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287, Zeitschrift der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten September 2012, www.daskonstruktiv.at, Euro 9,- | GZ 12Z039152 M | VPA 1070 Wien 287, Eine der wichtigsten Zielsetzungen für die Zukunft sollte die Erhaltung bzw. Verbesserung der Lebensqualität des Menschen sein. Für eine nachhaltige Zukunftsplanung kommt der gebauten Umwelt wegen ihrer Errichtungskosten, ihres langfristigen Bestandes und ihrer vielfältigen Auswirkungen auf den Menschen ein hoher Stellenwert zu. Vor allem wegen der mannigfaltigen Effekte der Architektur auf das menschliche Leben sollte die Forschung in diesem Bereich multidisziplinär und transdisziplinär (...) ausgerichtet sein. Bestandsaufnahmen

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Inhalt 3 4 5 6 Editorial, Pendls Standpunkt Puntigams Kolumne, Dusls Schwerpunkt Standpunkte: Rudolf Kolbe, Gerald Fuxjäger, Felicia Burger Plus / Minus: Auszug aus der Gefahrenzone André Krammer 7 Bestandsaufnahmen 8 - 10 Bestandsaufnahme Technik | Über das Bewahren von Innovationen Gabriele Zuna-Kratky im Interview mit Sebastian Jobst 11 - 14 Bedürfnisorientierte Evaluation von Bauten | Wege zu einer nutzungsadaptiven Planung Rainer Maderthaner 15- 18 Baustoffalterung | Messtechnische Erfassung der geänderten technisch-konstruktiven Langzeiteigenschaften Elemer Bölcskey, Heinrich Bruckner 19 - 22 Strategien zum Umgang mit einem (noch) ungeliebten Erbe | Bewertungsmethodik der Architektur nach 1945 Erich Bernard, Barbara Feller, Jan Tabor, Manfred Wehdorn 23 - 27 Problemzonen in der Regionalplanung? | Bürger und Bürgerinnen finden maßgeschneiderte Lösungen. Als Experten vor Ort. Roland Gruber im Interview mit Sabine Oppolzer 28 - 31 Schon morgen ist das Heute Vergangenheit | Bewegte Zeiten Mathias Rittgerott 35 - 37 Bewegung in der Stadt | Erfassungstechnologien im urbanen Raum Heinrich Garn 38 - 39 Mehr Architektur ohne Architektur | Mit "der merkwürdigen Konstruktion einer Hand" setzt Österreich neue Maßstäbe. Marion Kuzmany 40 Empfehlungen 41 Jüngste Entscheidung, Krassnitzers Lektüren 42 Porträt: Robert Wimmer | Judith Brandner 43 Fehlanzeige, Das nächste Heft 44 Von oben Impressum konstruktiv 287 Medieninhaber und Herausgeber Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten (bAIK) 1040 Wien, Karlsgasse 9 T: 01-505 58 07-0, F: 01-505 32 11 www.daskonstruktiv.at Erscheinungsweise Auflage Einzelpreis Abopreis pro Jahr vier Mal jährlich 13.300 Stück 9,00 Euro 24,00 Euro Lektorat Dorrit Korger Gestaltung vektorama. grafik.design.strategie Wien Druck Ueberreuter Print GmbH, Korneuburg Gedruckt auf SoporSet Premium Abbildungen Seite 3: For Use/Numen // Seite 4: Ingo Pertramer, F. = Fotograf Andrea Maria Dusl // Seite 5: © Otto Hainzl, A. = Architekt © Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten, © Felicia Burger // Seite 7: F. Sue Omerod/© Rachel Whiteread. Courtesy of the artist, Luhring Augustine, New York and Gagosian Gallery // Seite 9: Inge Prader // Seite 11-15: Gordon Matta-Clark, Art Park, 1974/SAMMLUNG VERBUND/ VBK, Wien 2012 // Seite 16: Grafik: vektorama.grafik. design.strategie // Seite 20: F. Pez Hejduk/A. Alfons Binder, Ferdinand Kitt, Viktor Fenzl, Othmar Patak, Walter Hübner, Joseph Zimmel // Seite 21: F. Pez Hejduk/A. Lippert und Burckhardt Architekten // Seite 24-27: nonconform architektur vor ort // Seite 29: F. Zanthia/Bildbearbeitung vektorama. grafik.design.strategie // Seite 38-39: F. Michael Lisner // Seite 40: ©aut. architektur und tirol // Seite 42: © Robert Wimmer //Seite: 43: Solarsiedlung Gelsenkirchen, © Sebastian Jobst // Seite 44: Amt der NÖ Landesregierung, Abteilung Hydrologie und Geoinformation Die Redaktion ersucht diejenigen Urheber, Rechtsnachfolger und Werknutzungsberechtigten, die nicht kontaktiert werden konnten, im Falle des fehlenden Einverständnisses zur Vervielfältigung, Veröffentlichung und Verwertung von Werkabbildungen bzw. Fotografien im Rahmen dieser Publikation um Kontaktaufnahme. Das Gestaltungskonzept dieser Zeitschrift ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts ist unzulässig. Die Texte, Fotos, Plandarstellungen sind urheberrechtlich geschützt. Offenlegung gemäß §25 Mediengesetz ist auf www.daskonstruktiv.at veröffentlicht. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben ausschließlich die Meinung des Autors wieder, die sich nicht mit der des Herausgebers oder der Redaktion decken muss. Für unverlangte Beiträge liegt das Risiko beim Einsender. Sinngemäße textliche Überarbeitung behält sich die Redaktion vor. Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Zugunsten der Lesbarkeit wird, wenn von den Autorinnen und Autoren nicht anders vorgesehen, auf geschlechtsspezifische Endungen verzichtet. Das Zitat auf dem Titel wurde dem Text "Bedürfnisorientierte Evaluation von Bauten" von Rainer Maderthaner entnommen. Redaktion, Anzeigen & Aboverwaltung art:phalanx Kunst- und Kommunikationsbüro Clemens Kopetzky (Geschäftsleitung) Redaktionsteam Susanne Haider, Sebastian Jobst, Heide Linzer 1070 Wien, Neubaugasse 25 /1 /11 T: 01-524 98 03-0, F: 01-524 98 03-4 redaktion@daskonstruktiv.at, anzeigen@ daskonstruktiv.at, abo@daskonstruktiv.at Redaktionsbeirat Gerald Fuxjäger (Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Steiermark und Kärnten), Georg Pendl (Präsident der bAIK), Rudolf Kolbe (Vizepräsident der bAIK und Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Oberösterreich und Salzburg), Sabine Oppolzer (Kulturjournalistin), Wolfgang Pauser (Konsumforscher & Berater), Walter Stelzhammer (Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und Burgenland)

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Editorial Was als Bestand erkannt und eingeschätzt wird, hängt meist vom Auge und Wissen des Betrachters ab. So beschreibt die Wahrnehmungspsychologie verständlicherweise unsere gebaute Umwelt gänzlich anders als die Baustofflehre und Werkstofftechnologie. Um eben möglichst viele verschiedene Aspekte und Ebenen von Projekten zusammenzuführen, bedarf es des Bewusstseins für den Wert interdisziplinärer Arbeit und entsprechender Schnittstellen. Denn die konstruierte Umwelt überdauert oft die eigene Lebensdauer, und so scheint eine möglichst vielschichtige Bestandsaufnahme Grundvoraussetzung für nachhaltige Planung zu sein, sei es aus ökonomischer, sozialer oder ökologischer Sicht. So scheint es nicht verwunderlich, dass Museen auf Basis ihrer Archive, kultureller Bestandsaufnahmen eben, ihre Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Spezialgebiet mit Perspektive auf die Zukunft verlagern. Zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem scheint eine klare Linie zu verlaufen. Doch wie verhält es sich mit Architektur, die nicht mehr dem zeitgenössischen Ver- ständnis entspricht, jedoch auch noch nicht klar in der Sphäre des Historischen angelangt ist? Der Entwicklung einer Bewertungsmethodik geht auch hier eine Bestandsaufnahme voraus. Wie bereits die letzte Ausgabe des KONstruktiv ist auch diese online frei zugänglich und lädt mit ergänzenden Inhalten zur Vertiefung ein. In Kooperation mit Ö1 freuen wir uns, das Interview mit Roland Gruber ebendort auch als Audio zur Verfügung stellen zu können. Viel Vergnügen! Sebastian Jobst N Pendls Standpunkt Architektur - insbesondere in zeiten reichweitenstarker medien - ist national wie international gesehen stets streitpunkt und daher immer im zentrum öffentlicher kritik und auseinandersetzung. Allerdings ist es auch aufgabe von architektInnen, diese kritik und den diskurs über architektur und die profession als solche auf hohem niveau zu halten. Architekturschaffende dürfen also getrost auch stolz darauf sein, dass es internationale veranstaltungen wie die biennale gibt. Denn welche andere berufsgruppe bekommt eine derartige plattform, die nicht allein unter dem dach der bildenden kunst subsumiert wird und dort leben und überleben muss? Grosso modo gesprochen wurde heuer bei der 13. architektur-biennale unter dem motto "common ground" architektur so betrachtet, dass sie wiederum architektur auf den boden der tatsachen zurückbringt. Das gesamte geschehen in venedig widmete sich letztendlich wieder den gesellschaftlichen und sozialen fragen, die architektur zu beantwortet hat. Eben ganz anders als zur karnevalszeit. Bei aller kritik und allen überflüssigen kontroversen über die gestaltung und kuration sollte nicht außer acht gelassen werden, welche einzigartige bühne uns dort geboten wird. Eine bühne, die - wie gesagt - keine andere profession als solche erhält. Daher sollten wir - anstatt uns zu streitenden clowns machen zu lassen - froh sein, ein solches forum auskosten zu dürfen. Für mich ist also nicht mehr die frage, ob architektur und ihre inszenierung analysiert und untersucht werden, sondern wie wir als ausübende den blick auf venedig richten. Vom "common ground" also zum "common sense" innerhalb der berufsgruppe. Georg Pendl (Präsident der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten) N Tape Vienna / Odeon von Numen/For Use 530 Rollen Klebeband (35.600 m, 45 kg) Das kroatisch-österreichische Designkollektiv Numen/For Use verwob 35.600 m Klebeband mit dem vorgefundenen Kontext des Odeon und schuf dadurch eine begehbare temporäre Installation, die ohne den architektonischen Bestand nicht denkbar gewesen wäre.

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Willkommen auf dem Bastlerhit Am 26. November 2011 um 16:02 Uhr MEZ ist der Rover Curiosity an Bord einer Atlas-Rakete von der Cape Canaveral Air Force Station gestartet, um nach knapp 254 Tagen am 6. August 2012 um 07:31 Uhr MESZ auf dem Mars zu landen. Eine tolle Leistung, aber was will der Mensch überhaupt auf dem Mars? Ihn besiedeln und bewirtschaften, wenn er mit der Erde fertig ist? Selbst wenn es eine passable Reisemöglichkeit zum Roten Planeten gäbe, so hätten wir unsere Lage wohl höchstens verschlimmbessert, denn der Mars ist bestenfalls ein Bastlerhit. Wer glaubt, die Menschheit könne dereinst auf den Mars auswandern, wenn sie die Erde einmal ruiniert habe, der sollte das Kleingedruckte des Mietvertrages noch einmal genau lesen. Die Wände des Mars sind teilweise feucht, überzogen mit Wassereisschichten, die bis in eine Tiefe von etwa vier Kilometern reichen und eine Fläche in der Größe Europas bedecken. Das würde bei Tauwetter ausreichen, um die gesamte Marsoberfläche Martin Puntigam Kabarettist, Autor und MC der Science Busters mit einer elf Meter hohen Wasserschicht zu bedecken. Für diesen Planeten werden Sie keine Versicherung finden, die Ihnen eine leistbare Haushaltspolizze verkauft. Der Luftdruck auf dem Mars beträgt nur etwa 1 Prozent von dem auf der Erde, was zu wesentlich größeren Temperaturunterschieden führt. Sie liegen zwischen minus 85 Grad Celsius in der Nacht und 5 Grad Celsius am Tag. Im Winter ist es auf dem Mars sowieso eiskalt, und ohne Magnetfeld und wegen der fast vollständig fehlenden Atmosphäre schießt die harte kosmische Strahlung fast ungehindert auf den Boden. Menschen würden dort mit der Zeit gegrillt. Immer wieder fegen Sandstürme über den Mars wie eine gigantische Flex. Der Mars ist zwar nach dem römischen Kriegsgott benannt, aber seine rote Farbe zeugt mitnichten von feurigem Temperament und unstillbarem Blutdurst, sondern von Eisenoxid. Mit anderen Worten: Der Mars ist rostig. Das ist juristisch betrachtet ein ernster Schaden des Hauses, dafür kann man den Besitzer vor Gericht haftbar machen. Wer so einen Mietvertrag unterschreibt, ist selber schuld. N Dusls Schwerpunkt Puntigams Kolumne | Dusls Schwerpunkt

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Alzheimer Rudolf Kolbe Vizepräsident der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten Können Sie sich noch an den Sommer 2002 erinnern? Ich meine nicht den Tour-de-FranceSieg von Lance Armstrong, sondern Schlagzei- len wie "Land unter" oder "Österreich versinkt in den Fluten". Ich erinnere mich noch allzu gut an die Nacht, als das Hochwasser durch das Erdgeschoß unserer Kanzlei rann. Und trotzdem verblasst die Erinnerung mit jedem Jahr und die Bedrohung erscheint immer irrealer und vernachlässigbarer. Dieser Schutzmechanismus der menschlichen Psyche ist natürlich wichtig und ermöglicht es uns, mit Katastrophen und Schicksalsschlägen klarzukommen. Er schließt aber auch oft zu schnell die Zeitfenster, in denen einschneidende Konsequenzen aus den gemachten Erfahrungen gezogen werden können. Kurz nach 2002 war es unter Eindruck des soeben Erlebten möglich, dass sich die Bewohner ganzer Ortschaften, die im Überflutungsbereich des sogenannten Machlandes im Bezirk Perg lagen, entschlossen, ihre Häuser zu verlassen und sich einige Kilometer weiter im hochwassersicheren Bereich neu anzusiedeln. Dieses Projekt dient heute zwar als gern zitiertes Beispiel. In Anbetracht von Zigtausenden Objekten in den sogenannten roten Zonen der Gefahrenpläne ist es jedoch nicht einmal ein Feigenblatt, mit dem man die noch bestehenden Problemzonen bedecken könnte. Schon mehren sich wieder die Umwidmungsansuchen, schon werden wieder Baubewilligungen erteilt in Gegenden, die eigentlich schon als Gefahrenbereiche erkannt waren. Hier sind die Politiker gleich wie die Raumplaner gefordert, diesem gesellschaftlichen Alzheimer Einhalt zu gebieten. Hier sollten aber genauso beherzt sinnvolle Schutzbauten nicht erst dann errichtet werden, wenn bereits ein Mehrfaches der Kosten als Schaden entstanden ist. Und wir sollten uns täglich bemühen, unsere Erfahrungen nicht zu vergessen. Übrigens, habe ich Sie schon gefragt, ob Sie sich an den Sommer 2002 erinnern können? N Zusammenarbeit Ein Bauherr beauftragt je einen Architekten, Statiker, Bauphysiker und einen Vermesser mit einer Bestandsaufnahme eines Bauwerks. Was wird er bekommen? Vermutlich vier verschiedene Pläne bzw. Beschreibungen, weil jede Ingenieurdisziplin den Terminus Bestandsaufnahme auf seinen Fachbereich bezieht. Noch weitere Definitionen seien hier ausgeklammert wie Bestandsaufnahmen eines Grundstücks, eines Stadtviertels, eines Dorfes oder thematisch: forstliche, soziologische, kulturelle und viele andere Bestandsaufnahmen. Die vier obigen Ingenieure werden jedenfalls das Bauwerk nach ihren jeweiligen Fachkenntnissen aufnehmen, d. h. befunden und ihre geometrischen und physikalischen Messungen und Wahrnehmungen in Pläne eintragen. Damit vor allem die Geometrie nicht mehrfach erfasst wird und dies unweigerlich spätestens in der Zusammenführung der Ergebnisse zu einem Mehraufwand führt, beauftragt der klug beratene Bauherr zuerst den Geodäten mit einer geometrischen Bestandsaufnahme des Gebäudes mit z. B. folgenden Parametern: Detaillierungsgrad, absolute und relative Genauigkeit in Lage und Höhe, topologisch eindeutige 3D-Datenstruktur mit Punkt-, Linien-, Flächen-, Attribut-, Symbol- und Textdefinitionen, verständliche Datenlayer und -lieferschnittstelle. Dieser Datensatz bildet nun die Grundlage für die weiteren fachlichen Bestandsaufnahmen der Kollegen, die ihre Beobachtungen in diesen digital einpflegen. Das Ergebnis ist ein 3D-Datensatz mit verschiedensten fachlichen Attributen, der für Planauszüge, Analysen, Renderings oder Facility Management dem Bau- Gerald Fuxjäger Präsident der Kammer für Architekten und Ingenieurkonsulenten für Steiermark und Kärnten herrn und seinen Planern zur Verfügung steht. Machen wir es wie die Ärzte: koordiniert zusammenarbeiten! N Die Freien Berufe Österreichs Felicia Burger Generalsekretärin Die Freien Berufe Österreichs Als Dachverband der Standesvertretungen der Freien Berufe vertritt "Die Freien Berufe Österreichs" neben den Architekten und Inge- nieurkonsulenten auch die Apotheker, Ärzte, Dies gelingt jedoch viel eher, wenn die ZivilNotare, Patentanwälte, Rechtsanwälte, Tier- techniker gemeinsam mit den anderen Angeärzte, Wirtschaftstreuhänder und Zahnärzte hörigen der Freien Berufe für die Erhaltung und repräsentiert somit rund 74.000 Freiberuf- der Rechte der Freiberufler kämpfen. Die Mitler. Die Aufgabe von "Die Freien Berufe Öster- glieder von "Die Freien Berufe Österreichs" reichs" ist die Wahrung und Förderung der schaffen insgesamt mehr als 300.000 Arbeitsgemeinsamen standespolitischen und sonsti- plätze und sind daher in Österreich ein nicht gen Interessen der Angehörigen der Freien wegzudenkender Wirtschaftsfaktor. Um sich Berufe Österreichs. Architekten und Ingeni- mehr Gehör zu verschaffen und die Politik im eurkonsulenten sind als baukulturell Schaf- Sinne der Freiberufler mitzugestalten, ist es fende ein wichtiger Garant für die Aufrechter- vonnöten, die verbindenden Parameter zu haltung der Lebensqualität der Menschen. betonen und als relevante gesellschaftliche Als hoch kompetente Experten übernehmen Gruppe nach außen hin homogen aufzutreten. Ziviltechniker Verantwortung, schaffen Ver- "Die Freien Berufe Österreichs" fördern das trauen und sichern Wachstum. Für die Erfül- Einvernehmen, den Informationsaustausch lung dieser im höchsten Maß gesellschaftspo- und die Zusammenarbeit zwischen den Mitlitischen Aufgabe ist es unerlässlich, die Unab- gliedskammern, um genau diese Ziele - auch hängigkeit und den Individualismus dieser für die Architekten und Ingenieurkonsulenfreiberuflichen Tätigkeit aufrechtzuerhalten. ten - zu erreichen! N Standpunkte

