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288, Zeitschrift der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten Dezember 2012, www.daskonstruktiv.at, Euro 9,- | ?? 12?039152 ? | ??? 1070 Wien Von oben und auf den ersten Blick vermeinen wir einen Parkplatz zu erkennen. Doch wo bleiben die fahrenden Autos, wo die Autofahrer? Welches Fahrziel hat sie zu dieser Massenansammlung gelockt? Kein Fußballfeld, kein Shoppingcenter weit und breit. Und doch hat nicht etwa eine Neutronenbombe diese vom Störfaktor Mensch bereinigte Ideallandschaft des totalisierten Automobilismus hervorgebracht. Sondern jener Stau, in dem Fahrzeuge heute schon vor ihrer ersten Zulassung zum Stehen kommen. Stehzeuge schon vor ihrer Jungfernfahrt. Was sich hier staut, ist der Absatz. Die Krise führt zur Autokrise, diese führt zu noch mehr Krise, und wie dieser Satz logisch weitergeht, wer wollte das noch lesen? Soll den Folgen der Abwrackprämie nun mit neuer Anlass-Gesetzgebung gegengesteuert werden? Brauchen wir Zwangsautomobilmachung oder lassen wir den metallenen Skulpturenpark einfach stehen und steigen gesamtgesellschaftlich aufs Fahrrad um? Nach ihrer Nutzung liegen unsere Autos auf dem Schrottplatz, vor ihrer Nutzung stehen sie auf Halde, zwischendurch werden sie gestaut oder geparkt. Mobilität bleibt auf der Strecke. Die "Neuwagen-Lagerfläche" ist insgesamt an die 2 Millionen Quadratmeter groß. Menschen sind hier deshalb keine sichtbar, weil es sich bei Geisterautos nicht um die Fahrzeuge von Geisterfahrern handelt. Auch wenn diese hoch verdichtete Agglomeration mobiler Kleinst-Eigenheime wie eine Geisterstadt aussieht. Von oben, und nicht nur von oben betrachtet. Wolfgang Pauser betrachtet . 288, Kritiker und Befürworter der zeitentbundenen Arbeitsorganisation haben den gleichen blinden Fleck: die Technik. Sie ist als System eigendynamisch und autopoietisch. Man kann an ihr so etwas wie eine Evolution beobachten. Von Politik, Religion und Kulturen ist sie erstaunlich unabhängig. Ihr Einfluss auf die Gesellschaft ist deutlich größer als umgekehrt. Zeit

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Inhalt 3 4 5 6 Editorial, Pendls Standpunkt Puntigams Kolumne, Dusls Schwerpunkt Standpunkte: Rudolf Kolbe, Christian Aulinger, Klaus Thürriedl Plus / Minus: Debatte Normen Gerhard Hartmann, Erich Kern, Peter Bauer 7 Zeit 8 - 11 Zeitmaschine Mensch | Der lange Abschied von der Stechuhr und die erstaunlich kurze Technikgeschichte der Arbeitszeit Celine Wawruschka, Wolfgang Pauser 12 - 14 Lifecycle Building | Vision und Wege zur Umsetzung Christoph M. Achammer 15 - 17 Placeboeffekt und Feigenblatt | Warum bei Ökologiefragen die Lobby schweigen muss Wojciech Czaja 18 - 21 Bilder der Zeit | Statik und Motorik Kristóf Nyíri 22 - 25 Temporäre Öffentlichkeit | Zeitlich begrenzte neue Räume in der Stadt Robert Temel 26 - 28 Zeit(t)räume in Planung und Bau | Große Trends in der Bauplanung? Hans Lechner im Interview mit Sebastian Jobst 32 - 35 Die Vermessung des Waldes in Surinam | Österreichische Ingenieure reüssieren in Südamerika Judith Brandner 36 - 38 Große Preise | Bauherrenkompetenz und Architekturqualität auf dem Siegerpodest Franziska Leeb 39 Impulswoche | technik bewegt Sabine Gstöttner 40 Empfehlungen 41 Jüngste Entscheidung, Krassnitzers Lektüren 42 Porträt Alice Größinger Gertrud Purdeller 43 Fehlanzeige, Das nächste Heft 44 Von oben Fehlanzeige Janusköpfige Stadtentwicklung: Wohnen und Arbeiten in der Stadt Monofunktionale Wohnareale und Büro-Cluster - eine Stadtentwicklung in parallelen Welten - ist das prekäre Erbe einer bürokratischen Stadtplanung, die sich in unseren Bauordnungen und Förderstrukturen festgesetzt hat. Wohnen und Arbeiten könnten aber leicht zusammen gedacht werden. Entsprechende Projekte liegen schon lange in den Schubladen. Die Umsetzung ist aufgrund der rechtlichen Parameter schon weit schwieriger. Innovative Projekte bleiben hierzulande meist Theorie. Die Trennung von Wohnen und Arbeiten führt nach wie vor zu verwaisten Räumen tagsüber oder ausgestorbenen Strassen nachts und zur Stärkung längst überholter Mobilitätsmuster. Gebäude und Stadträume haben sich zunehmend voneinander entfremdet. Hybride oder funktional durchlässigere Gebäude könnten aber auch wirtschaftlich von Vorteil sein, da anpassungsfähigere Stadthäuser auf eine veränderte Nachfrage flexibler reagieren könnten. Der spekulative Bürobau, der sich in vielen leer stehenden Immobilien manifestiert, ist angesichts der Knappheit von Wohnraum ein Kennzeichen eines fehlenden Gleichgewichts. Die Frage ist politisch: Welche Stadt wollen wir und wie lässt sie sich instand setzen? André Krammer N Impressum konstruktiv 288 Medieninhaber und Herausgeber Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten (bAIK) 1040 Wien, Karlsgasse 9 T: 01­505 58 07­0, F: 01­505 32 11 www.daskonstruktiv.at Erscheinungsweise Auflage Einzelpreis Abopreis pro Jahr vier Mal jährlich 14.000 Stück 9,00 Euro 24,00 Euro Lektorat Dorrit Korger Grafisches Basiskonzept Gassner Redolfi, Schlins Bohatsch und Partner, Wien Gestaltung vektorama. grafik.design.strategie Wien Druck Ueberreuter Print GmbH, Korneuburg Gedruckt auf SoporSet Premium Abbildungen Seite 3: bAIK // Seite 4: Ingo Pertramer, Andrea Maria F. = Fotograf Dusl // Seite 5: Otto Hainzl, bAIK // Seite 7-24: A. = Architekt Michael Wesely // Seite 27: Hans Lechner // Seite 33­34: ANRICA // Seite 37: A. Feyferlik/Fritzer / F. Paul Ott, A. Storch Ehlers Partner, GbR Architekten BDA, Hannover, WES & Partner / F. Angelo Kaunat, A. Thomas Giner, Erich Wucherer, Rainer Köberl / F. Lukas Schaller, A. Rainer Köberl / F. Lukas Schaller, A. udo heinrich architekten / F. Kurt Kuball, A. schneider+schumacher, GTL Landschaftsarchitekten / F. Kirsten Bucher // Seite 38: binderholz GmbH // Seite 39: Nicoletta Piersantelli // Seite 40: Mies.TV // Seite 42: Alice Größinger // Seite 43: Yasin Tetik, Courtesy: Knloll Galerie Wien, Anca Benera und Arnold Estefan // Seite 44: Land Salzburg, Landesplanung und SAGIS Die Redaktion ersucht diejenigen Urheber, Rechtsnachfolger und Werknutzungsberechtigten, die nicht kontaktiert werden konnten, im Falle des fehlenden Einverständnisses zur Vervielfälti­ gung, Veröffentlichung und Verwertung von Werkabbildungen bzw. Fotografien im Rahmen dieser Publikation um Kontaktaufnahme. Das Gestaltungskonzept dieser Zeitschrift ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts ist unzulässig. Die Texte, Fotos, Plandarstellungen sind urheberrechtlich geschützt. Offenlegung gemäß §25 Mediengesetz ist auf www.daskonstruktiv.at veröffentlicht. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben ausschließlich die Meinung des Autors wieder, die sich nicht mit der des Herausgebers oder der Redaktion decken muss. Für unverlangte Beiträge liegt das Risiko beim Einsender. Sinn­ gemäße textliche Überarbeitung behält sich die Redaktion vor. Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Zugunsten der Lesbarkeit wird, wenn von den Autorinnen und Autoren nicht anders vorgesehen, auf geschlechtsspezifische Endungen verzichtet. Das Zitat auf dem Titel wurde dem Text "Zeitmaschine Mensch" von Celine Wawruschka und Wolfgang Pauser entnommen. Redaktion, Anzeigen & Aboverwaltung art:phalanx Kunst­ und Kommunikationsbüro Clemens Kopetzky (Geschäftsleitung) Redaktionsteam Susanne Haider, Sebastian Jobst, Heide Linzer 1070 Wien, Neubaugasse 25 /1 /11 T: 01­524 98 03­0, F: 01­524 98 03­4 redaktion@daskonstruktiv.at, anzeigen@ daskonstruktiv.at, abo@daskonstruktiv.at Redaktionsbeirat Walter Chramosta (Architekturpublizist), Gerald Fuxjäger (Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Steiermark und Kärnten), Georg Pendl (Präsident der bAIK), Rudolf Kolbe (Vizepräsident der bAIK und Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Oberösterreich und Salzburg), Sabine Oppolzer (Kulturjournalistin), Wolfgang Pauser (Konsumforscher & Berater), Walter Stelzhammer (Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und Burgenland) Anca Benera and Arnold Estefan, I work therefore I'm not, variable Maße, mixed media Installation, 2012, courtesy: Knoll Galerie Wien, Anca Benera & Arnold Estefan In ihrer Werkserie dokumen­ tierten Anca Benera und Arnold Estefan ihre Arbeitstage am PC mit­ hilfe einer Software, die jede Bewegung des Maus­ zeigers aufzeichnete. Das nächste Heft Mit der Geburtsstunde der Wissenschaft, wie sie uns heute begegnet, und einem daraus resultierenden explosionsartigen Anwachsen des Wissens ging eine Welle der Spezialisierungen in allen Disziplinen durch den Reigen der Gelehrten, ohne diese ebendieser Reichtum an Fakten und Theorien unmöglich verwaltbar, geschweige denn erweiterbar gewesen wäre. Der holistisch belesene Gelehrte verwandelte sich zum spezialisierten Forscher. Mit zunehmender Komplexität technischer Aufgaben hat in der Geschichte der Professionen eine vergleichbare Entwicklung stattgefunden. Aus einer Kultur solitärer Ausnahmegenies wurde derart im Laufe der Zeit ein Arbeitsplatz für Teams der hellsten Köpfe. Beschleunigt durch die Kommunikationstechnologie prophezeien Beobachter die Blüte einer neuen Kooperationskultur. Doch ist das Planungsteam ohne Verantwortungsträger denkbar? Ist das Werk ohne Autor möglich?

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Editorial Technik vereinfacht und beschleunigt Prozesse nicht nur, vielmehr verändert sie diese. Modernen Medien geschuldet sind Arbeitsund Freizeit zu einem Kontinuum verschmolzen, die permanente Verfügbarkeit durch mobile Kommunikation hob die klare räumliche Trennung zwischen Arbeitsplatz, Wohnraum und öffentlichem Raum fast gänzlich auf. Galt bis dahin noch, Zeit sei Geld, wurde dieses Paradigma von zeitentbundenen Projektstrukturen abgelöst. Während in der Arbeitswelt der Wert der Zeit abnimmt, zeichnet sich durch Lebenszyklus orientierte Planung ein gegenteiliges Phänomen in der Konzeption von Gebäuden ab. Kosten und Nutzen müssen weit vor und nach der bloßen Errichtung berücksichtigt werden, um nachhaltige Gebäudekonzepte entwickeln zu können. Ebendieser erweiterte Zeithorizont wirft Fragen über die funktionale Eignung von starren Gebäudekonzepten bis hin zur Entsorgung der verbauten Materialien auf. Baustoffe, die zu "Lebzeiten" eines Gebäudes zu besonders effizienten Energiewerten beitragen, können durch diese zusätzliche Perspektive schnell an ökologischem Reiz verlieren. So sind Architektur und Konstruktion immer Zeichen ihrer Zeit und gleichzeitig der Auffassung von Zeit. Unter diesem Aspekt betrachtet gibt unsere gebaute Umwelt viel Aufschluss über unser Verhältnis zu der Zeit und umgekehrt. So ist das Aufkommen temporärer Architekturen im öffentlichen Raum in der zweiten Hälfte des gerade vergangenen Jahrhunderts sicherlich mehr als ein ästhetisches Experiment und sagt möglicherweise so manches über soziokulturelle Umbrüche aus. Sebastian Jobst N Pendls Standpunkt we adé und wie ich glaube, dass es dazu ge­ kommen ist. Die we-diskussion hat eine lange geschichte. 20 jahre. Im jahr 1999 erlebte sie als solche einen höhepunkt mit der entscheidung für die umstellung auf ein (künftig) kapitalgedecktes system und zudem waren die verlockungen der damals florierenden kapitalmärkte groß. Zu groß, zumal sich selbige nicht an die von der kammer beschlossene rendite halten wollten. Dennoch führten die letzten zwölf jahre zu jenem vermögen von 200 mio euro, welche ein wesentlicher baustein für den gegenwärtigen erfolg sind. Als ich 2006 meine erste präsidiale antrat, wurde vereinbart, dass das thema we nicht bei mir zu liegen käme. Andere seien dafür zuständig. Es gab einen kammertagsausschuss, dessen akustische auswirkungen auf den innenhof des häuserblocks legendär geworden sind. 2010 kam es zu einer neuen zusammensetzung des kammervorstandes, eine zuvor nicht gegebene geschlossenheit entstand, die zusammenarbeit mit vizepräsident kolbe war und ist ausgezeichnet und effektiv, die meinung des vorstandes in sachen we war einheitlich, und diese geschlossenheit, auch des außenauftritts, war beste voraussetzung für das folgende. Im dezember 2010 gerieten die verhandlungen an einen punkt des stillstandes, das we-kuratorium beklagte die inaktivität der kammerspitze. Das zu diesem zeitpunkt aktuelle modell der geteilten überleitung (über 55 bleiben, unter 50 kommen in die fsvg) zeigte sich als schlichtweg nicht umsetzbar. Zudem begann die von den kolleginnen landrock und lehner angestoßene initiative unterschriften für eine vollständige überleitung zu sammeln und baute hier positiven druck auf die bAIK auf. Anfang 2011 beschloss daraufhin der bAIK-vorstand die einrichtung eines strategieteams, welchem die kammerspitze und eben die beiden genannten externen angehörten, die stilllegung des kt-ausschusses und die festlegung auf ein neues verhandlungsteam. Kollege neukirchen übernahm dankenswerterweise den vorsitz des we-kuratoriums, der wiener kammerdirektor hans staudinger nutzte einen privaten kontakt, wodurch sich eine tür ins ministerbüro des sozialministers öffnete. Ein weiterer wesentlicher faktor auf unserer seite war die bestellung von felix ehrnhöfer zum neuen generalsekretär der bAIK mit september 2011. Seine erfahrung auf dem klavier der politik festigte den mit staudinger begonnenen weg, das thema auf die politische ebene zu heben. Konkreter meilenstein war der beschluss des nationalrates im dezember 2011, wonach die regierung beauftragt wurde, die überleitung der we zu prüfen. Damit war das thema auch offiziell bei der politik angekommen. Und hier hatten wir das glück, ein zeitfenster nutzen zu können, welches aus zwei faktoren bestand: Zum einen gibt es eine sehr konstruktive zusammenarbeit der beiden zuständigen minister, zum anderen wurde anfang des jahres ein sogenanntes sparbudget für 2012 und 2013 erstellt, in welchem unsere mitgift auf der einnahmenseite des jahres 2013 verbucht war. Der rest war trotzdem nicht routine, es war für alle beteiligten, auf unserer seite wie auch aufseiten der ministerien, ein ungeheurer arbeitsaufwand, der in kürzester zeit abgearbeitet werden musste, zumal es uns gelungen ist, den beginn des neuen jahres als wesentliches datum der überleitung festzulegen. Wesentlich deshalb, weil wir bereits ab 1. 1. 2013 unsere pensionsbeiträge in das staatliche system einzahlen werden. Viele von uns hatten die überleitung der we für un- oder zumindest schwerst erreichbar gehalten, wohl keiner hätte gedacht, dass es dann doch so schnell gehen könnte, zudem unter bedingungen, welche für keinen arch oder ing einen nachteil und den wesentlichsten vorteil der aufnahme in die große solidargemeinschaft bringen. Der erfolg ist auch ein lehrbeispiel dafür, dass gemeinsames und geschlossenes auftreten undenkbare ziele erreichbar und denkbar macht, dass die berufsvertretung die bürde einer eigenen pensionsvorsorge entsorgen konnte, macht uns frei für jene aufgaben welche der oben genannten bezeichnung entsprechen. ich denke, wir beginnen mit 2013 eine neue ära unserer kammer, wir arbeiten an und für bAIK 2.0 Georg Pendl (Präsident der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten) N Minister Hundstorfer, Vizepräsident Kolbe, Präsident Pendl und Minister Mitterlehner

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Bestzeit! Martin Puntigam Kabarettist, Autor und MC der Science Busters Im Jahr 2011 machten Neutrinos, Elemen­ tarteilchen mit extrem kleiner Masse, kurz Karriere als überlichtschnelle Universumra­ ser. Nach der sensationellen Publikation ihrer Höchstgeschwindigkeitsübertretung wurde weltweit an mehreren Forschungseinrichtun­ gen überprüft, ob das stimmen könne. Leider hat es sich unromantischerweise um einen Messfehler aufgrund eines losen Ka­ bels gehandelt. Was aber hätte überlicht­ schnelles Reisen bedeutet? Man hätte vor al­ lem die Relativitätstheorie gehörig nachbes­ sern müssen. Denn laut Einsteins großem Wurf können Teilchen niemals schneller sein als Licht und bei Lichtgeschwindigkeit würde die Energie der Teilchen sogar unendlich. Was zwar ma­ thematisch denkbar, aber technisch bislang nicht möglich ist. Überlichtschnelle Teilchen gibt es in der theoretischen Physik allerdings schon lange, auch wenn sie in der Realität noch nie nachgewiesen wurden. Man nennt sie Tachyonen, und für solche Teilchen läuft zum Beispiel die Zeit nicht wie für normale Materie, von der Vergangenheit in die Zukunft, sondern umgekehrt. Das ist aber nicht dasselbe, wie wenn man am Tag nach ei­ nem Kapitalrausch sehr lange sein Auto su­ chen muss, weil man nicht mehr weiß, wo man es geparkt hat. Tachyonen würden durch ih­ ren Geschwindigkeitsrausch den Kausalzu­ sammenhang zwischen Ursache und Wirkung tatsächlich umkehren. In den Naturwissen­ schaften ist das, wie gesagt, reine Theorie. In der Esoterik, wo man gerne für unmessbare Dinge bare Münze nimmt, ist die Therapie mit Tachyonen natürlich längst Alltag. Wie sie funktionieren soll, weiß kein Mensch, aber es handelt sich, zugegeben, um keine schlechte Geschäftsidee. Vor allem vom Standpunkt der Therapeutinnen und Thera­ peuten, die ihre Betriebskosten auf ein Mini­ mum reduzieren können. Denn in der Tachyonen­Welt sind die Pati­ enten schon wieder gesund, bevor sie über­ haupt eine Diagnose bekommen haben, und der Therapeut braucht nur eine Honorarnote zu stellen, ohne jemanden behandeln zu müssen. Klingt fantastisch, gehört aber eigentlich auch ohne Tachyonen längst zur Job­Descripti­ on von Esoterikern. N Dusls Schwerpunkt Puntigams Kolumne | Dusls Schwerpunkt

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Grundwahrheiten Rudolf Kolbe Vizepräsident der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten Es gibt zwei Grundwahrheiten. Eine davon lautet: Technikausbildungen sind kompliziert. Ich gebe zu, dass ich das Bild aus einem anderen Zusammenhang geborgt habe. Es beschreibt jedoch treffend die Situation, in der sich nach wie vor viele junge Menschen bei ihrer Wahl des Bildungs- und Berufsweges befinden. Bereits Volksschulkindern wird im Elternhaus nur allzu oft vermittelt, dass Mathematik unverständlich und unnötig, Physik schwierig und unpraktisch und alles Technische ja sowieso nur etwas für StreberInnen sei. Dies wird in der Haupt-, pardon, Neuen Mittelschule bzw. im Gymnasium nicht besser. Die naturwissenschaftlichen Fächer sind nicht sexy, mit Interesse für Integrale oder Mechanik können die wenigsten beeindrucken. Sprachen, Wirtschaft und Kommunikation liegen im Image weit vorne. Wen wundert es dann, dass wir mit ständig steigenden Zahlen über fehlende Studierende, über fehlende IngenieurInnen, über fehlende TechnikerInnen konfrontiert werden. Trotz bester Berufsaussichten und überdurchschnittlicher Verdienstmöglichkeiten wählen viele SchulabgängerInnen den Weg des geringsten Widerstandes - weil ja Technik und ihr Erlernen viel zu schwer erscheinen. Hier müssen wir ansetzen, wenn es uns Ernst ist mit unserer Sorge um eine funktionierende Gesellschaft. Wir müssen der Generation unserer Kinder vorurteilsfreie Information über die Bedeutung unserer Berufe vermitteln - natürlich auch über deren Verantwortung. Hier setzt die Initiative "technik bewegt" ein Zeichen, Information darüber finden Sie in dieser Ausgabe. Auch wenn ich sie natürlich alle begrüße, die AbsolventInnen einer wirtschaftlichen, einer sozialen, einer Gesundheits-, einer rechtlichen Ausbildung, um nur einige zu nennen, hoffe ich doch, dass es uns gelingt, wieder genügend junge Menschen für die Technik zu begeistern. Ach ja, die zweite Grundwahrheit: Die Erde ist eine Scheibe. N Überreguliert Wenn man etwas besonders gut machen will, dann geht es manchmal auch besonders heftig daneben. Vermuten wir einmal, dem war so bei der Schaffung der OIB-Richtlinien. Vereinfachung. Harmonisierung. Mindeststandards für Sicherheit, Ökologie, Komfort, Fairness. Alles Wunschund Schutzziele, die niemand grundsätzlich infrage stellt. Was aber, wenn man bei zu ausgiebiger Betrachtung und Berücksichtigung von Partikularzielen das große Ganze aus den Augen verloren hat? Wenn etwa die erhöhten Standards zu Kostenbelastungen beim Wohnbau kumulieren, die ausgerechnet dort am stärksten zuschlagen, wo tendenziell die wirtschaftlich schwächeren Bevölkerungsgruppen anzu- treffen sind? Oder wenn Regelwerke gerade solche Bautypologien überproportional verteuern, die wir aus ökologischer und raumplanerischer Sicht eigentlich fördern sollten? Dann konterkariert das partikulare Ziel das große Ganze. Hier muss man grundsätzliche Fragen stellen und eine Evaluierung der OIBs - vor allem hinsichtlich ihrer gesamtgesellschaftlichen Kosten - fordern. Bei einem anderen Player in der Regelmacherwelt sind hingegen die altruistischen Absichten schon viel schwerer auszumachen. Das Austrian Standards Institute (ehemals Österreichisches Normungsinstitut), grundsätzlich ein gemeinnütziger Verein, versteht sich laut Eigendefinition als Dienstleistungsorganisation. Die Austrian Standards produzieren Normen. 135 Mitarbeiter wollen beschäftigt und bezahlt werden. Das Geschäftsmodell dieser Christian Aulinger Vorsitzender der Bundessektion der Architekten Organisation ist - grob gesagt - die Erstellung von Normen und der Verkauf von Normentexten. Jede Norm ist also auch eine Handelsware, die verkauft werden kann. In den letzten zwölf Jahren hat sich übrigens die Zahl der Normen mehr als verdoppelt! Und je öfter eine Norm überarbeitet und neu aufgelegt wird, umso öfter kann sie nochmals verkauft werden. N Der Rückbau von Gebäuden und seine Konsequenzen Wenn Sie einen Rückbau planen, dann planen Sie natürlich auch das Neue, das jetzt an der Stelle entstehen soll. Klug ist es dann jedenfalls, den Abfallanfall mitzuplanen und dem Thema genügend Zeit zu widmen, denn das muss ordentlich geplant sein. Huschpfusch kann in der Abfallwirtschaft viel Geldverlust bedeuten. Sie sind jetzt Abfallerzeuger und Abfallbesitzer. Neben der sorgfältigen Trennung der Abfälle auf der Baustelle müssen Sie Ihren Abfall auch genau beschreiben (Abfallinformation). Bei großen Mengen müssen sie Ihren Abfall vorher genau analysieren und dann muss ein Fachmann einen Beurteilungsnachweis erstellen. Bei kleinen Mengen genügt eine verbale Beschreibung. Nach der Zuordnung einer Schlüsselnummer und eines Namens - ja Sie haben richtig gelesen, doch so will es der Gesetzgeber - übernimmt üblicherweise ein Abfallbehandler den Rest, und der hat eine GLNNummer. Schließlich muss er der überwachenden Behörde genau berichten, was er mit Ihrem Abfall gemacht hat. Ohne Papiere haben Sie bei der Deponie keine Chance, abzuladen. Jeder dieser Abläufe wird genau kontrolliert und vom Lebensministerium im EDM (Elektronisches Daten-Management), einer riesigen Datenbank, protokolliert. Das System ist perfekt! Ihr Abfall kann elektronisch verfolgt und auch lokalisiert werden. Schummeln gilt nicht. Wenn Sie Ihren Abriss in den Wald kippen, kommt neben der Polizei und der BH auch noch das Hauptzollamt im Auftrag der Finanzministerin, weil Sie den in der Deponiegebühr enthaltenen Altlastensanierungsbeitrag nicht eingezahlt haben. N Klaus Thürriedl Vorsitzender der Bundessektion der Ingenieurkonsulenten Rückbau bedeutet Abriss. Und Abriss bedeutet doch Abfall? Da bleibt etwas übrig, was niemand mehr braucht. Weg damit - aus den Augen, aus dem Sinn! Halt!, schreit da seit einigen Jahren der Gesetzgeber, denn spätestens seit der Deponieverordnung, BGBl II 39/2008 (DVO 2008), ist genau definiert, wie mit Abfall umzugehen ist und dass Verstöße teuer geahndet werden. Standpunkte

