Dasselbe gilt für Kläranlagen, Trinkwasserleitungen und Trinkwasserspeicher. Die letzten großen Investitionen in diese öffentliche Infrastruktur erfolgten in den 1980er- und 1990erJahren, als umgerechnet rund 250 bis 300 Millionen Euro an Förderungen in den Siedlungswasserbau flossen. „Jetzt, nach 30, 40 Jahren, sind diese Leitungen tot, also abgearbeitet“, so Dipl.-Ing. Roland Hohenauer von der bAIK. Was bedeutet das im Klartext? „Trinkwasserbehälter entsprechen nicht mehr dem Stand der Technik – bei der Be- und Entlüftung, bei den Armaturen, der maschinellen Ausrüstung, der Sicherheitstechnik, also dem Einbau von Alarmanlagen oder Videoüberwachung, was heute State of the Art ist“, so Hohenauer. Die Problematik liegt auf der Hand: Schäden im System können im Extremfall zu einer Verunreinigung des Trinkwassers und damit zu gesundheitlichen Risiken für die Bevölkerung führen. Die Ursachen für Schäden an Leitungen und Rohren sind vielfältiger Natur: Neben der ganz normalen Materialermüdung, wie etwa durch Korrosion von metallischen Bauteilen, sorgen Erschütterungen, die durch die steigende Verkehrsbelastung hervorgerufen sind, für Verformungen, Brüche oder Risse im Kanalsystem. Durch feine Haarrisse können Pflanzenwurzeln in den Kanal eindringen und ihn mit der Zeit verschließen. Auch nachträgliche Bauarbeiten an der Oberfläche und die mechanische Verdichtung der Böden sind dem darunter liegendem Leitungsnetz nicht sehr zuträglich. Betonummantelungen in Wassersammelbehältern sind mit hoher Wahrscheinlichkeit nach einigen Jahrzehnten erneuerungsbedürftig. Eine potenzielle Schwachstelle sind auch die Verbindungsstellen zwischen den Zu- und Ableitungen von Privathaushalten oder Betrieben und dem öffentlichen Netz: Wenn diese Verbindungen bautechnisch nicht gut ausgeführt sind, werden die Hauptleitungen mit der Zeit undicht. Modernisierungsschub für Österreichs Untergrund

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Seit 1959 wurden umgerechnet 12 Milliarden Euro in die Wasserversorgung investiert. Im selben Zeitraum wurden umgerechnet rund 43 Milliarden Euro in die Abwasserentsorgung investiert, ein Großteil davon in den Netzausbau. 76.700 Kilometer öffentliche Trinkwasserleitungen in Österreich 89.000 Kilometer öffentliches Kanalnetz 90 Prozent der Haushalte, rund 1,4 Millionen Hausanschlüsse, werden durch das öffentliche Trinkwassernetz versorgt. 93 Prozent der Bevölkerung sind an das öffentliche Kanalnetz angeschlossen. Und so sind heute neuerlich Milliardeninvestitionen in die Reparatur, Instandhaltung und Instandsetzung des öffentlichen Trinkwasser- und Kanalnetzes notwendig. ExpertInnen gehen davon aus, dass jährlich mindestens 1 bis 2 Prozent des Netzes erneuert werden müssten. Derzeit liegen die Erneuerungsraten bei kommunalen Anlagen aber weit unter einem Prozent pro Jahr. Gemeinden, Wasser- und Abwasserverbände haben 2012 eine Investitionskostenschätzung für die kommende Dekade gemacht und dabei Investitionen in der Höhe von rund 7,3 Milliarden Euro für das Trink- und Abwassersystem beim Lebensministerium angemeldet. 4,2 Milliarden Euro, also mehr als die Hälfte davon, entfallen allein auf die geplanten Erneuerungen der Systeme. Ohne Förderungen, ohne öffentliche Gelder werden die ohnehin schwer verschuldeten Gemeinden kaum Investitionen durchführen können. Doch die Förderquoten bei der Siedlungswasserwirtschaft sind seit 2010 rückläufig. 2012 gab es lediglich 90 Millionen Euro an Förderungen, für 2013 wurden sie überhaupt sistiert. Die Nutznießer der Fördergelder werden auf den Finanzausgleich 2014 vertröstet, durch den aber erst 2015 wieder Geld im Fördertopf wäre. Vor diesem Hintergrund ist die Petition zu sehen, mit der sich die Vertreter von Wirtschaftskammer, Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten, Österreichischem Wasser- und Abfallwirtschaftsverband, Österreichischer Vereinigung für das Gas- und Wasserfach, Österreichischem Städte- sowie Gemeindebund an alle Umwelt- und Finanzlandesräte sowie die zuständigen Ministerien (Lebens- und Finanzministerium) gewandt haben, um ihre Forderungen zur Finanzierung der Siedlungswasserwirtschaft deutlich zu machen. Darin weisen die Unterzeichner auf die Notwendigkeit des Ausbaus und die Erhaltung der siedlungswasserwirtschaftlichen Infrastruktur hin. Neubau und Sanierung vieler Anlagen und deren Anpassung an den Stand der Technik seien dringend erforderlich, um das erreichte Niveau erhalten zu können. Schließlich diene die Infrastruktur, wie es in dem Papier weiter heißt, vorrangig der Gesundheit der Bevölkerung und