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Auszug aus der Gefahrenzone - Lawinen, Muren, Hochwasser und die Chance zum Umdenken Die Naturkatastrophen, die hierzulande in den letzten Jahren verheerende Folgen gezeigt haben, verweisen nicht zuletzt auf ein prekäres Verhältnis zwischen Naturräumen und deren Umformung und Besetzung durch bauliche Strukturen. Im Ausnahmezustand werden auch allgemeine Dilemmata im Umgang mit Natur- und Raumreserven sichtbar. Aber auch die Chance einer Neukonzeption der gegenwärtigen Kultur der Besiedelung des ländlichen Raums blitzt auf. In Österreich wiederholen sich jährlich Natur- Ausnahmesituationen beinhalten auch das katastrophen. Die Hochwasser, Überschwem- Potenzial, dass umgedacht wird. Im Fall von mungen, Muren- und Lawinenabgänge wer- Naturkatastrophen steht unser Umgang den zur Heimsuchung in Serie. Die Feuerweh- mit unseren natürlichen Ressourcen auf ren und das Bundesheer rücken aus, um Wege dem Prüfstand. Könnte man den Film nicht zu sichern, Brücken zu reparieren und bei den rückwärts laufen lassen und statt aufwendiAufräumungsarbeiten zu helfen. Die Frustra- ger Schutzbauten einen Rückbau beginnen, tion der betroffenen Bevölkerung steigt. einen konsequenten Baustopp in GefahrenDie Wiederinstandsetzung des Wohnraums zonen durchsetzen? Wenn ökologische Paradauert oft Monate. Die Versicherungen meter und die Schaffung von wertvollen Freidecken in vielen Fällen die Schäden nicht ab. räumen im Siedlungsteppich in die QuantifiManches Rinnsal hinter dem Haus hat eine zierung des Gemeindebudgets einfließen bedrohliche Note bekommen, nachdem es würden, würde sich die Situation für die Versich in einen reißenden Fluss verwandelt antwortlichen vor Ort schlagartig ändern. hatte. Die Bilder in den Medien erinnern an Zur Raumentwicklung käme eine Kultur des Szenarios aus amerikanischen Katastrophen- Rückbaus und der Wiederherstellung wertfilmen. Die Wetterkapriolen treffen auf eine voller Landschaftsräume. Das System würde Landschaft, die so weit transformiert und sich in Richtung einer qualitativen Evaluiebesiedelt wurde, dass heute Lebensräume rung verschieben, wie man das auch von steuund Naturgewalten in ungewohnter Härte erlichen Erleichterungen für ökologische aufeinanderprallen. Durch die Überregulie- Betriebsführung kennt. Die Lawinen, Hochrung der Flüsse sind Rückhalteflächen verlo- wässer und Muren der letzten Jahre verweiren gegangen. Durch Rodung und Bebauung sen auf ein Ungleichgewicht zwischen Natursind Hänge instabil geworden. Nicht zuletzt und Kulturlandschaft. Die prekäre Überforwurde in ausgewiesenen Gefahrenzonen wei- mung der Landschaft ist zum Großteil tergebaut beziehungsweise nicht umgesie- reversibel. Die ersten Pilotprojekte wurden delt. Seit dem Jahrhunderthochwasser 2002 in gestartet. Im oberösterreichischen Bezirk Oberösterreich hat dennoch nur ein zaghaf- Perg wurden 250 Gebäude aus dem Übertes Umdenken eingesetzt. Auch 2012 haben schwemmungsgebiet der Donau auf freiwilliMurenabgänge überdeutliche Warnzeichen ger Basis umgesiedelt. Das Land steuerte 94 in die Landschaft gesetzt. Die Ereignisse ver- Millionen Euro bei. Die Kosten sind hoch, weisen auf einen allgemeinen Missstand im aber auch die Mittel, die in den KatastrophenUmgang mit Raum- und Naturressourcen in fonds fließen, sind beträchtlich. Für viele den Gemeinden. Viele Bauten in Gefahrenzo- Bewohner und Bewohnerinnen ist die geförnen datieren aus einer Zeit vor deren Festle- derte Umsiedelung auch eine Chance. gung zurück und bleiben bestehen. Dazu Viele der Bestandsbauten entsprechen in kommt, dass insbesondere in "gelben" Zonen, bauphysikalischer Hinsicht heutigen Stanwo Bauen mit Auflagen erlaubt ist, zu viele dards nicht mehr. Auf einer raumplaneriBaugenehmigungen erteilt wurden. Auch in schen Ebene könnten Umsiedelungen eine der roten Zone, die mit einem Bauverbot Chance bedeuten, wenn man Raum sparenbelegt ist, stehen noch 17.000 Objekte landes- dere und energetisch effizientere Siedlungsweit und werden nach wie vor Baugenehmi- strukturen auch im ländlichen Raum umsetzt gungen erteilt. Viele Bürgermeister - sie reprä- - weg vom verschwenderischen Einfamiliensentieren die Baubehörde erster Instanz vor hausteppich, hin zu Formen qualitativ hochOrt - kämpfen um steigende Zuwachsraten im wertiger Formen verdichteten Flachbaus Zuzug, da das Gemeindebudget auch von den etwa. Warum sollte man nicht über "urbane Einwohnerzahlen abhängt. Quantität geht Inseln" im Maisfeld nachdenken? Ländliche hier vor Qualität. Die häufigste angewandte Entwicklung müsste konzeptionell auf den Lösung bestand bisher meist darin, wiederum Kopf gestellt betrachtet werden. Nicht die sehr teure Schutzbauten wie Schutzwasser- Siedlungsstrukturen wären primär zu definiebauten, Dämme oder Murenrückhaltebecken ren, sondern ein Netzwerk von Leerräumen zu errichten, um Bauten in Gefahrenzonen im und Schutzzonen, die eine intakte, kohärente Nachhinein abzusichern. Es sind kostspielige Landschaft ausbilden. Zu der hollywoodesNotpflaster, die auf selbst verschuldete Wun- ken Neudeutung des Heimatfilms, in der sich den geklebt werden. Organisierte Umzüge in Reinhold Bilgeri in seinem Lawinenepos "Der sicheres Terrain sind bisher die Ausnahme Atem des Himmels" 2010 versucht hat, könnte geblieben. ja auch ein aufgeklärter "Neorealismo" des Alpenlands treten. André Krammer N Plus/Minus

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Bestandsaufnahmen Wer sich umschaut kann etliche Felder entdecken, wo Technik Probleme löst und unser Leben bereichert. Er findet aber auch Beispiele, wo Technik Probleme schafft und unser Leben in eine Richtung beeinflusst, die wir nicht wollen. Oft sind die Technologien dieselben, Gut und Schlecht die zwei Seiten einer Medaille. Zum Beispiel Digitalisierung und künstliche Intelligenz, zum Beispiel Energieversorgung und Klimakatastrophe, zum Beispiel demografischer Wandel. Beeinflusst werden Kommunikation, Mobilität, Siedlungsstruktur, Lebensstil und vieles mehr. Mathias Rittgerott N Rachel Whiteread House, 1993, Beton, Commissioned by Artangel | Courtesy of Rachel Whiteread, Luhring Augustine, New York and Gagosian Gallery

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Bestandsaufnahme Technik | Über das Bewahren von Innovationen Gabriele Zuna-Kratky im Interview Im Jahr 2000 übernahm Gabriele Zuna-Kratky das Technische Museum Wien, dessen Ausrichtung noch gänzlich der Vergangenheit verpflichtet war. Mit neuen Ausstellungskonzepten, einem umfangreichen Vermittlungsprogramm und Veranstaltungen mit den innovativsten Köpfen aus der Wissenschaft versteht sich das TMW heute als Plattform für aktuelle Diskurse und Visionen für die Zukunft. Sebastian Jobst sprach für das KONstruktiv mit Gabriele Zuna-Kratky über den Innovationsdrang der Technik und warum es in Zukunft auch noch Museen geben wird. sind und auf unserer Plattform eine Rückschau halten, eine Standortbestimmung machen oder ihre Visionen der Zukunft präsentieren. J Unser Verhältnis zur Technik ist heute ambivalent, sie ist omnipräsent, wird gleichzeitig aber immer komplexer und schwieriger nachzuvollziehen. Im Vergleich zu den mechanischen Technologien des 19. Jahrhunderts, von denen die Anfänge des TMW noch geprägt waren, sind die heutigen digitalen Technologien zu schnell, zu klein, zu abstrakt, um sie als Laie tatsächlich verstehen zu können. Wie schafft man es dennoch, diese zu vermitteln? ZK Die Vermittlung von technischen oder naturwissenschaftlichen Inhalten ist schwierig. Denn abgesehen vom oft fehlenden technischen Wissen schwingt manchmal auch eine gewisse Technikskepsis bei den Menschen mit. Schon seit jeher gab es Ängste vor technischen Neuerungen - anfänglich befürchteten viele Menschen, sie könnten gesundheitliche Probleme bekommen, wenn sie mit einer Eisenbahn fahren, und jetzt fürchten sich viele vor der Strahlung von Mobiltelefonen. Viele unserer Sponsoren möchten gerne, dass wir im Museum wissenschaftliche Zusammenhänge leicht verständlich erklären und darstellen, um damit einen Zugang zur Materie zu schaffen. Unsere Vermittlungsaufgabe besteht darin, komplexe Zusammenhänge herunterzubrechen und den Menschen verständ lich zu machen - dies geschieht auf unterschiedlichsten Ebenen, da ja auch die Menschen unterschiedlich weit "von der Technik entfernt" sind. Anlässlich einer Medizintechnikausstellung gelang es uns, in Kooperation mit dem Verbund der Krankenanstalten und einem engagierten Ärzteteam als erstes Technisches Museum eine Operation am offenen Herzen live in unseren Festsaal zu übertragen. Begleitet von fachkundigen Kommentaren des Oberarztes konnten die Besucher dadurch über die gesamte Länge der Operation, fünf Stunden, jedem Handgriff der operierenden Ärzte folgen. Diese spezielle Art der "direkten" Wissensvermittlung zeigt, welche einzigartigen Möglichkeiten durch gute Kooperationen erwachsen können. Der Festsaal des Museums war überfüllt, da die BesucherInnen diese einmalige Chance, einer Operation beizuwohnen, nicht verpassen wollten. Anhand der realen Geräte in der Medizinausstellung konnte dann das Gesehene nochmals nachvollzogen werden. Zwei Themen, die besonders gut zu vermitteln sind, mit denen man die Leute sehr gut ansprechen kann, sind der Mensch und seine Gesundheit, Technik vom Menschen für den Menschen, und ein zweites Thema, das natürlich sehr emotionsbehaftet ist, ist der Verkehr. Mein Auto. Jobst: Am Gebäude des TMW drückt sich das Technikverständnis seiner Errichtungszeit ganz interessant aus. Als eine der ersten Stahlbetonkonstruktionen Österreichs wurde diese technische Neuerung dennoch hinter einer historisierenden Fassade versteckt. Heute würde man das genau umgekehrt machen, zeitgenössische Architektur inszeniert Technik in vielen Fällen sehr spektakulär. Zuna-Kratky: Konstruktionen werden heute sichtbar gemacht. Wir wollten nebenan auf dem angrenzenden Grundstück, wo nun aber ein Hotel gebaut wurde, einen "Zugbau" für die Sammlung historischer Lokomotiven errichten. Für diesen Zugbau war gedacht, die gesamte Haustechnik sichtbar zu machen, damit BesucherInnen des Gebäudes auf den ersten Blick sehen, wie die Leitungen verlaufen, die Konstruktion sich einfach selbst erklärt, das Objekt in sich also bereits die Erklärung ist. J In gewisser Weise unternehmen Museen den Versuch kultureller Bestandsaufnahme, nun ist gerade der Technik ein besonders starker Innovationsdrang immanent. Wie lassen sich derart beschleunigte Entwicklungen in Ausstellungen abbilden? ZK Technik ist ein unglaublich schnelllebiges Feld. Die Inhalte eines Museums haben sich stark verändert: Früher wurden Fertigungsschritte und Objektreihen ausgestellt. Wenn die Post einen neuen Telefonapparat herausbrachte, hat sie zwei dem Museum gegeben, der eine ist ins Depot gewandert, man könnte ihn ja schließlich einmal brauchen, und den zweiten hat man einfach zu den Vorgängermodellen gestellt. Wenn einem beispielsweise von Glühbirnenserien eine bestimmte Nummer fehlte, waren die Kuratoren vollkommen verzweifelt, bis sie diese gefunden haben und schließlich im Schaukasten ergänzen konnten. Heute werden keine Produktionsreihen mehr präsentiert, jetzt stellt man die Dinge in einen sozial-historischen Kontext, und wir versuchen eine Brücke in die Zukunft zu schlagen, ohne dort wirklich anzukommen, da man ja technische Entwicklungen nicht exakt voraussehen kann. Wir sehen uns auch als Plattform für aktuelle Diskurse. Dazu laden wir Menschen aus den unterschiedlichsten Wissensgebieten ein, die am Puls der Zeit Bestandsaufnahme Technik