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Debatte Normen Ein Euro pro Norm "Die Technik entwickelt sich immer vom Primitiven über das Komplizierte zum Einfachen", meinte schon der französische Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry. Auch wenn wir nicht wissen, wo wir derzeit stehen, eines steht jedenfalls fest: Wenn Dinge komplexer werden, dann braucht es auch mehr Regeln - Normen, die diese Komplexität bewältigbar machen. Umfang des Normenwerks und Anzahl der Normen stehen immer in Zusammenhang mit der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung. Ebenso steht fest, dass Normen nicht von Normungsorganisationen gemacht werden, sondern von jenen, die sie in der Praxis brauchen. Normen werden bei und mit Unterstützung, aber nicht für und schon gar nicht von Austrian Standards entwickelt. Das Normungsgeschehen selbst findet heute vorwiegend auf europäischer und - Tendenz steigend - auf internationaler Ebene statt. Ob etwas genormt wird, wird in fast 90 Prozent der Fälle nicht mehr in Österreich entschieden. Und da gilt es dann, eine strategische Entscheidung zu treffen, ob man mitarbeitet und damit die Chance nutzt, die eigenen Interessen und Standpunkte einzubringen, oder ob man dies der inländischen und zunehmend ausländischen Konkurrenz überlässt. Mit der Konsequenz, das umsetzen zu müssen, was andere festlegen, die aktiv teilnehmen. Normung bzw. Mitarbeit in der Normung ist eine Investition, die Zeit und damit Geld kostet. Auch Normen kosten Geld. Das sind Beiträge jener, die Normen in der beruflichen Praxis anwenden, zur Finanzierung eines unabhängigen und neutralen Normungssystems. Um den Anwendern einen möglichst kostengünstigen Zugang zu den für sie relevanten Normen zu bieten, haben engagierte Interessenvertretungen gemeinsam mit Austrian Standards die Branchenlösung "meinNormenPaket" (www.meinnormenpaket.at) entwickelt. Damit stehen deren Mitgliedern - rund 12.000 Unternehmen, vorwiegend KMU, profitieren heute schon davon - die individuell ausgewählten Normen um 1 Euro pro Jahr und Stück (laufendes Update inklusive) zur Verfügung. "Teure Normen?" Um 1 Euro? Wohl ein Mythos! Gerhard Hartmann N Normen könn(t)en schützen Bei der Enquete "Teure Normung", die von der Vorsitzenden des Bautenausschusses des Nationalrates gemeinsam mit der Ingenieursektion der Wiener Länderkammer vorbereitet wurde, ergab sich ein recht einheitliches Bild. Allen Beteiligten war scheinbar klar, dass es zu viele Normen gibt, dass sie, wenn sie Gesetzescharakter erlangen, nur schwach demokratisch legitimiert sind - ja oftmals versuchen den Gesetzgeber zu reglementieren - und dass sie das Bauen verteuern. Wie kam es dazu? Normen wurden doch ins Leben gerufen, damit Muttern problemlos auf Schrauben passen. Offensichtlich gilt, was in Systemen ohne selbstreferenzielle Autokorrektive immer der Fall ist. Bei hinreichender Komplexität der Materie beginnen die Formulierungen von Regeln zur Bewältigung von Aufgabenstellungen weitere Fragen aufzuwerfen, die wiederum neue Regeln bedingen, die ... Wenn man dann noch bedenkt, dass die meisten Fragestellungen an den Schnittpunkten zu anderen Materien auftauchen, ist leicht zu erkennen, warum es fast unmöglich ist, dass diese Regeln widerspruchsfrei zu anderen Regeln sind - und sie sind es, wie jeder in der Praxis weiß, auch nicht. Damit ist aber auch klar, dass weniger die Normen als Produkt, als vielmehr die Normung als Prozess angegangen werden muss. Nicht die einzelne Norm muss reformiert werden - man muss einen Prozess installieren, damit sich Normen in Zukunft selbst beschränken. Dazu gehören die Forderungen: - Evaluierung in technischer, wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht vor Herausgabe einer Norm, - bei Normenänderungen muss der Normengeber Anweisungen geben, was mit dem schon vorhandenen (Bestand) zu tun ist und - die strenge Beschränkung auf das zur Verfügung Stellen von Methoden zur Erreichung von Zielen - die Ziele selbst muss der Gesetzgeber formulieren. Wir sollten uns wieder an die eigentliche Aufgabe der Normung erinnern. Die war es jedenfalls, gesicherte Methoden und Abläufe zur Verfügung zu stellen, mit deren Einhaltung man seine Sorgfaltspflicht beweisen konnte. Wenn heute das Gegenteil der Fall ist, wir bei jedem noch so kleinen Verstoß gegen eine der unzähligen Normen auch ohne Schadenseintritt den Sachverständigen hilflos ausgeliefert sind, dann ist es Zeit, etwas dagegen zu tun. Erich Kern, Peter Bauer N Plus/Minus

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Zeit Die Zeit ist ein Phänomen der Abfolge, denn erst diese offenbart uns Veränderungen. Räume, in denen Transformationen kaum wahrnehmbar sind, empfinden wir wider besseren Wissens als zeitlos, entsprechend handelt es sich bei der Fotografie um eine Kunst der Zeitlosigkeit, friert sie einen Moment doch einfach ein. In Michael Weselys Fotografien bricht die Zeit jedoch durch Vielfach- und Langzeitbelichtungen ein. Die Fotografien erhalten dadurch eine Qualität des Films, stellen nun Abfolgen dar und ermöglichen dem Betrachter, Veränderungen in eine Chronologie und damit in eine Narration zu setzen. Besonders in seinen Langzeitbeobachtungen des urbanen Raums legt Wesely die Wachstums- und Transformationsprozesse der Stadt offen. So bilden sich die verschiedenen Bauphasen einer Baustelle in seinen Aufnahmen ab, gleichwie der Aufbau hinterlassen auch Abriss und Wegnahme schemenhafte Spuren. Sebastian Jobst N Michael Wesely; Temporäre Kunsthalle, Berlin (31. 7. - 3. 9. 2008)

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Zeitmaschine Mensch | Der lange Abschied von der Stechuhr und die erstaunlich kurze Technikgeschichte der Arbeitszeit Celine Wawruschka, geistes- und sozialwissenschaftliches Studium mit historischer Ausrichtung, lebt und arbeitet nach längerem Auslandsaufenthalt wieder in Wien. Wolfgang Pauser beschäftigt sich als Kulturwissenschaftler, Autor und Berater mit Konsum, Produkten, Marken und Märkten. In den 90er-Jahren schrieb er Kolumnen über Konsumwelten für DIE ZEIT und unterrichtete Architekturtheorie am Institut für Wohnbau und Entwerfen an der TU Wien. Zeit ist Geld. Kein Donald-Duck-Heft konnte je aufs Wiederholen dieses Satzes verzichten. Er war die Basis der industriellen Revolution und ihr Sinnhorizont. Ein Glaubenssatz, der sich mit steigender Güterproduktion selbst zu bewahrheiten schien. Ihn wie ein Gebet zu wiederholen und zu verinnerlichen spendete Hoffnung für Generationen. Stellte in Aussicht, am künftigen Gewinn des Rationalisierungsprojekts Moderne irgendwie teilhaben zu können. Die Gesellschaft mittels Zeitdisziplin zur Arbeitsgesellschaft zu formen war ein Heilsprojekt über Jahrhunderte. Doch wie steht es heute um die Verknüpfung von Zeit und Geld? Das kulturelle Universum Donald Ducks ist in Auflösung begriffen. "Zeit ist Geld" gilt nicht mehr. Wir haben immer weniger Zeit und bekommen immer weniger Geld. Die Stechuhr wurde abmontiert, an ihre Stelle trat "das Projekt". Es löst die traditionelle Kopplung der Bezahlung vom Zeitmaß der aufgewendeten Arbeit. Geld wert ist nur noch das Erreichen des Ziels. "Mach es zu deinem Projekt!" - mit deiner Zeit, mit der Energie deiner projizierten Wünsche, aber bitte nicht für unser Geld. Architekten sind lange schon Avantgarde dieses Wandels (selbst wenn sie "Retro" bauen). Im Extremismus der Zeitverleugnung sind sie ihrem wachsenden Gefolge von Kreativ- und Wissensarbeitern voraus. "An die Zeit will ich bei diesem Projekt gar nicht denken!" - dieser Aufschrei durchtönt alle Architekturbüros in größter Regelmäßigkeit, wenn auch als einzige Regelmäßigkeit inmitten dieser in nobler Zeitvergessenheit luxurierenden wie geschundenen Berufswelt. Fordert ein Kunde immer neue Planungsvarianten nach, fällt das kaum auf. Sie wird nun gestaucht, bis sie ins "Arbeitspaket" passt. Längst hat Projektarbeit sich über alle Branchen verteilt. "Projektmanager" ist der gefragteste Beruf. Ab einer gewissen Anzahl von Praktikanten und Prekariösen lohnt sich sogar dessen Fixanstellung. Das Wort "Überstunde" bekam einen nostalgischen Klang. Es setzt jene Stunde voraus, in deren Maßzahl man schon deshalb nicht mehr rechnen kann, weil man jede Sekunde damit rechnen muss, vom Rechner unterbrochen zu werden. Die Stechuhr wurde von einer neuen Technologie überrundet. Mobiles Intenet im "always on"-Modus greift jederzeit in Prozesse und Konzentrationen ein. Fordert Aufmerksamkeit, verlangt "interaktiv" Reaktion und zerteilt Zeit nicht mehr in regulierte Takte, sondern fährt irregulär und taktlos dazwischen. Die eben skizzierten Veränderungen der Arbeitsorganisation werden meist aus politischen und ökonomischen Gründen abgeleitet: Von Neoliberalismus, Turbokapitalismus, Globalisierung und Ent solidarisierung einer Konkurrenzgesellschaft reden die Kritiker. Befürworter preisen den Ausstieg aus dem Zeitkorsett, die gewonnene Freiheit autonomer Zeiteinteilung, die Rück sichtnahme auf persönliche körperliche und seelische Befindlichkeiten, den Zugewinn an Individualität, Verantwortung und Selbstbestimmung. Eigenzeit statt Zeitdiktat lautet das Versprechen des Arbeitsmarkts an die neu selbstständige Ich-AG. Aus dem entgrenzten Zeitkontinuum der Selbstverwirklichung ist jene diskrete Einheit des Messbaren gewichen, mit der sich Anzahl noch in Zahlung übertragen ließe: die Arbeitsstunde. Zeitmaschine Mensch

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Bei dieser handelt es sich um ein paradoxes Gebilde: eine Aktiengesellschaft ohne jedes Kapital, bei der das Ich übrig bleibt. Kritiker und Befürworter der zeitentbundenen Arbeitsorganisation haben den gleichen blinden Fleck: die Technik. Sie ist als System eigendynamisch und autopoietisch. Michael Wesely; Robert und Kerstin, Zigarettenpause, Atelier Kim & Wesely, Berlin (10:52 - 10:57 Uhr, 10. 8. 2008) Man kann an ihr so etwas wie eine Evolution beobachten. Von Politik, Religion und Kulturen ist sie erstaunlich unabhängig. Ihr Einfluss auf die Gesellschaft ist deutlich größer als umgekehrt. Mit ihrer Neutralität nährt sie die Illusion, es läge in der moralischen Verantwortung menschlicher Willensbildung, ob und wie sie verwendet wird. Der Philosoph Rudolf Heinz hat es einmal sehr pointiert formuliert: "Es gibt keine Geschichte, nur Technikgeschichte." Der versprochene Fortschritt der Menschheit zu mehr Vernunft, Moral, Sozialität, Aufgeklärtheit und gerechter Politik findet nicht statt. Dass uns bessere Autos, Waffen und Mobiltelefone zur Verfügung stehen, wird indes niemand bestreiten. Um zu verstehen, was Zeit heute bedeutet, wie ihr Fluss von Technologien neu artikuliert wird und wie wir anders als früher ticken, lohnt ein kurzer Rückblick in die Geschichte. Technikgeschichte der Zeit Noch bevor das Römische Reich seine Legionäre mit Taschen-Sonnenuhren ausstattete, wurden in Europa, Asien und Afrika Zeiteinheiten von Wasseruhren definiert. Diese konnten nur einen begrenzten Zeitraum messen, wie etwa die Dauer einer Gerichtsverhandlung. Erst in der Renaissance verbreiteten sich in Europa mechanische Uhren. Sie teilten die Zeit in gleich lange Stunden. An Kirchtürmen und öffentlichen Gebäuden angebracht, verbreiteten sie die gleichmäßig strukturierte und für alle Stadtbe- Zeitmaschine Mensch

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wohner gültige Zeit im öffentlichen Raum. Die Synchronisierung von Tätigkeiten war nicht länger auf Anwesenheit am selben Ort angewiesen. Die Uhr wurde als Messwerkzeug für das vermeintlich objektive Naturphänomen Zeit eingeführt, ihr Effekt aber war die Erschaffung neuer Verhaltensweisen und Wahrnehmungen. Einige Kulturen werteten die subjektive Zeit gegenüber der maschinell normierten Uhrzeit ab und erhoben Pünktlichkeit zur moralischen Tugend. Andere Kulturen wehrten sich gegen den fremdbestimmten Rhythmus - bis heute gilt in zahlreichen Weltgegenden als unhöflich, wer nicht verspätet erscheint. Zuvorkommend stellt man die wertgeschätzte Eigenzeit des Gegenübers über die eigene. Macht Wartezeit großzügig zum Geschenk und verweigert solidarisch die allemal "von oben" auferlegte Ökonomisierung des zeitlichen Daseins, die Kopplung der Selbststeuerung mit einer Maschine. Sukzessive schlich sich die Uhr auch in Manufakturen, Fabriken und Eigenheime ein. Übertrug die Zeitstruktur der scheinbar gleichwertigen Abschnitte aus dem Bereich technisch gemessener Natur in den der Gesellschaft. Die neue Zeitordnung berief sich auf eine natürliche Ordnung. Diese Behauptung universeller Gültigkeit a priori war für die weltweite Verbreitung der Uhrzeit ebenso hilfreich wie das Versprechen von mehr Kontrolle, Organisation und Produktivität. Die Raumordnung der Zeit dehnte sich immer weiter aus, von der Sichtweite des Kirchturms bis zur Globalisierung. Eisenbahn und Telegraf ließen die künstliche Zeit den natürlichen Raum überwinden. Als dank industrieller Fertigung Armbanduhren erschwinglich wurden, erreichte die Bindung des Menschenkörpers an die universalisierte Zeitmaschine ihren Höhepunkt. Der strenge Blick aufs Handgelenk wurde zu einer rituellen Geste, die eine neue Haltung temporalisierter Selbstdisziplin - durchaus mahnend - öffentlich sichtbar machte und kommunizierte. Auch wenn der Pulsschlag dabei manchmal schneller wurde, blieb der mechanische Takt davon ungerührt. Das stützte die Überzeugung allgemein gültiger Zeit - Eigenzeit wurde zusehends als Abweichung empfunden. 1911 erschien in den USA ein schmales Büchlein mit epochaler Wirkung: Frederick Taylors "The Principles of Scientific Management". Arbeit wurde als Abfolge von Körperbewegungen und Steuerungsprozessen gemessen und rationalisiert. Als wichtigstes Werkzeug der neuen Arbeitswissenschaft lieferte die Stoppuhr zugleich das Modell, in dessen Rahmen neu verstanden wurde, was zuvor "handeln" geheißen hatte. Um den Menschen stringenter mit Maschinen verkoppeln zu können, konzipierte die Wissenschaft ihn nun selbst als Maschine. Wie ein Uhrwerk zu funktionieren wurde zum Ideal eines sich aus Rationalität ableitenden und auf Rationali- sierung hinauslaufenden "modernen" Menschenbilds. Die kritische Reflexion dieser Entwicklung lieferte Siegfried Giedion 1948 unter dem Titel "Die Herrschaft der Mechanisierung". Vor der Verbreitung des "Taylorismus" hatten sich die Ansätze zur Rationalisierung von Arbeitsprozessen nur auf Maschinen bezogen. Technische Lehrbücher des 18. und frühen 19. Jahrhunderts gaben noch keine Definition von Arbeit, sondern nur von Kraft - nicht des Arbeitstiers oder des Menschen, sondern der Maschine. Im Gegensatz zum Physiker war der Ingenieur jener Zeit bloß am Funktionieren seiner Maschinen, nicht an der quantitativen Auswertung von Leistung oder Arbeit interessiert. Maschinelle Vorrichtungen wurden weitgehend nach Erfahrungswerten gebaut und nach ihrer Wirkung beschrieben. Die ersten Messgeräte für Leistung pro Zeiteinheit entwickelte man für Maschinen. Ihre Anwendung auf den Menschen war nur noch eine Frage der Zeit. Die Bemühung, Arbeit effizienter zu organisieren, geht bereits auf die Entdeckung der systematischen Arbeitsteilung in den Manufakturen des 18. Jahrhunderts zurück. Vorarbeiter waren dazu angestellt, die Einhaltung der Arbeitszeiten (und -pausen) zu überwachen und eine kontinuierliche Arbeitsleistung sicherzustellen. Hier waren es noch Menschen, die sechs Tage in der Woche für die Aufrechterhaltung der gespannten Atmosphäre eines Zwölfstundentages sorgten. Dampfmaschine und Industrialisierung führten im 19. Jahrhundert zu wachsenden Betriebsgrößen und steigender Produktivität. Und zu neuen Herausforderungen, die Bewegungen der Maschine mit denen des Arbeiterkörpers nicht nur zu synchronisieren, sondern zu einer optimal produktiven Gesamtmaschine zu verschmelzen. Henry Ford hat die Fließbandproduktion nicht erfunden, doch ihre Anwendung für die Autoindustrie 1914 wurde mit dem Erfolg zur Legende. Frank und Lilian Gilbreth erweiterten Taylors Zeitstudien auf die Analyse von Bewegungen. Sie montierten Lichter auf den Arbeiterkörper, um mittels Bewegungsfotografie, später auch Film, die mechanische Seite menschlichen Schaffens im Sekundentakt aufzuzeichnen. Damit zeigten sie, wie die Handgriffe eines Maurers von 18 auf fünf reduzierbar wären. Und wie die mögliche Höchstleistung als Sollzeit zur Normzeit werden könnte. An seinem eigenen Körper scheiterte Frank Gilbreth jedoch, als er seinen Söhnen die Rationalisierung der Morgenrasur demonstrieren wollte: Zwar führten die eingesparten Handgriffe zu vier Sekunden Zeitgewinn. Dieser wurde jedoch durch die aufzuwendende Mehrzeit zur Versorgung von Schnitten im Gesicht aufgehoben. Die Ankopplung menschlicher Bewegung an die Zeitstruktur der Industriemaschine wurde von den Arbeitenden als Plage empfunden und mit Konflikten beantwortet. Henry Ford versuchte mit drastisch erhöhten Löhnen das Fließband schmackhafter zu Erst im Jahr 1910 konnte die einheitliche Weltzeit dank Zerteilung in globale Zeitzonen verbindlich normiert werden. Taschenuhren wurden nun nach den Normaluhren gestellt. 10 | 11 Zeitmaschine Mensch