dem Umweltschutz, schaffe Lebens- qualität und sei unverzichtbar für Entwicklungen in Wirtschaft und Tourismus sowie Erhalt und Steigerung der Wassergüte. Investitionen in die siedlungswasserwirtschaftliche Infrastruktur schufen zudem Wertschöpfung und Arbeitsplätze. Ob die Petition auf offene Ohren bei den Adressaten stößt, ist derzeit noch nicht absehbar. Es gibt lediglich das mündliche Versprechen, dass es heuer und auch 2014 doch wieder etwas Geld geben soll. Denn die vergrabenen Werte, so die Position des Bundes, wurden ja schon einmal massiv gefördert, und sie zu erhalten wäre demnach die Aufgabe der Kommunen. Im Wasserrechtsgesetz steht, dass die öffentlichen Anlagenteile auf dem Stand der Technik zu halten sind. Dafür heben die Kommunen Trinkwasser- und Abwassergebühren ein. „Eine Anpassung der Gebühren an den Status quo wäre längst fällig und hilfreich“, rechnet der Vorsitzende der Bundesfachgruppe Wasserwirtschaft in der bAIK, Roland Hohenauer, vor: „Nehmen wir an, die Lebensdauer eines Abwasserrohres liegt bei 50 Jahren, dann müssten 2 Prozent der Baukosten jährlich als Reparaturrücklage auf die Seite gelegt werden, und in 50 Jahren wäre alles wieder saniert. Die Gebühren für Trink- und Abwasser sollten also so festgesetzt werden, dass sich auch eine zweiprozentige Reparatur- und Sanierungsquote ausgeht.“ Das Interesse der IngenieurkonsulentInnen an mehr Fördermitteln liegt auf der Hand: Was an Förderungen in die Gemeinden fließt, wird schließlich von den PlanerInnen in die Ingenieurspraxis umgesetzt. Zu tun gibt es viel: Österreichweit ist mit der Erstellung eines Leitungskatasters begonnen worden, wie er bereits für viele Städte, kaum aber für die ländlichen Regionen existiert. Ein Modernisierungsschub für das, was in Österreichs Untergrund verborgen ist. Damit werden alle Ergebnisse der Überprüfungen am Leitungsnetz elektronisch erfasst und im sogenannten „Leitungsinformationssystem“ zusammengefasst. Bestandsaufnahme und Leitungskataster sind das Ergebnis einer unterirdischen Begutachtung. Für Laien stellt sich erst einmal die spannende Frage, wie es möglich ist, ohne größere Erdarbeiten in einen Kanal 38 | 39 Modernisierungsschub für Österreichs Untergrund

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hineinzuschauen. Es ist eigentlich ganz einfach: Über die Putzschächte werden Roboter, auf denen TV-Kameras montiert sind, in die gereinigten Kanäle eingelassen. Die so gelieferten Bilder vom Innenleben des Kanals zeigen alle Schäden, wie etwa Wurzeleinwüchse durch Ritzen oder auch falsch gemachte Hausanschlüsse, die in den Kanal hineinragen und nicht, wie es sein sollte, bündig abgeschnitten sind. Die Kanaldatenbank wird mit der daraus resultierenden Bewertung und den Zustandsdaten gefüttert, daraus werden ein Prioritätenkatalog und eine Sanierungsstrategie entwickelt. Auf diese Weise kann für jede Gemeinde eine Kanaldatenbank erstellt werden, die auf Knopfdruck oder Mausklick alle wichtigen Informationen über den Zustand der Wasser- und Abwasserinfrastruktur liefert. Angaben über das Alter, die behördliche Genehmigung, alle durchgeführten Reparaturen und Sanierungsmaßnahmen, Inspektionen oder Wartungen können ebenso abgerufen werden wie Informationen zum verwendeten Material der Rohre oder der Armaturen etc. Ein toller Service, nicht nur für die Gemeinden, die auf diese Weise ganz einfach für die Politik Statistiken erstellen oder den Behörden Auskunft darüber geben können, wann zuletzt gereinigt oder saniert wurde, sondern auch für die BürgerInnen, die damit ohne größeren Aufwand von ihrer Gemeinde alle relevanten Infos über ihr Grundstück bekommen können. Für die Gemeinden stellt dieser digitale Plan auch eine wichtige Vorsorgemaßnahme dar – können doch dadurch die Schadenshäufigkeit reduziert und die Lebensdauer des Netzes verlängert werden. Im Zustandsbericht wird der aktuelle Zustand der Kanäle oder Trinkwasserleitungen mit Schulnoten von 1 bis 5 bewertet und eingetragen. Plant eine Gemeinde beispielsweise eine Straßensanierung, so sieht sie auf den ersten Blick, dass es sinnvoll ist, zuerst die darunter liegende Infrastruktur zu erneuern, ehe sie sich an die Sanierung der darüber liegenden macht. Dieses System hilft, Kosten zu sparen und öffentliche Gelder effizient einzusetzen. Und das ist schließlich im Interesse aller. N www.erstebank.at www.sparkasse.at „ Ziviltechniker stehen gerne auf sicheren Beinen.“ „ Mit einer Bank, die für die finanzielle Statik sorgt.“ Hinter jedem erfolgreichen Ziviltechniker steht eine starke Bank. Ob private oder berufliche Finanzen – unsere Kundenbetreuer liefern rasch und kompetent maßgeschneiderte Lösungen für Ihre Bedürfnisse. Vereinbaren Sie einen Beratungstermin in Ihrer Filiale oder unter 05 0100 - 50500. EBSP_ImgArch_92x250_ssp_Konstruktiv_18032013.indd 1 Anzeige 28.01.13 15:06