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J Im Feld der Mobilität tut sich nicht nur bei der Entwicklung einzelner Transportmittel, sondern vor allem in deren Vernetzung sehr viel. Dennoch sind Schlagworte wie mixedmode commuting im öffentlichen Bewusstsein noch nicht richtig angekommen. ZK Es wird sicherlich ein Umdenken erfordern, und auch das ist geistige Mobilität, die notwendig ist, um das Ganze zu erfassen. Wir arbeiten derzeit auch an einer Ausstellung zur Mobilität, um unseren Verkehrsbereich zu aktualisieren, der seit der Wiedereröffnung 1999 den Schwerpunkt auf historischen Raritäten hat. J Alte Prestigeobjekte versammelt ...? ZK Das Auratische des Objekts eben. In dieser Dauerausstellung haben wir den Silberpfeil, den Markuswagen und den Lohner-Porsche, der jetzt aufgrund des elektrischen Radnabenmotors sehr nachgefragt wird, also auch etwas, das es bereits einmal gab und wo die Leute jetzt immer versuchen wieder die Brücke zurückzuschlagen. Solche "Zeugen der Vergangenheit" sind einzigartig und werden deshalb auch oft angefragt. Wir hatten die meisten Leihansuchen wegen des E-MobilitätsLohner-Porsche. In den nächsten Jahren wird sich zum Thema Mobilität viel tun. Es geht eben nicht mehr darum, mit einem Verkehrsmittel von A nach B zu kommen, sondern es geht auch darum, das Thema der EMobilität in einem größeren Rahmen zu sehen. In einem Smart Grid ist es mir egal, wann meine Wäsche gewaschen wird, je nach Stromangebot, also wenn beispielsweise zwischen drei und vier Uhr der Strom am günstigsten ist, erkennen der Grid und die Waschmaschine es von selbst. J Ein diesbezüglicher Einwand vieler ist allerdings, dass der Mensch dadurch immer gläserner wird. ZK Das stimmt, das sind wir aber ohnehin bereits. Das ist schon passiert, ohne dass es uns richtig be wusst geworden ist, glaube ich. J Das resultiert zu einem Teil sicherlich auch aus der Objektlosigkeit dieser Problematik. Vor allem in der Vermittlungsarbeit im Museum findet beinahe immer eine Orientierung am Objekt statt. Wie lassen sich jedoch digitale Prozesse abbilden beziehungsweise erklären? Ist das Objekt dann überhaupt noch nötig? ZK Das ist eine Unterstellung vieler Menschen, es gäbe nun das Internet, über das alle Informationen nun schneller, besser und umfassender zu bekommen seien, und ich könne sie mir so zusammenstellen, wie ich es brauche. Wozu braucht man dann Museen? Wozu soll dann etwas bewahrt werden? Prinzipiell wird das Original benötigt, um es digitalisieren zu können, denn das Digitalisat gibt es nicht ohne Original. Adorno hat schon vor etlichen Jahren über das Fernsehen einen sehr guten Artikel geschrieben, in dem er beschreibt, wie lächerlich ihm die 10 cm großen Cowboys im Fernsehen erscheinen. In dem Moment, in dem Sie vor dem Original stehen, haben Sie eine ganz andere Anmutung als vor seiner digitalen Abbildung. J Wie verhält es sich bei Dingen oder Prozessen, die nicht an ein Objekt gebunden sind? Wie lassen sich beispielsweise Cloud Computing oder andere komplexe Prozesse vermitteln? ZK Versuche hat es immer gegeben. Vor fast 30 Jahren gab es eine schöne Ausstellung im Künstlerhaus, in der versucht wurde zu veranschaulichen, wie viel auf einem Mikrochip Platz findet. Glasplatten, in die Texte geätzt waren, wurden, wie Bücher meterlang aneinandergereiht, dem Mikrochip gegenübergestellt, und dazu gab es die Erklärung, dass alles, was auf diesen Chip passt, in die unzähligen Glasplatten geätzt ist. So etwas ist also eine Möglichkeit, es darzustellen, aber was jetzt passiert, dem können wir kaum noch folgen. Da bedarf es eines sehr regen, interessierten Publikums, damit die wahrscheinlich nicht hinreichenden Erklärungen, schließlich müssen wir versuchen jedes Thema zu komprimieren, ausreichen. Leider können wir keine vollständigen Abhandlungen machen. Wir hatten dieses Problem beispielsweise beim Thema "Nanotechnologie". Natürlich könnten wir von Scheiben oder Lacken erzählen, um den Begriff Nano zu erklären - dafür haben wir mit einem Universitätsinstitut zusammengearbeitet und eben das versucht, sind dann aber zu einem ebenso komplexen Thema geschwenkt, das aber leichter aufzubereiten war, nämlich dem Klimawandel. Cloud Computing haben wir noch nicht, aber das müssen wir auch angehen. Selbst über Mobilfunktechnik wissen wenige wirklich Bescheid. Dabei basiert viel davon auf einem von Hedy Lamarr 1942 patentierten Frequenzsprungverfahren. Hedy Lamarr, eine der schönsten Frauen Hollywoods, eine in die USA emigrierte Österreicherin, die für Torpedoleitsysteme eben dieses Frequenzsprungverfahren entwickelte, das heute noch im Mobilfunk Anwendung findet. Es gibt einen Hedy Lamarr-Preis, weil sie eben Österreicherin und Celebrity war. Wenn der Herr Müller oder Herr Maier das entwickelt hätten, würde vermutlich keiner mehr davon reden. J Die wenigen Frauen, die es damals in Technik und vor allem in der Informationstechnologie gab, bei Ada Lovelace oder Hedy Lamarr Bestandsaufnahme Technik

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wird das besonders augenscheinlich, werden immer zu schillernden Figuren hochstilisiert, während die männlichen Kollegen natürlich harte Forscher zu sein hatten. Ist das heute auch noch so? ZK Selbstverständlich gab und gibt es immer wieder "Ikonen" - geniale TechnikerInnen und ErfinderInnen, die auch gleichzeitig PR-affin waren, sich also gut vermarkten konnten. Frauen mussten allerdings oft um die Anerkennung ihrer Leistungen ringen und standen im Schatten der männlichen Kollegen. Wir haben sogar eine Spezialführung zu dieser Problematik im Museum. In jeder Sparte der Wissenschaft und Industrie besteht auch heute noch ein starker Konkurrenzdruck. Die Konzerne kaufen Patente auf, die lassen arbeiten. Letzte Woche war der Präsident des Erfinderverbands bei mir und hat mit mir über österreichische Erfinderschicksale gesprochen. Ich empfand das beinahe als Zeitsprung, weil es noch immer sehr schwierig ist, wahrscheinlich noch schwieriger als früher, für den Einzelnen Patentrechte anzumelden. Dafür benötigt man viel Geld und Zeit und währenddessen wurde vermutlich in China bereits ein Klon konstruiert, programmiert und produziert. J Mittlerweile gibt es immer mehr Open-SourceBewegungen, nicht mehr nur bei Softwareprojekten, die Idee ist, wenn man so will, in der Hardware angekommen. Das Spektrum reicht bereits von freiem Zugang zu Konstruktionsplänen leicht produzier- und programmierbarer Chips (Arduino) bis hin zu OpenSource-Architektur. Ist das Patentrecht in seiner heutigen Form zu überdenken? ZK Wenn man alles regeln will, dann kriegt man unter Umständen gar nichts. Es könnte eine Chance darstellen. J Der Grundgedanke von Open-Source-Projekten deckt sich mit dem Grundgedanken der Forschung oder der Wissenschaft, problematisch scheint es zu werden, wenn das auf wirtschaftliche Aspekte trifft. ZK Aber Geld bewegt die Welt. Modelle dazwischen sind aber sicherlich denkbar und wünschenswert. Linux finde ich ein spannendes Projekt, ich frage mich, wie es wohl wäre, hätten wir hier im Museum nicht proprietäre Softwarelösungen. J Aktuell läuft noch die documenta in Kassel, die in der diesjährigen Ausgabe einen großen Fokus auf die Naturwissenschaften gelegt hat, mit Anton Zeilinger als einzigem österreichischem Teilnehmer. Inwieweit wird die Technik dadurch verzaubert? Das Verständnis scheint in den Hintergrund zu rücken, während die wissenschaftliche Apparatur zwischen die Kunstwerke eingereiht wird, ohne tatsächlich ihren Inhalt zu erklären. ZK Verständnis zu vermitteln ist sehr schwer. Wir sehen uns als Mittler zwischen der wissenschaftlichen Materie und den BesucherInnen - wenn diese mit einem Aha-Erlebnis aus dem Museum gehen, dann haben wir einen Schritt in Richtung Technikverständnis und Bildungsauftrag geschafft. Professionelle Vermittlung von komplexen Inhalten geht auch manchmal "Seitenwege", um zum gewünschten Ziel zu kommen - so zum Beispiel kann die Kombination von Technik und Kunst hier einen neuen Zugang zum Verständnis öffnen. Gemeinsam mit der Erste Stiftung haben wir im TMW künstlerische Interventionen umgesetzt. Die Erste Bank hat uns dafür Mittel zur Verfügung gestellt, und da die Kunstsammlung in Osteuropa sehr aktiv ist, konnten wir Künstler zur momentanen Sonderausstellung "At Your Service - Kunst und Arbeitswelt" einladen, ihre Fantasien zum Thema Arbeit zu entwickeln. Unter anderem hat Pavel Braila, ein Künstler aus Rumänien, eine Schreibmaschineninstallation umgesetzt und Anna Jermolaewa thematisierte in einer Videoarbeit den grenzüberschreitenden Pendlerverkehr. Ebenfalls von Jermolaewa sind die Prismenwände gleich im Foyer, die aussehen wie die Ehrenwände in russischen Fabriken, auf denen alle hier Arbeitenden mit Bild und Namen, unabhängig vom Rang, gelistet sind. Die Reinigungskraft ist dadurch die Erste, da ihr Nachname mit A beginnt, und ich bin die Letzte mit Z. Inhalte, die wir als Ergebnis wissenschaftlicher Arbeit in der Sonderausstellung präsentieren, haben die Künstler in Projekte umgesetzt, und wir hoffen auf Rückkoppelungen zwischen den Menschen, die sich durch die Kunst angesprochen fühlen, und jenen, die sich von der Technik angesprochen fühlen, jeweils einen Weg in die andere Sphäre zu finden. J Abgesehen von spezialisierten Schulen wie HTL hat man oft den Eindruck, dass die Naturwissenschaften und die Technik eher Randfächer sind. Ist der Eindruck Ihrer Erfahrung nach richtig? ZK Ja, da gibt's noch viel zu tun. Viele Initiativen bemühen sich vor allem um die Mädchen, "Mädchen in die Technik", "Mehr TechnikerInnen", "Töchtertag" und viele mehr. Wir haben gemeinsam mit Unternehmen SchülerInnen eingeladen und Lehrlingen die Möglichkeit geboten, über ihre Tätigkeiten zu erzählen. Die Industrie klagt über viel zu wenige Techniker, und da versuchen wir auch einen Beitrag mit Programmen wie "Yo Einstein" oder "Technik ist cool" zu leisten, doch das geht nur sehr langsam. Speziell bei den Mädchen ist es noch immer sehr schwierig, 40 Prozent aller Mädchen gehen nach wie vor in drei Berufe und wollen Friseurinnen, Bürolehrlinge und Verkäuferinnen werden. Alte Stereotype bestätigen sich da noch heute. Es bedarf hier noch viel Bewusstseinsbildung. Doch wir sind auf einem guten Weg - Managerinnen gibt es mittlerweile ja auch. N 10 | 11 Bestandsaufnahme Technik

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Bedürfnisorientierte Evaluation von Bauten | Wege zu einer nutzungsadaptiven Planung Rainer Maderthaner Ao. Univ.-Prof. i. R. an der Fakultät für Psychologie, Universität Wien. Studium der Psychologie und Soziologie, 1974 Doktorat, 1988 Habilitation in Psychologie, 1991 Gastprofessur in Graz ("Architektur- und Wohnpsychologie"), 1993- 1997 Vorlesungen "Humanökologie" (TU Wien), 2002 -2009 Vorsitzender des LA 21-Beirates in Wien, seit 2006 Vorlesungen "Architekturpsychologie" (TU Wien), Forschung im Bereich Architekturpsychologie und Umweltpsychologie. Nachhaltigkeit als Zielsetzung Eine der wichtigsten Zielsetzungen für die Zukunft sollte die Erhaltung bzw. Verbesserung der Lebensqualität des Menschen sein. Für eine nachhaltige Zukunftsplanung kommt der gebauten Umwelt wegen ihrer hohen Errichtungskosten, ihres langfristigen Bestandes und ihrer vielfältigen Auswirkungen auf den Menschen ein hoher Stellenwert zu. Vor allem wegen der mannigfaltigen Effekte der Architektur auf das menschliche Leben sollte die Forschung in diesem Bereich multidisziplinär und transdisziplinär (Einbezug von Laien als "Nutzungsexperten") ausgerichtet sein. Eine multi- und transdisziplinäre Kooperation ist auch deshalb unerlässlich, weil nach heutiger Fachmeinung eine nachhaltige Entwicklung der Menschheit nur dann erreichbar ist, wenn die Probleme nicht nur in den einzelnen "Säulen" der Nachhaltigkeit - Ökologie, Ökonomie und Sozietät - lokalisiert werden, sondern auch in deren Wechselwirkungen. Objektive und subjektive Lebensqualität In einer österreichischen Befragung (Statistik Austria, 2007) wurden hinsichtlich der Bedeutung für die subjektive Lebensqualität die Wohnsituation und das Wohnumfeld - nach den beiden Hauptfaktoren Gesundheit und Sozietät - an die dritte Stelle gereiht.1 Da jedoch die gleichen Lebensbedingungen und Lebensumwelten von verschiedenen Personen (je nach Geschlecht, Alter, Bildung, Einkommen, Familienstand ...) häufig unterschiedlich bewertet werden, für Planungsprozesse aber oft sogenannte "objektive" Indikatoren der Lebens- Subjektive Lebensqualität kann nur sehr begrenzt durch "objektive" Indikatoren der Lebensqualität vorhergesagt werden, weshalb Planungen immer auch auf sozialwissenschaftlichen Studien oder Erhebungen bei potenziellen Nutzerinnen und Nutzern basieren sollten.