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machen. In der UdSSR steigerte die Stachanow-Bewegung anfänglich tatsächlich die Arbeitsproduktivität, wurde jedoch bald von ihrem eigenen Erfolg ad absurdum geführt, als auch Zahnärzte, Kindererzieher und Taucher sich ihr anschlossen. Theaterregisseure punkteten mit der Anzahl der Aufführungen, Volkskommissare mit der Anzahl der Verurteilungen. "Wir leben jetzt besser, wir leben lustiger," war Stalins Resümee. 1924 wurde vom Verein Deutscher Ingenieure der Reichsausschuss für Arbeitszeitermittlung gegründet. Neben der Zeitersparnis sollte auch die Verringerung der Ermüdung Berücksichtigung finden. Mit derlei Humanisierungen war es ab der Eingliederung in die Deutsche Arbeitsfront vorbei. Bis 1943 stieg die Anzahl der professionellen "Zeitnehmer" auf das Sechsfache. Sie hatten "Bummelanten" ins KZ einzuweisen. Zwangsarbeit und Arbeitszwang waren zwei Seiten derselben Medaille. Gute Zeiten, schlechte Zeiten In der Nachkriegszeit wurden die Aufpasser selbst durch Maschinen ersetzt. Die Stechuhr war nicht nur ein Instrument der Knechtung, sie fixierte auch jene Messeinheit der Arbeitsstunde, die zur Grundlage politischer Verhandlung und rechtlicher Regulierung wurde. Das in manchen Branchen bis heute fortgeführte Modell lebenslanger Fixanstellung, ausgestattet mit vielerlei rechtlichen Ansprüchen und geregelter Arbeitszeit, wurde schon in den 70erJahren erstmals gelockert, als "mitarbeiterorientierte Gleitzeit" kleine Freiheiten einräumte. Wobei die besser ausgebildeten, motivierteren und mehr leistenden jungen Mitarbeier in der Regel ohne auskommen müssen. Wer dieses neue Arbeitszeitregime ökonomischen Mächten und politischen Ideologien zuschreibt, übersieht die technischen Treiber der Globalisierung. Erst haben schnell und günstig verfügbare Verkehrsmittel alle territorial gebundenen Austauschverhältnisse geschwächt. Dann ist mit dem Internet die alte Korrelation von Raum und Zeit zusammengebrochen. Mit dem mobilen Computing ist alles für jeden an jedem Ort und zu jeder Zeit verfügbar und bearbeitbar geworden. Gegen diese technisch induzierte Entgrenzung lassen sich tradierte Scheidungen von Arbeit und Freizeit, Selbst- und Fremdverwirklichung, Produktion und Konsum, Materiellem und Immateriellem, Autonomie und Anpassung, sportlichem und wirtschaftlichem Wettbewerb, Spiel und Pflicht nicht länger halten. Das Freizeit- und Konsumprodukt Handy unterscheidet sich von der Arbeitsmaschine Desktop nur noch im Außenmaß und Gewicht. Arbeitszeit hat sich als differenzierende Größe aufgelöst. Spiegelbildlich ist es der Freizeit ergangen. Des Selbstverwirklichers liebste Beschäftigung ist schließlich jenes Erleben von Selbstwirksamkeit, das man einst "arbeiten" nannte, als es noch richtige Arbeit gab. Eingeführt zur Motivation von Mitarbeitern in Zeiten der Vollbeschäftigung, wandelte sich ab den 80er-Jahren mit wachsender Arbeitslosigkeit die Orientierung der "flexiblen Arbeitszeitsysteme": Nicht mehr den Angestellten, sondern primär dem Betrieb und seinen Kunden sollen diese nunmehr Vergünstigungen verschaffen. Der Funktionsverlust nationaler Grenzen setzt schließlich nicht nur Unternehmen einem globalen Wettbewerb mit Anbietern aus "Billiglohnländern" aus. Auch im jeweiligen Inland hat sich ein nicht territorialer Zweitmarkt gering bezahlter Arbeit etabliert, auf dem nicht Wohlfahrt, sondern Überleben zählt. Weil nicht mehr das Verrichten von Arbeit ein knappes Gut ist, sondern die Gelegenheit, dafür Geld zu bekommen, stehen arbeitsrechtliche Errungenschaften unter Druck. Vom Markt her, aber auch seitens ihrer politischen und moralischen Selbstlegitimation. Die Fixierung der Umtauschverhältnisse zwischen Zeit und Geld hatte ursprünglich auf eine Verbesserung der finanziellen Lage der Ärmsten gezielt. Heute ist sie ein zufälliges Privileg älterer Arbeitnehmer, dessen Finanzierung auf dem Ausschluss der Nachkommenden beruht und von diesen nur noch als Ungerechtigkeit empfunden werden kann. Es zählt heute in Betrieben zur Norm, dass Menschen mit Überstundenbezahlung neben Menschen ohne Überstundenbezahlung am Schreibtisch sitzen. Mit Urlaubsanspruch, Weihnachtsgeld, Arbeitslosenversicherung - oder eben ohne. Die alte Ordnung des Hintereinander ist dem neuen Chaos des Gleichzeitigen gewichen. Situativ disponierbar sind Teilzeit, Gleitzeit, Schichtarbeit, Arbeitszeitkonto, Arbeit auf Abruf, Jahresarbeitszeitvertrag, Praktikum, Bildungskarenz, um nur einige zu nennen. "Zeit ist Geld" gilt nur noch beim automatisierten "Trading" der Finanzwirtschaft, wo Millisekunden zu Milliarden werden. Warten müssen und unterbrochen werden sind die Komplikationen der neuen Zeitmaschine. Wer wollte für eine damit verbrachte Stunde noch Geld bezahlen? Zu Charlie Chaplins Sinnbild des an Uhrzeiger geketteten Menschen steht Cloudcomputing in schärfstem Kontrast. Der Takt wird nicht mehr in Sekunden, sondern in Megahertz gemessen, weit unter der Wahrnehmungsschwelle. Die mobile Dauerbegleitung des digitalen Arbeitsgeräts hat uns aus der Maschinenhalle und aus dem Zeitregime der Mechanik befreit. Die Geste des Auf-die-Uhr-Blickens ist seltener geworden. Fast könnte man meinen, der Mensch hätte zu jener Eigenzeit und Zeitautonomie zurückgefunden, die vor der Erfindung der Turmuhr selbstverständlich war. Doch die Verkopplung unseres Lebens mit einer Zeit strukturierenden Maschine ist enger geworden. Auch wenn diese nicht mehr rhythmisch synchronisierend wie eine Galeere oder Dampfmaschine, sondern mit regellosen Aufenthalten und Zwischenkünften unser Kontinuum zerrüttet. Sobald das Handy sonntags piepst, merken wir, dass freie Zeit Arbeit auf Abruf ist. N Zeitmaschine Mensch

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Lifecycle Building | Vision und Wege zur Umsetzung Christoph M. Achammer, Architekt , Univ.-Prof., Lehrstuhl für Industriebau und interdisziplinäre Bauplanung, TU Wien. Partner und CEO von ATP Architekten und Ingenieure, Gründungsmitglied: DGNB, ÖGNI, IG Lebenszyklus. Michael Wesely; Akademie der Bildenen Künste, München (4. 12. 2003 - 26. 10. 2005) Die meisten Definitionen von Lebenszyklusbetrachtungen von Gebäuden versuchen das letztlich mit einer lebenszyklusorientierten Kostenbetrachtung quantifizierbar zu machen. Die ersten Ansätze dieser Betrachtungen des Lifecycle costings reichen in die Mitte des 20. Jahrhunderts und kommen aus den Bereichen der Landwirtschaft und militärischer Großinvestitionen. Insbesonders im industriellen Bereich haben Lebenszykluskostenbetrachtungen für Investitionsentscheidungen ihren fixen Stellenwert. Die Betrachtung von Lebenszykluskosten in Gebäuden hat eine relativ kurze Tradition, die im Zuge der steigenden Bedeutung von Nachhaltigkeitsbetrachtung durch die Gesellschaft entstanden ist. Interessanterweise ist trotz der überragenden Be- deutung der Bauwirtschaft in jeder Volkswirtschaft die Aufmerksamkeit für Gebäude und deren Auswirkungen auf eine "nachhaltige Welt" unterrepräsentiert. Noch weniger im Bewusstsein verankert ist dabei die Bedeutung der Planung, die beginnend mit raumplanerischen Festlegungen über die Bedarfsermittlung einzelner Gebäude und der gesamthaften Planung derselben entscheidenden Einfluss auf die lebenszyklusorientierte Qualität unserer Umwelt hat. Bezogen auf das einzelne Gebäude werden mit ca. zwei Prozent der Lebenszykluskosten (alle Planungs- und Entwicklungskosten) bis zu einem Drittel der Erstinvestition, von 20 Prozent der Lebenszykluskosten und bis zur Hälfte der lebenslangen Betriebskosten von 78 Prozent bei gleichbleibender 12 | 13 Lifecycle Building

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Qualität unkorrigierbar beeinflusst. Sucht also ein Kernprozess unseres Lebens (arbeiten, einkaufen, wohnen etc.) ein adäquates Haus, so können mit zwei Prozent der Kosten gute oder schlechte Ideen und Prozesse zu Ergebnissen führen, deren Lebenszyklusbetrachtung über 40 Prozent voneinander abweichen. Dessen ungeachtet sind große Teile unserer Industrie weiterhin stolz, den Einkauf von Planungsleistungen ökonomisch zu minimieren. Vitruv hat vor mehr als 2000 Jahren mit der Forderung nach utilitas, firmitas und venustas eigentlich alles gesagt. Ein Haus hat dem Kernprozess seiner Nutzung zu dienen, mit den geringsten materiellen Ressourcen langfristig stehen zu bleiben und Herz und Geist der Menschen zu erfreuen. Die Brundtlandsche Reinterpretation ist mit ökonomischer, ökologischer und soziokultureller Nachhaltigkeit zwar nordisch reservierter, aber letztlich inhaltlich ident. Warum dann die ganze Aufregung? Obwohl die Bauindustrie wesentlichen Anteil an jeder Volkswirtschaft hat, ist sie zumindest im Hochbau weitgehend forschungsfrei. Abgesehen von Forschung für neue Baumaterialien und der traditionellen Forschung der Baukunstgeschichte liegen erstaunlicherweise wenige Ergebnisse hinsichtlich der Inhalte und Konsequenzen der Planungs- und Bauprozesse wissenschaftlich dokumentiert vor. Damit fehlt ein großer Hebel, um Planungsprozesse substanziell verändern zu können. Die oben erwähnten Gebäudezertifikate haben hier zwar auf der Marketingebene eine erfreuliche Bewegung ins Spiel gebracht und die Immobilienindustrie auf dieses Thema zumindest aufmerksam gemacht, aber inhaltlich nicht wirklich zu substanziellen Veränderungen beigetragen. Ein Grund der Forschungsfreiheit liegt sicher auch in der Kleinteiligkeit und Heterogenität der Planerbranche im Hochbau. 86 Prozent aller Architekturbüros in Deutschland haben weniger als drei Mit arbeiterInnen und weitere elf Prozent weniger als zehn. In Österreich ist die Situation nicht viel anders. Darüber hinaus ist die integrale Zusammenarbeit von Architekten, Tragwerks- und Haustechnikplanern noch immer die Ausnahme. Ein Umstand, der in allen anderen Entwicklungsfeldern - z. B. von Automobilen - gänzlich unvorstellbar ist. Das Bekennt nis zum Einzelkämpfertum beginnt mit dem Selbstverständnis von Architekten und Ingenieuren, wird an den Universitäten perfekt (weiter)entwickelt und endet in rivalisierenden Gruppen in den Standesvertretungen und der öffentlichen Wahrnehmung. Dass es für die Ausbildung zum Hautechniker in Österreich noch gar keine universitäre Möglichkeit gibt - die Fachhochschulen mögen mir da verzeihen - ist ein Skandal und sei nur am Rande erwähnt. Natürlich übersehe ich nicht eine ganze Reihe von Trial-and-Error-Versuchen mit gebauten Objekten, um neue Erkenntnisse zu gewinnen, aber ist das genug? Und vor allem steht da der Aufwand in einem gerechten Verhältnis zur Wirkung? Noch dazu wo uns IT-Werkzeuge langsam die Möglichkeit geben, Ursache und Wirkung virtuell erproben zu können? Aber dazu sind zwei wesentliche Veränderungen unumgänglich. Wir müssen erstens versuchen unsere Diskussionen präziser zu führen und wissenschaftlich zu untermauern. Diese reine Kostenbetrachtung greift aber bei der Lebenszyklusbeurteilung von Gebäuden jedenfalls zu kurz, da eine seriöse Nachhaltigkeitsdefinition jede Menge an nicht monetarisierbaren Kriterien umfasst. Seit der marketingorientierten Verbreitung von sogenannten Umweltzertifikaten, Leed, Breeam oder DGNI/ÖGNI, wird unter dem Unwort der vergangenen Jahre "Nachhaltigkeit" begonnen, die Qualität von Gebäuden wieder umfassend zu diskutieren. Dabei ist die Forderung uralt. Lifecycle Building

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Wir können zukünftig so komplexe Systeme wie Häuser nicht nur in Geld oder CO2-Werten oder Energieverbräuchen klassifizieren. Nur wenn wir uns mit großer Anstrengung dem Thema wissenschaftlich nähern und dafür auch die entsprechenden Mittel einzusetzen bereit sind, können wir verbindliche Aussagen treffen und damit auch unsere Auftraggeber überzeugen. Wenn wir weiter Mittel einsetzen, um wenig durchgängige Einzelbetrachtungen auf der Produktseite sinnlos zu fördern und nicht in wirkliche Forschung und Entwicklung zu investieren, bleiben alle Anstrengungen Makulatur. In der gegenwärtigen Situation werden Abermillionen von öffentlichen Geldern unter der Überschrift der Nachhaltigkeit eingesetzt, die alle fast ausschließlich den einseitigen Einsatz unrentabler Endprodukte unterstützen. Um Erkenntnisse zur Verbesserung der Fotovoltarikindustrie zu unterstützen, müssen nicht Zehntausende Quadratmeter an Endprodukten subventioniert werden. Ähnliche Irrwege beleuchten hypertrophe Vorschriften hinsichtlich Wärmedämmwerten oder gar Biotreibstoffförderungen. Im Sinne Vitruvs oder Bundtlands müssten sich Lösungen und Materialien am Markt, in der Umwelt und bei den Menschen auch ohne Förderungen durchsetzen können, um zu "guten Häusern" zu werden. Außerdem würde ein Bruchteil der heute eingesetzten Mittel für Forschung und Entwicklung verwendet zu vielfach höheren Multiplikatoreffekten führen - allerdings ohne die bisher bediente Klientel weiter befriedigen zu können. Zum Zweiten müssen wir unsere Prozesse ändern. Nachhaltige und lebenszyklusorientierte Gebäude sind ohne integrale Planung nicht möglich. Also was tun? Wir wissen, dass die Konsequenzen entsprechender Ausbildung erst in zehn Jahren wirksam werden - vorausgesetzt diese Ausbildung wird möglich. Es liegt also an uns, die Prozesse zu ändern und Learning by Doing zu erfahren. Diese Führungsaufgabe verlangt eine Rückbesinnung auf die umfassende Aufgabe des Architekten, der bis ins 20. Jahrhundert diese Aufgabe immer und umfassend wahrgenommen hat. Mit Aufkommen neuer Materialien und Technologien überstieg die dazu notwendige Kompetenz das Wissen eines oder einer Einzelnen. Die Prozessführung der Planung wurde schrittweise unter kontinuierlichen Klagerufen aufgegeben und eigentlich durch niemanden ersetzt. Zumindest durch niemanden, der dafür die Kompetenz und die Verantwortung übernehmen kann. Alle Leistungsbilder der Projektsteuerung beziehen sich sinnvollerweise auf ausgelagerte Aufgaben des Bauherren, also unserer Auftraggeber. Wir sollten weniger die Absenz guter Bauherren beklagen, sondern aktiv mit deren kompetenten Organen - den Projektsteuerern - zusammenarbeiten. Dies erfordert allerdings den Willen, den Planungsprozess gesamthaft wieder selbst zu führen. Tut man das nicht und zwingt den Projektsteuerer in diese Rolle, macht er das per definitionem unbezahlt, meist ohne ausreichende Kompetenz und immer ohne Verantwortung. Ganz abgesehen davon, dass er diesseits und jenseits des Auftraggeberhorizonts arbeitet, was eigentlich nicht miteinander vereinbar ist. Ich denke, es ist entscheidend, zu erkennen, dass Steuerung von bauherrenrelevanten Entscheidungsprozessen und Führung eines integralen Gestaltungsprozesses zwei sowohl methodisch als auch inhaltlich vollkommen verschiedene Dinge sind, die andere Qualitäten, Führungsinhalte und Kompetenzen erfordern. Ich gehe inzwischen so weit, dass es sogar schwer ist, beide Prozesse in einer Unternehmenskultur vereinbaren zu wollen. Die Übernahme des Anspruchs auf umfassende Führung des Planungsprozesses hat mehrere Konsequenzen. Es ist der Architekt, der das Gebäude als kreatives Resultat seines Teams zu verantworten hat. Es kann wieder der Architekt werden, der entscheidenden Stellenwert in der Diskussion über unsere gebaute Zukunft erlangt. Es wird wieder Ingenieure geben, deren Motivation zum Beruf die kreative Erfindung guter Häuser ist und weniger die Berechnung vorgelegter Modelle. Und, vor allem, es ist die Voraussetzung zur innovativen Veränderung unserer gebauten Umwelt als Beitrag unserer Verantwortung, die Welt für unsere Kinder so schön zu hinterlassen, wie sie ist, oder vielleicht sogar ein bisschen schöner. Ich bin sehr optimistisch, dass dieser Wandel schneller erfolgt, als wir denken. Besonders hilfreich wird dabei die technische Unterstützung durch eine neue Form der Transformation unserer kreativen Ideen in virtuelle Modelle sein. Erstmals scheint es möglich, ohne Umweg über Pläne, Listen, Modelle, Beschreibungen und viele andere "Geheimdokumente" die komplexen Ideen eines kreativen Teams in Realtime in einem für alle lesbaren, integralen Modell abbilden zu können. Erstmals können in überschaubaren Zeiträumen während des Planungsvorgangs vielfältige Konsequenzen von Planungsentscheidungen so aussagekräftig simuliert werden, dass daraus tragfähige Entscheidungen abgeleitet werden können. Auch diese fantastische Chance müssen wir nutzen. Und wir können sie nur nutzen, wenn wir unser Verhalten und unsere Strukturen ändern. Auch da könnte die öffentliche Hand einen sinnvollen Beitrag leisten, wenn sie diesen Prozess damit beschleunigt, dass nur noch Projekte beauftragt werden, die ihre Aussagen in digitalen Modellen liefern. Einige skandinavische Staaten haben diesen Schritt (fast erwartungsgemäß) bereits getan, mit der Konsequenz, dass dort BIM - building integrated modeling - am weitesten fortgeschritten ist. Wenn nachhaltiges Bauen also ohne integrale Planung nicht möglich ist, so ist eine fundierte Betrachtung von Lebenszyklusmodellen schon im Planungsprozess - und nur da ist das wirkungsvoll - ohne BIM bzw. digitale Modellbildung auch unmöglich. Beide Voraussetzungen sind erfüllbar und liegen in unseren Händen. N Es führt kein Weg daran vorbei, interdisziplinäre Teams von Beginn an am Planungsprozess zu beteiligen und dabei integral zu führen. 14 | 15 Lifecycle Building

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Placeboeffekt und Feigenblatt | Warum bei Ökologiefragen die Lobby schweigen muss Wojciech Czaja, geboren 1978 in Ruda Slaska, Polen, ist freischaffender Architekturjournalist und arbeitet vor allem für Der Standard. Seit 2011 ist er Gastprofessor an der Universität für Angewandte Kunst. Kürzlich erschien im Verlag Anton Pustet "Zum Beispiel Wohnen". Michael Wesely; Detail aus Abbau Infobox, Berlin (16. 1. - 4. 4. 2001) Bei Themen wie Nachhaltigkeit und Lifecycle Design werden Konsumenten von der Industrie oft an der Nase herumgeführt. Schade eigentlich. Denn die wirklich sensiblen Ansätze und Projekte bleiben dabei auf der Strecke. "Jede Architektur ist ein künstlicher Eingriff in unsere Umwelt", sagt der britisch-malaysische Architekt Ken Yeang. "Es bedarf einer hohen Sensibilität, um diese Kombination von Natürlichem und Künstlichem am Laufen zu halten. In der Vergangenheit ist uns diese Balance gelungen. Doch heutzutage haben wir die Kontrolle darüber verloren. Es ist, als hätten wir das Bauen verlernt." Ken Yeang betreibt Büros in London und Kuala Lumpur. Er ist spezialisiert auf die Planung grüner Hochhäuser. Es sind vor allem Unternehmen und Weltkonzerne, die immer wieder auf seine Expertise zurückgreifen und ihre Headquarter mit grüner Architektur schmücken. "Grünes Bauen ist ein Placeboeffekt", meint Yeang selbstkritisch. "Der Aufwand ist enorm hoch, die Errichtung ist meist unwirtschaftlich und unterm Strich haben die Gebäude keinerlei Auswirkung auf die Gesamtenergiebilanz eines Stadtquartiers. Grüne Architektur ist im besten Fall ein Propagandamittel, das zum Nachdenken anregt. Immerhin!" In der globalen Bauwirtschaft hat Kritik keinen Platz. Unbequeme und reflektierte Denker wie Yeang sind daher eine Seltenheit. Stattdessen rühmen sich Kommunen, Institutionen und Privatwirtschaft mit Fortschritt und Innovation. Die meist abgedroschenen Slogans klingen wie ein Dogma. Nichts als ökologische Lippenbekenntnisse. Besonders schlimm ist die Situation in BoomMärkten wie Russland, China und den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo unter dem Vorwand nachhaltigen Bauens an längst veralteten Architektur- und Stadtbildern weitergebastelt wird. Aber auch in unseren Breitengraden werfen Politiker, Developer und Investoren mit allerhand Begriffen um sich. Die Rede ist von Green Buildings, Blue Buildings, Zero Carbon Homes, Lifecycle Buildings, Low Emission Citys, Smart Concepts und Sustainology. Nicht jeder Markenname wird seinem Inhalt gerecht. Auch der Kampf um die beliebtesten Zertifizierungen und höchstdotierten Awards ist nicht immer transparent. Hier den Überblick zu bewahren ist eine Kunst. Hinzu kommt, dass bei den Gebäuden und Stadtplanungskonzepten der jüngeren Generation zwar gerne mit Heizwärmebedarf, Ressourcenverbrauch und Betriebskosten argumentiert wird, Placebo-Effekt und Feigenblatt

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Michael Wesely; Pavilion of Israel, La Biennale di Venezia (12. 07 - 12:12 Uhr 4. 6. 2009) nicht jedoch mit der grauen Gesamtenergiebilanz, die während der Lebensdauer eines Gebäudes anfällt. Vom Energie- und Ressourcenaufwand der bisweilen ungewöhnlichen Materialien, von der Herstellung der Hightech-Baustoffe und ebenso modernen Gerätschaften, vom oft weltumspannenden Materialtransport, von den längeren Bauzeiten und von der meist diffizilen Wartung ist kaum etwas zu hören. "Allein der Energieaufwand für die Herstellung von Baumaterialien beträgt rund zehn Prozent jener Energie, die das Bauwerk in der Zeitspanne seiner statistisch betrachteten, durchschnittlichen 80-jährigen Lebensdauer benötigen wird", rechnet Architekt Martin Treberspurg vor. "Das ist enorm!" Jedoch, heikle Themen wie diese sind uninteressant. Das schadet dem Produkt. Die Baustoffindustrie, die über eine der mächtigsten Lobbys der Welt verfügt, breitet geschickt den Mantel des Schweigens darüber aus. Besonders schweigsam ist die Lobby bei den Themen Lebenszyklusende, Abbruch und Entsorgung. Das einzige Baumaterial, das von der Öffentlichkeit bislang einer kritischen Beobachtung gewürdigt wurde, ist Dämmstoff. Zwar bekommen die schlecht gedämmten Häuser der Sechziger- und Siebzigerjahre bereits dicke, fette Daunenjacken verpasst, doch was mit diesen ausrangierten extrudierten und entsprechend voluminösen Kunststoffen passieren soll, wenn sie in 30, spätestens 40 Jahren nicht mehr in- takt sind, weiß kein Mensch. Laut Auskunft der Qualitätsgruppe Vollwärmeschutz werden in Österreich jedes Jahr zehn Millionen Quadratmeter Wärmedämmverbundsystem verbaut, Tendenz steigend. Zur Veranschaulichung: Damit könnte man ein Haus dämmen, das so groß ist wie die Wiener Innenstadt und fast zwei Kilometer hoch. Alles Sondermüll. "Wir leben in einer Luxuszeit", erklärt ein Bauphysiker, der an dieser Stelle anonym bleiben möchte. "Wir sind die letzte Generation, die ohne Dämmstoffentsorgungsprobleme aufwächst. Ich kann mir nicht ausmalen, wie es in ein paar Jahrzehnten weitergehen wird." Mehr oder minder attraktive PR-Sager wie Lifecycle Building und Zero Carbon Home mutieren angesichts dieser bevorstehenden Misere, für die derzeit noch kein Lösungsszenario in Sicht ist, zu leeren Worthülsen. Das ist irreführende Fehlinformation an den Konsumenten. Das ist purer Zynismus. Eines der sensibelsten Demonstrationsprojekte zum Thema Lifecycle Design war die Ausarbeitung der neuen "Richtlinien für eine umweltfreundliche Baustellenabwicklung", kurz RUMBA, die mit Geldern des EU-Life-Programme finanziert wurde. Ein Planungskonsortium bestehend aus Ökotechna, Mischek Bau AG und Wiener Bodenbereitstellungsund Stadterneuerungsfonds widmete sich kurz nach der Jahrtausendwende der Aufgabe, die komplexe 16 | 17 Placeboeffekt und Feigenblatt