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Vom Nacktsein, vom Kopieren und vom Griechenland Einzigartig ist das 1874 bis 1883 nach dem Entwurf von Theophil Hansen errichtete Parlamentsgebäude als Hauptwerk des Historismus. Einzigartig im rezenten Vergabegeschehen ist die 2013 als Verhandlungsverfahren bekanntgemachte Absicht, den Planungsauftrag zur Generalsanierung des Parlaments zu vergeben. Einzigartig ist aber auch das 2012 von Fachpreisrichterseite aufgeworfene Argument, ein Architekturwettbewerb, der den Plenarsaal einschließt, könne nicht rechtssicher durchgeführt werden, weil 2008 bereits ein Wettbewerb darüber abgeschlossen wurde und nun die Projekte von damals wiedererkennbar wären. Diese vom Parlament überraschend geteilte Befürchtung, ein neuerlicher Wettbewerb könnte daran scheitern, dass die Teilnehmer als Wiederholungstäter „nackt“ vor den Preisrichtern stünden, ist in dreifacher Hinsicht unbegründet. Erstens enthält jede zeitgemäße Wettbewerbsordnung einen Passus über die Befangenheit von Preisrichtern. Damit ist der seltene Fall geregelt, dass Verfasservermutungen den Preisgerichtsentscheid gefährden: Der dauernde Ausfall eines befangenen Preisrichters zieht nur den Einsatz des vorgesehenen Ersatzmitglieds nach sich. Die Wettbewerbserfahrung lehrt auch: Vermutungen über Verfasser bewahrheiten sich fast nie, und wenn sie die Entscheidung beeinflussten, gereichte dies später dem Auslober nicht zum Vorteil. Zweitens wäre in einem Verfahren, in dem Architektenpläne im zweiten Versuch und ohne Anonymität beurteilt werden, noch weniger zu verstehen, wie ein Wissensvorsprung einzelner Personen der Bewertungskommission über den in Erinnerung gebliebenen Gewinner sinnvoll Eingang fände. Würde er Nachteile zu befürchten oder Vorteile zu erwarten haben? Historisch begründete (Vor)Urteile sind aber unter Zuschlagskriterien nicht seriös bewertbar. Drittens ist das entwerfende Zitieren, das graduelle Kopieren, ein konstituierender Teil der Disziplin Architektur. Zu Zeiten Hansens war die virtuos gearbeitete Stilhülse für einen nutzungsadäquaten Entwurfskern eine im Berufsethos der Architekten verwurzelte Selbstverständlichkeit. Purer Stil bedeutete damals objektiv gute Architektur. Wollte ein Auslober einen Entwurf im Stil der Griechen, konnte er über einen Wettbewerb den besten baukünstlerischen Widerhall „vom Griechenland“ finden. Es mutet wie ein Treppenwitz der Architekturgeschichte an, dass einem in der Ära des Stilzwangs gelungenen Bauwerk nun in der Ära des Stilpluralismus mit dem Scheinargument der stilistischen Wiedererkennbarkeit architektonische Entwicklungschancen abgeschnitten werden. Walter M. Chramosta N Kaufempfehlung Dauer der Mahlzeit misst. Ein Chip, der die registrierten Ereignisse aufzeichnet und statistisch auswertet. Ein Warnlämpchen, das aufleuchtet, wenn wieder mal die Lust obsiegt, unterstützt von einem Vibrator, der verlangsamtes Essen auch in lauter Umgebung sicherstellt. Schließlich ein Sender, der die Daten dem Smartphone zuspielt. Auf dessen Display kann die längerfristige Entwicklung der Essgewohnheit pädagogisch wertvoll als bunte Tabellengrafik studiert werden. Selbstverständlich werden die Werte sogleich in die Cloud hochgeladen und mit der Community gleichsinnig Unmündiger geteilt. Solidarität, Motivation und soziale Kontrolle sollen aus dem Netzwerk der Freunde gewonnen werden. Wer die Gabel in den Mund steckt, kann nun auf digitalem Weg Normen verinnerlichen und Selbstkontrolle veräußerlichen. Weil eine Studie den statistischen Zusammenhang von raschem Essen und zunehmendem Gewicht zeigte, soll nun die Wundergabel der Verfettung Amerikas zu Leibe rücken. Schade, dass Fastfood nicht mit Besteck gegessen wird. Wolfgang Pauser N Experimentierempfehlung Drucker. In einem Video auf www.the3doodler.com demonstrieren die Entwickler, dass ihr dreidimensionaler Zeichenstift es erlaubt, frei und intuitiv aushärtendes Plastik in die Luft zu „kritzeln“. Innerhalb kürzester Zeit gewannen Dilworth und Bogue damit über 20.000 Unterstützer auf kickstarter.com, um mit ihrem Prototypen in die serielle Produktion zu starten. Bevor nun aber jeder seinen Ideen unmittelbar Dreidimensionalität verleihen kann, ist noch etwas Geduld angesagt. Die ersten 3Doodler werden erst im Jänner 2014 vom Band laufen, schließlich