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qualität (Umwelt- und Wirtschaftsdaten, Infrastruktur etc.) herangezogen werden, weicht die subjektive Zufriedenheit der Nutzer von Bauwerken oft wesentlich von den Einschätzungen ihrer Planer ab.2 Insbesondere im Siedlungs- und Wohnbau dominiert heute immer noch die sogenannte "anonyme Planung" (mit relativ abstrakten Nutzerannahmen), die zukünftig durch Einsatz sozialwissenschaftlicher Methoden und Erkenntnisse3 in eine "adaptive Planung" übergeführt werden sollte. Werden die Wohn,- Arbeits-, Verkehrs- und Frei zeitbedürfnisse von Nutzerinnen und Nutzern in der Planung nicht ausreichend berücksichtigt, dann beeinträchtigt dies nicht nur deren Wohlbefinden, sondern es ergeben sich auch schwerwiegende soziale und ökonomische Nachteile, wie etwa soziale Konflikte, verringertes Wohnprestige, gesteigerte Umzugsneigung, erhöhtes Verkehrsaufkommen und eine Tendenz zur Anschaffung von Zweit wohnsitzen. Jenes Spektrum, in dem Menschen ihre Umwelt erfahren, reicht über jenes "objektiver" Lebensqualitätsindikatoren weit hinaus. Eine treffende Grobklassifikation der menschlichen Erfahrungsfacetten stammt vom Landschaftsarchitekten Hans Loidl, der drei (semiotische) Planungen von Wohn-, Arbeits-, Verkehrs- und Kategorien unterFreizeiteinrichtungen sollten multidisziplinär scheidet: Symbolik und transdisziplinär erfolgen, das heißt einer(das äußere Erseits in Kooperation zwischen Stadtplanern, scheinungsbild), Architekten, Ökologen, Soziologen, Medizinern, Semantik (die subjektive BedeuPsychologen und anderen Fachleuten sowie tung) und Pragmaandererseits durch Einbezug der Meinung von tik (die Einflüsse planungsbetroffenen Personengruppen . auf das Verhalten). Da derzeit die Qualitätseinstufung von Bauten eher "fallbasiert", d. h. durch Referenz auf Arbeiten und Meinungen anerkannter Architekten erfolgt,2 existieren derzeit kaum allgemeingültige, multidisziplinär oder transdisziplinär begründete Kriterien für "gute" Architektur. Einen diesbezüglichen Beitrag versucht die Psychologie4 und speziell die Architekturpsychologie zu liefern, indem sie Bauten nach deren allgemeiner Rezeption, nach deren Bedürfnisentsprechung und nach deren Akzeptanz in der Bevölkerung analysiert.3, 4, 5, 6, 7 Ergebnissen einiger Arbeiten aus dem Wiener Institut für Psychologische Grundlagenforschung sollen diesen nutzerbezogenen Ansatz illustrieren.9, 10, 11, 12, 13, 14 Bedürfnisorientierte Planung 1. Regeneration Gemäß einer Mikrozensus-Erhebung des Österreichischen Statistischen Zentralamtes (ÖSTAT) aus dem Jahre 1991 fühlten sich damals etwa 31 Prozent der Österreicher durch Lärm gestört, im Jahr 2007 waren es immer noch 21 Prozent, wofür jeweils als Hauptverursacher der Straßenverkehr angegeben wurde. Lärm wird von Antje Flade als "Umweltseuche Nummer eins" bezeichnet, weil er das Wohlbefinden, die Kommunikation, das Sozialverhalten (sozialer Rückzug) und die Wohnungsnutzung (z. B. Flucht in andere Zimmer) beeinträchtigt, sodass sich bei Dauerbelastung vegetative, psychosomatische sowie somatische Störungen ergeben und zusätzlich eine geringere Widerstandskraft gegen weitere Stressoren die Folge ist. Neben Lärmbelastung zählen Geruchsbelästigung und ein Mangel an Naturerfahrungen zu den stärksten Beeinträchtigungen der Wohnzufriedenheit.7 Bei der Ausstattung von Wohngebieten sollte auch dem Bedürfnis nach körperlicher Betätigung (Fitness) vermehrt Rechnung getragen werden, weil Bewegungsmangel in Verbindung mit Übergewicht zu schweren Gesundheitsbeeinträchtigungen führt. Erwartungsgemäß wird in Befragungen den Grünund Freiräumen großes Erholungspotenzial zugeschrieben, während hinsichtlich des verdichteten Wohnbaus vor allem aufgelockerte und halb geschlossene Siedlungsformen12 mit guten Regenerationsmöglichkeiten (und anderen positiven Eigenschaften) assoziiert werden. 2. Privatheit und Sicherheit Besonders in städtischen Wohngebieten ist aufgrund der hohen sozialen Dichte das Bedürfnis nach Privatheit und Sicherheit stark ausgeprägt. Die städtischen "Crowding-Effekte" könnten sowohl durch verbesserten Schutz der Privatsphäre (Reduktion der Einsehbarkeit und Mithörbarkeit in Wohnungen, Nischendesign in halb öffentlichen Räumen etc.) als auch durch eine verbindliche Regulation der Raumnutzung ("privacy regulation") vermindert werden (Beschluss von Hausordnungen, Nutzungsvereinbarungen für semiprivate Bereiche etc.). Bei der Planung von Lebensräumen sollten zur nachhaltigen Sicherung der Lebensqualität zumindest fünf lebensraumbezogene Bedürfniskategorien berücksichtigt werden: 1. Regeneration, 2. Privatheit und Sicherheit, 3. Funktionalität und Ordnung, 4. ästhetische Wirkung, 5. Kommunikation und Mitbestimmung. Sicherheit vor physischen oder sozialen Gefahren (Unfälle, Überfälle) ist vor allem bei älteren Menschen, behinderten Personen und Familien mit Kindern ein wichtiges Anliegen, weshalb diesbezügliche Vorsorgemaßnahmen bereits bei der Planung von Bauten berücksichtigt werden müssten (schwellenfreie Türen, stiegenfreie Zugänge zum Lift, Rampen für Rollstühle, Übersichtlichkeit von Wegen usw.). Es stellt eine (nicht nachhaltige) Vergeudung von psychischen, sozialen und ökonomischen Ressourcen dar, wenn jemand gezwungen wird, ein ansonsten optimales Wohngebiet zu verlassen, nur weil er älter wird, eine Behinderung erfährt oder mit Nachwuchs zu rechnen hat. Da mit zunehmender Urbanisierung nicht nur die Reizüberflutung, sondern auch die Anonymität in Kommunen zunimmt, ist vermehrt mit latenter Aggressivität, sozialem Rückzug, Kommunikationsvermeidung und reduzierter sozialer Verantwortung ("bystander apathy") zu rechnen.5 Erklärt werden 12 | 13 Bedürfnisorientierte Evaluation von Bauten

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kann dies durch einen sogenannten sozialen Kontrollverlust ("social overload"), der jedoch durch Erhöhung von Privatheit und Sicherheit sowie durch Förderung von Kommunikation und Mitbestimmung (s. unten) vermindert werden könnte. 3. Funktionalität und Ordnung Frühe Untersuchungen zur Wohnungsgröße (als einem relativ wichtigen Funktionalitätskriterium) ergaben, dass die Vergrößerung einer Wohnung von 60 m2 auf 90 m2 die Wohnzufriedenheit relativ stark verbessert, während bei größeren Wohnungen zunehmend andere Wohnungseigenschaften in den Vordergrund rücken6 (Lage, Helligkeit, Raumaufteilung, Sicherheit, Aussicht, Naturnähe, Wärmeschutz, Schallschutz, Sonneneinstrahlung, Heizkomfort ...). Partnerschaften wünschen sich im Allgemeinen eine Wohnung mit drei bis vier Zimmern, einen flexiblen und anpassungsfähigen Grundriss und eine Loggia, einen Balkon oder eine Terrasse. Gemeinschaftsräume (z. B. Hobbyräume, Kinderspielräume) hätten gerne mehr als 50 Prozent der Bevölkerung in der eigenen Wohnanlage, und etwa 30 Prozent eine Sauna oder sogar ein Hallen- schwimmbad. Bezüglich der Infrastruktur werden Verkehrsgünstigkeit, Kindereinrichtungen und Versorgungsmöglichkeiten vorrangig genannt.7 4. Ästhetische Wirkung Häufig wird die Bedeutung der Ästhetik in der Planungspraxis unterschätzt, obwohl es plausibel ist, dass sich ein generell als schön empfundenes Lebens- und Wohnumfeld vorteilhaft auf das Wohnprestige des Gebietes, auf den Verkaufswert der Wohnobjekte sowie auf die Wohnzufriedenheit und Ortsgebundenheit der Bewohner auswirkt. Bei einer deutschen Bevölkerungsumfrage zum Umweltbewusstsein im Jahr 2006 stimmten 93 Prozent der befragten Personen der Aussage "Landschaftliche Schönheit und Eigenart unserer Heimat sollten erhalten und geschützt werden" voll oder weitgehend zu. Aus einer großen Zahl von Studien über Kunstwerke, Hausfassaden, Bauwerke, Wohnanlagen, Parks, Straßenensembles und Landschaften lassen sich zumindest vier eindeutig wirksame Hauptquellen für Attraktivitätsbeurteilungen ableiten: Gordon Matta-Clark, Art Park, 1974/SAMMlUNG VeRBUND/VBK, Wien 2012 Architektur zu öffnen und neue Raumerlebnisse zu ermöglichen waren essentielle Aspekte Gordon Matta-Clarks Werk. Gleichzeitig legten seine architektonischen Interventionen auch die Grundstrukturen der Architektur offen und können als Bestandsaufnahmen zeitgenössischer Bau- /Wohnkultur verstanden werden.

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I. Objektmerkmale: Wenn architektonische Objekte eine hohe Vielfalt von Merkmalen (wie Formen, Farben, Materialien) aufweisen und diese erkennbar einer Ordnung unterliegen ("Ordnung in der Vielfalt"), werden sie im Allgemeinen als schön beurteilt;9, 10 Objekte mit kurvigen Konturen werden als schöner empfunden als solche mit geradlinigen und eckigen Umrissen;8 begrünte Bauten (Bepflanzung, Rasen, Sträucher, Bäume) werden als attraktiver eingestuft als solche ohne Vegetation. II. Subjektmerkmale: Zunehmende Konfrontation (Gewöhnung) mit einem (neutralen) Objekt steigert dessen Attraktivität.8 Je intensiver Objekte mit negativen Assoziationen verbunden sind (z. B. "Kaserne", "Fabrik", "Festung", "Ruine", "Gefängnis", "Bollwerk", "Chaos"), als desto hässlicher werden sie beurteilt.10 Je enger der (positive) persönliche Bezug zu Bauwerken ist (Eigentum, Nachbarschaft, Urlaubserinnerungen etc.), desto positiver fällt in der Regel ihre Einschätzung aus. Gestaltungsexperten (Architekten, Kunsthistoriker, Designer etc.) weichen in ihren Schönheitsbeurteilungen wesentlich von jenen der Laien ab, wobei insbesondere Architekten Gestaltungsreichtum (Verzierungen) eher ablehnen.11 III. Situative Faktoren: Moderne Bauten werden isoliert besser (d. h. zumeist weniger negativ) beurteilt als in Nachbarschaft zu traditionellen Bauten13 ("Ensemble-Effekt"). IV. Kulturelle Faktoren: Gestaltungen und Designformen, die dem "Zeitgeist" entsprechen, werden in der Regel ästhetisch aufgewertet.8 5. Kommunikation und Mitbestimmung In einer wissenschaftlich seriösen Untersuchung in Kalifornien an über 9000 Personen wurde nachgewiesen, dass Personen mit guter sozialer Integration (Familie, Freunde, Bekannte ...) eine geringere Krankheitsanfälligkeit und niedrigere Sterblichkeitsrate aufwiesen als solche mit schwachen sozialen Beziehungen. Alle baulichen Maßnahmen, die daher zu einer Förderung von Sozialkontakten führen (Gemeinschaftsräume, Saunen, Vorgärten, Fitnessräume etc.), steigern nicht nur das Wohlbefinden, sondern sind auch relevante Beiträge zur Aufrechterhaltung bzw. Verbesserung der psychischen und somatischen Gesundheit. In der Umweltpsychologie wird die Erkundung und Adaptation des eigenen Lebensareals als Aneignung bezeichnet (Ausgestaltung der Wohnung, Pflanzen im Hausflur, Mitgestalten von Spielplätzen etc.), mit der in der Regel auch die Ortsverbundenheit zunimmt. Die Möglichkeit zur Aneignung ist besonders für Kinder wichtig, weil im sogenannten Streifraum (1-2 km Wohndistanz) die Kontrolle durch Erwachsene herabgesetzt ist und sich Autonomie und Selbstständigkeit herausbilden können. Aufgrund von vielfältigen urbanen Barrieren (z. B. Bauten, Straßen) schrumpft leider dieser Bereich in Großstädten auf voneinander isolierte Aufenthaltsorte zusammen (Wohnanlage - Spielplatz - Sportplatz - Kindergarten etc.), woraus sich eine dysfunktionale Verinselung der kindlichen Lebensbereiche ergibt.5 1 Umweltbedingungen und Umweltverhalten (2007), Ergebnisse des Mikrozensus STATISTIK AUSTRIA. www.statistik.at/ web_de/dynamic/ services/publikationen/15/publdetail?id= 15&listid=15&detail=517 (Abruf: 9.8.2012). 2 Bromme, R. & Rambow, R. (1998). Die Verständigung zwischen Experten und Laien: Das Beispiel Architektur. In: W. K. Schulz (Hrsg.), Expertenwissen: Soziologische, psychologische und pädagogische Perspektiven (S. 49-65). Opladen: Leske & Budrich. 3 Maderthaner, R. (1999). Ökopsychologische Bewertung des Raumes und der Landschaft. In: Schneider-Sliwa, R., Schaub, D. & Gerold, G. (Hrsg.), Angewandte Landschaftsökologie, Grundlagen und Methoden (S. 511-526). Berlin: Springer. 4 Maderthaner, R. (2008). Psychologie - UTB-basics. Wien: UTB-WUV. 5 Maderthaner, R. (1995). Soziale Faktoren ur- banen Wohlbefindens. In: A. Keul, Menschliches Wohlbefinden in der Stadt (S. 172-197). Wien: Psychologie Verlags Union. 6 Maderthaner, R. (2001). Lebensqualität und Zukunftsverträglichkeit. ÖIAZ, 146, 5-6. 7 Maderthaner, R. (1998). Wohlbefinden, Lebensqualität und Umwelt. In: I. Kryspin-Exner, B. Lueger-Schuster & G. Weber, Klinische Psychologie und Gesundheitspsychologie - Postgraduelle Aus- und Weiterbildung (S. 483-508). Wien: WUV/Universitätsverlag. 8 Carbon, C. C. (2010). The cycle of preference: Long-term dynamics of aesthetic appreciation. Acta Psychologica 134 (2010) 233-244. 9 Maderthaner, R. (1978). Komplexität und Monotonie aus architekturpsychologischer Sicht. Der Aufbau, 6, 257-262. 10 Hefler, E. (2006). Die äußere Hülle. Der Einfluss architektonischer Gestaltungs- merkmale auf die Ästhetik von Hausfassaden. Universität Wien: Diplomarbeit. 11 Medgyesy, J. (2010). Einflussfaktoren für die Beurteilung von Wohnarchitektur - Unterschiede zwischen ExpertInnen und Laien in der Architekturwahrnehmung. Universität Wien: Diplomarbeit. 12 Mitterbauer, B. (2011). Bewertung von Siedlungsstrukturen des verdichteten Wohnbaus im urbanen Umfeld. Universität Wien: Diplomarbeit. 13 Schmelzer, D. (2008). Ensemblewirkung von Bauten (Fassaden) und deren ästhetische Bewertung. Universität Wien: Diplomarbeit. 14 Winter, E. (1997). Zur Ästhetik von Bauwerken und Hausfassaden. Universität Wien: Diplomarbeit Ein wichtiges Grundbedürfnis für die meisten Bürger ist die Möglichkeit, in wichtigen Angelegenheiten des eigenen Lebens oder der Lebensumwelt mitsprechen und mitbestimmen zu können. Den verschiedenen Möglichkeiten zur Partizipation im Bauwesen (z. B. Planungsbeteiligungen, Selbstbauaktivitäten, Erbringung von Eigenleistungen) kann im Allgemeinen - insbesondere bei zusätzlicher Unterstützung durch Fachleute (Architekten, Techniker, Psychologen ...) - ein positiver Effekt für die Zufriedenheit in der jeweiligen Lebensumwelt zugeschrieben werden.7 Sie ermöglicht nämlich zumeist eine bessere Anpassung an die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer und fördert deren Identifikation mit den Planungsergebnissen. Zusätzlich kann die Beteiligung von projektbetroffenen Personengruppen (z. B. Bewohner, Besucher, Passanten, Touristen etc.) bei der Evaluation von Bauten zur Erstellung bedürfnisgerechterer Kriterien für Neubauten oder Renovationen verwendet werden (POE: "post-occupancyevaluation"). N 14 | 15 Bedürfnisorientierte Evaluation von Bauten