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Logistik auf der Baustelle in den Griff zu kriegen, unnötigen Ressourcenverbrauch einzudämmen und die Emissionen eines solchen Kraftakts langfristig zu lindern. Die erste RUMBA-Baustelle in der Thürnlhofgasse in Wien-Simmering war ein voller Erfolg. Die Zahlen beweisen es: Rechnet man im Massenwohnbau üblicherweise mit rund 60 Lkw-Fahrten pro zu errichtende Wohnung, konnten die Lkw-Fahrten bei der Errichtung der 450 geförderten Wohnungen beinahe auf die Hälfte reduziert werden. Geliefert wurde aus unmittelbarer Nähe, größere Distanzen wurden per Bahn überwunden. Damit konnten die Lkw-Fahrten von 1,2 Millionen Kilometer auf 150.000 Kilometer reduziert werden. Das entspricht einer Einsparung von über 85 Prozent. Und es geht weiter: Durch eine geschickte Staffelung der Bauphasen und dank einem eigens abgewickelten Mediationsverfahren zwischen den verschiedenen Bauunternehmen konnte der Baustrom um 20 Prozent und der CO2-Ausstoß um ganze 800 Tonnen verringert werden. Synergie lautet das Geheimnis. Allein, nach zwei Baustellenabwicklungen ist das Projekt in Vergessenheit geraten. Schluss mit RUMBA. Die Einhaltung der Richtlinien - die Mehrkosten für eine sorgfältig gecoachte Baustelle betragen rund ein Prozent der Gesamtbaukosten - ist den Bauunternehmen zu teuer. Außerdem eignet sich der schwierige Prozess inmitten von Staub und Lärm kaum zur medialen Ausschlachtung. Das ist nicht sexy genug. Lieber investiert man in Neubauten mit hübschen Renderings und leicht vermarktbaren, grünen Wohnthemen. Das ist billiger. Das verstehen auch die Dummen. Immobilienstatistik. "Im Fokus der thermischen Sanierung", empfehlen die Autoren des Baukulturreports, "sollten daher Ein- und Zweifamilienhäuser stehen, die älter als 40 Jahre sind." Damit steht die von Architekten und Fachplanern schon seit langer Zeit geforderte Revolution im Wohnbau endlich auf einem festen, unmissverständlichen Fundament. Einziger Haken an der Sache: Dämmen alleine ist nicht die Lösung, denn der Verbau von Styrodur und Mineralwolle löst das Problem nicht, sondern verlagert es lediglich auf die nächste Generation, die sich dann mit der Entsorgung beschäftigen wird müssen. Neue Konzepte müssen her. Wien verfügt heute über rund 15.500 Gebäude aus der Gründerzeit. Das ist etwa ein Zehntel des Wiener Gesamtbestandes. Mehr als ein Prozent dieser Häuser, die bis heute als eines der wirtschaftlichsten und zugleich sinnvollsten Exempel nachhaltigen Bauens gelten, verschwindet jedes Jahr durch Abbruch oder Aufteilung in Wohnungseigentum. Dennoch ist die Architektur der Jahrhundertwende um 1900 ein sehr dankbares Gebiet, um sich nach Ansätzen für Nachhaltigkeit und Lifecycle Design umzusehen. Durch die hohe Beliebtheit der gründerzeitlichen Bausubstanz entstanden in den letzten Jahren in Österreich viele Projekte und Forschungsarbeiten, die auf sehr unaufgeregte, aber effiziente Weise einen Beitrag zum nachhaltigen Handeln im Bestandsbau leisten. Dazu zählen neue Sanierungsmethoden für Kastenfenster, eigens entwickelte Algorithmen für die Evaluierung von Hitzeund Lärmentwicklung im Gründerzeitblock, um zu überprüfen, wo die strengen und ressourcenintensiven bauphysikalischen Vorschriften der Wiener Bauordnung und ÖNORM womöglich übertrieben sind und daher eingespart werden könnten, eigens entwickelte Spiegelsysteme für unterbelichtete Innenhöfe sowie eine Vielzahl an innovativen bauphysikalischen Maßnahmen, mit denen die U-Werte von Mauerwerk deutlich verbessert werden können - und zwar ohne Dämmstoff-Halligalli, ohne Sondermüllproduktion und ohne Zerstörung historischer Bausubstanz. Sensible Projekte wie diese verdienen in der Öffentlichkeit mehr Beachtung. Sie folgen dem Prinzip von Lowtech, Ressourcenschonung und sparsamem Umgang mit Energie. Und damit sind sie ein mindestens ebenso wertvoller und ernstzunehmender Beitrag in der Nachhaltigkeitsdiskussion wie jedes futuristische Hightech-Passivhaus auf der grünen Wiese. Die Summe der Dinge macht's aus. Tatsache ist: Lifecycle Design ist ein vielschichtiges und komplexes Forschungsgebiet für Protagonisten ohne finanzielle Eigeninteressen - und kein Thema für Konzerne, die sich mit Feigenblatt-Ökologie schmücken. Und erst recht kein Thema, bei dem die Baustofflobby das Sagen haben darf. N Diese Entwicklung ist bedauerlich. Denn es ist nicht der Neubau, der unsere größte ökologische Aufmerksamkeit verdienen sollte, sondern der Umgang mit dem baulichen Erbe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. "Bis zum Zweiten Weltkrieg war die Architektur und Besiedelungspolitik in Europa in Ordnung", meint Vittorio Magnano Lampugnani, Professor für Geschichte des Städtebaus an der ETH Zürich. "In den Fünfziger- und Sechzigerjahren jedoch sind die Städte und Peripherien in einer Art und Weise gewachsen, dass wir bis heute damit beschäftigt sind, die Fehler von damals wieder gutzumachen." Die Korrektur bezieht sich nicht nur auf urbane Aspekte, sondern auch auf die Qualität des Gebauten. In der Wohnungsnot der Nachkriegsjahre hatte man verständlicherweise andere Sorgen als die Erfüllung technischer und bauphysikalischer Sollwerte. Doch das ist heute anders. In der Zeit von 1945 bis 1960 wurden Einfamilienhäuser und Wohnbauten errichtet, die heute knapp elf Prozent der österreichischen Bausubstanz ausmachen. Gleichzeitig sind diese errichteten Wohnnutzflächen für fast ein Fünftel aller CO2-Emissionen im Wohnbereich verantwortlich. Laut Österreichischem Baukultur report 2011 sind dies die schlechtesten je gemessenen Werte in der gesamten Placeboeffekt und Feigenblatt

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Bilder der Zeit | Statik und Motorik Kristóf Nyíri, geboren 1944, Professor für Philosophie an der technischen und wirtschaftswissenschaftlichen Universität Budapest, o. Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, 2006-07 Leibniz-Professor der Universität Leipzig. Forschungsschwerpunkte: Wissenschaftstheorie, Kommunikationsphilosophie, Wittgenstein, Heidegger. Zeitverständnis bedarf Bilder, Bildverständnis beruht auf der Zeit. Man begreift die Zeit durch Metaphern - letzten Endes durch Bilder - von räumlicher Bewegung. Andererseits sind Bilder zeitliche Ereignisse. Stehbilder sind bloße Grenzfälle von bewegten Bildern, nur bewegte Bilder - oder eine zeitliche Abfolge von Bildern - können selbstständige Bedeutungsträger sein, und unbewegte Bilder werden freilich von unseren Augen ebenfalls in zeitlicher Aufeinanderfolge abgetastet. Auch jenes Bild - die Sicht -, das sich für uns auftut, wenn wir in unsere Umgebung schauen, wird erst dadurch vollwertig, erhält erst dadurch Tiefe, dass wir die Gegenstände mit Augenbewegungen umkreisen, den Kopf bewegen, unsere Körperstellung ändern. Wie schon Schmarsow bemerkte, im unmittelbaren Anschluss an seine Vorlesung "Das Wesen der architektonischen Schöpfung" (1893): "Die wirkliche Ortsbewegung erst und ihre Erinnerungsbilder beleben das Flächenbild und lösen das Nebeneinander im Raum in ein Nacheinander auf."1 Architektur insbesondere wird, so Schmarsow, in einem "Durchwandeln der Theile" erfasst, mittels einem "zeitlichen Verlauf der Anschauung", und dadurch eben in "fließenden Erinnerungsbildern": ein Gedanke, der dann viele Jahrzehnte später in Arnheims meisterhaftem Buch über Architektur betont wiederkehrt. Aber bereits dadurch, dass wir, wenn wir ein Gebäude betrachten, unumgänglich auf Kopfbewegungen angewiesen sind, entsteht im Auge ein sich verschiebendes Bild: Wir sehen ein Ereignis, keinen bloß statischen Gegenstand.2 Auch nachzeichnende Handbewegungen - "deskriptive Gebärden" in Arnheims Sinne3 - gehören zu den sich zeitlich abspielenden motorischen Aktivitäten, durch die für uns ein architektonisches Werk Gestalt annimmt. Konnte doch der sich gerne als Architekt bezeichnende österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein (1926-28 bekanntlich mit vollem Engagement beteiligt am Bau des Palais Stonborough-Wittgenstein in der Kundmanngasse) bemerken: "Architektur ist eine Geste. Nicht jede zweckmäßige Bewegung des menschlichen Kör pers ist eine Geste. So wenig, wie jedes zweckmäßige Gebäude Architektur." Eine verwandte Bemerkung Wittgensteins: "Architektur [verewigt und] verherrlicht etwas, denn sie ist eine Geste, die dauert. Sie verherrlicht ihren Zweck. ... Darum kann es Architektur nicht geben, wo nichts zu verherrlichen ist." (Nachlass, ca. 1946) Indem Architektur dauert, könnten wir sagen, widersteht sie dem Fluss der Zeit - ich werde auf dieses Bild abschließend noch zurückkommen. Das Bild vom Fluss der Zeit ist allerdings eine Metapher, die Wittgenstein als irreführend verwirft. Sie soll aus einer falschen sprachlichen Analogie entstanden sein, wie ja laut Wittgenstein die philosophischen Probleme überhaupt, und die Philosophie der Zeit insbesondere, auf missverständliche Erweiterungen unserer alltäglichen Sprache zurückgehen. Nun scheinen aber die Metaphern vom Fluss der Zeit, vom Laufe, vom Kommen und Vergehen der Zeit, ja auch vom Druck der Zeit, eben in die alltägliche Sprache von alters her tief eingebettet zu sein; jener von Platon dem Heraklit zugeschriebene Spruch, dass "alles Seiende einem strömenden Flusse" gleiche, oder das von Augustinus gezeichnete Bild der stets vorübergehenden Augenblicke oder gar Newtons Begriff der gleichförmig verlaufenden Zeit entsprechen einer Common-Sense-Auffassung, die von der heutigen Philosophie nicht bemitleidet und abgewiesen, sondern erklärt und gerechtfertigt werden sollte. Allerdings hat es die Philosophie der Zeit heute schon aus dem Grunde nicht leicht, dass sie unter dem Einfluss einer zwar mit Recht hoch geachteten, aber anscheinend missdeuteten naturwissenschaftlichen Theorie leidet, nämlich der von Minkowski metaphysisch uminterpretierten Einsteinschen Relativitätstheorie. Einstein meinte ursprünglich, eine neue Auffassung der Zeit geliefert zu haben; Minkowski beschrieb diese in seinem berühmten Kölner Vortrag 1908 als eine Theorie der vierdimensionalen Raumzeit, wo die vierte Dimension dann nicht mehr die Zeit des Werdens, die Zeit der fliehenden Gegenwart und der unwiederholbaren Vergangenheit, sondern eine vierte raumähnliche Ausdehnung darstellte.4 Das Gebäude, schreibt Arnheim, entfaltet sich voll in seinem dreidimensionalen Wesen erst, indem wir es umschreiten bzw. durchschreiten - im Laufe einer zeitlichen Folge von Erfahrungen. 1 August Schmarsow, Der Werth der Dimensionen im menschlichen Raumgebilde, Vortrag, 1896. 2 Rudolf Arnheim, The Dynamics of Architectural Form (1977), Berkeley: University of California Press, 2009, S. 129 f. 3 Rudolf Arnheim, Anschauliches Denken: Zur Einheit von Bild und Begriff, Köln: DuMont, 1972, S. 116 ff. 4 Einige Hinweise auf die einschlägige - freilich schier unüberschaubare und durch tiefe Gegensätze gespaltene - philosophische Literatur finden sich in meinem Buch Zeit und Bild, Bielefeld: transcript, 2012. 5 Hermann Weyl, Raum - Zeit - Materie (1918), fünfte, umgearbeitete Auflage, Berlin: Springer, 1923, S. 218. Das Diagramm der "vier Weltachsen", das Minkowski "mit kühner Kreide" auf die Tafel zeichnete, war gewiss kein Bild dessen, was man gewöhnlich als Zeit empfindet. Noch ergibt sich ein Bild aus der Formel, die von dem in die Fußstapfen Minkowskis tretenden Mathematiker Hermann Weyl stammt: Die Welt, schrieb Weyl, ist "ein vierdimensionales Kontinuum, weder ,Raum' noch ,Zeit'; nur das an einem Stück dieser Welt hinwandernde Bewusstsein erlebt den Ausschnitt, welcher ihm entgegenkommt und hinter ihm zurückbleibt, als Geschichte, als einen in zeitlicher Entwicklung begriffenen, im Raume sich abspielenden Prozess".5 Es wurde behauptet, dass diese Formel Weyls eine Metapher sei. Es sollte aber einleuchten, dass Metaphern, die sich nicht verbildlichen lassen, bedeutungslos sind, während es freilich zutrifft, dass - wie eingangs gesagt - wir die Zeit eben durch Metaphern begreifen. Die in den letzten Jahrzehnten weltweit vorherrschende Theorie der Metapher, jene von Lakoff und 18 | 19 Bilder der Zeit

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Johnson, bezeichnet sich als "konzeptuelle" oder auch "kognitive" Metapherntheorie.6 Der Grundgedanke der konzeptuellen Metapherntheorie ist die Einsicht, dass Metaphern nur nebenbei "Mittel der poetischen Einbildung und rhetorische Schnörkel" sind; ihre hauptsächliche Funktion besteht darin, dass sie das "Verstehen und Erfahren von einer Art von Dingen im Bezugssystem einer anderen Art von Dingen" ermöglichen. Bekannte Vorläufer der konzeptuellen Metapherntheorie waren I. A. Richards (1936) und Max Black (1955). Weniger bekannt ist es, dass in der 1914 erschienenen klassischen Schrift von Scott über die Theorie der Architektur 7 diese Einsicht bereits ausdrücklich vorweggenommen wird. Redet man von den "Spannungen der Bögen" oder "Ragen von Türmen", so können zwar diese Wendungen, schreibt Scott, als "bloße Metaphern der Sprache" bezeichnet werden; eine Metapher indessen, die dermaßen naheliegend ist, dass sie universell verwendet und sofort verstanden wird, "setzt eine wahre und verlässliche Erfahrung voraus, auf welche sie sich beziehen kann. Solche Metaphern sind gänzlich verschieden von literarischen Dünkeln." Wenn wir von einem Turm als "stehend" oder "sich neigend" oder "sich erhebend" sprechen, so sind "jene Wörter die einfachsten und unmittelbarsten Beschreibungen, die wir von unseren Eindrücken geben können". Die "universelle Metapher des Leibes", 6 Das paradigmenschaffende Buch, die erste Schrift in einer langen Reihe von Veröffentlichungen, war George Lakoff und Mark Johnson, Metaphors We Live By, Chicago: University of Chicago Press, 1980. 7 Geoffrey Scott, The Architecture of Humanism: A Study in the History of Taste, Boston: Houghton Mifflin, 1914. 8 Robert Vischer, Über das optische Formgefühl, 1873. wie sich Scott ausdrückt, ist "eine zutiefst empfundene und universell verstandene Sprache". Die Idee des Zusammenhangs von Leiblichkeit und Metaphorik steht dann auch bei Lakoff und Johnson im Mittelpunkt. Die konzeptuelle Metapherntheorie ist zutiefst verflochten mit der Theorie des "verkörperten Geistes", dem embodied mind approach ("minds are not disembodied", schrieb schon Scott). Lakoff und Johnson heben hervor, dass die letzte Quelle unserer Metaphern solche Erfahrungen sind, die eben an den eigenen Körper knüpfen. So auch bei der grundlegenden Zeitmetapher DIE ZEIT GEHT AN UNS VORBEI, wo sich zwei Unterarten unterscheiden lassen: In dem einen Fall "bewegen wir uns, und die Zeit steht still; in dem anderen bewegt sich die Zeit, und wir stehen still". Die beiden Wendungen sind nicht gleichbedeutend, sie "setzen sich nicht", wie sich Lakoff und Johnson ausdrücken, "zu einem einzigen Bild zusammen". Der konzeptuellen Metapherntheorie entgeht weder, dass zwischen Metapher und Bild eine Verbindung besteht; noch dass Bilder einen wesentlichen motorischen Aspekt haben. Arnheim hatte einen bedeutenden Einfluss sowohl auf Lakoff als auch auf Johnson; seine radikale Auffassung allerdings, dass Wörter überhaupt erst durch Bilder Bedeutung gewinnen, setzte sich in der konzeptuellen Metapherntheorie niemals durch. Arnheims Interesse für das bildhafte Denken geht auf Ribot, Galton und Binet zurück, sein Gefühl für das Motorische auf die Gestaltpsychologie, aber auch ganz wesentlich auf Theodor Lipps, den Vorläufer der Gestaltpsychologie und bekanntesten Vertreter der Einfühlungsästhetik als Psychologie der Architektur, wobei Lipps und die Einfühlungsästhetik freilich grundsätzlich in Robert Vischers Fußstapfen folgen. Vischers Bemerkung über "alterskrumme Mauern", welche die "Grundempfindung unserer leiblichen Statik beleidigen" können, 8 wies auf den innigen Zusammenhang von architektonischem Bild und körperlich-motorischer Reaktion hin. Bild und Motorik sind fundamental verflochten auch in der Gebärdensprache. Die Gesten etwa für die Begriffe "Zukunft" und "Vergangenheit", die Ribot nicht von ungefähr betont anführt in seinem einflussreichen Buch über die Entwicklung von generischen Ideen (1897), sind Bewegungsreihen, zugleich Bilder der Zeit und eben Metaphern: Man zeigt auf einen entfernten Gegenstand und imitiert wiederholt das Zum-Schlafengehen und Aufstehen (Zukunft); man wirft mehrmals die Hand nach hinten über die Schulter (Vergangenheit). Der Gebärdensprache maß auch Vischer eine besondere philosophische Bedeutung zu: "Um z. B. etwas breit Aufgerolltes, Prächtiges anzudeuten, werden die Arme ausgebreitet; zum Hinweis auf Größe und Erhabenheit werden sie erhoben ... Das innere Schwingen und Ringen spricht sich ... äußerlich als ein analoges Muskelzucken und Gliederregen aus. Jeder sensible Mensch wird von den Eindrücken derart geleitet, und besonders seine Hand als das edelste Medium des praktischen Triebes wird magnetisch zu solchen Bewegungen fortgerissen, dass für den Adressaten eine ungefähre Beschreibung vom Vorgestellten zustande kommt. - Nichts ist aber natürlicher, als dass diese Hand, welche in der Luft zeichnet, auch auf einen festen Gegenstand ihr Bild als bleibende Darstellung niederzulegen versucht." Der Mensch kämpft mit der Zeit, möchte die Zeit mal beschleunigen, mal aufhalten, empfindet den Druck der Zeit. Dieser Druck ist ein leibliches Gefühl; unseren leiblichen Gefühlen entspringen verschwommene innere Bilder; innere Bilder werden für uns in der Sprache von Metaphern bewusst. Die Metapher vom Fluss der Zeit drückt einerseits das Gefühl aus, dass wir uns der gleichsam physischen Kraft des Stromes der Zeit entgegenstemmen, andererseits das Bild der Gegenwartsaugenblicke, die unaufhaltsam hinter uns zurückbleiben. Es gibt aber auch das leibliche Gefühl der Ewigkeit, ein Gefühl der Entspannung und Befreiung. Diesem Gefühl kann etwa die von Vischer angedeutete Gebärde der erhobenen Arme - eine traditionelle Gebetsgeste - entsprechen. Und gerade das Gefühl der Freiheit, des unbehinderten Vorwärtskommenkönnens, oder eben des gespannten Gleichgewichts wird in der Auf fassung von etwa Lipps und Scott durch eine formvollendete Architektur erweckt. Scott wies auf die "Übersetzung in die Sprache der Architektur unserer Freude an Bewegung" hin, Lipps bezeichnete das "kraft volle sich Zusammenfassen und Auf richten der dorischen Säule" als Bilder der Zeit

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"beglückend", weil dieses an das "eigene kraftvolle Zusammen fassen und Aufrichten", an "eine innere Lebendigkeit" erinnert.9 Es ist offenbar die Architektur, von den Hütten Schmarsows10 bis zu den Wolkenkratzern unserer Gegenwart, die die vielfältigsten, reichsten und anschaulichsten Bilder der Zeit liefert. Nicht bloß in dem trivialen Sinne, dass durch die Architektur freilich irgendwie ein bestimmter geschichtlicher Zeitabschnitt - ihr Zeitalter - widergespiegelt wird, und auch nicht nur in jenem Sinn, dass sie eine Art Bild der Ewigkeit - Architektur dauert, während die Zeit verfließt - darstellt, allerdings auch ein Bild des Verfalls, des Verkommens, der Ruine. Sondern in dem zeitphilosophisch interessanten Sinn, dass jede Architektur ein Bild davon ist, wie wir mit der Zeit umgehen und wie die Zeit mit uns umgeht. Schon indem wir wohnen, versuchen wir zwischen dem Verlauf der Zeit und uns selbst eine Wand aufzurichten. Wie Schmarsow schrieb: "Der Erscheinungen Flucht stellt sich nur in ewigem Flusse dar und verschiebt jeden Augenblick, oder jagt gar verwirrend an uns vorüber. Unsre Behausung dagegen ist eine bleibende Auseinandersetzung mit dem durcheinanderlaufenden Gewoge der Außenwelt." Der zeitliche Rhythmus, in dem wir leben, schafft sein räumliches Bild in der Umgebung, die wir bauen. 9 Theodor Lipps, Raumästhetik und geometrischoptische Täuschungen, Leipzig: Barth, 1897, S. 7. 10 Vgl. etwa seine Antrittsvorlesung Das Wesen der architektonischen Schöpfung, 1893. 11 Schmarsow, Unser Verhältnis zu den bildenden Künsten, Leipzig: B. G. Teubner, 1903, S. 105; Arnheim, The Dynamics of Architectural Form, S. 231. "Die Ordnung, in der die verschiedenen Teile von gar manchem Gebäude arrangiert sind", schreibt Arnheim, "ist nicht bloß durch ihre zeitlose Simultaneität bestimmt ..., sondern durch eine besondere Reihenfolge. Man geht die Treppen herauf zu einem Eingang, wird von der plötzlichen Weite der Eingangshalle empfangen, steigt eine Wendeltreppe hinauf usw. - der Weg des Besuchers kann dem Entwurf eines Gebäudes so wesentlich sein wie die melodische Folge der Musik. Und in einem richtig entworfenen Gebäude besteht eine Entsprechung zwischen der Struktur der Zeitabfolge und jener der räumlichen Organisation."11 Die Konturen eines Gebäudes, wie wir sie mit unseren Augen abtasten, fügen sich, oder fügen sich eben nicht, unserem Zeitsinn. Die Wirkung, die die Formen, die Massen und Massenverhältnisse der Architektur auf uns ausüben, scheint nicht unabhängig zu sein von dem großen Bild, das wir uns von der Zeit machen. N Michael Wesely; Potsdamer Platz und Leipziger Platz, Berlin (20. 4. 2004 - 12. 1. 2006) 20 | 21 Bilder der Zeit