will das Team um Dilworth und Bogue gemeinsam mit handverlesenen Testern dem Produkt noch den letzten Schliff geben. Bis dahin ist der Raum also noch Aufgabenfeld der Imagination. Sebastian Jobst N Kau länger! Iss langsamer! Sei nicht so gierig! Wie satt hatten wir Muttis Mahnungen als Kind. Und doch gibt es Erwachsene, die nie genug bekommen an Maßregelung. Egal ob aus früher Vernachlässigung oder verspäteter Abnabelung, wächst der gesamtgesellschaftliche Regulierungs- und Betüddelungsbedarf. Soweit die Sehnsucht, Vorschriften gemacht zu bekommen, nicht von Politikerinnen befriedigt wird, kommen nun auch Maschinen für die (Re)Produktion schlechten Gewissens zum Einsatz. Hapifork, die intelligente Gabel, weiß besser als du, was gut für dich ist und dich happy macht! Ein wenig overprotective, aber doch wohlmeinend erzieht sie Kindgebliebene zur gesundheitsfördernden Ernährungsgeschwindigkeit. Im Griff der Gabel befindet sich ein Sensor, der Anzahl und Abstände der Bissen sowie die Bevor ein Modell umgesetzt wird, hat es meist bereits mindestens zwei Übersetzungsprozesse hinter sich, zuerst musste es als dreidimensionales Objekt erdacht werden, um anschließend mit schnellen Strichen auf planer Fläche festgehalten zu werden. Ein weiteres Mal muss diese zweidimensionale Abstraktion aber wieder in den Raum übersetzt werden. Um wie vieles unmittelbarer wäre es, die Gedanken direkt in den Raum zeichnen zu können, ihnen direkt Gestalt verleihen zu können? Das dachten sich wohl auch Peter Dilworth und Max Bogue, die Designer des 3Doodlers, eines Hybrids zwischen Kleberpistole und 3D- 40 | 41 Empfehlungen

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Kein Auftrag an den Wettbewerbssieger – zur Zulässigkeit des Widerrufs vor Vergabe eines Planungsauftrags Die Vorgeschichte ist wohl bekannt: Der Nationalratssaal des österreichischen Parlaments sollte neu gestaltet werden und die Republik als Auftraggeberin führte zunächst einen Realisierungswettbewerb durch. In den Auslobungsunterlagen tat die Auftraggeberin lapidar ihre Absicht kund, mit dem Gewinner des Wettbewerbs Verhandlungen über eine Beauftragung zu führen. Dieser Ankündigung entsprechend trat sie anschließend mit dem Wettbewerbssieger in ein Verhandlungsverfahren über den Abschluss eines Planungsvertrags ein. Noch während der Verhandlungen wurde der Wettbewerbssieger mit mehreren „Vorprojekten“ beauftragt, die ihm letztlich auch vergütet wurden. In weiterer Folge führte die Auftraggeberin eine Evaluierung durch, die ergab, dass eine umfassende Sanierung des gesamten Parlamentsgebäudes durchgeführt und ein Generalplaner für diese Gesamtsanierung beauftragt werden soll. Schließlich wurde das Verhandlungsverfahren mit dem Wettbewerbssieger widerrufen. Als Gründe für den Widerruf gab die Auftraggeberin die wesentliche Änderung des Leistungsumfanges (hin zu einer Gesamtsanierung) und die Tatsache, dass sämtliche Leistungen an einen Generalplaner vergeben werden sollen, an. Zudem seien sowohl die seinerzeit im Wettbewerb definierte Bauwerkskosten-Obergrenze als auch der damals vorgegebene Rahmenterminplan jeweils weit überschritten. Der Wettbewerbssieger beantragte daraufhin die Nichtigerklärung dieser Widerrufsentscheidung. Der Senat wies den Antrag ab und stellte fest, dass Gründe für einen Widerruf auch dann vorliegen können, wenn diese durch den Auftraggeber selbst herbeigeführt werden. Einzige Voraussetzung für die Zulässigkeit des Widerrufs ist das Vorliegen objektiver „sachlicher Gründe“. Derartige „sachliche Gründe“ ortete der Senat sowohl in der erheblichen Erhöhung der Bauwerkskosten als auch in der Verschiebung des Rahmenterminplans, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich bei Kenntnis dieser Umstände ein anderer Bieterkreis am Wettbewerb beteiligt hätte. Auch die Tatsache, dass nunmehr die umfassende Sanierung des gesamten Gebäudes notwendig sei, wurde vom Senat als wesentliche inhaltliche Änderung gewertet, die den Widerruf des Verfahrens rechtfertigt. Der Widerruf war damit rechtmäßig. Offen bleibt, ob die Auftraggeberin den Widerruf selbst schuldhaft bzw. durch einen hinreichenden qualifizierten Rechtsverstoß herbeigeführt hat und somit schadenersatzpflichtig wird. Diese Frage wäre vor den ordentlichen Gerichten zu klären. (BVA 7.12.2012, N/0098-BVA/07/2012-26) Gregor Stickler/Gudrun Mittermayr (Schramm Öhler Rechtsanwälte) N ziviltechniker als Unternehmer. Rechtliches, steuerliches und betriebswirtschaftliches Basis-Know-how Martin Baumgartner, Horst Fössl MANZ, Wien 2013 Wie kalkuliere ich meinen Stundensatz? Worauf ist bei der Errichtung eines Gesellschaftsvertrags zu achten? Was kann ich von der Steuer abschreiben? Betriebswirtschaftslehre ist zwar ein Prüfungsgegenstand für die Ziviltechnikerprüfung, doch dort geht es um allgemeine Aspekte, die Antworten auf unternehmerische Fragen wie die eingangs gestellten gehören nicht zum Lernstoff. Abhilfe schaf- Werkzeug/Denkzeug. prozess stattgefunden.