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Baustoffalterung | Messtechnische Erfassung der geänderten technisch-konstruktiven (physikalischen und chemischen) Langzeiteigenschaften elemer Bölcskey Studium des Bauingenieurswesen, Promotion und Habilitation an der TU Wien. Leiter des Forschungsbereichs Baustofflehre, Werkstofftechnologie und Brandsicherheit. Zivilingenieur für Bauwesen. Heinrich Bruckner Studium Mathematik, Physik, Bauingenieurwesen. Seit 1999 Ass.-Prof. am Institut für Hochbau und Technologie. Baustofflehre, Bauphysik und Brandschutz. Leitung der Baustoffabteilung des Institutslabors. 1. Einführung Aufgrund eines, in den letzten Jahrzehnten (statisch und dynamisch) stark gestiegenen Last- bzw. Beanspruchungszustandes im konstruktiven Hochbau erreichen viele unserer historischen Bauwerke (z. B. Gründerzeit-Wohnhäuser, öffentliche Bauten, Schulen, Universitätsgebäude, Spitäler usw.) ihre "technisch-konstruktive Auslegungsgrenze", d. h. sie benötigen gezielte Qualitätssicherungsmaßnahmen zur gebrauchstauglichen "Lebensdauerverlängerung" einzelner Bauteile/Komponenten bzw. zur Aufrechterhaltung der gesamten (Alt)Bausubstanz (siehe Diagramm Seite 16). Kurz gesagt, unsere alten Häuser zeigen problematische Alterungsprozesse, latente Schädigungen und Abnützungserscheinungen ganz ähnlich wie wir Menschen. Dabei entsteht z. B. für GründerzeithäuserDachgeschoßausbauten die Problematik - gerade bei der Schaffung neuer, attraktiver Wohnräume - für ein oft über 100 Jahre altes Tragwerk die Langzeitgebrauchstauglichkeit bzw. die erhöhte Beanspruchbarkeit der nach thermischen und hygrischen Langzeiteinflüssen veränderten Altbausubstanz zu beschreiben bzw. zu beurteilen. Zu unterscheiden sind hier die zwei Begriffe Nutzungsdauer und Lebensdauer eines Baustoffs bzw. Bauteils. Unter Nutzungsdauer versteht man die Zeitspanne der Nutzung eines Materials, wie z. B. einer Bodenfliese. Die tatsächlich technische Nutzungsdauer (die Beendigung des Nutzungsvorgangs) liegt oft weit unter der Lebensdauer des Materials (Austausch der Fliese aus Gründen der Mode). Die Lebensdauer eines Materials ist erst erreicht, wenn die technischen Anwendungseigenschaften nicht mehr gegeben sind. (Verschleiß,

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technische "Überalterung", problematische Witterungseinflüsse, z. B. Verlust der Frostbeständigkeit eines Dachziegels). Von besonderem Interesse erscheinen uns Baupraktiker die sogenannten rheologischen Werkstoffeigenschaften, d. h. wie Baustoffe strukturell, physikalisch-chemisch "altern" bzw. wie sich die Alterungsprozesse in Altbeständen (z. B. Gründerzeithäusern) auswirken und (als charakteristische Baustoffkenngröße) messbar sind. 2. Prüfmethoden und rechentechnische Ansätze Meist wird das Verhalten der Materialien entsprechend den über die Zeit zu erwartenden Beanspruchungen geprüft und als Anforderungen bereits in die Prüfnormen integriert. Diese Anforderungen äußern sich in den verschiedenen Normen in unterschiedlicher Form, wie z. B. der Wasserundurchlässigkeit und Frostbeständigkeit bei Dachziegel oder den Expositionsklassen bei Beton. Eine normative Regelung insbesondere der Alterung gibt es nur bei wenigen Materialien, wie z. B. bei den Wärmedämmstoffen (ISO 11561, Alterung von Wärmedämmstoffen) oder bei Kunststoffen (ISO 188, Bestimmung der beschleunigten Alterung und der Hitzebeständigkeit von Elastomeren) und Dach- und Abdichtungsbahnen aus Bitumen (ÖNORM B 3646-5 Dach- und Abdichtungsbahnen aus Bitumen oder modifi zierten Bitumen; Prüfung, Wärmebeständigkeit und thermische Alterung). Diese Simulation der Alterung wird in verschiedenen Normen (z. B. ISO 4892, EN 14836 usw.) beschrieben. Prinzipielle Überlegungen zur gebrauchstauglichen "Lebensdauerverlängerung" eines Bauwerks/Bauteils nach Fechtig Quelle: Wapenhaus, W. (Hrsg.): Tragwerksplanung im Bestand, Band 1 Frauenhofer H&B-Verlag, S. 4-6 gen erun ford r An g de erun Steig Um hier nicht Normentexte im Übermaß zu zitieren, soll die Vorgangsweise an einem Beispiel, der EN ISO 4892 Kunststoffe - Künstliche Bestrahlung und Bewitterung in Gräten, kurz erläutert werden. Bei Kunststoffen, die im Innen- oder Außenbereich längerer Zeit der Sonneneinstrahlung, Wärme, Feuchte und anderen klimatischen Bedingungen ausgesetzt sind, ergeben sich Änderungen der technischen Eigenschaften, aber auch der Farbe. Am besten lässt sich das Verhalten im Vergleich verschiedener Materialien darstellen. Zur Durchführung der Versuche verwendet man daher Materialproben, die den entsprechenden "Umwelt"-Bedingungen ausgesetzt werden: N Probekörper des zu untersuchenden Materials N Probekörper eines Kontrollmaterials (Material ähnlicher Zusammensetzung) mit relativ guter Beständigkeit N Probekörper eines Kontrollmaterials mit relativ schlechter Beständigkeit N Manchmal auch ein Referenzmaterial (Material mit bekanntem, bereits definiertem Alterungsverhalten). Im Gegensatz dazu verwendet man Vergleichsprobekörper, die unter Bedingungen gelagert werden, bei denen das Material stabil bleibt. Die Beanspruchung ("Bewitterung") der Materialien setzt sich aus Lichtquellen (spektrale Verteilung der Bestrahlungsstärke), Temperatur (z. B. der Frost-, Tauphase), Feuchte und Benässung (Besprühen, Eintauchen, Taubildung etc.) zusammen. Diese Beanspruchung, zyklisch verändert (z. B. helldunkel), simuliert die natürliche Umgebung, der das Material ausgesetzt ist, in komprimierter Form. Das Prinzip der Prüfung besteht also in der Beschreibung des Unterschieds einer technischen Eigenschaft (z. B. Festigkeit) eines "bewitterten" Probekörpers und eines "nicht bewitterten" Probekörpers. Zur Aussagekraft dieser Versuche führt die Norm schon in der Einleitung Folgendes an: "Ein Vergleich der Ergebnisse der zeitraffenden künstlichen Bewitterung mit denen bei Praxisbedingungen ist schwierig, weil sich die beiden Beanspruchungen unterscheiden und in Labortests oft nicht alle Beanspruchungen simuliert werden, die ein Kunststoff unter Praxisbedingungen erfährt." eru ng mi tU nte rh alt Man muss sich daher bei den ermittelten Laborergebnissen immer vor Augen halten, dass es nur ein "Versuch" ist, das Langzeitverhalten des jeweiligen Materials abzubilden. Wir wissen allerdings auch, dass unsere Normversuche meist so aufgebaut/ausgelegt sind, dass wir bei der praktischen Anwendung eher eine geringere Beanspruchung erwarten können. Zur (ingenieur)mathematischen, theoretischen Beschreibung des in einem beliebigen Punkt irgendeines festen (Bau)Körpers (z. B. in einem Holztragwerk oder in einer Stahlbetonplatte) herrschenden Beanspruchungs- bzw. Spannungszustan- ne oh ng ru te Al t al rh te Un Abbruch Nutzwert Zeit Verstärkung und Ersatz Instandsetzung Wartung 16 | 17 Baustoffalterung

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des verwendet man den (aus der Festigkeitslehre bekannten) Spannungstensor in einem räumlichdreidimensionalen kartesischen Koordinatensystem (x, y, z) durch Angabe seiner (Spannungs)Komponenten. Berücksichtigt man die rheologischen "Alterungs"-Aspekte, also die im Lauf der Zeit (t) auftretenden Zustandsänderungen der Baustoffeigenschaften (z. B. Relaxationserscheinungen, Kriechprozesse usw.) mit der Einführung einer vierten (Zeit)Koordinate [t], ist zur Modellierung der Langzeiteigenschaften bzw. Beschreibung des in den einzelnen elementaren Punkten des Baukörpers herrschenden langzeitabhängigen Beanspruchungs- bzw. Spannungszustandes eine Funktion mit vier Veränderlichen notwendig: Aufzählung einiger bauteil- bzw. baustofftypischen (nach Erkundung der rheologischen Eigenschaften) Untersuchungsmethoden mit Zielsetzung der angewandten Versuchs- bzw. Messtechnik/Auswertungskriterien: Dachhaut: Messtechnik bzw. Untersuchungstechnik/Qualitätsmanagement: N Wasserundurchlässigkeits- und Frostbeständigkeitsprüfung von Dachziegel, siehe auch Pkt.2 Hölzerne Dachstuhlkonstruktionen, Holzdecken: Messtechnik bzw. Untersuchungstechnik/Qualitätsmanagement: BohrwiderstandmessungenResistografie zur Bestimmung der Oberflächenhärte bzw. des Bohrwiderstandsmessprofiles durch holzartspezifische Einflussfaktoren (z. B. Dichteunterschiede bzw. Dichteschwankungen, Holzfeuchte usw.), die den Bohrwiderstand (Bohrkurvenverlauf) beeinflussen. Bohrwiderstandsmessungen mit einer dünnen Nadel können als besonders zerstörungsarme In-situ-Versuche (Vor-Ort-Erkennungsmethoden) definiert werden. Weitere Untersuchungstechniken: technische Endoskopie (für Hohlräume), chemische Analyse der Holzspäne, Ultraschall-(Impuls-Echo-)Verfahren mit Transversalwellen bei "schallleitfähigen" Baustoffen: Holz, Beton und Metalle, z. B. bei Schweißnähten, aber auch bei der Messung von Schichtdicken (Grenzflächen), z. B. Lack schichten. Zielsetzung der angewandten Versuche, Kriterien der Auswertung: N Alterungs- bzw. Gebrauchstauglichkeitsbestimmung N In Konstruktions-Holzbauteilen (auch im Inneren) liegende Veränderungen/Zerstörungen lokalisieren (z. B. die Ästigkeit verursacht bei der Bohruntersuchung einen signifikanten Anstieg des Bohr widerstandes). Pathologische Veränderungen - verursacht von Holzsubstanz abbauenden Organismen, u. a. (Fäule)Pilzen und (Schadens)Insekten - können im ausgedruckten Bohrprofil entlang der Bohrtiefe ermittelt bzw. nachgewiesen werden. N Niederfrequente (absolut zerstörungsfreie) Ultraschallmessung zur Bestimmung bzw. Lokalisierung von (organischen und feuchten) Schadstellen von Konstruktions-Holzbauteilen (z. B. morsche Dippelbaum-Balkenköpfe, Innenfäule usw.). Prüfung der (Fest)Betonqualität in bestehenden Bauwerken und Bauteilen: Messtechnik bzw. Untersuchungstechnik/Qualitätsmanagement: Bei der Ultraschallprüfung des (Fest) Betons werden (z. B. mit einem Quarzkristallgeber bzw. Sender) Schallimpulse durch Betonbauteile (Betondecken, Fundamentplatten, Streifenfundamente usw.) gesendet und (vom gegenüberliegenden) Empfänger als "Ultraschallecho" aufgefangen. Die dabei gemessenen Schallgeschwindigkeiten bzw. Eine versuchstechnisch verlässliche und aussagekräftige Modellierung/Erfassung dieser "Zeitkoordinate" bei der Erforschung der Alterungseigenschaften der wichtigsten Baustoffe in Altbeständen (z. B. durch extreme Temperaturbedingungen, thermische und hygrische Einflusssimulationen, Frost-Tau-Wechsel-Versuche, Kältekammer, Brandlastversuche usw.) ist wie oben (z. B. für Dachziegel oder Kunststoffe) eine sehr komplexe (Forschungs)Aufgabe, besonders in Mitteleuropa (wegen der häufig auftretenden Wechsel von Frost- und (Auf)Tauvorgängen im Temperaturbereich von null Grad). 3. Anwendungsbeispiel Dachgeschoßausbau Den aktuellen Stand der (Forschungs- und Mess)Technik zur Bestimmung bzw. Berücksichtigung der "charakteristischen Alterungseigenschaften" bereits in der ersten Planungsphase bzw. bei der Bestandsaufnahme ("Ingenieurgutachten") und bei der späteren Bauausführung bzw. beim baubegleitenden Qualitätsmanagement (z. B. Prüfingenieurtätigkeit) versuchen wir stichwortartig (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) im Folgenden am (Muster)Beispiel "Althausrekonstruktion mit Dachgeschoßausbau" zu erläutern. Dabei sind unserer Meinung nach "zerstörungsfreie" bzw. wirklich "zerstörungsarme" (In-situ) Prüfmethoden prinzipiell zu bevorzugen. Zerstörende Materialproben (="Baupathologie") sind nur in einem beschränkten (aber geeigneten bzw. repräsentativen) Stichprobenumfang vertretbar, da man aus dem vorhandenen Baumaterial keinen "Schweizer Käse" machen sollte bzw. die meistens schon problematische Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit der Konstruktion nicht durch unnötige Materialentnahmen/Querschnittsabschwächungen weiter herabsetzen sollte. Baustoffalterung

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(Laufzeitwerte des Ultraschallimpulses) können als signifikante Kennwerte für die Druckfestigkeit/ Betonqualität interpretiert werden. Es besteht ein tendenzieller Zusammenhang zwischen (dynamischem) Elastizitätsmodul, Querdehnzahl, Betonrohdichte und Schallgeschwindigkeit, wobei vorhandene bzw. geortete Bewehrungsstäbe die Schallgeschwindigkeit erhöhen (V/St/~5,2 - 5,9 km/s; V/Bet/~3,5 - 4,5 km/s, V/HolzII /~4,1 km/s; V/Holz senkrecht zur Faserrichtung/~1,5 - 2,2 km/s). Untersuchungen der Porenstruktur des Betons mit dem Quecksilberporosimeter: Die Quecksilberporosimetrie ist derzeit die verlässlichste (Prüf)Methode zur Bestimmung der Porenverteilung (Mesoporen und Makroporen) durch Volumsmessung an Quecksilberanteilen, die bei Drücken bis 400 MPa in die Porenstruktur intrudiert werden. Die ermittelte Porenstruktur erlaubt Aussagen über die Dauerhaftigkeit und die "Durchlässigkeit" des Betons und damit indirekt auch die zu erwartende Betonqualität. Zielsetzung der angewandten Versuche, Kriterien der Auswertung: Abschätzung und Dokumentation der (Beton)Bauteilzustandes; Kostenabschätzungshilfe bei der (Beton)Instandsetzung/Ertüchtigung. Nach dem aktuellen Stand der (Bau)Technik kommen Ultraschallmessungen von Beton als alleinige Prüfmethode zur Bestimmung der Betonqualität nicht infrage. Sie werden in der Praxis mit anderen (meistens zerstörenden) Verfahren (z. B. Rückprallund Kugelschlagprüfungen; Bohrkernprüfung der Zylinderdruckfestigkeiten usw.) kombiniert, um die damit festgestellten materialtechnischen Bewertungsergebnisse (betreffend die Betonqualität und den Bewehrungszustand, vorhandene Risse, Fehlstellen, Betonüberdeckung und Karbonatisierungstiefe usw.) weitgehend abzusichern bzw. die Verlässlichkeit bzw. "Treffgenauigkeit" der Aussagen zu erhöhen. Da im Rahmen der o. a. Ultraschallprüfung die gesamten Querschnittsbereiche zwischen Geber und Empfänger bzw. Impuls und Echo prüftechnisch erfasst werden, eignet sich o. a. Methode auch zur Ortung von Kiesnestern, Hohlstellen, Qualitätsänderungen und Minderdicken bzw. zur Bestimmung der Bewehrungslage, eventueller Pfahlköpfe usw. Neben der wichtigsten angestrebten Zielsetzung - verlässliche Klärung der aufstockungsrelevanten Bauteilabmessungen (vorhandene Fundamentstreifenabmessungen; Fundamentbreite und Konstruktionshöhe) - sollten auch die "rheologisch aktuellen" Langzeit- Baustoffkenngrößen/charakteristischen Baustoffeigenschaften (Betongüte bzw. Betonsorte; vorhandene Bewehrungsstahl- bzw. Baustahlgitter-Mattenbewehrung-Dimensionen, eventuelle schädigende Korrosionseinflüsse usw.) geklärt werden. Als "statisch-konstruktive (Zusatz)Überwachungsmaßnahme" bzw. Präventativmaßnahme (zur Überwachung der "Setzungswirksamkeit" der Aufstockung bzw. der dadurch entstandenen zusätzlichen Spannungen/Beanspruchungen bzw. "Nachsetzungen" kann eine Monitoring- und Rissbeobachtung empfohlen werden. "Grundbauliche Sanierungen/Ertüchtigungen", Kellerbereich; Fundamente: Hebungs- bzw. Abdichtungs-/Verfestigungsinjektage des Baugrunds im gründungsrelevanten Bodenbereich (Permeations- bzw. Crackinjektion), Messtechnik bzw. Untersuchungstechnik/Qualitätsmanagement: Eignungsprüfung-Injektionsversuche im Baustoff- bzw. Bodenlabor (insbesondere bei neu entwickelten, evtl. modifizierten (Verpressmittel)Rezepturen): Festlegung und Dokumentation projektbezogener, qualitätsrelevanter (Rezeptur) Parameter (z. B. Gel- bzw. Topfzeit; Dichte, Fließgrenze, Absetzmaß an der Suspension usw.), im konkreten Bedarfsfall (z. B. gezielte "partielle" Nachinjektage), auch um eine kontrollierte/optimierte Ausbreitung des Verpressmittels zu erzielen. Zielsetzung der angewandten Versuche, Kriterien der Auswertung: Quantifizierung der Injektionstechnik (i. A. Permeationsinjektionen) mit der Zielsetzung zur Verfestigung/Abdichtung des problematischen Baugrunds (im gründungsrelevanten Bodenbereich): Stabilisierung der Hohlraumstruktur mittels Verpressung auf Kunststoff- bzw. hydr. Bindemittelbasis (z. B. Kunstharzsysteme; AcrylatGel usw.). Wird Injektionssuspension/Injektionslösung verwendet, die sich nach dem Verpressen im Porensystem des anstehenden Bodens ausbreitet/ausdehnt, d. h. durch "expandieren" Crackbildungen verursacht ("Crackinjektage"), können nachträgliche, gezielte Setzungsrückstellungen/Hebungen ausgeführt werden. 4. Zusammenfassung und Ausblick Die Verfasser dieses (Kurz)Artikels hoffen, auf diesem Wege allen an Rekonstruktionsplanungsaufgaben beteiligten Kolleginnen und Kollegen (Architekten, Tragwerksplaner, Bauphysiker, Haustechniker, Baumeister, Hausverwalter, Immobilientreuhänder usw.) einen ("einführenden") Überblick zur Problematik der Baustoffalterung geliefert zu haben. Je genauer es uns gelingt, die Bauzustandsanalyse (z. B. im Rahmen des Ingenieurbefunds) mit messtechnischer Erfassung/Beschreibung der geänderten technisch-konstruktiven (physikalischen und chemischen) Langzeit-Baustoffeigenschaften zu präzisieren, umso erfolgreicher und zielsicherer können wir die geplanten Umbau- und Bauwerksertüchtigungsmaßnahmen in der gesamten (Alt)-Bausubstanz umsetzen. In diesem Zusammenhang wäre es vorteilhaft, zur Erfassung/Beschreibung bzw. "Verwaltung" der (zeitabhängig geänderten) relevanten mechanischen, chemischen und (bau)physikalischen Eigenschaften eine "Bautechnik-Datenbank für Altbausubstanz" zu gründen, deren Dateienverwaltungskonzept in Anlehnung gängiger "Expertensysteme" realisiert bzw. (weiter)entwickelt werden könnte. N 18 | 19 Baustoffalterung