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Temporäre Öffentlichkeit | Zeitlich begrenzte neue Räume in der Stadt Robert Temel ist Architektur- und Stadtforscher in Wien mit Schwerpunkt auf Wohnbau und öffentlichen Raum. 2009 Mitbegründer der Initiative für gemeinschaftliches Bauen und Wohnen. Diplomstudium der Architektur an der Universität für angewandte Kunst Wien, Doktoratstudium an der Technischen Universität Wien und Scholarship in Sociology am Institute for Advanced Studies Wien. Die europäische Stadt gilt als langlebige Struktur. Dem genaueren Blick erschließen sich jedoch durchaus verschiedene zeitliche Rhythmen des städtischen Wandels: Nutzungen können selbst in historischen Stadtkernen erstaunlich schnell wechseln, wie man an touristisch relevanten Stadtteilen sehen kann. Sie sind wechselhafter, wenn sie anpassungsfähig und informell sind, und dauerhafter, wenn sie mit formellen Regeln und materiellen Strukturen verbunden sind, etwa mit bestimmten Gebäudetypen. Schon um einiges langlebiger können diese Materialitäten sein, also der gebaute Bestand einer Stadt. Doch auch der wird laufend in kleinen Schritten verändert, sodass schließlich aus der Gründerzeitstadt mit ihrer immensen Dichte an Menschen und Nutzungen und ihrer kleinteiligen Eigentums- und Wirtschaftsstruktur die heutigen Ansprüchen, Ökonomien und Ästhetiken entsprechende sanft erneuerte Stadt werden konnte. Am langlebigsten scheinen jedoch Eigentumsverhältnisse zu sein - oder, genauer gesagt, die Grenze zwischen öffentlichem und privatem Gut, wenn man an das in Straßenverläufen immer noch präsente römische Militärlager in der Wiener Innenstadt denkt. Und auch auf dieser Ebene beginnt sich heute der Wandel zu beschleunigen, plötzlich ist die Grenze zwischen privat und öffentlich nicht mehr so deutlich. Zwischen diesen drei Ebenen bestehen vielfältige Wechselwirkungen, sodass materielle Gebäude auch die in ihnen stattfindende Nutzung mitbestimmen oder sogar die kurzlebige Nutzung Veränderungen in Eigentumsverhältnissen bewirken kann. Vor allem in der Architektur wird oft der Begriff des Ephemeren verwendet, und zwar für kurzfristig eingesetzte Bauelemente, beispielsweise Vergnügungsarchitekturen, die rasch implantierten und ebenso schnell wieder entfernten Bühnen, die die historische Stadt als Kulisse nützen. Er stammt aus der Biologie und bezeichnet Lebewesen, die sehr kurzlebig sind, wie beispielsweise Eintagsfliegen. Ephemer bezieht sich auf eine existenzielle Zeitlichkeit, die inhärent beschränkt ist. Im Gegensatz dazu steht das Provisorische, das als Kurzlebiges beginnt und dann oft für lange Zeiträume bestehen bleibt. Das Provisorische ist nur stellvertretend für das Dauerhafte gedacht, eine zwischenzeitliche Vorsorge, weil etwas benötigt wird, das in der eigentlichen Qualität jetzt noch nicht realisiert werden kann, möglicherweise aber zu einem späteren Zeitpunkt. Das Temporäre schließlich steht zwischen diesen beiden: Es ist einerseits kurzlebig wie das Ephemere, kann aber auch wesentlich länger bestehen. Somit gibt es gemeinsame Eigenschaften mit dem Provisorium, allerdings kann das Temporäre als eigene Qualität und nicht bloß als Ersatz begriffen werden. Diese besondere Qualität besteht etwa darin, dass in der zeitlichen Limitierung manches möglich wird, was auf Dauer gesehen (noch) undenkbar scheint, und dadurch neue Potenziale sichtbar gemacht werden. Und sie besteht darin, flüchtige Phänomene zu thematisieren, etwas Neues schrittweise einzuführen oder durch unvorhersehbare Kombinationen Komplexität zu erzeugen. In der traditionellen, das heißt in der modernen Planung würde man dem Temporären kaum Eigenwert zugestehen. Dort ist planenswert, was endgültig ist, alles andere sind bloße Herstellungsprozesse, Mittel ohne eigene Bedeutung zum Erreichen eines schließlich davon unabhängigen Zwecks. Nach wie vor wird vielfach für einen idealen, finalen, statischen Zustand geplant, und um diesen erreichen zu können, muss, vom Vorhandenen möglichst weitgehend abstrahierend, eine Leere als Ausgangspunkt erzeugt werden. Der reale Ort soll demnach möglichst genau dem leeren Zeichenblatt am Anfang des Entwurfsprozesses entsprechen. Der öffentliche Raum in der Stadt erscheint in seiner Ausdehnung und Definition relativ stabil (wenn auch, wie angemerkt, zunehmend instabiler werdend), er ist damit jedoch zentraler Schauplatz von Temporalität in seiner Nutzung. Ein heute wichtiger werdender Bereich des Temporären ist die Stadt der Events: Anstatt auf reine Wirtschaftspolitik setzen Städte im Standortwettbewerb heute zunehmend auf Kulturpolitik, das heißt auf Kulturveranstaltungen und Gestaltung des öffentlichen Raums im Rahmen der historischen Stadt, die diese für Tourismus und die kreative urbane Elite interessant machen soll.2 Diese andauernde temporäre Umgestaltung führt insgesamt zu einer Homogenisierung der Nutzungen und NutzerInnen in den Stadtzentren, sie trägt bei zu weiterer Verlagerung von Funktionen in die fern der Kernstadt zu findende Stadtlandschaft und zu verstärkter Nutzungssegregation. Somit führt gerade der Funktionswandel der Innenstädte, der diese wieder ökonomisch bedeutender machen soll, zur zunehmenden Aufwertung kernstadtferner Gebiete, die heute nicht mehr peripher sind, sondern als "Zwischenstadt" eigene, unabhängige Bedeutung gewannen. Drei Konzepte von beschränkter Zeitlichkeit können auf diese Ebenen angewendet werden: das Ephemere, das Provisorische und das Temporäre.1 1 Robert Temel: "Das Temporäre in der Stadt", in: Florian Haydn, Robert Temel (Hg.) 2006: Temporäre Räume. Konzepte zur Stadtnutzung, Basel: Birkhäuser, S. 59-67. 2 Hartmut Häußermann, Walter Siebel (Hg.) 1993: Festivalisierung der Stadtpolitik. Stadtentwicklung durch große Projekte, Leviathan Sonderheft 13/1993, Opladen: Westdeutscher Verlag. Doch die Tendenz zur Festivalisierung der Stadt für bestimmte Nutzersegmente bleibt nicht unwidersprochen. 22 | 23 Temporäre Öffentlichkeit

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3 StadtRat (Hg.) 1998: Umkämpfte Räume, Hamburg/Berlin/ Göttingen: Verlag Libertäre Assoziation, Verlag der Buchläden Schwarze Risse, Rote Straße. Jochen Becker (Hg.) 2001: Bignes? Size does Matter. Image/ Politik. Städtisches Handeln. Kritik der unternehmerischen Stadt, Berlin: b_books. Nishat Awan, Tatjana Schneider, Jeremy Till: Spatial Agency. Other Ways Of Doing Architecture, Abdingdon: Routledge 2011. 4 Robert Temel 2008: "Temporärer Urbanismus. Potenziale begrenzter Zeitlichkeit für die Transformation der Städte", in: Elke Krasny, Irene Nierhaus (Hg.): Urbanografien. Stadtforschung in Kunst, Architektur und Theorie, Berlin: Reimer, S. 107-115. Die Antwort darauf ist ein zweiter Aspekt des Temporären im öffentlichen Raum, nämlich der Kampf darum, wer welche dieser zunehmend homogenisierten Räume wie nützen darf und wer ausgeschlossen bleibt. An diesem Kampf beteiligen sich die selbsternannten Nachfolger der Situationisten, die AkteurInnen der subversiven Bildpolitik und der Wiederaneignung des öffentlichen Raums durch die Öffentlichkeit.3 Ihre Ausdrucksformen sind die informellen Demonstrationen der Globalisierungskritiker und kleine künstlerische, subversive Interventionen. Dabei wird aber klar, dass die Temporalität als Form nicht unbedingt frei gewählt ist: Wer illegal oder nicht legitimiert handelt, dem bleibt meist nichts anderes übrig, als eine informelle, temporäre Handlungsweise anzuwenden. In diesem Sinne kann eine informelle, temporäre Ästhetik als Tarnung fungieren für etwas, das eigentlich die Langfristigkeit anstrebt, wie man das für die Bauwagensiedlungen Berlins feststellen könnte. Temporalität ist nicht automatisch die Ästhetik der Subversion: Einerseits kann sie durchaus ein Mittel der offiziellen Ökonomie sein, und andererseits wird sie möglicherweise nur deshalb subversiv angewendet, weil eine Ästhetik der Permanenz diese Subversivität nicht zulassen würde.4 Die folgenden Beispiele für temporäre öffentliche Räume sollen einen Eindruck davon geben, welche Formen derartige Projekte im öffentlichen Raum annehmen; und zwar handelt es sich hier ausschließlich um Projekte des zweiten Typus, die jedoch teils nahtlos in den ersten übergehen. Michael Wesely; Arsenale, La Biennale di Venezia (12:36 - 12:41 Uhr, 6. 6. 2009) Temporäre Öffentlichkeit

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Michael Wesely; Abriß Institutsgebäude der TU, München (13. 10. 2006 - 9. 11. 2007) Metro 1970 organisiert die Stadt Wien einen Wettbewerb für die Gestaltung der neuen Wiener U-Bahn, bei der die Gruppe "Salz der Erde" (eine Erweiterung der bereits seit einigen Jahren bestehenden Gruppe Zündup) einen Film als Beitrag abgibt, der von der Jury sofort ausgeschieden wird. Der Film wendet sich "gegen Sterilität von U-Bahn-Stationen, die einseitig funktionelle Betrachtung eines vielschichtigen Themas: städtebauliche Integration, unterschiedliche Nutzergruppen". Der Film wird unter der Mitwirkung zahlreicher Architekten- und Künstlerfreunde in der Ustraba-Station Lerchenfelderstraße gedreht, die in das neue U-Bahn-Netz integriert werden sollte, also quasi als Performance im (unterirdischen) Stadtraum, die für einen kurzen Moment, für die Dauer des Drehs, Potenziale dieses Raums, der Architektur, der Stadt sichtbar machte, die zeigte, was anders sein könnte: "Metro - Wunsch und Unmöglichkeit. Der Film stellt konkret und utopisch zugleich unsere Vorstellungen dar, wie U-Bahn-Stationen zu benützen sind, zeigt aber in der Verfremdung die Unmöglichkeit der Wünsche." Salz der Erde er- gänzt den Film durch ein "Programm für die Wiener U-Bahn" als Alternative zum schließlich umgesetzten Wettbewerbsprojekt: Die U-Bahn sollte demnach als unterirdisches, klimatisiertes Raumkontinuum mit vielfältigen Nutzungsangeboten - etwa ein neu formuliertes Bildungssystem - jene ganzjährige Aufenthaltsqualität bieten, die oben, im Freien, nicht zu finden sei. Die U-Bahn wird in dieser Vision insgesamt zu einem neuen Stadtteil. phonotaktik phonotaktik war ein Festival der elektronischen Musik in Wien. Von Beginn an wollte phonotaktik eine Erkundung der Räume der Stadt leisten und ging an Orte, die nicht für Kulturveranstaltungen gedacht sind. Das erste Festival fand im Rahmen der Architekturveranstaltung "80 Tage Wien" 1995 statt. Da die phonotaktik 1997 nicht mehr voll finanziert werden konnte, wurde sie kurzfristig in die Veranstaltung "Picknick mit Hermann" im Hermannpark am Wiener Donaukanal umgewandelt. Die Festivals 1999 und 2002 verliefen normal, 2005 fand wiederum nur eine reduzierte Version in einer 24 | 25 Temporäre Öffentlichkeit

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Baugrube im neuen Stadtteil Donau-City als "Picknick am Wegesrand" statt. Obwohl sich das offizielle Wien mit der hiesigen Elektro-Szene schmückte und die phonotaktik international sehr renommiert war, scheiterte sie wiederholt und schließlich vollständig am Budget. Dies mag am avancierten Programm gelegen haben, aber auch am Konzept der "unbekannten Orte" als Veranstaltungsräume und an der sperrigen Vorverkaufsmethode. 1999 ließen sich die Veranstalter von Georg Francks Buch "Die Ökonomie der Aufmerksamkeit" inspirieren und verteilten über verschiedene Kanäle Bons, mittels derer man sich auf einer Website in die Gästeliste eintragen konnte - konventioneller Kartenverkauf fand nicht statt. Man könnte phonotaktik als Instrument zur Formation von Netzwerken und zur vielfältigen Nutzung von Orten interpretieren. Es nahm die Stadt auf eine Weise in Anspruch, die über sie andere Geschichten erzählte als die üblichen. Das Festival erlaubte den Zugang zu Orten, die sonst unbekannt geblieben wären, und vor allem die gegen deren Zweck gerichtete Nutzung. permanent breakfast Am Morgen des 1. Mai 1996 begann eine Gruppe von KünstlerInnen im öffentlichen Raum zu frühstücken, und zwar am Wiener Schwarzenbergplatz, einem symbolisch hoch aufgeladenen, heute als Verkehrsknotenpunkt dienenden Ort. Die Grundidee war einfach, aber attraktiv: Eine Person lädt zum öffentlichen Frühstück ein - und jede geladene Person verpflichtet sich, ein ebensolches Frühstück an einem anderen Ort mit anderen Teilnehmern zu organisieren, und so weiter. Dem Prinzip wurde der Name Permanent Breakfast gegeben, "Spielregeln" wurden aufgestellt und publiziert, und über die Jahre entwickelte sich das öffentliche Frühstück zu einem Kult. Es gibt mittlerweile Hunderte von Dokumentationen aus der ganzen Welt. Inzwischen steht die Frage der Zugänglichkeit des öffentlichen Raumes im Mittelpunkt und das Aufzeigen von Raumsituationen, die erhöhter Aufmerksamkeit bedürfen. Die Frühstücker verändern den öffentlichen Raum: Sie werden ihr eigenes Medium des Raumeinnehmens und Raumveränderns - immer und immer wieder. An den Reaktionen der anderen Benutzer und der "Beschützer" des öffentlichen Raumes lässt sich präzise ablesen, welches Verständnis von Öffentlichkeit an einem Ort herrscht. Das Permanent Breakfast bildet so einen Lackmustest für die freie Verfügbarkeit des öffentlichen Raumes. Durch die Frühstücksaktionen können dem oberflächlichen Blick unsichtbare Raumsituationen wie privatisierte, ehemals öffentliche Räume oder als öffentlich getarnte private Räume offengelegt werden. Soho in Ottakring Das Brunnenviertel, ehemals mit Begriffen wie Geschäftesterben, Migrantenviertel und Rotlichtviertel problematisiert, ist mittlerweile ein Boomgebiet Wiens. "Soho in Ottakring" ist daran durchaus beteiligt, wenn auch mit kritischem Impetus: entstanden als Stadtteilprojekt aus einer Künstlerinneninitiative 1999. Zentrum des Viertels ist der Brunnenmarkt, der längste Straßenmarkt Europas. In kontinuierlicher Arbeit fokussiert Soho auf Aspekte der Stadtteilentwicklung, künstlerische Interventionen und Möglichkeiten der Partizipation im lokalen Umfeld. Wesentliches Merkmal sind sowohl Kooperationen mit verschiedenen örtlichen Gruppen und mit KünstlerInnen als auch die Nutzung des öffentlichen Raumes. Ursprüngliches Anliegen war die Öffnung von Ateliers ansässiger KünstlerInnen sowie die Möglichkeit, leer stehende Lokale temporär mit Präsentationen zu bespielen. Ein auf breite Besucherschichten ausgerichteter Zugang erweckte bald großes Interesse. Aufgrund der großen Anzahl leer stehender Geschäftslokale sah auch die Wirtschaftskammer dieses Projekt als Möglichkeit für eine "Aufwertung" und beteiligte sich. Das Viertel befindet sich mittlerweile in einem Gentrifizierungsprozess, die öffentliche Aufmerksamkeit für das Gebiet ist massiv gestiegen. Ab diesem Zeitpunkt wurden neue Wege beschritten: Wenn Soho weiterhin bestehen wollte, war es notwendig, inhaltliche, strukturelle und organisatorische Änderungen vorzunehmen, die stadtteilbezogene Arbeit zu intensivieren und die eigene Rolle im Viertel stärker zu reflektieren. Aus einem reinen Ausstellungsprojekt entwickelte sich in zunehmendem Maße ein Projekt, das partizipatorische künstlerische Konzepte unterstützte. add on Eines der bisher größten Projekte, die der Fonds zur Förderung von Kunst im öffentlichen Raum Wien (KÖR) unterstützte, war die begehbare Skulptur "add on. 20 Höhenmeter". add on verwandelte den Wallensteinplatz im gründerzeitlichen Kontext über den Sommer 2005 in ein Zentrum künstlerischer Präsentationen. Die Grundstruktur von add on bestand aus einem raumgreifenden, zwanzig Meter hohen Gerüstsystem, in das Raummodule sowie zweckentfremdete und manipulierte Fertigteile eingefügt waren. Als allgemein begehbares Environment lud es zum "Erkunden des urbanen Lebens" ein und ermöglichte auf verschiedenen Ebenen Durch- und Ausblicke. Im täglichen Programm legten mehr als zwanzig internationale KünstlerInnen ihre jeweiligen Positionen innerhalb der interdisziplinären Kunst- und Kulturproduktion dar. Das Projekt zitierte in seiner Ästhetik architektonische und skulpturale Arbeiten der 1960er-Jahre, von den Stadtutopien bis zur Alternativkultur. In diesem Zusammenhang muss man es jedoch auch auf seinen Entstehungskontext hin befragen: Es ist eben nicht nur ein Beispiel für jene nichtelitären, offenen Kunstproduktionen, die zu den Leuten ins Quartier gehen und so ein Gegengewicht zur "Opernhauskultur" schaffen. Es steht ebenso exemplarisch für die eventorientierte Kulturpolitik europäischer Städte, die sich dezidiert an eine Schicht von KulturkonsumentInnen mit höherem Einkommen wendet. Doch mit dieser Spanne an Bezügen müssen viele zeitgenössische Kunst- und Architekturprojekte im öffentlichen urbanen Raum leben, die sich aufs Soziale beziehen. N Temporäre Öffentlichkeit

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Zeit(t)räume in Planung und Bau | Große Trends in der Bauplanung? Hans Lechner im Interview Neben seiner Tätigkeit als Architekt, Generalplaner und Projektsteuerer in Frankfurt, München und Wien ist Hans Lechner als Vorstand des Instituts für Baubetrieb und Bauwirtschaft an der Technischen Universität Graz und Autor zahlreicher Fachbücher zum Thema Planung und Bauprojektmanagement tätig. Jobst: Der Einzug digitaler Medien in die Berufswelt ist nun schon lange keine Neuigkeit mehr, dennoch scheint es, als beschleunigten sich nach wie vor Arbeitsprozesse durch die technologischen Möglichkeiten. Inwieweit trifft das auf Planungs- und Bauprozesse zu? Lechner: Wir sind mit zwei gegenläufigen Bewegungen konfrontiert, zum einen nimmt die Anforderung extrem zu: Als ich gelernt habe auszuschreiben, gab es eine W6, die knappe 800 Leistungspositionen hatte, mit der alle Wohnbauten der 60er- und 70er-Jahre gebaut wurden. Niemand hat viele Zusatzpositionen geschrieben, man musste das Ding beinahe nur ausfüllen, um die Wohnbauförderung einzureichen. Das heutige Standardleistungsbuch hat 31.000 Positionen, es hat sich also beinahe vervierzigfacht. Diese Vervielfachung bedeutet eine starke Zunahme an Unwägbarkeiten, an Komplexitätssituationen, die technisch nicht durchleuchtet sind. Viele Dinge werden dabei kombiniert, deren Zusammenwirken gar nicht mehr überprüfbar ist. J Handelt es sich bei der Vervielfachung der Normpakete um sinnvolle Regulative oder ist es eine Absicherung gegen jede Eventualität? L Wir haben eine Unmenge an zusätzlichen Werkstoffen, an Werkstoffkombinationen und an Baumethoden, beispielsweise kam im W6 Gipskarton nicht vor, das gab es nicht. Allein das Thema des Innenausbaus heute mit Hohlraumböden, Doppelböden, Kabelzugschächten und Abhängedecken ist in der Fülle an Materialmöglichkeiten, an Kombinationsmöglichkeiten damals nicht vorhanden gewesen. Der zweite Aspekt, der sich dazu gegenläufig entwickelt, ist die Tatsache, dass die Honorare heute deutlich niedriger sind, als es früher der Fall war. Dieses Thema wird leider nicht diskutiert: Die Bemessungsgrundlage, also die Baukosten, sind seit vielen Jahren praktisch nicht gestiegen, jedenfalls nicht in derselben Proportion wie die Gehälter in den Ziviltechnikerbüros. J In der Ausgabe 278 des KONstruktiv beschrieben Sie den Bauleiter als aussterbende Spezies. Hat sich diese Einschätzung bestätigt? L Ja, wohl deshalb, weil kaum jemand als junger Architekt die Chance hat, wirklich in diese großen Fußstapfen hineinzuwachsen. Wer nach dem Abschluss des Studiums auf die Baustelle geht, macht drei Jahre lang Rechnungsprüfung und Aufmaßkollaudierung. Aus dieser Ecke kommt er gar nicht mehr raus. Das Vergabegesetz ist in diesem Aspekt ein großes Problem, denn auf der nächsten Baustelle kann er nicht einfach als stellvertretender Leiter der Baustelle eingesetzt werden, weil er in den Referenzen nur als Abrechnungstechniker geführt werden kann. Dadurch ist eine Weiterentwicklung, in der Form, wie sie früher stattfand, gar nicht mehr möglich, weil sie von Bewerbung zu Bewerbung nur in den Feldern eingesetzt werden, in denen sie bereits tätig waren. J So ergibt sich daraus eine Spezialisierungsautomatik ... L ... die uns kaum Spielraum lässt. J In Ihrer Funktion als departure-Experte haben Sie es häufig eben mit jenen jungen Absolventen zu tun, die vor der Umsetzung ihrer ersten Projekte stehen. Sind die von den Universitäten ausreichend vorbereitet und wo sind die Problemfelder? L Die sind leider extrem schlecht im Bereich der technischen Umsetzung ausgestattet, weil heute in den Universitäten das Thema Entwurf unglaublich stark überbetont wird. Denn einen Auftrag erhält man nach dieser Logik nur, wenn man mit einem tollen Entwurf einen Wettbewerb gewinnt. Was auch nicht ganz falsch ist. In der Architektenausbildung an der TU Graz wird beispielsweise keine Stunde mehr auf das Thema LV-Bearbeitung verwandt. Die Leistungen der LV-Erstellung und Vergabe machen allerdings zehn Prozent des Architektenhonorars aus und dennoch wird es definitiv nicht mehr gelehrt. J Sie selbst sind Leiter des Instituts für Baubetrieb und Bauwirtschaft an der Fakultät für Bauingenieurwissenschaften der TU Graz. Wäre nicht gerade dieses Institut auch für die Architekturfakultät interessant? L Hier findet leider kein Austausch statt. Das wird von den Kollegen in der Architektur nicht gewünscht, sie haben andere Ziele. Aber auch die Ziele der Bauingenieure verändern sich. Zwar ist die Frage der Ausschreibung noch aktuell, wie lange sie das jedoch noch sein wird, weiß ich nicht. Ich unterrichte noch ein ganzes Jahr, ob mein Nachfolger überhaupt noch in der Lage sein wird, dieses Wissen zu vermitteln, weil er es aus seiner eigenen praktischen Erfahrung kennt, weiß ich nicht. J Ist das darauf zurückzuführen, dass die Ausschreibungen zum Teil ein Feld der Juristen geworden sind? L Das glauben, beziehungsweise hoffen die Juristen wohl, aber das ist nur bedingt der Fall. Das Vergaberecht ist ein Thema geworden, das ohne sie besser funktionieren würde, da die behandelten rechtli- 26 | 27 Zeit(t)räume in Planung und Bau