“ So lautet fen die diversen Fortbildungsver- Manuelle Intelligenz und einer der zahlreichen Denkanstöanstaltungen der Kammer – oder Transmedialität kreativer ße, die Thomas H. Schmitz und das Buch „Ziviltechniker als Unter- Prozesse Hannah Groninger in dem von nehmer“ von dem Rechtsanwalt Thomas H. Schmitz, Hannah ihnen herausgegebenen Buch Horst Fössl und dem Steuerbera- Groninger (Hg.), Transcript „Werkzeug/Denkzeug“ geben, das ter Martin Baumgartner. Denn zur Verlag, Bielefeld 2012 sich aus vielen Perspektiven mit erfolgreichen Führung eines Under Interaktion von Hand, Hirn ternehmens bedarf es über die und Werkzeug auseinandersetzt. fachlichen Kenntnisse hinaus In einem späteren der insgesamt auch eines gewissen Maßes an 17 versammelten Aufsätze wird rechtlichem Problembewusstsein darauf eine ganz und gar nicht sowie steuerlicher und betriebskulturpessimistische Antwort gewirtschaftlicher Grundkenntnisse. geben: Zwar brachte die KulturDie Autoren vermitteln einen technik des Tippens auf einer Überblick und praktische Tipps in Tastatur gegenüber dem manuelBezug auf rechtliches Knowlen Schreiben auf Papier eine grohow (Haftpflichtversicherung, Geße Einschränkung in Sachen Hapsellschaftsrecht, Unternehmenstik und Taktilität mit sich, doch übergänge, Verträge, Arbeitsrecht), dank der auf Berührung und Gessteuerliches Know-how (Steuererten beruhenden Technologie des klärung, Abgabefristen, OffenleTouchscreens feiert die Körpergung, Firmenbuch, Einkommenlichkeit ein triumphales Comesteuer, Umsatzsteuer, Buchfühback. Doch das ist nur eine der rung) und betriebswirtschaftli- Mit der Hand etwas zu Papier brin- zahlreichen befruchtenden Überches Know-how (Leistungs- und gen: In der klassischen Geste des legungen, die Kultur- und KognitiStundensatzkalkulation, Gewinn Entwerfens vereinen sich Denken onswissenschaftler, Architekten, versus Liquidität, Erfolgsplanung, und Körperlichkeit. Haptik und Künstler und Designer in dem Kapitalbedarf, Checkliste für das taktile Wahrnehmung sind also Band anstellen. Und dafür war es Bankengespräch). Zu guter Letzt Teil des Schöpfungsprozesses. höchste Zeit: Manuelle Intelligenz findet sich ein eigener Abschnitt „Durch die Digitalisierung der Pla- war bislang eher ein Thema über die Nachfolgeregelung – auf nungsprozesse hat eine Verdrän- für ingenieur- und technikwissenderen rechtzeitige Erstellung nur gung des Körperlichen und des schaftliche Fächer sowie die Roallzu oft vergessen wird. Subjektiven aus dem Entwurfs- botik. Michael Krassnitzer N Jüngste Entscheidung | Krassnitzers Lektüren

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Raumkompositionen | Anna Soucek geboren in Wien, Studium in London. Mitarbeit an Ausstellungen, Mitbegründung des forum experimenteller architektur. Freie Mitarbeit bei Radio Österreich 1 (Kunstradio, Leporello, Diagonal, Nachtquartier). Karl Bernd Quiring im Porträt es Musikern geht, nämlich, so Quiring, um „eine möglichst genaue Interpretation des Notentextes unter Voraussetzung von stilistischem Empfinden. Es geht um Geschmack und es geht um die Kommunikation von Ensemble- oder Orchestermitgliedern miteinander.“ Ob bei der akustischen Optimierung bestehender Säle oder bei der Planung neuer, unabdingbar ist eine umfassende Diskussion der Nutzung der Säle. Mehrzwecksäle, die für Proben ebenso genützt werden wie für konzertante Aufführungen, für Sprechtheater ebenso wie für die Beschallung durch Lautsprecher, sind notwendigerweise Kompromisslösungen. Als Quiring beauftragt wurde, an den von Architekt Wilhelm Holzbauer gestalteten vier neuen Sälen des Wiener Musikvereins mitzuarbeiten, besprach er mit den Auftraggebern zunächst einen Tag lang allein die Frage der gewünschten Nutzungen. Die vier Säle dienen vornehmlich für Proben, aber auch für öffentliche Veranstaltungen und Aufführungen und sie sind nach den Materialien ihrer Innengestaltung benannt. Eine besondere Herausforderung für Quiring war der Gläserne Saal, der größte der vier, ist doch Glas ein undankbares Material, was die Akustik betrifft. Dass der Klang – entgegen der Erwartung einiger Fachleute – hervorragend ist, darauf ist Karl Bernd Quiring sichtlich stolz. Eine