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Strategien zum Umgang mit einem (noch) ungeliebten Erbe | Bewertungsmethodik der Architektur nach 1945 In einem von den Städten Wien und Brünn durchgeführten Projekt wurde von ExpertInnen (Team Wien: Arbeitsgemeinschaft BWM Architekten/ Feller/Tabor und Wehdorn Architekten, Team Brünn: Centrum Architektury) eine Bewertungsmethodik für die Architektur nach 1945 entwickelt. Ausgangslage Architektur des Wiederaufbaus, Architektur der Nachkriegszeit, Architektur des Wirtschaftsfunktionalismus oder der Nachkriegsmoderne - unter diesen und ähnlichen ambivalent konnotierten Begriffen werden jene Gebäude zusammengefasst, die in der Bauperiode nach dem Zweiten Weltkrieg in den europäischen Städten in großer Zahl errichtet wurden und bislang von der Allgemeinheit noch wenig geschätzt werden. Anders als etwa bei Biedermeier oder Gründerzeit erschließen sich die Architekturqualitäten dieser unter unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen entstandenen Gebäude aus der gegenständlichen Periode nicht auf den ersten Blick und sind in der öffentlichen Wahrnehmung oft sogar negativ besetzt. Dies liegt einerseits daran, dass die Bauwerke mit einem Baualter von ca. 50 Jahren zu jung sind, um einen entsprechenden Alterswert1 beigemessen zu bekommen, andererseits ermöglichten neue Bautechnologien in dieser Zeit einen experimentellen Umgang mit Konstruktionen, Bauformen und Bauteilen, sodass die gewohnte einfache Grammatik, die sogar noch für die verhältnismäßig homogene Architektur bis zur Zwischenkriegszeit anwendbar ist, sich in den meisten Fällen nicht auf die heterogene Nachkriegsarchitektur übertragen lässt. das sich - anfangs noch vereinzelt - im Widerstand gegen den geplanten (und manchmal auch erfolgten) Abriss ausgewählter Gebäude manifestierte. Die oben angeführten Unterschutzstellungen sind Ausdruck dieses sich wandelnden Bewusstseins. So erfährt die Architektur der Nachkriegszeit - beginnend mit den 1950er-Jahren, die insbesondere für ihr Design schon länger geschätzt werden - in den letzten Jahren eine zunehmende Anerkennung, die sich mit fortschreitendem zeitlichem Abstand auch auf die 1960er- und 1970er-Jahre ausweitet. erich Bernard BWM Architekten und Partner, geboren in Graz, Studium der Architektur in Graz und auf der Hochschule für angewandte Kunst in Wien. Gründungspartner von BWM Architekten und Partner. Autor zahlreicher kulturhistorischer Studien und Publikationen mit Schwerpunkt österreichische Architektur im 20. Jahrhundert. Barbara Feller geboren in Wien, Studium Geschichte und Pädagogik an der Universität Wien, seit 1996 Geschäftsführerin der Architekturstiftung Österreich; Arbeitsschwerpunkte: Architekturvermittlung für Kinder und Jugendliche, Stadt und Leben im 20. und 21. Jahrhundert, Autorin und Ausstellungskuratorin. Jan Tabor geboren in Podebrady, Architekt, Architekturtheoretiker, Kulturpublizist und Ausstellungsmacher. Studium an der Technischen Universität Brünn sowie der Hochschule für Bodenkultur und der TU Wien. Als Journalist für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften tätig. 1992 bis 2009 Lehrbauftragter an der Universität für angewandte Kunst in Wien sowie seit 2000 Gastprofessor an der Akademie der bildenden Künste Bratislava. Seit 1996 Zusammenarbeit als Arbeitsgemeinschaft BWM Architekten/ Feller/Tabor zum Thema Stadtforschung. Allerdings lässt sich die Architektur nach 1945 kaum nach bisherigen, Bewertungsmustern beurteilen und steht erst am Beginn, in die gängigen Wertvorstellungen über historisch bedeutende Bauwerke Eingang zu finden. Umfeld Die systematische Aufarbeitung der Nachkriegsbzw. Gegenwartsarchitektur auf breiter wissenschaftlicher Basis ist ein weltweites Desiderat der aktuellen Kunst- und Architekturgeschichte. So hat in den letzten 25 Jahren auf Expert Innenenebene nach und nach die Einbeziehung relevanter Objekte aus den gegenständlichen Bauperioden in den Denkmal- und Ensembleschutz sowie in die Stadterhaltung begonnen. Die Bewegung ging 1988 nach jahrelanger Vorarbeit unter dem Namen DOCOMOMO (Documentation and Conservation of building, sites and neighbourhoods of the Modern Movement) von der Technischen Universität Eindhoven aus3 und nahm sich zum Ziel, ein Netzwerk zum Austausch von Erfahrungen zu schaffen und die Öffentlichkeit über diese Thematik zu informieren. Ausgehend von und parallel zu dieser Bewegung nahm sich auch der Europarat des Themas an, und im Jahr 1991 wurde vom Ministerkomitee eine Resolution verabschiedet,4 in der es einleitend heißt: "Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts haben Architektur und Stadtplanung aufgrund der Industrialisierung, der Einführung neuer Materialien, der Veränderung der Konstruktionsweisen und neuer Nutzungen fundamentale Änderungen erfahren. Diese Entwicklung hielt Schritt mit dem technologischen Prozess, um den Anforderungen der Gegenwartsgesellschaft zu entsprechen. Bauten des 20. Jahrhunderts sind in ihrer Zahl vielfältig und von verschiedenstem Charakter: Sie spiegeln traditionelle und neue Werte wider. Mit Ausnahme der Arbeiten einzelner Pioniere werden Bauten, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert entstanden, nicht als Denkmäler wahrgenommen. Es ist deshalb notwendig, ein besseres Wissen und Verständnis um diesen Teil des kulturellen Erbes zu erreichen, indem man die Aufmerksamkeit auf Qualitäten und die Fülle der Verschiedenartigkeit der einzelnen Bauformen leitet. Die wissenschaftliche Forschung Denn auch in sich ist eine Zeitspanne von ca. 35 bis 40 Jahren nicht als einheitliche Epoche zu sehen, sondern zerfällt in mehrere Phasen mit schleichenden Übergängen - die in den einzelnen Regionen unterschiedlich ausgeprägt sind. Eine wesentliche Gemeinsamkeit beinahe aller Gebäude, die nach 1945 bis in die Mitte der 1970erJahre errichtet wurden, ist, dass sie vor der ersten großen Ölkrise entstanden und damit speziell im Bereich der Energieeffizienz, Manfred Wehdorn aber auch im Hinblick auf Architekt, Denkmalpfleandere bauphysikalische und ger und Städtebauer, em. bautechnische Aspekte nicht Univ.-Prof. an der TU Wien. Sein wissenschaftliches den heutigen Normen und OEuvre umfasst 19 Bücher Anforderungen entsprechen2 und rund 150 Publikatiound so unter dem innerstädtinen. Als Architekt betreut schen Entwicklungsdruck in Wehdorn mit seinem Büro (ca. 50 Mitarbeiter) ihrem Fortbestand massiv jährlich etwa 50 bis 60 bedroht sind. Projekte, vor allem im Jedoch lässt sich allmähBereich der Revitalisielich ein Umdenken in der rung, Restaurierung und Bausanierung. Wertschätzung feststellen, Strategien zum Umgang mit einem (noch) ungeliebten Erbe

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Wohnhausanlage der Gemeinde Wien "Freiheitsturm", 1200 Wien, (Klosterneuburger Straße 99-105), 1955-1962, Architektur: Alfons Binder, Ferdinand Kitt, Viktor Fenzl, Othmar Patak, Walter Hübner, Joseph Zimmel Ein Beispiel für den umfangreichen Bestand an Wohnbauten aus der untersuchten Bauperiode. soll ein ganzheitliches Verständnis der Bauten in ihrem Kontext ermöglichen." In diesem Dokument wurden den einzelnen Mitgliedsländern auch bereits die Anlage systematischer Inventarisierungen sowie Kriterien und Methoden für die gesetzliche Unterschutzstellung des sehr umfangreichen Gebäudebestands der Gegenwartsarchitektur empfohlen, ebenso wurde die Notwendigkeit einer breiten Öffentlichkeitsarbeit sowie einer europäischen Zusammenarbeit betont. Wien spielte und spielt innerhalb der internationalen Bemühungen um die Einbeziehung der Gegenwartsarchitektur in den Denkmalbegriff eine bedeutende Rolle - hier fanden wichtige Tagungen statt, und es wurden auch einige herausragende Objekte der Nachkriegsmoderne unter Denkmalschutz gestellt, etwa das 1965 von Hans Hollein geschaffene Kerzengeschäft Retti, Kohlmarkt 8-10 (Bescheid 1986), die Stadthalle von Roland Rainer, 1958 fertig gestellt (Unterschutzstellungsverfahren eingeleitet), das sogenannte Böhlerhaus, Elisabethstraße 12, ebenfalls 1958 nach Plänen von Roland Rainer errichtet (Bescheid 1998), die Wohnsiedlung Siemensstraße von Franz Schuster, 1951 errichtet (Bescheid 2000) und die ehemalige Filiale der Zentralsparkasse, Favoritenstraße 118, gebaut 1975 bis 1979 nach Plänen von Günther Domenig (Bescheid 2005). Auch aktuell sind einige Verfahren anhängig. Die Unterschutzstellung zeitgemäßer Bauten ist nicht unproblematisch. Einerseits weil in der breiten Öffentlichkeit noch immer wenig Verständnis für die Qualitäten dieser Bauten besteht, andererseits aus wirtschaftlichen, oft auch aus technologischen Gründen. Der aktuelle Nutzungsdruck birgt daher insbesondere die Gefahr von rein technologisch motivierten Abbruchbescheiden, bei denen die baukulturellen Qualitäten oftmals in den Hintergrund rücken. 20 | 21 Strategien zum Umgang mit einem (noch) ungeliebten Erbe

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AUA Oberlaa, 1100 Wien, (Fontanastraße 1), 1975-1978, Architektur: Georg Lippert (Lippert und Burckhardt Architekten) Die seit einigen Jahren leerstehende, ehemalige Zentrale der AUA, steht nicht unter Denkmalschutz und die Zukunft des Gebäudes ist ungewiss. Dieser einseitigen Betrachtungsweise will die gegenständliche Methodik entgegenwirken und zu einer umfassenden Sichtweise beitragen. Mit der im Auftrag der Städte Wien und Brünn von ExpertInnen beider Städte erarbeiteten Bewertungsmethodik, gefördert aus Mitteln des Europä ischen Fonds für Regionale Entwicklung im Rahmen des Programms Europäische Territoriale Zusammenarbeit Österreich - Tschechische Republik 2007-2013, wurde ein wesentlicher Schritt zu einer Neubeurteilung gesetzt. Durch die Untersuchung von Gebäuden zweier ähnlicher, aber durch die politischen Zeitläufe unterschiedlicher Städte entstand eine Methodik, die beispielhaft und prototypisch - unter Berücksichtigung von jeweils ortsspezifischen Merkmalen Das Projekt "Entwicklung einer Bewertungsmethodik der Architektur von 1945 bis 1979" wurde von der EU im Rahmen des Programms "Europäische Territoriale Zusammenarbeit ETZ Österreich - Tschechische Republik 2007-13" gefördert. Lead Partner: Stadt Wien, Magistratsabteilung 19 - Architektur und Stadtgestaltung; Projektpartner: Magistrát mesta Brna; Projektmanagement: TINA Vienna Urban Technologies & Strategies GmbH; ? ExpertInnenteam Wien: Arge BWM Architekten/Feller/Tabor (Erich Bernard, Barbara Feller, Jan Tabor) und Wehdorn Architekten (Manfred Wehdorn); ExpertInnenteam Brünn: Centrum Architektury Brno (Renata Vrabelová); Expertise Bauforschung: Donau-Universität Krems, Department für Bauen und Umwelt Die als Projektdokumentation erschienene zweisprachige Publikation (deutsch und tschechisch) kann - so lange der Vorrat reicht - kostenlos bei der MA 19 (peter.scheuchel@wien.gv.at) bestellt werden. Die Methodik wird zudem demnächst auf der Homepage der MA 19 publiziert. - auch auf andere Regionen mit ähnlichen baukulturellen Phänomenen anwendbar ist. Unter den geschilderten Rahmenbedingungen wird mit der gegenständlichen Methodik einerseits eine systematische Erfassung der Gebäude gewährleistet und andererseits ein Analysesystem entwickelt, das eine nachvollziehbare Bewertung der erfassten Bauwerke und ihrer spezifischen Qualitäten ermöglicht und auch - rechtzeitig vor der Zerstörung - noch kommende Wertvorstellungen antizipiert. In Wien konnte dabei auf dem bereits seit 40 Jahren bestehenden und kontinuierlich verbesserten Schutzzonenmodell,5 das bisher jedoch Bauten nach 1945 nur in Ausnahmefällen erfasst, sowie auf einzelnen Studien aufgebaut werden. Ebenso wie beim Schutzzonenmodell wurde auch für die nun entwickelte Methodik eine Einbindung in das GIS-System der Stadt Wien gewährleistet, die eine schnelle Verortung und leichte Nutzbarkeit der Daten ermöglicht. Grundlagen und Beschreibung der Methodik Die Entwicklung der Methodik erfolgte anhand von 100 Objekten in Wien sowie 30 Objekten in Brünn, die eine sowohl zeitliche als auch typologische sowie regionale (zentral gelegene und periphere Objekte) Bandbreite abdeckten. Strategien zum Umgang mit einem (noch) ungeliebten Erbe