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chen Probleme meist nicht die wesentlichen sind. Im Grunde sind es immer die technischen Fragen, die Bauablauffragen, die Konzeption eines Projekts die tatsächlich ausschlaggebend sind. Wenn Sie heute nur noch Entwurfsbearbeitungen machen und ein Haus nicht in der Realisierung durchdenken, dann zeichnen Sie immer nur ein Bild des Endzustands. Danach müsste man jedoch in der Ausführungsplanung das Objekt zeigen, wie es in Schritten entsteht. Die deutsche Honorarordnung geht heute von einer gewerkeweisen Planung aus, genauso ist es in der HIA vorgesehen ist. Das bedeutet, die Pläne des Rohbaus müssen zu einem Zeitpunkt zur Baustelle geschickt werden, an dem die technischen Ausbauten für gewöhnlich noch nicht vollständig durchgeplant sind. Im Rohbau müssen jedoch für die technischen Ausbauten bereits alle Löcher und Kanäle berücksichtigt sein. Zu einem unglaublich frühen Zeitpunkt müssen Sie ahnen, was in ein paar Monaten oder Jahren einmal gebraucht wird. Das potenziert die Problematik für die Kollegen natürlich extrem, weil sie in den universitären Ausbildungen auf die Entwurfsdarstellung fokussiert sind und nicht auf die technische Lösung. J Vor allem bei technologisch höchst spezialisierten Bauaufgaben, in denen technische Ausbauten ständigen Neuerungen unterworfen sind, ist das vermutlich besonders schwer. L Der Krankenhausbau hat sich beispielsweise durch die extreme Zunahme an Hygienebestimmungen sehr weit von der üblichen Bauwelt abgekoppelt. Die Konzeption einer Zentralsterilisation ähnelt einer Mischung aus konventioneller Sterilisation und EDV-Betrieb, weil in der Produktdeklaration jeder einzelne Arbeitsschritt an den chirurgischen Instrumenten detailreich festgehalten sein muss. Das führt eben dazu, dass an jedem dieser an sich schon technisch schwierigen Arbeitsplätze zusätzlich eine vollständige EDV-Ausrüstung einzuplanen ist. Die Anforderungslisten lesen sich beinahe wie bei einem großen Flugzeugcheck. J Inwieweit hat sich dadurch die Beziehung zwischen Planer und Ausführerendem verändert? L Die Koordinationsstelle ist der Objektplaner. Ich verwende in diesem Zusammenhang lieber den deutschen Begriff, weil Architektur und Architekt Begriffe sind, die für manche im höchsten Maße positiv oder negativ emotional belastet sind. Mit dem Begriff Objektplaner lassen sich ideologische Geplänkel ausklammern. Er ist der federführende Planer eines Objekts, das kann im Brückenbau auch ein Brückenbauingenieur sein, der vielleicht nicht selbst die Statik rechnet, sondern eben die Brücke oder den Staudamm planerisch konzipiert. J Damit trägt der Objektplaner die ungeteilte Verantwortung in allen Bereichen, selbst bei Verzögerungen. Ist das ein zunehmendes Risiko? L Ja, denn diese Risiken werden immer häufiger schlagend. Bauherren lassen es sich einfach nicht mehr gefallen und fordern zu Recht technische als auch gestalterische Perfektion der Planungen. Nehmen wir als internationales Beispiel den Flughafen Berlin Brandenburg International: Die Probleme dort kommen ganz klar aus der Planungsthematik. Wenn Safety & Security nicht vollständig in die Bauplanung integriert werden, geht das ganze Projekt schief. J Auch in Österreich scheinen Projektverzögerungen bis zu mehreren Jahren vor allem bei großen Prestigeprojekten keine Seltenheit zu sein. Handelt es sich dabei möglicherweise auch um ein systemisches Problem? L Die Frage der Zeitverzögerung ergibt sich oft einfach daraus, dass zu Beginn der Projekte die notwendige Bearbeitungszeit vollkommen falsch eingeschätzt wird. Lassen Sie es mich schematisch an einem prominenten Großprojekt beschreiben, dessen Generaldirektor während der Wettbewerbsbearbeitung der Meinung war, er würde vier Monate später einen Vorentwurf erhalten. Rein rechnerisch ist das aber unmöglich, das Vorentwurfshonorar hatte eine Dimension von vier Millionen Euro, großzügig umgerechnet ergeben sich daraus 400 Mann-Monate, wollte man dieses Projekt also in vier Monaten erledigen, würde man mindestens 100 Planer da für benötigen. Eine derartige Kapazität kurzfristig zu aktivieren ist selbst den größten europäischen Büros nicht möglich. Letztendlich wurde für dieses Projekt ein 30-köpfiges Team aufgebaut, das sich, auch bedingt durch die Zäsurperioden der Bauherrenentscheidungen, 14 Monate mit dem Vorentwurf beschäftigte. Rückblickend wunderte sich jedoch die Bauherrenseite nicht mehr über den langen Zeitraum, da im Erleben klar wurde, dass die ursprüngliche Vorstellung falsch war. J Fällt die Entscheidung, die Planungsteams einzubeziehen, vonseiten der Auftraggeber bei solchen Großprojekten einfach zu spät? L Es ist feststellbar, dass die Auftraggeber die Vorbearbeitung von Projekten ganz massiv unterschätzen und in dieser Phase zu wenig Kapazität (= Geld) investieren. Oftmals wird die Projektsteuerung erst nach dem Architektenwettbewerb beauftragt. Der wesentliche Einsatzzeitpunkt der Projektsteuerung ist jedoch zwei Jahre vorher. Doch zu diesem Zeitpunkt hat jeder noch das Gefühl, es allein bewältigen zu können, und spart an der falschen Stelle. Dieses Phänomen begegnet einem seltsamerweise bei kleinen wie großen Projekten gleichermaßen. Einer meiner Dissertanten ist als Baudirektor in Lübeck tätig. Eine Analyse, die er durchführte, ergab, dass 80 Prozent der Probleme in Projekten erst in der Bauphase auftreten. Das ist insofern nicht ungewöhnlich, da Papier schließlich geduldig ist. Zeit(t)räume in Planung und Bau

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Findet sich also niemand, der die unterschiedlichen Planungsstränge miteinander koordiniert, werden die Planungsdifferenzen erst in der Bauphase virulent. Von diesen dann im Zuge der Bauausführung erkennbaren 80 Prozent aller Probleme resultieren wiederum 90 Prozent aus mangelnder Projektvorbereitung, entstanden also in der Phase vor Bestellung der Planer. J Stellen die nach wie vor umstrittenen BIMLösungen eine Art früheren Kontrollpunkt dar, um ebendiese Probleme zu erkennen? L Meines Erachtens ist dies eine grobe Fehleinschätzung. Ich wundere mich über viele Kollegen, die mit einer derartigen Euphorie an dieses Thema herangehen. Ein Aspekt, den leider viele an BIM-Systemen übersehen, ist, dass dahinter ein rein kapitalistisches Prinzip steht. BIM ist aus der Programmkonstruktion heraus teurer als andere Systeme und wird im Zusammenhang mit der Frage, wer Eigentümer des 3D-Modells und des Projektservers ist, die Büros künftig zusätzlich entscheidend beeinflussen. J Wie ist diese Frage rechtlich bearbeitet, beziehungsweise wie wird das derzeit in der Praxis gehandhabt? L Diese Frage wird bisher intern nur sehr diskret besprochen. Die großen österreichischen Büros investieren derzeit sehr viel Geld in diese Systeme, natürlich auch in der Absicht, dadurch eben diese Kontrolle über die Projektdaten zu erhalten. Kleine Büros können da klarerweise nicht mithalten und werden dadurch zu reinen "Zulieferern" für diese BIM-Modelle. Durch diesen Mechanismus gehen viele nette, kleine, innovative Büros verloren, denn sie können nicht mithalten und haben nicht die entsprechende Soft- und Hardware. J Da schließlich jeder Projektpartner mit kompatiblen Tools seine jeweiligen Planungen ins Modell einarbeiten muss, engt sich auch der Kreis der Kooperationspartner ein. Damit begibt man sich auch in eine starke gegenseitige Abhängigkeit zufälliger Softwarekonstel lationen. L Die Büros begeben sich dadurch auch in eine Kapitaldimension, die in Österreich, aber auch Deutschland nur sehr wenige bewältigen können. Das bisschen Kollisionsprüfung rechtfertigt das meiner Meinung nach nicht. Die Elbphilharmonie ist ein sehr treffendes Beispiel für das Forschungsfeld des bereits erwähnten Dissertanten. Allein die Sanierung der Ziegelfassade ist äußerst beachtenswert. Ausgeschrieben und geplant war die Sanierung dieser Ziegelfassade. Im Rahmen der Bestandsaufnahme wurden jedoch für eine Fassadenfläche von 22.000 m² lediglich fünf Materialproben genommen, zufälligerweise waren diese alle relativ in Ordnung und haben die Annahme bestätigt, das Mauerwerk sei in einem sanierbaren Zustand. Bei Baubeginn musste man jedoch innerhalb der ersten Monate feststellen, dass hinter beinahe 70 Prozent der Fläche der benötigte Luftspalt nicht vorhanden war, sondern einfach mit Bauschutt aufgefüllt war. Im Endeffekt riss man die gesamten 22.000 m² ab und baute sie neu wieder auf, da keiner der Beanspruchungsparameter durch den Altbestand erfüllt wurde. Wäre also die ursprüngliche Bestandsaufnahme ausführlicher durchgeführt worden, hätte sich von Beginn an gezeigt, dass die Fassade neu errichtet und nicht nur saniert werden muss, und entsprechend wären auch mehr Bauzeit (und Kosten) veranschlagt worden. Die Bauverzögerung vieler Großprojekte ist meistens eine Verkettung fehlender oder mangelhafter Vorbereitung. Doch die Auftraggeber eines Gebäudes nehmen sehr oft die Position des totalen Laien ein. Als wäre noch nie ein Raum bewohnt oder anderweitig genutzt worden. Mit diesem Phänomen geht eine Verweigerung etwaiger Verantwortung dem Auftragswerk gegenüber einher. Die Bauherren wissen zum Teil nicht, welche Anforderungen sie an Gebäude stellen sollen, und wollen, dass ihnen diese Entscheidungen abgenommen werden. J Fehlt es auch an technischem Bewusstsein? L Es fehlt an dem Bewusstsein, dass es sich um ein einmaliges Auftragswerk und nicht ein seriell gefertigtes Produkt handelt. Im Unterschied zum Kauf oder zur Anmiete eines fertigen Produkts ist ein Werk zu bestellen, diese Bestellung wird durch einen Werkvertrag besiegelt. Im Begriff Werkvertrag ist jedoch enthalten, dass weder der Auftraggeber noch der Werknehmer zu Beginn genau wissen, wie das Werk aussehen wird, denn das muss erst gemeinsam erarbeitet werden. Doch viele übernehmen im Rahmen dieses Erarbeitens der Parameter eines Projekts nur sehr ungern Verantwortung. Darin findet sich ein Großteil der Problematik, schließlich kann doch nur der Bauherr konkret bestimmen, welche Funktionen und Kapazitäten ein Gebäude später einmal erfüllen muss, wie er sein Unternehmen (im künftigen Objekt) organisieren will. J Braucht es also nicht nur den oft zitierten mündigen Konsumenten, sondern auch den mündigen Besteller eines Werks? L Ja. Doch müssen die Planer das nicht nur einfordern, sondern auch entsprechend darauf eingehen. N 28 | 29 Zeit(t)räume in Planung und Bau

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Die Vermessung des Waldes in Surinam | Österreichische Ingenieure reüssieren in Südamerika Österreichische Ingenieure und Forstexperten machen sich im südamerikani­ schen Surinam mit einem Pilotprojekt zur Waldinventur einen Namen. Bei diesem Technologietransfer kommt erstmals ein spezielles Luftbild­ und Georeferen­ zierungssystem zum Einsatz: das am Joanneum Research entwickelte ADAM C. Ziel des ANRICA­Projekts ist eine Gesamtinventur des Waldes in Surinam. Judith Brandner Geboren 1963 in Salzburg, Japanologin und Übersetzerin für Englisch und Japanisch. Sie ist freie Radio- und Printjournalistin (u. a. Ö1, Spectrum) und Buchautorin. 2012 erschien bei Picus "Reportage Japan - Außer Kontrolle und in Bewegung". "Die Waldinventur in Surinam ist eine nicht alltägliche Verbindung von Sozialthemen mit Hochtechnologie im sensiblen Bereich des Klimawandels", umreißt Markus Sommerauer, Obmann der Austrian Natural Resources Management and International Cooperation Agency, ANRICA, das Projekt. An dieser Schnittstelle setzt das österreichische Know-how auf dem Gebiet von Forstwissenschaft, nachhaltiger Waldnutzung sowie der Luftbild- und Georeferenzierung ein. Österreich, fast zur Hälfte von Wald bedeckt (47 Prozent), hat langjährige Erfahrungen auf dem Gebiet von Waldinventuren. Seit 1957 wird hierzulande der gesamte Wald, ob in staatlichem oder privatem Besitz, regelmäßig vermessen. Die Inventur gibt Aufschluss über Waldfläche, Holzzuwachs, Artenvielfalt, etwaige Schäden und den allgemeinen Zustand des Waldes. Aus den Ergebnissen der Waldinventur werden wichtige Informationen für eine nachhaltige Waldbewirtschaftung und die nationale Forstpolitik gewonnen. In Surinam hingegen wurde - ehe die Österreicher kamen - noch nie eine landesweite Waldinventur durchgeführt. Diese ist jedoch die Grundlage für jedes Reporting, wie es im Rahmen internationaler Politik- und Umweltprozesse verlangt wird. Mit seiner Waldfläche von fast 15 Millionen Hektar ist Surinam ein riesiger CO2-Speicher, von globaler Bedeutung. Daher will es eine nachhaltige Waldwirtschaft aufbauen und sich dem Erhalt seines Regenwaldes widmen, was im Rahmen des weltweiten Klimaschutzes nach dem REDDPlus-Mechanismus der Vereinten Nationen auch finanziell belohnt wird. Für die ehemalige niederländische Kolonie Surinam, die zu den armen Ländern der Welt gehört, ein nicht unattraktiver Anreiz. Das ist der Hintergrund, vor dem ANRICA Surinam seine Expertise und Beratertätigkeit zur Bestandsaufnahme des Waldes angeboten hat. Dabei ist hohe soziale Sensibilität gefragt, müssen doch alle Stakeholder einbezogen werden, sagt der Forstwissenschaftler Michael Kleine, Leiter der Forestry Division von ANRICA, der langjährige Erfahrungen mit Walderhaltungsprojekten in Südostasien und Lateinamerika hat: "Jedes Waldprojekt, egal ob Waldschutz, Erhaltung der Biodiversität oder nachhaltige Waldbewirtschaftung, steht in einem Spannungsfeld mit der lokalen und der globalen Wirt- Um das nachhaltige Gelingen des Projekts zu sichern, gilt es, die lokale Bevölkerung einzubinden und Bewusstsein für die gesellschaftliche Relevanz des Waldes zu wecken. 32 | 33 Die Vermessung des Waldes in Surinam

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schaft!" Stichworte Tropenholzhandel, Holz als Primärenergieressource, Schaffung von Infrastruktur, Stadtoder Küstenentwicklung. Ein klares Bekenntnis der ganzen Gesellschaft zum Erhalt des Waldes sei das Um und Auf, so Kleine: "Sonst kann nachhaltige Waldwirtschaft nicht funktionieren!" Die niedrige Bevölkerungsdichte von Surinam begünstigt eine nachhaltige Waldentwicklung. Auf einer Fläche, die in etwa der doppelten Österreichs entspricht, lebt rund eine halbe Million Menschen. "Idealere Bedingungen für den Wald sind kaum vorstellbar!", so Kleine. Die Hälfte der Bevölkerung des seit 1975 unabhängigen Landes lebt in der Hauptstadt Paramaribo, der Rest in kleinen Orten, ländlichen Gegenden, im und zum Teil vom Wald. Auch das erfordert Sensibilität: Denn einerseits ist der Wald durch menschliche Eingriffe wie Rodungen und Raubbau für Bauxit- und Goldminen bedroht, andererseits liegt im Wald auch die Existenz- und Lebensgrundlage vieler Menschen. Vor allem jener ethnischen Minderheiten, die Nachkommen von im 19. Jahrhundert in die Wälder geflüchteten Sklaven sind und die in Stammesgemeinschaften im Wald leben. Die Entstehungsgeschichte der Projektentwicklungsagentur ANRICA zeigt, dass diese über Fingerspitzengefühl beim Umgang mit verschiedenen Stakeholdern verfügt, ist sie doch aus dem Österreichischen Walddialog hervorgegangen. Das Konzept des Wald- dialoges wurde vor 15 Jahren entwickelt, um die verschiedensten Interessengruppen zum Erhalt des sensiblen, öffentlichen Gutes Wald an einen Tisch zu bringen. Auch in Österreich werden unterschiedliche Anforderungen an den Wald gestellt, die nicht immer vereinbar sind: Industrie und Privatwirtschaft sind am Wald ebenso interessiert wie die Tourismusbranche, der Wasseroder Klimaschutz. Im Walddialog arbeiten alle gemeinsam daran, den Wald nachhaltig zu bewirtschaften und zu schützen. ANRICA widmet sich vorrangig dem schon im Walddialog formulierten Ziel, Österreichs internationaler Verantwortung für eine nachhaltige Waldentwicklung und Waldbewirtschaftung nachzukommen, und steht dabei auf einer breiten Basis: Zu den acht Partnerinstitutionen gehören das Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald, BFW, ebenso wie das Joanneum Research und die Ziviltechniker für Internationales Naturressourcenmanagement, ländliche Entwicklung und nachhaltige industrielle Integration. Im Walddialog war und ist die bAIK wiederum ein wesentlicher Stakeholder mit Markus Sommerauer als Vertreter der Architekten und Ingenieurkonsulenten. Rund sieben Millionen Hektar Waldfläche gehen alljährlich weltweit durch Abholzung und Entwaldung verloren. Im globalen Klimaschutz ist der Erhalt der Wälder aber von eminent wichtiger Bedeutung. So gilt "Es ist das Know-how, welches den Unternehmenswert ausmacht und den beruflichen Erfolg bestimmt. Doch wo Menschen arbeiten, passieren mitunter auch Fehler. Schützen Sie sich und Ihr Unternehmen deshalb rechtzeitig vor etwaigen Schadenersatzansprüchen." Aon Holdings Austria GmbH www.aon-austria.at Ihr Partner in Sachen Sicherheit & Versicherungen Ihr Berater: Prok. Peter Artmann I 1110 Wien, Geiselbergstraße 17 I t +43 (0)57800-159 I peter.artmann@aon-austria.at Aon_Anzeige_Konstruktiv.Oktober2012.final.indd 1 28.11.2012 10:07:17 Anzeige

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Eine rein terrestrische Waldinventur wäre in Surinam aufgrund des unzugänglichen Geländes nicht möglich, satellitengestützte Erfassung zu teuer und ungenau. Das am Joanneum Research in Graz entwickelte ADAM C Luftbild- und Georeferenzierungssystem eignet sich ideal für den Einsatz in Surinam. es, jene Länder zu unterstützen, in denen die Wälder noch intakt sind und wo Entwaldung noch kein Problem darstellt. Surinam, das zu fast 90 Prozent mit tropischem Regenwald bedeckt ist, ist ein derartiges Beispiel. Von den über 800 Baumarten, die es dort gibt, ist ein Teil botanisch noch gar nicht bestimmt. Ein großer Teil des Waldes ist gar nicht zugänglich. Ein Eldorado für Biologen und Tropenwaldforscher, eine große Herausforderung für die österreichischen Ingenieure und ihr Vorhaben einer landesweiten Waldinventur. Eine rein terrestrische Inventur, wie sie in Österreich gemacht wird, wäre in Surinam absolut unmöglich. Auch eine Walderfassung mittels Satellitenbildern käme sehr teuer; die Bilder wären zudem wegen der in den Tropen häufigen Bewölkung ungenau oder gar unbrauchbar. Die Kosten für die Inventur sollten also möglichst gering gehalten werden, um einerseits den Staat Surinam nicht zu überfordern, andererseits aber auch um möglichen internationalen Geldgebern ein attraktives System anbieten zu können. "Wir haben uns daher gefragt, wie wir modernste Technologie einsetzen können, um eine Kostenreduktion der Gesamtinventur zu erreichen und ein langfristiges Monitoring zu ermöglichen", schildert Michael Kleine die Ausgangssituation. Dazu dient nun das NFI-Pilotprojekt; NFI steht für National Forest Inventory. In diesem Projekt wird die Waldbestandserhebung durch eine Kombination aus Satellitenbildern, Luftbildern und Feldaufnahmen getestet. "Dadurch erspart man sich 50 bis 60 Prozent der Felderhebungen und kommt zu einer Kostenreduktion!" Das Sensationelle dabei: Weltweit ist erstmals das sogenannte ADAM C Luftbild- und Georeferenzierungssystem im Einsatz, das am Joanneum Research in Graz entwickelt worden ist. ADAM steht für Airborne Data Acquisition and Mapping, das C für Cessna. Unter eine Cessna wird eine Aufnahmebox mit modernsten Digitalkameras montiert, die auf rund 1000 Metern Höhe über den Wald fliegt und pro Sekunde drei Bilder macht. So werden aus relativ geringer Höhe Tausende sehr genauer Aufnahmen gemacht. ADAM liefert 2D- und 3D-Bilder, mit einer so genauen Auflösung, dass selbst die Äste der Bäume erkennbar sind. Jedes dieser digitalen Bilder hat etwa 100 digitale Parameter und umfasst einen Datensatz von ca. 120 MB. Die Aufnahmen liefern so genaue Informationen, dass es bei der Felderhebung teilweise möglich ist, mit GPS einen einzelnen Baum zu finden. Bislang wurden in Surinam mit diesem System rund 22.000 Bilder gemacht - die Auswertung dieses enormen Datensatzes dauerte selbst auf den Großcomputern im Joanneum Research sieben Tage, erzählt Michael Kleine. Das Joanneum Research hat für die Interpretation eine spezielle Software erstellt und arbeitet derzeit an einer automatischen Interpretationssoftware. "Das österreichische Wissen im Bereich der Waldinventur und bei uns entwickelte Hochtechnologien bei Verfahren mit Fernerkundungsmethoden werden alle bisherigen Systeme zur Tropenwaldinventur revolutionieren!", schwärmte denn auch Landwirtschafts- und Umwelt- 34 | 35 Die Vermessung des Waldes in Surinam