Nachwirkung der 2004 eröffneten Säle sei auch gewesen, dass die Leistungen der Akustiker öffentlich mehr wahrgenommen werden. Dass die Akustik, die idealerweise nicht sichtbar ist und sich ins architektonische Gestaltungskonzept einfügt, an Aufmerksamkeit gewonnen hat, zeigte zuletzt die Eröffnung des MUTH, des Sängerknaben-Konzertkristalls, wie das Bauwerk genannt wird, im Wiener Augarten. Hier wurde der Akustiker Karl Bernd Quiring als den Architekten ebenbürtiger Erschaffer des Proben- und Konzertsaals angeführt. Im amerikanischen Raum, sagt Quiring, sei es normal, dass bei Kulturbauten der Akustiker in einem Atemzug mit dem Architekten genannt wird. Seit über 30 Jahren beschäftigt sich Quiring mit der Akustik. Außer dem Musikverein und dem MUTH hat er auch die Veranstaltungshalle im Wiener Gasometer, das im Vorjahr eröffnete Festspielhaus Erl und die Umgestaltung der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien betreut. Demnächst, im April, wird das aktuelle Großprojekt eröffnet: der Neubau des Musiktheaters in Linz. Seine langjährige Erfahrung mit verschiedenen Aspekten, die komme dann ins Spiel, wenn Situationen eintreten, die in keinem Lehrbuch stehen und ergänzende Untersuchungen angestellt werden müssen. Vieles kann vorab berechnet werden, sagt Quiring, „aber meiner Meinung nach sollte das Ohr immer das letzte Wort sprechen“. N Reflexion, Absorption und Schallverteilung – das sind für Karl Bernd Quiring die drei Eckpfeiler seines Fachgebiets, der Akustik. Mit seinem Ingenieurbüro für Akustik und Bauphysik mit Firmensitz in Aldrans bei Innsbruck hat er Musikhochschulen und Kindergärten ebenso betreut wie Theater und Speisesäle. Besonders gefragt ist er als Akustiker von Konzertsälen. Demnächst wird das neue Musiktheater in Linz eröffnet, an dem er mitgewirkt hat. Wenn Karl Bernd Quiring über die Akustik spricht, hört man ihm gerne zu. Er erklärt, wie man durch die Bestuhlung eines Raums die Halligkeit beeinflussen kann, was die Verwischungsschwelle ist und wie eine optimale Klangverteilung erzielt werden kann. Er beschreibt den gefürchteten Effekt von Schallkonzentrationen. Und er schwärmt vom Goldenen Saal des Musikvereins, wo man zwischen der achten und sechzehnten Reihe, Mitte, in Klang eingehüllt ist wie sonst nirgendwo. Quiring drückt sich gewählt aus und prägnant. Und er wirkt nicht eitel, nicht besonders zumindest, obwohl er sich ein wenig Anmaßung schon leisten könnte. Er gilt als einer der besten Akustiker des Landes. Wenn neue Konzertsäle gebaut werden, wird er als Experte herangezogen. Wir treffen uns in einem Wiener Innenstadt-Café am späten Nachmittag, wo Quiring einen Kaiserschmarren essen möchte. Das Café ist bis auf den letzten Platz voll. Es hat große Glasfenster. Die Wände sind mit Spiegeln, Marmor und Holz verkleidet. Der gewölbte Plafond ist mit kleinen Fliesen verkachelt. Es ist laut, unglaublich laut sogar. Karl Bernd Quiring beginnt sofort, sich über Lärmschutzmaßnahmen Gedanken zu machen. Das mache er aber nicht immer und überall, beeilt er sich hinzuzufügen. Von der Akustik ist er besessen, wie er sagt, aber er leidet nicht unter einer berufsbedingten Lärmunverträglichkeit. Wobei es nicht schaden würde, so Quiring, den allgemeinen Geräuschpegel, der uns täglich und überall umgibt, zu senken, leiser zu sprechen und genauer hinzuhören: „Das Ohr war früher ein Organ, das wichtiger war als das Auge. Man musste die Gefahr hören, bevor sie zu sehen war. Das hat den Menschen ihr Überleben gesichert. Das menschliche Ohr ist auf unglaublich geringe Pegel getrimmt. Wenn man 130 Dezibel ausgesetzt ist, etwa bei der Landung eines Flugzeugs, wie ich das unlängst gemessen habe, dann verursacht das echten Schmerz. Ich glaube, dass die Menschen früher viel empfindlicher auf leise Geräusche waren.“ Karl Bernd Quiring studierte Bauingenieurwesen an der Technischen Universität in Wien. Später schloss er am Konservatorium in Innsbruck noch die Ausbildung zum staatlich geprüften Kapellmeister ab, „als Vervollständigung und sinnvolle Ergänzung der akustischen Beratungstätigkeit und als ‚Brücke‘ zwischen Naturwissenschaft und Kunst im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtungsweise.“ Die Verbindung der Akustik mit der musikalischen Praxis ist ihm wichtig, denn Akustik setze ein künstlerisches Verständnis voraus. Es gilt, zu verstehen, worum 42 | 43 Porträt Karl Bernd Quiring