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1 Ein Alterswert entsteht erfahrungsgemäß erst mit dem Abstand von etwa zwei Generationen, also in der Enkelgeneration der Urheber. 2 Daher wurde auch das Departement für Bauen und Umwelt der DonauUniversität Krems als Experte für dieses Thema in das Projekt eingebunden. 3 Hubert-Jan Henket, Wessel de Jonge (Hg.), Conference Proceedings, First International Conference Sept. 12-15, 1990; Eindhoven 1991. www.docomomo.com (Abrufdatum 11. 01. 2012) 4 Council of Europe, Recommendation No. R (91) 13, adapted by the Committee of Ministers on September 9th of 1991 5 Mehr dazu siehe: www.wien.gv.at/ stadtentwicklung/ grundlagen/schutzzonen 6 © Jan Tabor. Für die Entwicklung und Gliederung der Profilanalyse wurde auf die Arbeit "Grammatik des Bauens" von Jan Tabor zurückgegriffen, die unabhängig von der gegenständlichen Methodenentwicklung zur Analyse komplexerer Bauwerke u. a. als Grundlage bei Beurteilungsverfahren von Wettbewerben, Analysen kultureller Nachhaltigkeit und dgl. entwickelt wurde. Ziel war und ist es, präzise und vergleichbare Daten als Grundlage für Bewertungen im operativen Alltag zu liefern. Die ausgearbeitete Methodik basiert auf einer Trennung der Bestandsaufnahme (Daten und Fakten im geschichtlichen und im physikalischen Kontext) und einer Wert-/Profilanalyse (Konnotation/Aura, Architektur/Ingenium, physikalische Leistungsfähigkeit), die im Vorfeld von den ExpertInnen ohne konkreten Anlassfall erstellt werden können. Die Bewertung im eigentlichen Sinn wird erst im konkreten Anlassfall auf Basis der vorliegenden Wert-/Profilanalyse vorgenommen. Dies ermöglicht eine anwendungsadäquate Aktualität. Ein weiterer Schritt ist eine präzise Bestandsaufnahme des physikalischen Zustandes, die erst im Anlassfall und im Kontext der aktuell anstehenden Anforderung an das Gebäude und dem damit verbundenen Adaptierungsbedarf (Ökonomie) Sinn macht. Dazu ist die Erstellung eines bauphysikalischen Gutachtens erforderlich, welches zu den Aspekten Statik, Wärme-, Schall-, Tageslicht- und Klimaregulation sowie zu Brand- und Gesundheitsschutz Daten und Fakten liefert. Damit wird im Anlassfall ein Bewertungsprozess gestartet, der eine Abwägung der (kultur)geschichtlichen und architektonischen Bedeutung auf der einen Seite gegenüber der technischen Leistungsfähigkeit und dem ökonomischen Aufwand für eine Anpassung an heute erforderliche technische Standards auf der anderen Seite darstellt. Die entwickelte Methodik bietet eine fundierte und unmittelbar anwendbare Informationsgrundlage für diese - nach wie vor von EntscheidungsträgerInnen vorzunehmende - Abwägung. Keinesfalls darf aber die vorgelegte Bewertungsmethodik als Ersatz für eine sorgfältige Abwägung missverstanden werden. Während die geschichtliche und physikalische Bestandsaufnahme unveränderliche, allgemeingültige Ergebnisse liefert, beruht die Wertanalyse auf Parametern, die in drei Kategorien von den bearbeitenden Experten eingeschätzt bzw. festgelegt werden: I. Der Konnotations-/Aura-Index analysiert die Bedeutung des Werkes bzw. der AutorInnen in kultur- bzw. kunsthistorischer Hinsicht. Konnotation bezeichnet eine zusätzliche gedankliche Struktur (beigefügter Wert), die mit der Ästhetik eines Werks grundsätzlich nichts zu tun hat, bei einer Wertanalyse aber mitschwingen kann. II. Der Ingenium-/Originalitäts-Index umfasst die gestalterische Dimension sämtlicher Bestandteile eines Bauwerks, unabhängig von der kulturbzw. kunsthistorischen Dimension und unabhängig von der physikalischen bzw. bautechnischen Dimension. Für die architektonische/ästhetische Wertanalyse wird das Bauwerk in (immer wiederkehrende) Komponenten zerlegt (Dekonstruktion), die in der Folge für sich als Einzelteile und in ihrer Wechselwirkung analysiert werden. So können ein im Vergleichsverfahren festgelegter Wert bzw. eine Besonderheit im Gebäude lokalisiert und nachvollziehbar zugeordnet werden. In diesem Sinne umfasst der Begriff Ingenium die Einschätzung der gestalterischen Lösungsqualität eines Bauwerks. III. Der Funktionalitäts-/Adaptabilitäts-Index wurde in Zusammenarbeit mit der Donau-Universität Krems/Department für Bauen und Umwelt entwickelt und umfasst einerseits die Gebrauchstauglichkeit des Gebäudes/der Anlage, gegliedert in die drei Kategorien "Räumliche Zweckmäßigkeit", "Bauphysik" und "Haltbarkeit", und andererseits die jeweilige Eignung zur Anpassung zentraler funktionaler Qualitäten sowohl auf heutiges Niveau als auch auf allenfalls geänderte Nutzungen. Grundlage der sogenannten Wert-/Profilanalyse ist die Dekonstruktion eines Bauwerks in seine Einzelteile im Sinne einer "Grammatik des Bauens".6 Dies erlaubt es, die Besonderheiten und Werte des Bauwerks entsprechend nachvollziehbar zu lokalisieren und bei einem späteren Bewertungsprozess unter den Rahmenbedingungen des jeweiligen An lassfalls abzuwägen. Für die Analyse und Untersuchung der vergleichsweise heterogenen und ex perimentellen Nachkriegsarchitektur werden neue Begriffe vorgeschlagen, die dem komplexen Aufbau der Bauwerke besser gerecht werden können als herkömmliche, etablierte Begriffe, die falsche Assoziationen zulassen. Die einzelnen Indices bestehen dabei aus thematisch zugeordneten Indikatoren, die jeweils wesentliche Parameter der Einzelobjekte oder Anlagen erfassen. Die präzise Definition dieser Einzelaspekte ermöglicht dabei ein weitgehend vergleichbares Verständnis der Einzelaspekte. Um ein möglichst nachvollziehbares, objektives und nachhaltiges Analyseprofil erzielen zu können, wird einer nonverbalen Wertzuordnung im Sinne einer Checkliste mit Werteskalen der Vorzug gegeben. Ähnlich wie in der Kartografie oder auch in der Gastronomiekritik mit Punktesystemen ist eine möglichst einheitliche Maßstäblichkeit und Vorgangsweise bei der Erstellung der Analyse durch Expertinnen und Experten eine wesentliche Voraussetzung für deren Lesbarkeit. Die Beschreibung und Darstellung erfolgt mittels Zahlen auf einer Skala von - 10 bis + 10, ergänzt um stichwortartige Erläuterungen bei Extremwerten. Damit wird in leicht überschaubaren Indices ein deutlicher Hinweis auf jene jeweils zentralen Elemente gegeben, die den Wert des analysierten Objekts definieren oder eine besondere Herausforderung für eine spätere Nutzung darstellen. N Weitere Informationen zum Projekt stehen auf www.arch4579.eu zur Verfügung. 22 | 23 Strategien zum Umgang mit einem (noch) ungeliebten Erbe

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Problemzonen in der Regionalplanung? | Bürger und Bürgerinnen finden maßgeschneiderte Lösungen. Als ExpertInnen vor Ort. Eine neue Methode der Bürgerbeteiligung revolutioniert die Regionalplanung. "nonconform architektur vor ort" kommt mit ihrer "vor ort ideenwerkstatt" für drei Tage mit einem temporären Architekturbüro in ein Dorf oder in eine Stadt. Was dann kommt? Zuhören. Die Gemeindebürger bringen ihre Ideen ein, aus denen die Architekten dann mehrere unabhängige Konzepte entwerfen. Über die wird dann abgestimmt. Die Architektur ist gut, die Akzeptanz liegt bei 100 Prozent. Roland Gruber ist geschäftsführender Gesellschafter von nonconform architektur vor ort. Außerdem ist er Gründer und Obmann des Vereins LandLuft (Verein zur Förderung von Baukultur in ländlichen Räumen), der gemeinsam mit dem Österreichischen Gemeindebund den LandLuft Baukulturgemeinde-Preis vergibt und mit den Preisträgerbeispielen Ausstellungen gestaltet, die in ganz Österreich und Deutschland gezeigt werden - um Vorbildwirkung zu entfalten. Außerdem hat Roland Gruber im Vorjahr die 1. Österreichische Leerstandskonferenz in Ottensheim ins Leben gerufen. Heuer im Herbst wird die Konferenz im steirischen Eisenerz (11.-12. Oktober) fortgesetzt. Sabine Oppolzer Kulturjournalistin Oppolzer: Sie schlagen für drei Tage in einem Dorf oder in einer Stadt ein temporäres Architekturbüro auf. Dann hören Sie einfach zu, was die Menschen als "Experten vor Ort" für Ideen haben - für die Problemzonen in ihrer Gemeinde. Weil das Thema strukturelle und räumliche Umstrukturierung der Schule in Österreich derzeit so ein großes Thema ist: Sie haben in Moosburg in Kärnten einen Kindergarten samt Volksschule und neuer Mittelschule zu einem Schulzentrum verbunden. Um so ein Mammutprojekt in drei Tagen in den Griff zu bekommen, brauchen Sie doch sicher eine längere Vorbereitungszeit. Wie lange ist die? Guber: Zwei Jahre. In dieser Vorbereitungszeit haben professionell begleitet die wichtigsten Köpfe gemeinsam nachgedacht: Wie kann man in einer ländlichen Gemeinde das Thema Bildung überhaupt in die Zukunft bringen? Wie kann man die Volksschule und die neue Mittelschule verbinden? Sie waren bis dato durch einen Zaun getrennt. Es waren auch von der Eigentümerseite her komplett getrennte Immobilien: Die Volksschule gehört der Gemeinde, die neue Mittelschule den 19 umliegenden Gemeinden. Die LehrerInnen der Schulen haben sich in den letzten Jahren fast nie gesehen. Die einen gingen in den Eingang links, die anderen in den Eingang rechts. O Nur die Kinder gehen dann am Ende der Volksschule ganz selbstverständlich von dem einen Gebäude ins andere hinüber ... G Für die Kinder ist das ein logischer Schritt. Aber für die Lehrer und das Schulpersonal gab es ein klar getrenntes Hüben und Drüben. Im Laufe der Vorbereitungszeit gab es nun aber einen Prozess der Annäherung. Es kam zum Dialog. Die Lehrer haben verstanden: Wir sitzen eigentlich alle im selben Boot. Wir müssen unseren Schulstandort gemeinsam absichern und nicht jeder für sich. Das Resultat dieses Prozesses: Wir haben aus Kindergarten, Volksschule, Musikschule und neuer Mittelschule ein Campusmodell entwickelt. Campus bedeutet: Es gibt Campusprinzipien, die täglich gelebt werden, und eine Campusmanagerin, die für die gesamte Organisation und den Außenauftritt verantwortlich ist. Sie wurde bereits installiert. Weiters: Es gibt regelmäßige Weiterbildungen für alle Pädagogen. Es gibt ein gemeinsames Jahresthema für alle Bildungseinrichtungen, ein großes gemeinsames Campusfest und festliche Staffelübergaben. Das heißt, im Kindergarten sind die Volksschulkinder sozusagen die Paten, in der Volksschule die neuen Mittelschüler. Das führt zu einer gemeinsamen Entwicklung. Auch die Talenteförderung wird gemeinsam organisiert, indem ein Forscherraum im Entstehen ist. Und die Königsgeschichte war dann erst, darüber nachzudenken, wie das auch räumlich Realität werden kann. Die Voraussetzung war, das alles zuerst inhaltlich auf Schiene zu stellen. Es gibt ein Papier, das vom Gemeinderat zusammen mit den Schulen und dem Kindergarten entwickelt und abgesegnet wurde, es heißt "Bildungscampus Moosburg". Darauf fußte dann erst das räumliche Arbeiten, unsere klassischen drei Tage vor ort ideenwerkstatt. Das waren Gespräche und Ideenentwicklung mit allen Beteiligten: mit den Schülern, Lehrern, den Eltern, den Schulverwaltungen, den Reinigungskräften, dem Schulwart sowie der Bezirks- und Landesschulleitung, also mit allen, die in irgendeiner Form damit zu tun haben. Aber auch die Gastronomen und Biobauern des Ortes wurden einbezogen. Gemeinsam haben wir eine räumliche Perspektive entwickelt, die sehr spannend ist. Es wurde uns klar, dass der Turnsaal nicht mehr adäquat ist, dass so ein Campus eine Mensa braucht, weil die Kinder natürlich in der Ganztagsschule mehr Zeit verbringen. Daher haben wir eine Küche eingeplant, in der mit Produkten der Biobauern aus dem Umland gekocht wird. Außerdem haben wir einen kleinen Bauernladen mitgedacht. Denn auf so einem Schulcampus ist die Frequenz sehr hoch. Die Eltern holen ihre Kinder ab und können dann gleich einkaufen und müssen nicht noch weiter in den Supermarkt fahren. O Das heißt, Ihr Konzept wirkt nebenbei auch verkehrsreduzierend und ist damit auch ökologisch? G Indem man den unterschiedlichen NutzerInnen zuhört, kommen all diese unterschiedlichen Bedürfnisse zutage, und man kommt darauf, dass es gar nicht so schwer ist, das alles unter einen Hut zu bringen. Aus den etwa 500 Ideen der Bevölkerung arbeiten wir meist drei ganz unterschiedliche räum liche Konzepte aus. Wenn wir dann die Modelle präsentieren, gibt es meist einen Wow-Effekt: Problemzonen in der Regionalplanung?