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minister Niki Berlakovich bei der Unterzeichnung eines internationalen Kooperationsvertrags zwischen der Republik Österreich und der Republik Surinam, der die Zusammenarbeit beider Länder auf dem Gebiet der Waldwirtschaft besiegelt. Vorerst beteiligt sich das Lebensministerium an der Finanzierung des Pilotprojekts zur Waldinventur: Die Kosten in der Höhe von 300.000 Euro werden je zur Hälfte von Surinam und Österreich getragen. Das Pilotprojekt läuft seit Mai 2012 und soll bis etwa Mitte 2013 abgeschlossen sein. Danach möchte ANRICA den Auftrag für die Gesamtinventur an Land ziehen, doch bis dato ist die Finanzierung noch nicht geklärt. Weshalb sich ANRICA derzeit intensiv um eine internationale Beteiligung an der Finanzierung bemüht und die österreichische Technologie in Washington vorstellt: "Internationale Organisationen wie Weltbank und die Interamerikanische Entwicklungsbank IaDB sind an unserer Expertise im Bereich Waldinventur und Monitoring sehr interessiert", so Sommerauer. Das lässt auf externe Finanzierungszusagen hoffen. Und die sind wahrscheinlich notwendig. Die budgetäre Situation im Lebensministerium mache eine direkte Beteiligung nur schwer möglich, heißt es aus dem Ministerium, man bemühe sich aber, für dieses und künftige ähnliche Projekte eine Finanzierung im Rahmen der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit zu erreichen, mittels bilateraler Abkommen und unter Einbeziehung multilateraler Finanzinstitutionen wie der Weltbank oder der Interamerikanischen Entwicklungsbank. Für einen Teil der Gelder sei eine Zweckwidmung vorstellbar. Andere Länder haben jedenfalls bereits ihr Interesse am österreichischen Know-how angemeldet. Und so meint Sommerauer: "Das Projekt in Surinam war nur der Einstieg. ANRICA ist massiv am Akquirieren von neuen Projekten in Entwicklungsländern." Insgesamt ist er überzeugt, dass ZiviltechnikerInnen große Chancen in Entwicklungsländern haben, und sieht eine Beratertätigkeit von Architekten und Ingenieuren in Entwicklungsländern als attraktive Alternative zum kleinen Inlandsmarkt: "Hier kommt ANRICA ins Spiel. Neben der fachlichen Ausrichtung wird ANRICA auch die organisatorische Aufgabe übernehmen, Ziviltechniker beim Aufbau ihrer Auslandstätigkeit zu unterstützen." N www.erstebank.at www.sparkasse.at " Ziviltechniker stehen gerne auf sicheren Beinen." Martin Wohlich, Erste Bank und Sparkasse " Mit einer Bank, die für die finanzielle Statik sorgt." Petra Kern, Erste Bank und Sparkasse Hinter jedem erfolgreichen Ziviltechniker steht eine starke Bank. Ob private oder berufliche Finanzen - unsere Kundenbetreuer liefern rasch und kompetent maßgeschneiderte Lösungen für Ihre Bedürfnisse. Vereinbaren Sie einen Beratungstermin in Ihrer Filiale oder unter 05 0100 - 50500. EBSP_ImgArch_209x145_abf_Konstruktiv_151211.indd 1 22.08.11 09:25 Anzeige

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Große Preise | Bauherrenkompetenz und Architekturqualität auf dem Siegerpodest offenbaren sich Stärken und Schwächen sowohl der Gebäude wie auch in der Kompetenz sowie Kooperation der Akteure. Trotz dieser Hürden sind die Einreichungen zahlreich. 109 waren es zuletzt. Aus 27 Nominierungen (eine in Kärnten, zwei im Burgenland, in Niederösterreich und in Vorarlberg, drei in Salzburg und in Wien, vier in Oberösterreich, fünf in der Steiermark und in Tirol) wählte die Hauptjury nach einer viertägigen Juryreise durch ganz Österreich die sechs Preisträger, die wie die Nominierungen nicht ganz regelmäßig auf das Staatsgebiet verteilt sind und durchaus die Verortung besonders initiativer Kommunen oder Unternehmen gestatten. Die Preisträger beim ZV­Bauherrenpreis 2012 Zum Wettbewerb für die Volksschule Bad Blumau und die benachbarte Sportanlage lud die Gemeinde anstatt der vom Land empfohlenen fünf insgesamt zehn Architekturbüros. Das siegreiche Architektenteam Feyferlik/Fritzer aus Graz traf dort auf ein engagiertes Lehrerinnenteam und eine kooperative Gemeindespitze und konnte im intensiven Dialog die im Wettbewerb angepeilten "optimalen Bedingungen für zeitgemäße Unterrichtsformen" Realität werden lassen. Großzügige, polygonale Klassenräume mit als Freiluftklassen nutzbaren Loggien sowie viel und vielfältiger Raum für Bewegung wie Rückzug kommen den individuellen Lern- und Spielbedürfnissen entgegen und erlauben die Anwendung moderner Unterrichtsformen. Ebenso überzeugten hier die landschaftsräumliche Integration der beiden Bauten sowie die Liebe zum Detail in der Umsetzung. Für ein paar Bildungsstufen höher stellt der Unipark Nonntal in Salzburg (Bauherr: BIG, Architektur: Storch Ehlers Partner, Hannover) ein adäquates Ambiente bereit. Es verbessert nicht nur die räumlichen Bedingungen der kultur- und geisteswissenschaftlichen Fakultät eklatant, sondern wurde als Schlüsselprojekt für die Neustrukturierung und Aufwertung des Stadtteils Nonntal und dessen Anbindung an die Innenstadt wie den anschließenden Landschaftsraum gewertet. Im Umfeld des signifikanten Solitärs entstanden attraktive Freiräume, die nicht nur den Studierenden und Universitätsangehörigen, sondern auch den Salzburger BürgerInnen zugute kommen. Insgesamt 800.000 Pendler nutzen jährlich den Lokalbahnhof Lamprechtshausen. Seitdem er in einem neuen Gebäude untergebracht ist, wird der Zuspruch noch höher. Die Salzburger Lokalbahnen und Architekt Udo Heinrich setzten ein neues Bahnhofskonzept um und kombinierten die Funktionen Bahnhof und Remise zu einem lichtdurchfluteten, begrünten Ort von hoher Aufenthaltsqualität. Auch in nicht öffentlich zugänglichen Personal- und Technikräumen wurde mit hoher Ausstattungs- und Detailqualität gearbeitet. Beim Fronius Forschungs- und Entwicklungszentrum im oberösterreichischen Thalheim fand ein weiterer Bauherr in deutschen Architekten kongeniale Partner. Das Technologieunternehmen lud aus einer Vorauswahl fünf Büros zum Wettbewerb. Herbstzeit ist Preisverleihungszeit, auch in der Architektur. Im September wurde der bereits dritte Band "Best of Austria" im AzW präsentiert, der die Preisträger der relevanten österreichischen Architekturpreise der Jahre 2010 und 2011 dokumentiert. Ein und zwei Monate später wurden die Preisträger von zwei der - obwohl undotierten - begehrtesten heimischen Auszeichnun­ gen geehrt. Franziska Leeb, freie Architekturpublizistin. Die Autorin ist Mitglied des Vorstands der Zentralvereinigung der ArchitektInnen Wien, NÖ, Burgenland sowie des Vorstands der Architekturstiftung Österreich und war Jurorin beim diesjährigen ZV-Bauherrenpreis. Am 5. Oktober lud die Zentralvereinigung der ArchitektInnen in das Kongresshaus Igls zur Verleihung der diesjährigen Bauherrenpreise, am 6. November überreichte Wirtschaftsminister Mitterlehner im Kuppelsaal der TU Wien die Architektur-Staatspreise. Auch wenn beide Bewerbe unterschiedliche Ziele verfolgen, überschneiden sich in manchen Aspekten die bei beiden Preisen - sehr transparent formulierten - Beurteilungskriterien und auch das eine oder andere gewürdigte Bauwerk. Mittlerweile vergeben mehrere Firmen oder Institutionen Bauherrenpreise. Als DER Bauherrenpreis gilt aber die seit dem Jahr 1967 von der Zentralvereinigung der ArchitektInnen vergebene Auszeichnung. "Große Bauwerke (...) beruhen ebenso auf einem - oft gemeinschaftlichen - Konzept und einem artikulierten Bedürfnis als auf der künstlerischen und kreativen Potenz des Entwerfers. Im Idealfall steigern sich Visionen des Architekten und des Bauherren zu exemplarischen Resultaten." So formulierte Hans Hollein, der den Preis zu Beginn seiner Präsidentschaft ins Leben gerufen hat. Die Liste der ausgezeichneten Bauten liest sich wie ein "Best-of" der heimischen Baukunst dieser Jahrzehnte, es finden sich darunter auch viele längst in Vergessenheit geratene Schöpfungen, manche "Ikone" vermisst man. Letzteres hat eine seiner Ursachen gewiss darin, dass - wie der Name sagt - nicht die Architektur oder deren EntwerferInnen im Fokus stehen, sondern deren Auftraggeber. Architektur, die nicht in intensiver Kooperation von BauherrInnen und ArchitektInnen zustande kommt, sondern eher durch ein Einzelkämpfertum eines der beiden, sollte somit keine Chance haben. In "architektonischer Gestalt und innovatorischem Charakter vorbildliche Bauten" werden ausgezeichnet, die darüber hinaus einen positiven Beitrag zur Verbesserung unseres Lebensumfeldes leisten sollen. Die Anforderungen sind hoch, umso mehr, als seit 2010 - eine unter Holleins Nachfolgerin Marta Schreieck durchgeführte Reform - die Latte noch höher legte. Seither werden alle eingereichten Bauten besichtigt. Zuerst bundesländerweise von ehrenamtlich tätigen Nominierungsjurys wobei jeweils ein Mitglied aus dem Bundesland stammt und über lokales Hintergrundwissen verfügt und die beiden anderen den Blick aus der Distanz einbringen. Sie nominieren bis zu fünf Bauten pro Bundesland, aus denen schließlich die Hauptjury die Preisträger ermittelt. Somit wird jedes Bauwerk persönlich besichtigt, die nominierten zweimal. Denn, wie wir alle wissen, können Bilder trügerisch und beschreibende Texte selektiv sein. Beim Lokalaugenschein und im Gespräch mit den Errichtern und Nutzern 36 | 37 Große Preise

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ZV­Bauherrenpreis 2012 Preisträger: 1) Volksschule & Sport­ klub Bad Blumau, Steiermark; Bauherrschaft: Gemeinde Bad Blumau; Architektur + Freiraum: Feyferlik/ Fritzer, Graz, Mitarbeit DI Elisabeth Stoschitzky; Standort: Bad Blumau 2) Unipark Nonntal - Kultur­ und Gesell­ schaftswissenschaft­ liche Fakultät, Salzburg; Bauherrschaft: BIG Bundesimmobiliengesellschaft m.b.H., Wien; Architektur: Storch Ehlers Partner GbR Architekten BDA, Hannover, Freiraum: WES & Partner, Hamburg; Standort: Salzburg 3) Rathaus und Stadt­ platz Kufstein, Tirol; Bauherrschaft: Kufsteiner Immobilien GmbH & Co KG, Stadtgemeinde Kufstein; Architektur + Freiraum: DI Thomas Giner, DI Erich Wucherer, DI Rainer Köberl, Innsbruck; Standort: Kufstein 4) BTV­Filiale Mitterweg Innsbruck, Tirol; Bauherrschaft: BTV Vierländerbank, Innsbruck; Architektur: DI Rainer Köberl, Innsbruck; Standort: Innsbruck 5) Lokalbahnhof Lamprechtshausen, Salzburg; Bauherrschaft: Salzburger Lokalbahnen, Salzburg AG; Architektur + Freiraum: udo heinrich architekten, Salzburg; Standort: Salzburg 6) Fronius Forschungs­ und Entwicklungszent­ rum Thalheim, Oberösterreich; Bauherrschaft: Fronius International GmbH, Thalheim; Architektur: schneider+ schumacher, Frankfurt/ Main, Freiraum: GTL Landschaftsarchitekten, Kassel; Standort: Thalheim Große Preise

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Staatspreis Architektur Preisträger: 3) Rathaus und Stadt­ platz Kufstein (siehe Seite 37) 7) headquarter binder­ holz, Tirol; Bauherrschaft: binderholz GmbH; Architektur: reitter_ architekten zt gmbh; Standort: Fügen Schneider+Schumacher aus Frankfurt/Main bescherten den 450 Mitarbeitern, die in den Planungsprozess miteinbezogen waren, ein klares, gut organisiertes Gebäude mit ambitioniertem Energiekonzept und landschaftsarchitektonisch gestalteten Freiräumen. Wie nach Salzburg gingen auch zwei Preise nach Tirol. Einer an die Bank für Tirol und Vorarlberg, selbst Ausloberin eines Bauherrenpreises und mehrfach verdiente Bauherrin. Mit der neuen Filiale Mitterweg gönnte sie sich ein markantes Landmark in der beginnenden Peripherie von Architekt Rainer Köberl. Abgesehen von der Qualität der architektonischen Konzeption in künstlerischer wie funktionaler Hinsicht sei hier auch die Wettbewerbskultur des Unternehmens gewürdigt. Da im Zuge der Jurierung des geladenen Wettbewerbs der vorhandene Baugrund als zu knapp erkannt wurde, um den Anforderungen gerecht zu werden, lobte der Bauherr nach Erwerb einer angrenzenden Fläche den gleichen Wettbewerb unter den gleichen Architekten und zu den gleichen Konditionen ein weiteres Mal aus. In Arbeitsgemeinschaft mit Thomas Giner+Erich Wucherer schaffte es Rainer Köberl ein weiteres Mal auf Architektenseite in die Riege der Bauherrenpreisträger 2012. Drei bestehende Bauten fügte das Team zum neuen Rathaus in Kufstein und meisterte, unterstützt von der Gemeinde, mutig und scheinbar unbeschwert die Gratwanderung zwischen Denkmalpflege und eigener Gestaltungskraft. Die Preisträger des Staatspreises Architektur 2012 Das Rathaus Kufstein konnte auch die Jury des Staatspreises Architektur überzeugen, der dieses Jahr hervorragende architektonische Lösungen in Verwaltung und Handel auszeichnete. Kunden- und Serviceorientiertheit wie Mitarbeiterfreundlichkeit sind Kennzeichen moderner Verwaltungen. Beim Bauen im Bestand werden Anforderungen, wie zum Beispiel Barrierefreiheit, zu einer großen Herausforderung. Dies ist gelungen, und noch dazu wurde dem Rathaus mit dem signifikant als Gebäudekrone ausgebildeten Sitzungssaal und einem neuen Zugang, der unmittelbar in die Bürgerinfo führt, ein neues, öffentlich wirksames Gesicht gegeben. Der im Zuge dessen ebenfalls neu gestaltete Untere Stadtplatz stärkt die Strahlkraft des Rathauses wie des ganzen Umfeldes. Der Staatspreis Architektur wird im ZweijahresRhythmus vergeben und konzentriert sich alternierend auf die Bereiche "Tourismus und Freizeit", "Industrie und Gewerbe" sowie "Verwaltung und Handel". Ausgelobt wird er vom Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend mit den Co-Veranstaltern Architekturstiftung Österreich und Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten. Auch hier wird auf persönliche Besichtigung der Projekte durch die zehnköpfige, interdisziplinäre Jury Wert gelegt. Nach Sichtung der 56 Einreichungen, die in Form vordefinierter Powerpoint-Präsentationen und zusätzlicher Projektmappen vorlagen, wurden 17 im Zuge einer zweitägigen Reise besichtigt. Daraus wurden acht Bauten nominiert und schließlich die beiden Preise - den bereits erwähnten für einen Verwaltungsbau und ein zweiter in der Kategorie Handel - vergeben. Letztgenannter ging an die Binderholz GmbH für das von Helmut Reitter geplante Headquarter in Fügen. In der Unternehmensgruppe hat es Tradition, Architektur als Visitenkarte einzusetzen. Josef Lackner plante in den 1990er-Jahren sowohl das Verwaltungsgebäude in Fügen, das Reitter nun erweiterte, als auch das längst zur Ikone gewordene Schichtholzwerk in Jenbach. Die Bauten gehen meist aus Wettbewerben hervor, als Architekt hat man dort keinen "Dauerauftrag", wie Helmut Reitter, der zuvor bereits ein Heizkraftwerk für die Firma plante, bei der Preisverleihung betonte und zugleich hervorhob, dass ein guter Bauherr jener sei, der die Architekten fordere. Die Staatspreis-Jury würdigte die "kontinuierlich wahrgenommene Bauherrenverantwortung, die einen Mehrwert nicht nur für das Unternehmen, sondern auch für Kunden, Mitarbeiter und die lokale Bevölkerung erzielt". N 38 | 39 Große Preise

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Impulswoche | technik bewegt 54 ZiviltechnikerInnen aus verschiedenen Fachdisziplinen tourten von 5. bis 9. November 2012 durch alle Bundesländer und besuchten Österreichs Schulen. Als "Living Book" erzählten die ZiviltechnikerInnen aus ihrem Berufsalltag und beantworteten die Fragen der SchülerInnen. Sabine Gstöttner Geschäftsführerin des Landschaftsplanungsbüros inspirin. Schwerpunkte: Stadtforschung, Objektplanung, regionale Sportentwicklungsplanung, Vermittlung von Architektur und Stadtplanung. Vorstandsmitglied der Initiative Baukulturvermittlung für junge Menschen. technik bewegt ist ein Angebot der Initiative Baukulturvermittlung für junge Menschen, das Jugendlichen die Aufgaben der ZiviltechnikerInnen näherbringt und planende, technische Berufe auf jugendgerechte und spannende Weise vermittelt. Die Impulswoche technik bewegt bot heuer erstmals in allen neun Bundesländern Workshops für Jugendliche, die Einblick gaben in das interessante Berufsfeld von ArchitektInnen und IngenieurkonsulentInnen. Mit ihren Angeboten wandte sich die Impulswoche speziell an Jugendliche der 8. und 9. Schulstufe, um in diesem Alter der Berufsorientierung auf technische Berufe aufmerksam zu machen und Interesse dafür zu wecken. Wesentlicher Zugang der Aktion war die praxisbezogene Vermittlung technischer Berufe: Für die Dauer der Workshops schlüpften die SchülerInnen in die Rolle der PlanerInnen und erledigten konkrete Aufgabenstellungen. Die Schulen konnten aus acht kompakten Modulen zu den Berufen Architektur, Tragwerksplanung, Gebäudetechnik, Maschinenbau, Verkehrsplanung, Landschaftsplanung, Vermessungswesen und Wasserwirtschaft jenes Berufsbild wählen, das sie konkret interessiert. Im Modul TragwerksInformationen zur Impulswoche technik bewegt planung konstruierten die Schüleund zum Symposium get involved: rInnen wie Leonardo da Vinci. www.baukulturvermittlung.at Ohne Nägel, Klemmen oder Leim errichteten sie eine stabile Brücke, die sogar benutzt werden konnte. Im Modul Verkehrsplanung zum Thema "shared space" wurde gezeigt, wie Straßenräume geplant werden, die von allen gleichwertig genutzt werden können. Wie sich mithilfe von Tachymeter, Theodolit & Co die gekrümmte Erdoberfläche auf einer Karte abbilden lässt, entdeckten die Jugendlichen mit den VermesserInnen. Nutzungsansprüche und Konflikte im öffentlichen Raum wurden im Modul Landschaftsplanung mit der Methode "planning for real" aufgedeckt und ein Bewusstsein für die unterschiedlichen Bedürfnisse im öffentlichen Raum geschaffen. Der Andrang war groß: Rasch waren alle Workshops ausgebucht. 89 Schulen waren dabei, knapp 1.500 SchülerInnen nahmen teil, rund 90 LehrerInnen waren beteiligt. Über 100 Schulen stehen schon für nächstes Jahr auf der Warteliste. Get involved - discover and create common ground Internationales Symposium zu Baukulturvermittlung für junge Menschen Im Rahmen des österreichischen Beitrags zur 13. Architekturbiennale in Venedig fand am 19. und 20. Oktober 2012 ein internationales Symposium zur Baukulturvermittlung für jungen Menschen statt. Eine ausgewogene Mischung an Vorträgen und Workshops gab Einblick in die vielfältigen Methoden und Zugänge und in Best Practices der Baukulturvermittlung an Kinder und Jugendliche. N Impulswoche

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Pusteempfehlung Zögern Sie nicht, kaufen Sie Pustefix. Ein Röhrchen genügt, doch angesichts der Weltlage ist Eile empfohlen. Auch wenn Sie keine Kinder haben, sollten Sie sich den pädagogischen Nutzen dieses seit 1948 bewährten Tübinger Lernspielzeugs keinesfalls vorenthalten. Damals noch mit Metallröhrchen und Naturkorkverschluss. Bis heute mit dem so treffend gewählten Teddybär als Wappentier, in psychoanalytischer Observanz das Übergangsobjekt schlechthin. Für Ingenieure erhellend mag die physikalische Blasenformel sein, für Architekten die Tatsache, dass die Statik von Frei Ottos Münchner Stadiondach auf dieser beruht, stabil seit 1972. Das genaue Gegenteil von etwas Stabilem ist die Seifenblase. Sprichwörtlich steht sie für eitle Hoffnung, die prompt enttäuscht wird. Nicht nur der Lichtbrechungseffekt, das "SchilSehempfehlung turstudenten zu produzieren, nun knapp ein Jahr nach der Ausstrahlung der ersten Folge auf OKTO ist bereits viel mehr daraus geworden. Denn das Mies.Team zeichnet mittlerweile bereits für eine zweite Staffel der TV-Sendung, ein kleines, aber feines Architekturfestival in Aspern und sogar einen Musikableger verantwortlich. In der Zwischenzeit besuchten die umtriebigen Studenten Kommilitonen, Professoren, kleine wie auch große Architekturbüros, Interessenvertretungen und viele mehr mit der Kamera. Mies.TV versteht sich dabei nicht als Expertenmedium, sondern als Raum für Ideen und Gedanken rund um Architektur und Raumwahrnehmung, im Vordergrund stehen dabei die Personen hinter den Projekten und der Alltag der Architektenprofession. Damit liefern sie nicht nur hilfreiche Einblicke für Architekturstudenten, die noch nicht genau wissen, was nach dem Studium auf sie zukommen wird, sondern schlicht interessante Beiträge für Interessierte und Akteure. Zu sehen sind die Sendungen via Television auf OKTO, im Internet auf einem eigenen YouTube-Channel und für Liebhaber der Leinwand bei Screenings im Schikaneder in Wien. Besonders freuen wir uns, künftig Mies.Berichte als exklusive Vorpremieren auch in der Onlineausgabe des KONstruktiv präsentieren zu dürfen. Für die aktuelle Ausgabe des KONstruktiv besuchten sie Alice Größinger, deren Porträt auf Seite 42 zu lesen ist. Die Redaktion N www.miesmagazin.tv lern schönen Scheins", ist für die Verführungsmacht verantwortlich: Wer einmal begonnen hat mit dem Aufblasen, kann sich kaum zurückhalten, das Volumen durch weitere Luftzufuhr zu steigern. Da jede Blase ohnehin bald platzt, lädt sie ein zum Riskieren. Geht es noch größer? Einmal noch? Nur ein klein wenig? Wer inflatiert, gerät in die Eigendynamik eines Wettbewerbs, sogar mit sich selbst. Glücklicherweise ist die Seifenblase das einzige libidinöse Objekt, dessen Vernichtung schadlos bleibt. Von Finanzblasen kann diese Schadlosigkeit nicht behauptet werden. Der Umgang mit ihnen gleicht frappant jenem Kaugummispiel, bei dem die Blase abwechselnd in die Mundhöhle eingesaugt und dann wieder hinausgepoppt wird. Droht die Marktblase zu platzen, saugt schnell "die Politik" sie ein und tut so, als wäre das schändliche Ungetüm damit verschwunden. Doch diese neckische Verbergung währt nur einen Atemzug ... Blasen platzen, das liegt in ihrer Natur. Kinder wissen das. Erwachsene mit funktionierendem Gedächtnis auch. Nur die Bankster und Politrickster, sie wissen es nicht. Wolfgang Pauser N Angetreten war das Team um Paula Brücke, Dominik Kastner, Arian Lehner und Bernhard Mayer 2011, um eine Sendung mit dem Namen Mies.TV von Architekturstudenten für ArchitekKonstruktionsempfehlung War open source ursprünglich ein Begriff, den sich Brillen und Zahnspangen tragende Nerds einst wie eine utopische Verheißung im kollektiven Kampf gegen straffe Hierarchien und vor allem kommerzielle Softwareentwicklungsunternehmen im Zwielicht der elterlichen Garage/privaten IT-Raums zuraunten, scheint nun das Prinzip des freien Ideenaustauschs in der Hardware und dadurch wohl beschleunigt auch im Mainstream angekommen zu sein. Während unterschiedliche Entwicklerteams Konstruktionspläne für Landwirtschaftsmaschinen, frei programmierbare Computerplatinen oder auch Architekturen zur freien Benutzung und Weiterentwicklung zur Verfügung stellen, scheinen Möbel für die individuelle Umsetzung und den häuslichen Gebrauch eine durchaus bewältigbare Herausforderung. Das New Yorker Design- und Architekturbüro Filson and Rohrbacher präsentierte nun eine komplette Möbelkollektion als opensource-Projekt mit dem Titel AtFAB. Die Pläne lassen sich den individuellen Anforderungen und verwendeten Materialien leicht anpassen und anschließend gleich durch gängige CNC-Systeme umsetzen. Aus den einzelnen Elementen lassen sich daraufhin die Möbel ohne Werkzeuge zusammensetzen, nicht einmal der viel zitierte Imbusschlüssel eines schwedischen Möbelproduzenten muss dafür bemüht werden. Sollten die Entwürfe nicht den persönlichen ästhetischen Vorlieben entsprechen, lässt sich immerhin hoffen, dass künftig noch mehr Designer dem Ruf der opensource-Idee folgen. Sebastian Jobst N www.filson-rohrbacher.com 40 | 41 Empfehlungen