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Inhalt 3 4 5 6 Editorial, Pendls Standpunkt Puntigams Kolumne, Dusls Schwerpunkt Standpunkte: Rudolf Kolbe, Walter Stelzhammer, Walter Neubauer Plus / Minus: Braucht die Stadt mehr Planung? André Krammern 7 Werk ohne Autor 8 – 11 Der verblichene Autor | Von der Autorität des Originären und der Anonymität des Kollektivs Wolfgang Pircher 12 – 13 Wo Technik endet und „Baukunst“ beginnt | Eine Betrachtung der Rechtslage Thomas Höhne 14 – 16 Open Source: „Let the revolution begin“ | Wie ein neues Verständnis der Zusammenarbeit die Gesellschaft verändern will Mathias Rittgerott 17 – 20 Teamarbeit macht klug. Teamarbeit macht blöd. | Was macht den Unterschied? Wolfgang Pauser 21 – 24 Die Dekonstruktion des Architekten | Ein Streifzug durch die gebaute Welt ohne Urheberschaft. Wojciech Czaja 25 – 29 Stadt ohne Autor | Wie viel Planung braucht der urbane Raum? Sebastian Jobst im Dialog mit Wencke Hertzsch, Reinhard Seiß undThomas Madreiter 32 Überlegungen zur Hofkarte | Klare Eigentumsgrenzen sind keine Selbstverständlichkeit Dietrich Kollenprat 34 – 36 Europäische Ingenieurkonsulenten | European Council of Engineers Chambers, ECEC – Ein Dachverband vertritt die Ingenieursinteressen in Europa. Die bAIK ist vorne mit dabei. Michael Krassnitzer 37 – 39 Modernisierungsschub für Österreichs Untergrund | Die Sanierung des Wasser- und Kanalnetzes Judith Brandner 40 – 41 Empfehlungen, Jüngste Entscheidung, Krassnitzers Lektüren 42 Porträt Karl Bernd Quiring Anna Soucek 43 Fehlanzeige, Das nächste Heft 44 Von oben Impressum konstruktiv 289 Medieninhaber und Herausgeber Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten (bAIK) 1040 Wien, Karlsgasse 9 T: 01­505 58 07­0, F: 01­505 32 11 www.daskonstruktiv.at Erscheinungsweise Auflage Einzelpreis Abopreis pro Jahr vier Mal jährlich 13.500 Stück 9,00 Euro 24,00 Euro Lektorat Dorrit Korger Grafisches Basiskonzept Gassner Redolfi, Schlins Bohatsch und Partner, Wien Gestaltung vektorama. grafik.design.strategie Wien Druck Ueberreuter Print GmbH, Korneuburg Gedruckt auf SoporSet Premium Abbildungen Seite 3: Courtesy: Knoll Galerie Wien, Anca Benera F. = Fotograf und Arnold Estefan // Seite 4: Ingo Pertramer, A. = Architekt Andrea Maria Dusl // Seite 5: Otto Hainzl, bAIK, Bundesministerium für Arbeit und Soziales // Seite 7–13: Fabrice Le Nezet // Seite 14­15: Arduino, www.opensourceecology.org/Marcin Jakubowski, Albert Company Olmo, Jan Glasmeier und Line Ramstad // Seite 18–20: Courtesy: Peter Kogler und Galerie Nikolaus Ruzicska, Salzburg // Seite 22–23: A. Verein s2arch / F. Dobmeier // Seite 24: A. BKK­3 / F. Hertha Hurnaus // Seite 26–29: Atelier Olschinsky // Seite 34: Mirjam Groen // Seite 36–38: vektorama.grafik.design. strategie Wien // Seite 42: Karl Bernd Quiring // Seite 43: Redaktion KONstruktiv, Roeland Otten // Seite 44: Alexander Blach Die Redaktion ersucht diejenigen Urheber, Rechtsnachfolger und Werknutzungsberechtigten, die nicht kontaktiert werden konnten, im Falle des fehlenden Einverständnisses zur Vervielfälti­ gung, Veröffentlichung und Verwertung von Werkabbildungen bzw. Fotografien im Rahmen dieser Publikation um Kontaktaufnahme. Das Gestaltungskonzept dieser Zeitschrift ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts ist unzulässig. Die Texte, Fotos, Plandarstellungen sind urheberrechtlich geschützt. Offenlegung gemäß §25 Mediengesetz ist auf www.daskonstruktiv.at veröffentlicht. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben ausschließlich die Meinung des Autors wieder, die sich nicht mit der des Herausgebers oder der Redaktion decwken muss. Für unverlangte Beiträge liegt das Risiko beim Einsender. Sinn­ gemäße textliche Überarbeitung behält sich die Redaktion vor. Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Zugunsten der Lesbarkeit wird, wenn von den Autorinnen und Autoren nicht anders vorgesehen, auf geschlechtsspezifische Endungen verzichtet. Das Zitat auf dem Titel wurde dem Text „Der verblichene Autor“ von Wolfgang Pircher entnommen. Fehlanzeige Betreten verboten – Überreglementierte Freiräume Der Gebrauch öffentlichen Raums wird zunehmend durch explizite Verbote und versteckt ausgeübte Kontrollmechanismen eingeschränkt. Oder Stadträume werden überhaupt privatisiert und zulässiges Verhalten infolge von „Hausordnungen“ diktiert. Verbote sollen Unvorhergesehenes verhindern. Der öffentliche Raum wird heute gerne als urbaner Mittagstisch betrachtet, der bis ins letzte Detail gestaltet und definiert ist, auf dem alles seinen Platz hat und die Tischmanieren streng eingehalten werden. Auch Parkanlagen drohen sich durch ein Übermaß an Verboten zu musealen Schauräumen zu wandeln. Verbotsschilder und subtil gestaltete Schwellen trennen betretbare und für die „Anschauung“ reservierte Zonen. Parkanlagen bleiben oder werden wieder zu altmodischen Flaniermeilen. Urbane Natur wird zum Ornament. Kontemplative Betrachtung aus der Distanz ersetzt das Verweilen und die Aktivität im Raum. Schauen und Gebrauchen sind aber zwei grundverschiedene Kategorien des Raumerlebnisses. Freiräume sollten robust und vielfältig bespielbar sein, Platz für Improvisation und Unvorhergesehenes bieten und das Verweilen von jedermann und jederfrau erlauben. Wir brauchen mehr Freiräume, weniger Verbotsräume, mehr Möglichkeiten des alltäglichen Gebrauchs, weniger Gestaltung. André Krammer N Das nächste Heft „Gutes Design ist unsichtbar“ (Lucius Burkhardt), Gleiches gilt für einen riesigen Teil der Technik, die uns täglich umgibt. Viele der Prozesse, die aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken sind, werden hinter Fassaden und anderen Hüllen verborgen, während andere Funktionen, wie etwa kabellose Kommunikationsnetze, tatsächlich unsichtbar ein dichtes Netz über die physische Welt legen. Ebendiesen unsichtbaren Wirkungen wird sich das nächste KONstruktiv widmen. Redaktion, Anzeigen & Aboverwaltung art:phalanx Kunst­ und Kommunikationsbüro Clemens Kopetzky (Geschäftsleitung) Redaktionsteam Susanne Haider, Sebastian Jobst, Heide Linzer 1070 Wien, Neubaugasse 25 /1 /11 T: 01­524 98 03­0, F: 01­524 98 03­4 redaktion@daskonstruktiv.at, anzeigen@ daskonstruktiv.at, abo@daskonstruktiv.at Redaktionsbeirat Walter Chramosta (Architekturpublizist), Gerald Fuxjäger (Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Steiermark und Kärnten), Georg Pendl (Präsident der bAIK), Rudolf Kolbe (Vizepräsident der bAIK und Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Oberösterreich und Salzburg), Sabine Oppolzer (Kulturjournalistin), Wolfgang Pauser (Konsumforscher & Berater), Walter Stelzhammer (Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und Burgenland) Roeland Otten, Dazzle Painted Electricity Substation, Installation im öffentlichen Raum, Akrylfarbe und Anti­Graffiti­Beschich­ tung, 2 x 1,5 x 2,5 m, 2012 Mit seinen urbanen Interventionen thematisiert Roeland Otten die allgegenwär­ tige unbeachtete Infrastruktur der Stadt. Obwohl die Bemalung wie ein perspektivisches Camouflage wirkt, ziehen die alltäglichen Objekte dennoch mehr Aufmerksamkeit auf sich.

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289, Zeitschrift der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten März 2013, www.daskonstruktiv.at, Euro 9,– | GZ 12Z039152 M | VPA 1070 Wien 289, Von oben betrachtet sieht sie wie eine Siedlung aus. Doch will in einer Zeltstadt niemand wohnen. Sie for­ miert sich aus Motiven, die gegensätzlicher nicht sein könnten: Feiern, Tanzen, Musizieren befinden sich am oberen Rand der menschlichen Glücksskala. Naturkatastrophen und Kriege am Tiefpunkt. Festival, Flut und Flucht geben Anlass zum Umzug auf die grüne Wiese, zum Zeitsprung ins Nomaden­ tum. Das Zeltlager ist so sehr eine architekturfreie Zone, dass einem nach wenigen Tagen des Natur­ terrors das Bauwesen beinahe schon wieder ein wenig sympathisch wird. Zieht die Horde ab, ist Müll der letzte stumme Zeuge eines solchen Ballungs­ raums des allzu Menschlichen. Über dies flüchtige Phänomen könnte man von oben hinwegsehen, stünde nicht „temporäre Archi­ tektur“ als neuestes bauliches Rezept zur globalen Müllvermeidung in Diskussion. Die Idee des Recy­ clings greift auf die Architektur über und inspiriert zu Bauwerken, deren „Lifecycle“ für 50 bis 70 Jahre veranschlagt wird. Dabei schwingt die Hoffnung mit, man würde dem „Raumschiff Erde“ weniger zur Last fallen, wenn man versichert, ohnehin nur fünf Minu­ ten lang (in planetarischer Zeitrechnung) ein Stück Naturraum für den Menschen nutzen zu wollen. Die Zeltlager­Vision der Nachhaltigkeit will, dass schon die Planung auf den Abriss zielt. Welch groß­ artiges Geschäftsmodell für die Bauwirtschaft! Von ganz weit oben, planetarisch und langfristig betrachtet, könnte sich aber als noch viel nach­ haltiger herausstellen, für die Ewigkeit zu bauen. Mit Ergebnissen, die auch in 500 Jahren noch halten und erfreulich sind. Wolfgang Pauser N Mit dem Konzept des Autors lassen sich jene Fragen stellen, die Michel Foucault aufgeworfen, aber nicht behandelt hat: „Wie sich der Autor in einer Kultur wie der unseren individualisiert hat, […] von welchem Zeitpunkt an man begonnen hat, nicht mehr das Leben von Helden, sondern das von Autoren zu erzählen, wie sich die Grundkategorie der Kritik ‚Mensch und Werk‘ heraus­ gebildet hat …“ Werk ohne Autor