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Wer ist Vertragspartner bei unklaren Angaben im Vergabeverfahren? Ein öffentlicher Auftraggeber schloss mit einem Ziviltechniker einen "Treuhandvertrag", in welchem es der Ziviltechniker übernahm, bestimmte Erhaltungs- und Verbesserungsarbeiten in einer Wohnhausanlage des öffentlichen Auftraggebers "treuhändig abzuwickeln". Im Rahmen dessen hatte der Auftragnehmer laut abgeschlossenem "Treuhandvertrag" auch die für die Baudurchführung notwendigen Ausschreibungen "in eigenem Namen und auf Rechnung des Auftraggebers" vorzunehmen. Vor diesem Hintergrund verfasste der Ziviltechniker unter anderem die Ausschreibung der Schlosser-Stahlbauarbeiten. Unter der Rubrik "Auftraggeber" wurde in den Ausschreibungsunterlagen der Name des Ziviltechnikers mit dem Zusatz "... im Namen und auf Rechnung [des öffentlichen Auftraggebers]" angeführt. Nach Abgabe der Angebote wurde dem Zuschlagsempfänger, auf dem Geschäftspapier des Ziviltechnikers, folgendes, vom Ziviltechniker firmenmäßig unterfertigtes Schreiben, zugestellt: "Ich erteile Ihnen hiermit im Auftrag und auf Rechnung [des öffentlichen Auftraggebers] die Ausführung der SchlosserStahlbauarbeiten in Wien 11 ..." Im Rahmen eines anschließend anhängig gemachten Zivilverfahrens musste die Frage geklärt werden, wer Vertragspartner des Zuschlagsempfängers ist. Das Erstgericht stellte fest, dass der Ziviltechniker Vertragspartner des Zuschlagsempfängers wurde, da dieser "unmissverständlich im eigenen Namen den Auftrag zur Ausführung der Schlosser-Stahlbauarbeiten" erteilt habe. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der OGH kam zu einem anderen Ergebnis: Durch den Zusatz in den Ausschreibungsunterlagen und der Auftragserteilung "im Namen und auf Rechnung [des öffentlichen Auftraggebers]" war "unzweifelhaft", dass ein Vertrag mit dem öffentlichen Auftraggeber zustande kommen soll. Begründend hielt der OGH wei- ters fest, dass "grundsätzlich bei einer Betrauung eines Architekten oder Ziviltechnikers mit der Abwicklung eines Bauvorhabens ein Professionist, der sich an einer von diesem erarbeiteten Ausschreibung beteiligt, nicht damit rechnen [muss], dass ein Werkvertrag unmittelbar zwischen ihm und dem Architekten bzw. Ziviltechniker zustande kommen soll". Im Ergebnis bedeutet dies, dass für den Fall, dass der Bauherr ausnahmsweise und entgegen den üblichen Branchenusancen seinem Architekten die gesamte Ausführung des Baus, von der Planung über die eigentliche Bauarbeit, selbstständig zuteilen will, so muss er dies dem Dritten - konkret den Bietern - deutlich erkennbar machen (z. B. durch individuelle Verständigung). Die Bieter trifft insoweit keine Erkundungspflicht, wenn der äußere Tatbestand eindeutig der Verkehrssitte entspricht. (OGH 22.06.2012, 1 Ob 58/12d) Johannes Schramm/Christian Gruber (Schramm Öhler Rechtsanwälte) N Retromania Simon Reynolds Ventil Verlag, Mainz 2012 Pop war immer die Verheißung des Neuen, das in jedem Augenblick frisch geboren wird. Pop beinhaltete immer das Versprechen von Originalität und Innovation. Glaubt man dem in London geborenen und in den USA lebenden Musikjournalisten Simon Reynolds, so ist diese Ära vorbei. In seinem viel beachteten Buch "Retromania" stellt er der heutigen Popkultur - im Speziellen: der Popmusik - einen in seinen Augen niederschmetternden Befund aus: Pop ist heute besessen von der Vergangenheit. Nie zuvor, beklagt er, sei eine Gesellschaft so fixiert auf die kulturellen Produkte ihrer unmittelbaren Vergangenheit gewesen. Wiedervereinigungen von Bands, endlose ReunionTouren, umfangreiche Wiederveröffentlichungen von Klassikern, so Reynolds, prägten das heutige Pop-Business. Seit über zehn Jahren gebe es keine originäre Strömung im Pop mehr, alles nur noch retro, retro, retro. Zum einen hat er natürlich völlig recht. Zum anderen aber stellt sich die Frage: So what? Vielleicht sind die Möglichkeiten der musikalischen Sprache des Pop ja einfach ausgeschöpft. Auf den ersten Blick lässt sich Reynolds Diagnose nicht auf die Architektur übertragen. Im Gegenteil - Historismus ist ja auf diesem Sektor geradezu ein Schimpfwort. Aber Moment mal: Ist nicht vielleicht, provokant gefragt, vieles in der heutigen Architektur eine endlose Variation von Bauhausstil und Neuer Sachlichkeit? Sobald eine Kultur eine gewisse Höhe erreicht hat, geht es offenbar nicht mehr ohne Bezug auf die eigene Vergangenheit. Best of Austria. Architektur 2010_11 Herausgegeben vom Architekturzentrum Wien Park Books, 2012 Schwarzer Einband, abgerundete Ecken, Gummiband-Verschluss, Lesebändchen: Edel wie ein Moleskine-Notizbuch kommt "Best of Austria. Architektur 2010_11" daher. Die vom Architektur Zentrum Wien herausgegebene Publikation versammelt alle jene Projekte und Personen aus Österreich, die in den Jahren 2010 und 2011 mit nationalen und internationalen Architekturpreisen ausgezeichnet wurden. Ob wirklich alles, was in der bereits dritten Ausgabe dieser verdienstvollen Reihe aufscheint, zur Crème de la Crème der heimischen Architektur und Baukultur zu zählen ist, zweifelt sogar Hans Ibelings in seinem Vorwort leise an. Die einer Jury eigene Gruppendynamik sorgt ja mitunter dafür, dass man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt und herausragende, radikale Entwürfe auf der Strecke bleiben. Die schiere Menge der Preise - es sind rund 185, die fast 150 verschiedenen Architekturbüros zuerkannt wurden - stellt freilich sicher, dass wohl kaum ein Projekt, das zu einem "Best-of" gehören muss, in dem Überblick fehlt. Der zweisprachige Band (Englisch/Deutsch) will das Panorama der österreichischen Architekturlandschaft in erster Linie einem breiten Publikum vermitteln. Doch er entfaltet zweifellos auch eine standesinterne Wirkung. Schätzungsweise zehn Prozent aller praktizierenden österreichischen Architekten waren an den preisgekrönten Objekten beteiligt - ein Ansporn für die übrigen 90 Prozent, beim nächsten Mal mit dabei zu sein. Michael Krassnitzer N Jüngste Entscheidung | Krassnitzers Lektüren

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Idealice, das Planungsbüro für Wunderwelten | Gertrud Purdeller studiert Architektur an der TU Wien. Regelmäßig als Autorin für das Fachmagazin architektur und diverse andere Architekturzeitschriften tätig. Landschaftsarchitektin Alice Größinger im Porträt Neben der Gestaltung der Natur und der Auswahl der Bodenbeläge spielt dabei das Design der Außenmöbel eine entscheidende Rolle. Für das Projekt AHS Contiweg im 22. Bezirk in Wien entwarf das Büro zum Beispiel Bänke, die gleichzeitig als Fahrradständer dienen und für die Wohnhausanlage Krautgarten eine innovative Zaunlösung anbieten. Auch bei der Wahl der Materialien ist es Idealice wichtig, Neues auszuprobieren. Allerdings stehen dabei Ökologie und Nachhaltigkeit im Vordergrund. In den letzten Jahren hat sich die Disziplin der Landschaftsarchitektur immer mehr etabliert. Aber auch wenn bei vielen Wettbewerben das Hinzuziehen eines/ einer LandschaftsarchitektIn inzwischen sogar gefordert wird, bedarf es oft eines hohen Maßes an Überzeugungskraft und Aufklärungsarbeit. So muss bei einem Projekt der Hygienetechniker von der Umsetzbarkeit eines jeden Baumes einzeln überzeugt werden und bei einem anderen ein für den Entwurf wesentliches Element gegen die Streichung durch den Bauherren in letzter Sekunde verteidigt werden. Jungen Bürogründern rät Alice Größinger, viel Geduld und Ausdauer mitzubringen ebenso wie Kampfgeist und eine unbedingte Liebe zum Beruf. Besonders schmeichelt es ihr, dass - obwohl es immer noch eine Herausforderung darstellt, auf Bautafeln neben den Architekten überhaupt genannt zu werden - die meisten Bewerbungen, die im Büro eintrudeln, inzwischen von ArchitektInnen kommen. N Über ihre Studienwahl war sich Alice Größinger nicht von Anfang an im Klaren. Zur Debatte standen Geschichte, Restauration, Soziologie oder etwas mit Umwelt. Eigentlich wollte sie nämlich die Welt retten. Wahrscheinlich hat sie sich deshalb am Ende für Landschaftsökologie an der Universität für Bodenkultur entschieden. Es schien ihr für die Rettung der Welt wohl am brauchbarsten. Heute ist die junge Salzburgerin froh darüber, da sie in ihrem Beruf als Landschaftsarchitektin viele ihrer Interessen miteinander verbinden kann. Bei ihren Projekten setzt sie sich stets mit der Geschichte des Ortes auseinander, ebenso wie mit den Menschen, für die sie plant. Die NutzerInnen sollen bekommen, was sie brauchen, so ihre Devise. Immer wieder erprobt sie gerne mit Jugendlichen Methoden der Partizipation. Nach ersten Arbeitserfahrungen in verschiedenen Landschaftsplanungsbüros, bei einem Sportstättenplaner und im Bereich der Forschung gründete Alice Größinger 2001 ihr eigenes Büro Idealice. Für sie ein ganz natürlicher Schritt, hatte sie doch während ihrer Zeit in verschiedenen Bürogemeinschaften mit vielen jungen Selbstständigen zu tun. So zum Beispiel mit einer Gruppe von Architekten, die sich später Caramel nennen sollten. In Kooperation mit diesen entstand auch eines der jüngsten Projekte von Idealice. Beim Science Park Linz fließen Architektur und Landschaftsarchitektur nahtlos ineinander. Lineare Bodenmarkierungen, die sich im Außenraum erheben und zu Bänken, Leuchten und Pflanzbeeten werden, laufen ohne Unterbrechung unter der Fassade durch und verwandeln sich im Innenraum in die Möbel des Foyers. Während die ersten Aufträge noch durch persönliche Kontakte oder eher zufällig zustande kamen, hat sich Idealice inzwischen in zahlreichen Wettbewerben behauptet und zu einem gefragten Landschaftsarchitekturbüro entwickelt. Neben Caramel sind mit Feichtinger Architects, Fasch und Fuchs, gerner° gerner plus, Shibukawa Eder und BWM nur ein paar der Projektpartner, mit denen Alice Größinger zusammenarbeitet, genannt. Um das bisher größte Projekt handelt es sich wohl bei der Freiraumgestaltung des Klinikum Klagenfurt am Wörthersee. Dort entstanden auf einer Fläche von 60.000 m2 großzügig angelegte Parklandschaften und Innenhöfe, die zum Verweilen einladen und das Wohlbefinden von Patienten und Besuchern fördern. Die Farbakzente, die bei der Gestaltung der Innenhöfe gesetzt wurden, sind auf die Gebäudenutzung innen abgestimmt und helfen bei der Orientierung. Bei der Auswahl der Pflanzen wurde ein besonderes Augenmerk auf deren medizinische Heilkraft gelegt. An der Schnittstelle zwischen Raumplanung, Städtebau, Architektur und Nutzer sieht Idealice seine Aufgabe darin, so vielen Anforderungen wie möglich gerecht zu werden und sie in eine einheitliche Gestaltsprache umzuwandeln. Es gilt, dem Ort etwas Einzigartiges, Spezielles zu geben, etwas noch nicht da gewesenes, das von den Nutzern neu entdeckt werden kann. 42 | 43 Porträt Alice Größinger

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Inhalt 3 4 5 6 Editorial, Pendls Standpunkt Puntigams Kolumne, Dusls Schwerpunkt Standpunkte: Rudolf Kolbe, Christian Aulinger, Klaus Thürriedl Plus / Minus: Debatte Normen Gerhard Hartmann, Erich Kern, Peter Bauer 7 Zeit 8 - 11 Zeitmaschine Mensch | Der lange Abschied von der Stechuhr und die erstaunlich kurze Technikgeschichte der Arbeitszeit Celine Wawruschka, Wolfgang Pauser 12 - 14 Lifecycle Building | Vision und Wege zur Umsetzung Christoph M. Achammer 15 - 17 Placeboeffekt und Feigenblatt | Warum bei Ökologiefragen die Lobby schweigen muss Wojciech Czaja 18 - 21 Bilder der Zeit | Statik und Motorik Kristóf Nyíri 22 - 25 Temporäre Öffentlichkeit | Zeitlich begrenzte neue Räume in der Stadt Robert Temel 26 - 28 Zeit(t)räume in Planung und Bau | Große Trends in der Bauplanung? Hans Lechner im Interview mit Sebastian Jobst 32 - 35 Die Vermessung des Waldes in Surinam | Österreichische Ingenieure reüssieren in Südamerika Judith Brandner 36 - 38 Große Preise | Bauherrenkompetenz und Architekturqualität auf dem Siegerpodest Franziska Leeb 39 Impulswoche | technik bewegt Sabine Gstöttner 40 Empfehlungen 41 Jüngste Entscheidung, Krassnitzers Lektüren 42 Porträt Alice Größinger Gertrud Purdeller 43 Fehlanzeige, Das nächste Heft 44 Von oben Fehlanzeige Janusköpfige Stadtentwicklung: Wohnen und Arbeiten in der Stadt Monofunktionale Wohnareale und Büro-Cluster - eine Stadtentwicklung in parallelen Welten - ist das prekäre Erbe einer bürokratischen Stadtplanung, die sich in unseren Bauordnungen und Förderstrukturen festgesetzt hat. Wohnen und Arbeiten könnten aber leicht zusammen gedacht werden. Entsprechende Projekte liegen schon lange in den Schubladen. Die Umsetzung ist aufgrund der rechtlichen Parameter schon weit schwieriger. Innovative Projekte bleiben hierzulande meist Theorie. Die Trennung von Wohnen und Arbeiten führt nach wie vor zu verwaisten Räumen tagsüber oder ausgestorbenen Strassen nachts und zur Stärkung längst überholter Mobilitätsmuster. Gebäude und Stadträume haben sich zunehmend voneinander entfremdet. Hybride oder funktional durchlässigere Gebäude könnten aber auch wirtschaftlich von Vorteil sein, da anpassungsfähigere Stadthäuser auf eine veränderte Nachfrage flexibler reagieren könnten. Der spekulative Bürobau, der sich in vielen leer stehenden Immobilien manifestiert, ist angesichts der Knappheit von Wohnraum ein Kennzeichen eines fehlenden Gleichgewichts. Die Frage ist politisch: Welche Stadt wollen wir und wie lässt sie sich instand setzen? André Krammer N Impressum konstruktiv 288 Medieninhaber und Herausgeber Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten (bAIK) 1040 Wien, Karlsgasse 9 T: 01­505 58 07­0, F: 01­505 32 11 www.daskonstruktiv.at Erscheinungsweise Auflage Einzelpreis Abopreis pro Jahr vier Mal jährlich 14.000 Stück 9,00 Euro 24,00 Euro Lektorat Dorrit Korger Grafisches Basiskonzept Gassner Redolfi, Schlins Bohatsch und Partner, Wien Gestaltung vektorama. grafik.design.strategie Wien Druck Ueberreuter Print GmbH, Korneuburg Gedruckt auf SoporSet Premium Abbildungen Seite 3: bAIK // Seite 4: Ingo Pertramer, Andrea Maria F. = Fotograf Dusl // Seite 5: Otto Hainzl, bAIK // Seite 7-24: A. = Architekt Michael Wesely // Seite 27: Hans Lechner // Seite 33­34: ANRICA // Seite 37: A. Feyferlik/Fritzer / F. Paul Ott, A. Storch Ehlers Partner, GbR Architekten BDA, Hannover, WES & Partner / F. Angelo Kaunat, A. Thomas Giner, Erich Wucherer, Rainer Köberl / F. Lukas Schaller, A. Rainer Köberl / F. Lukas Schaller, A. udo heinrich architekten / F. Kurt Kuball, A. schneider+schumacher, GTL Landschaftsarchitekten / F. Kirsten Bucher // Seite 38: binderholz GmbH // Seite 39: Nicoletta Piersantelli // Seite 40: Mies.TV // Seite 42: Alice Größinger // Seite 43: Yasin Tetik, Courtesy: Knloll Galerie Wien, Anca Benera und Arnold Estefan // Seite 44: Land Salzburg, Landesplanung und SAGIS Die Redaktion ersucht diejenigen Urheber, Rechtsnachfolger und Werknutzungsberechtigten, die nicht kontaktiert werden konnten, im Falle des fehlenden Einverständnisses zur Vervielfälti­ gung, Veröffentlichung und Verwertung von Werkabbildungen bzw. Fotografien im Rahmen dieser Publikation um Kontaktaufnahme. Das Gestaltungskonzept dieser Zeitschrift ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts ist unzulässig. Die Texte, Fotos, Plandarstellungen sind urheberrechtlich geschützt. Offenlegung gemäß §25 Mediengesetz ist auf www.daskonstruktiv.at veröffentlicht. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben ausschließlich die Meinung des Autors wieder, die sich nicht mit der des Herausgebers oder der Redaktion decken muss. Für unverlangte Beiträge liegt das Risiko beim Einsender. Sinn­ gemäße textliche Überarbeitung behält sich die Redaktion vor. Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Zugunsten der Lesbarkeit wird, wenn von den Autorinnen und Autoren nicht anders vorgesehen, auf geschlechtsspezifische Endungen verzichtet. Das Zitat auf dem Titel wurde dem Text "Zeitmaschine Mensch" von Celine Wawruschka und Wolfgang Pauser entnommen. Redaktion, Anzeigen & Aboverwaltung art:phalanx Kunst­ und Kommunikationsbüro Clemens Kopetzky (Geschäftsleitung) Redaktionsteam Susanne Haider, Sebastian Jobst, Heide Linzer 1070 Wien, Neubaugasse 25 /1 /11 T: 01­524 98 03­0, F: 01­524 98 03­4 redaktion@daskonstruktiv.at, anzeigen@ daskonstruktiv.at, abo@daskonstruktiv.at Redaktionsbeirat Walter Chramosta (Architekturpublizist), Gerald Fuxjäger (Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Steiermark und Kärnten), Georg Pendl (Präsident der bAIK), Rudolf Kolbe (Vizepräsident der bAIK und Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Oberösterreich und Salzburg), Sabine Oppolzer (Kulturjournalistin), Wolfgang Pauser (Konsumforscher & Berater), Walter Stelzhammer (Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und Burgenland) Anca Benera and Arnold Estefan, I work therefore I'm not, variable Maße, mixed media Installation, 2012, courtesy: Knoll Galerie Wien, Anca Benera & Arnold Estefan In ihrer Werkserie dokumen­ tierten Anca Benera und Arnold Estefan ihre Arbeitstage am PC mit­ hilfe einer Software, die jede Bewegung des Maus­ zeigers aufzeichnete. Das nächste Heft Mit der Geburtsstunde der Wissenschaft, wie sie uns heute begegnet, und einem daraus resultierenden explosionsartigen Anwachsen des Wissens ging eine Welle der Spezialisierungen in allen Disziplinen durch den Reigen der Gelehrten, ohne diese ebendieser Reichtum an Fakten und Theorien unmöglich verwaltbar, geschweige denn erweiterbar gewesen wäre. Der holistisch belesene Gelehrte verwandelte sich zum spezialisierten Forscher. Mit zunehmender Komplexität technischer Aufgaben hat in der Geschichte der Professionen eine vergleichbare Entwicklung stattgefunden. Aus einer Kultur solitärer Ausnahmegenies wurde derart im Laufe der Zeit ein Arbeitsplatz für Teams der hellsten Köpfe. Beschleunigt durch die Kommunikationstechnologie prophezeien Beobachter die Blüte einer neuen Kooperationskultur. Doch ist das Planungsteam ohne Verantwortungsträger denkbar? Ist das Werk ohne Autor möglich?

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288, Zeitschrift der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten Dezember 2012, www.daskonstruktiv.at, Euro 9,- | ?? 12?039152 ? | ??? 1070 Wien Von oben und auf den ersten Blick vermeinen wir einen Parkplatz zu erkennen. Doch wo bleiben die fahrenden Autos, wo die Autofahrer? Welches Fahrziel hat sie zu dieser Massenansammlung gelockt? Kein Fußballfeld, kein Shoppingcenter weit und breit. Und doch hat nicht etwa eine Neutronenbombe diese vom Störfaktor Mensch bereinigte Ideallandschaft des totalisierten Automobilismus hervorgebracht. Sondern jener Stau, in dem Fahrzeuge heute schon vor ihrer ersten Zulassung zum Stehen kommen. Stehzeuge schon vor ihrer Jungfernfahrt. Was sich hier staut, ist der Absatz. Die Krise führt zur Autokrise, diese führt zu noch mehr Krise, und wie dieser Satz logisch weitergeht, wer wollte das noch lesen? Soll den Folgen der Abwrackprämie nun mit neuer Anlass-Gesetzgebung gegengesteuert werden? Brauchen wir Zwangsautomobilmachung oder lassen wir den metallenen Skulpturenpark einfach stehen und steigen gesamtgesellschaftlich aufs Fahrrad um? Nach ihrer Nutzung liegen unsere Autos auf dem Schrottplatz, vor ihrer Nutzung stehen sie auf Halde, zwischendurch werden sie gestaut oder geparkt. Mobilität bleibt auf der Strecke. Die "Neuwagen-Lagerfläche" ist insgesamt an die 2 Millionen Quadratmeter groß. Menschen sind hier deshalb keine sichtbar, weil es sich bei Geisterautos nicht um die Fahrzeuge von Geisterfahrern handelt. Auch wenn diese hoch verdichtete Agglomeration mobiler Kleinst-Eigenheime wie eine Geisterstadt aussieht. Von oben, und nicht nur von oben betrachtet. Wolfgang Pauser betrachtet . 288, Kritiker und Befürworter der zeitentbundenen Arbeitsorganisation haben den gleichen blinden Fleck: die Technik. Sie ist als System eigendynamisch und autopoietisch. Man kann an ihr so etwas wie eine Evolution beobachten. Von Politik, Religion und Kulturen ist sie erstaunlich unabhängig. Ihr Einfluss auf die Gesellschaft ist deutlich größer als umgekehrt. Zeit