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Pferd zu setzen. Das ist in Moosburg die Bildung, Haag ist die Theatergemeinde, Zeillern in Niederösterreich ist die Blasmusikgemeinde, Oftering in Oberösterreich wird das Vierkanterdorf usw. So ein Fokus mobilisiert unheimlich viel. In diesem Korridor der Ausrichtung kann man ganz viele positive Energien erzeugen. O Also das heißt, Sie machen eine Analyse, was eigentlich die Stärke der Gemeinde ist, das geht doch schon fast ins Gemeindemarketing hinein? Ich nehme an, es wirkt zurück auf die Gemeindebewohner, die dann mit neuem Selbstbewusstsein nach außen auftreten? G Das haben wir aber eigentlich nie beabsichtigt. Es ging immer um Raum, Raumveränderung, Raumrezepte für diverse Aufgaben. Anfangs wurden wir mehrheitlich für die Attraktivierung des Zentrums in irgendeiner Form engagiert. Erst durch das Zuhören, durch die intensiven Gespräche mit vielen Menschen, kommt man drauf, wo in einem Ort das Potenzial liegt, wo der Schatz begraben ist. Jede Gemeinde hat so einen besonderen Schatz. Den gilt es auszugraben, den Rohdiamanten fein zu schleifen, zu einem richtigen Diamanten zu machen. Besonders wichtig ist das, weil der Wettbewerb der österreichischen Gemeinden untereinander immer stärker wird. Wir haben 2357 Gemeinden. Viele leiden unter der Abwanderung und wollen auch für junge Menschen attraktiv bleiben. Wenn die Braut nicht richtig geschmückt ist, dann ist es aber schwierig, da jemanden hinzubringen. Manche verschenken die Baugründe fast und trotzdem will niemand hinziehen. Moosburg wird mit dem Bildungscampus jungen Familien natürlich viel zu bieten haben. Für junge Familien ist qualitativ hochwertige Kinderbetreuung ein wichtiges Thema, wenn es um die Frage geht: "Wo ziehen wir hin?" Da gibt es einige Gründe, dass der Baugrund oder Wohnraum dann auch etwas teurer sein darf: Es ist alles vor der Haustüre, die Kinder essen dort (vielleicht sogar besser, als man sie zu Hause aus Zeitmangel bekochen könnte) oder der nachmittägliche Taxidienst in die Musikschule wird eingespart. Für uns ist das Entwickeln von Marken nur ein Beiwerk. Es bringt aber sehr positive Stimmung und macht uns auch ziemlichen Spaß. O Sie haben im Vorjahr ein sehr interessantes Projekt ins Leben gerufen: die erste Österreichische Leerstandskonferenz. Sie hat zum ersten Mal in Oberösterreich in Ottensheim stattgefunden und wird heuer im Herbst in Eisenerz in der Steiermark abgehalten. Thema sind vor allem Leerstände und Abwanderung. Wie hat denn im Vorjahr Ottensheim konkret von der Leerstandskonferenz profitiert? G Wir sind bewusst nach Ottensheim gegangen, weil dort seit einigen Jahren sehr interessante Projekte realisiert werden. Das ist eine klassisch gewachsene Gemeinde im Mühlviertel, in der Nähe von Linz mit ca. 5000 Einwohnern. Mit allen Proble- Im Rahmen der vor ort ideenwerkstatt kommen alle zu Wort und ergänzen die Planung um ihre Perspektive. "Das hätten wir nicht gedacht, dass das möglich ist ...". Über diese Konzepte wird dann am Ende des dritten Tages in einer Schlusspräsentation vor der interessierten Bevölkerung ein Stimmungsbild eingeholt. Wir haben bis jetzt zu unseren Projekten wenig negative Stimmen gehört. Denn die Menschen sagen dann: "Ich habe zwar für ein anderes Konzept gestimmt, ich unterstütze die Weiterentwicklung des Projekts mit der meisten Zustimmung aber trotzdem. Das ist eben Demokratie." Das führt auch dazu, dass die Bevölkerung sehr viele Eigenleistungen einbringt wie Baumfällen, Tischlerarbeiten, Pflege etc. Das wird sicher auch in Moosburg so sein. Jetzt dauert es aber noch eine Weile, bis die gesamte räumliche Vision Realität wird. Bis all die Regelwerke und Verträge im Hintergrund abgeschlossen sind, da muss man noch einige Zäune niederreißen. Mit der räumlichen Veränderung des Kindergartens, einem ersten konkreten Projektteil für den zukünftigen Bildungscampus, wurde aber in diesem Sommer bereits begonnen. Es geht also bereits richtig los. O Die Gemeinde Moosburg hat ganz stolz proklamiert, sie will jetzt die Bildungsgemeinde in Österreich werden. Heißt das, dass Sie mit Ihrem Projekt auch gleich eine Neuorientierung der Gemeinde auf Schiene gestellt haben? G Eine wichtige Erkenntnis aus 15 Jahren Gemeindeentwicklungsarbeit ist für mich, dass es für die Außenwahrnehmung wichtig ist, auf ein einziges 24 | 25 Problemzonen in der Regionalplanung?

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Mit der temporären Tribüne entschied sich die Stadt Haag nicht nur für ein kleines Wahrzeichen, sondern für ein Symbol der Belebung des Ortskerns. men, die es in solchen Orten gibt. Der klassische Donuteffekt: Rundherum blüht es und in der Mitte ist ein Loch. Ottensheim hat viel Zeit und Energie aufgewendet, um das Zentrum wieder zum Thema zu machen. Man hat dort das wahrscheinlich schönste Amtshaus Österreichs am Hauptplatz gebaut, das 2011 mit dem Bauherrenpreis ausgezeichnet wurde. Das Prinzip des shared space hat man in Ottensheim schon eingeführt, lange bevor es überall aufgegriffen wurde. Auch hat man die leer stehenden Erdgeschoßzonen geöffnet, man hat Künstler oder Werkstätten hineingelassen und kleine Geschäfte, wie z. B. einen Buchladen, gefördert. Generell war die Erkenntnis aus der ersten Leerstandskonferenz: Es gibt nicht das Rezept, es gibt ganz viele unterschiedliche Ansätze, die alle sehr individuell auf die jeweilige Problematik abgestimmt sind und die mit einem langen Atem einhergehen, bis sich eine Verbesserung einstellt. Und die zweite Erkenntnis: In Österreich ist man sehr inkonsequent in der Planung der Nahversorgung. In Deutschland ist das ganz anders. Dort wird ein Supermarkt am Ortsrand einfach nicht genehmigt. Mit sehr viel Rückgrat der zuständigen politischen Instanzen wird dafür gesorgt, dass die Nahversorgung im Ortskern bleibt. Da sind wir in Österreich vergleichsweise sehr schwach. O Das heißt, diese Entkernung der Ortszentren gibt es in Deutschland nicht? G Nicht in dieser Form wie bei uns. Wenn man bei uns durchs Land fährt, sieht man überall Orte mit entleerten Kernen, die an den Rändern zusammenwachsen. In den Zentren gibt es viele Leerstände, nicht nur im Erdgeschoß. Wir haben in Österreich wunderschöne Altstädte, mit denen sich Bürger identifizieren. Aber wenn man mal hinter die Fassaden schaut, ist dort sehr wenig los. Wir sollten mit den Genehmigungen viel strenger sein, denn wenn die Energie einmal draußen ist, dauert es ziemlich lang, bis diese wieder zurückgeholt wird. O Es heißt immer, das Problem in Österreich ist, dass der Bürgermeister die oberste Bauinstanz am Land ist. Ist das in Deutschland nicht so? Geht es da wirklich nur um Rückgrat oder aber um politische Strukturen? G Es ist in Deutschland ähnlich wie in Österreich. Die Raumplanung ist aber auf einer höheren Instanz angesiedelt. Da kann man von höherer Stelle natürlich strenger sein. O Das wird ja in Österreich schon lange verlangt. G Ja, das würde auch durchaus Sinn machen. Es ist aber nicht so leicht, das politisch durchzusetzen. Chronik

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O Warum? G Eine Aussage im Österreichischen Baukulturreport, der kürzlich im Parlament präsentiert wurde, besagt, dass diese Genehmigungen eine lukrative Spielwiese für die politisch Zuständigen sind. Da könnte etwas zum Besseren verändert werden. O Politische Strukturen zu verändern, das gelingt vielleicht nicht von heute auf morgen. Bis es so weit ist, können Sie mit Ihrer Arbeit zeigen, dass ein Leerstand im Stadt- oder Dorfkern durchaus auch neue Chancen für eine Gemeinde sein kann. G Leerstand muss nicht Stillstand sein. Leerstand kann auch Aufbruch signalisieren. Es kann ein Anlass sein, querzudenken und Dinge auszuprobieren. Man öffnet etwas, gibt es frei, testet etwas aus, ein Labor entsteht. Über das Labor kann darauf aufmerksam gemacht werden: Da ist ein riesiges Raumpotenzial vorhanden. So kommt es mit den Eigentümern zu Gesprächen oder irgendwer hat einen Bedarf und es entsteht vielleicht eine neue Zwischennutzung. Ein Leerstand kann eine Motivation für die Eigentümer sein, mit ihren Immobilien etwas zu tun. Denn wenn eine Immobilie verfällt, verfällt ihr Wert. Das ist in niemandes Interesse. O Eine Möglichkeit könnte aber auch sein, vergleichbar mit dem Mieterschutz für Wohnungen, eine gewisse Obergrenze des Quadratmeterpreises auch für Geschäftslokale einzuführen. Dann wären die Geschäftslokale doch leichter zu ver mieten ... G Da gibt es ein spannendes Beispiel aus Waidhofen/Ybbs. Das ist eine Gemeinde, die mit dem Thema Leerstand ganz vorbildlich umgegangen ist. Dort gab es 40 Prozent Leerstand in den Erdgeschoßzonen, obwohl es ein wunderschönes, großes Stadtzentrum gibt. Die Waidhofener haben sich dafür entschieden, dass sie die Mieten im ersten Jahr mit einem Betrag X unterstützen, im zweiten Jahr mit einem reduzierten Betrag X und im dritten Jahr mit einem noch kleineren Betrag. Das war ein großer Erfolg. Es gab ursprünglich die Sorge, dass die Leute nach drei Jahren wieder ausziehen würden. Eine völlig unbegründete Sorge. Die Leute sind geblieben. Dieses Beispiel zeigt, dass es darum geht, positive Anreize der öffentlichen Hand für die Nutzung der Erdgeschoßzonen zu gestalten. Denn es gibt nichts Schlimmeres als tote Erdgeschoßzonen. Hier sind jeder auch noch so schräge Einfall und jede Initiative sofort zu unterstützen. Sei es, Ausstellungen zuzulassen, öffentliche Aktionen wie Kochen oder Ähnliches. Alles, nur um Aufmerksamkeit zu erregen. Zumindest sind die Fassaden auch mitzudenken. Man muss sich von der Idee verabschieden, dass es um große Geschäfte geht, es werden eher die kleinen sein, die hineingehen, irgendwelche Büros vielleicht, Ärzte oder Kreativschaffende. Neue Nutzergruppen sind zu (er)finden, die die Erdgeschoßzonen sinnvoll besetzen könnten. O Warum ist es so schlimm, wenn die Erdgeschoße leer stehen? Weil dann die Leute nicht mehr zu Fuß gehen, alle ihre Wege mit dem Auto erledigen und dann die Kommunikation vollständig zum Erliegen kommt? G Meine persönliche Wahrnehmung: Es gibt nichts Trostloseres, als durch ein Ortszentrum zu spazieren und leer stehende Erdgeschoßlokale zu sehen. Es entsteht sofort das Gefühl, der Ort sei ausgestorben, und das raubt sehr schnell positive Energie, und ich möchte schnell wieder weg. Denn das Erdgeschoß ist die Kommunikationszone, die Stimmungszone, der Treffpunkt, der Marktplatz. Hier ist anzusetzen, diese Zone ist in den Griff zu bekommen. O Das heißt, Sie Arbeiten damit gleichzeitig auch an der "Stadt der kurzen Wege", in der man in Zeiten der Energieknappheit auch ohne Auto überleben kann? G Natürlich wird es ein Thema sein, ob wir uns die Benzinkosten in dieser Form noch leisten können! Glücklicherweise gibt es positive Trends, dass die Zentren wieder als lebenswert und interessant schätzen gelernt werden. Wir müssen uns davon verabschieden, dass das Einfamilienhaus auf der grünen Wiese das Einzige ist, was die Leute wollen. Weitere Informa tionen sind unter www.leerstandskonferenz.at und www.vorortideenwerkstatt.at zu finden. 26 | 27 Problemzonen in der Regionalplanung?

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In Moosburg wurde mit der räumlichen Veränderung des Kindergartens bereits der erste Schritt zur Realisierung des geplanten Bildungscampus gesetzt. Das zeigt eine Erfahrung, die wir in Stadt Haag im Mostviertel gemacht haben. Dort wurden intensive Programme im Ortszentrum initiiert: Ein Theater wurde gebaut, das im Sommer plötzlich 20.000 Besucher anzog, der Hauptplatz wurde neu gestaltet, und damit ging ein Förderprogramm für die Sanierung der Fassaden einher. Die Geschäfte kamen plötzlich zurück, beim Gasthaus ist der Junior zurückgekehrt, dadurch hat die Stube wieder die gesamte Woche geöffnet und hat einen Gastgarten dazubekommen. Das wirklich Entscheidende ist aber: Die Leute wollen wieder im Zentrum wohnen. Da sind in den letzten drei bis vier Jahren neue Wohnmöglichkeiten in leer stehenden Gebäuden entstanden und mehrere Hundert Leute mitten ins Ortszentrum gezogen, weil es wieder so lebenswert geworden ist. O Ist das nicht auch ein wichtiger Punkt für die immer älter werdende Bevölkerung? Alte Menschen können irgendwann nicht mehr mit dem Auto fahren und sind darauf angewiesen, die Nahversorgung zu Fuß zu erledigen. G Ja, ich kann rausgehen, einkaufen oder im Kaffeehaus sitzen und die lebendige Stimmung genießen. Dabei ist auch die Atmosphäre bei Nacht sehr wichtig. Die schönen Fassaden müssen strahlen, nicht die Laternen. Am besten weg mit den traditionellen Straßenlaternen. Das macht das besondere Flair eines Stadtzentrums aus. Dafür muss ich nicht ins Einkaufszentrum fahren, wo Klein-Venedig nachgebaut ist. O Das heißt, nonconform hat die Strategien in der Hand, die Abwanderung hintanzuhalten oder sogar wieder rückgängig zu machen? G Nein, wir haben das nicht in der Hand. Wir versuchen an einzelnen Orten, wo es aufgeschlossene Menschen in Politik und Verwaltung gibt, aufgeschlossenen Bürger und BürgerInnen, mit unseren Erfahrungen ein bisschen weiterzuhelfen. Und manchmal gelingt es uns - durch eine gewisse Dynamik, die wir mit unserer Arbeitsmethode einbringen -, eine positive Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Wir sind aber eigentlich nur ein kleines Rädchen. Das Einzige, was wir vielleicht geschafft haben: ein neues Berufsbild des Architekten mitzutransportieren. Für uns ist der Architekt nicht mehr jemand, der wartet, bis ihm irgendjemand etwas vorgibt. Stattdessen geht er auf die Leute zu, proaktiv sozusagen, er hört zu, entwickelt Ideen gemeinsam mit den Leuten und setzt sie mit ihnen gemeinsam um. Die Menschen vor Ort sind sehr dankbar dafür. N Problemzonen in der Regionalplanung?

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Schon morgen ist das Heute Vergangenheit | Bewegte Zeiten Mathias Rittgerott Journalist und Diplomgeograf. Er schreibt als freier Autor für den Stern und ist Mitarbeiter der Reportagenagentur Zeitenspiegel. Er lebt in Stuttgart. Dieser Text wurde von Menschenhand geschrieben. Die enthaltenen Gedanken sind von einem menschlichen Gehirn gedacht. Er wird von menschlichen Augen gelesen werden und regt menschliche Gehirne zum Denken an. Trivial? Keinesfalls. Mit etwas Fantasie lässt sich der Mensch gänzlich aus diesem Text streichen, Roboter und Automaten könnten ihn ersetzen. Künstliche Intelligenz sorgt dann für den Inhalt. Sie ermittelt, warum der Text geschrieben werden sollte und für wen. Künstliche Intelligenz hat den Menschen durchleuchtet, hat jede seiner Bewegungen analysiert und seine Interessen auf Speicherplatten gebrannt. Wer im Internet Börsenkurse von Daimler oder Toyota checkt, bekommt ungefragt Testberichte getextet. Wer Tennisschuhe bestellt, dem werden Artikel über Sport geschrieben. Wer auf Facebook Bilder markiert, die ihn beim Bergwandern zeigen, bekommt Artikel über Wanderungen in Tirol geschickt. Wer nach dem Begriff Eurokrise googelt, bekommt Daten aus Griechenland vorgesetzt. Niemand muss sich durch eine Zeitung kämpfen oder eine Internetseite scrollen, um für ihn interessante Informationen zu finden. Künstliche Intelligenz weiß, was der Mensch wissen will, und sortiert Uninteressantes aus. Vielleicht muss der Mensch die Texte nicht selbst lesen und sofort verstehen, weil die Informationen direkt in seiner Cloud abgelegt und zuvor auf Neues analysiert werden. Das Gehirn hat derweil Freizeit. Wir fläzen uns im Liegestuhl und werden trotzdem schlauer. Wünschenswert, weil Technik die Informationsflut für einen filtert und das Leben erleichtert? Erschreckend, weil Technik bestimmt, was der Einzelne wissen will und darf, und das Leben leichter macht, als man es möchte? Technisch ist das alles machbar. In wenigen Jahren schon, orakeln Zukunftsforscher, die keine Science-Fiction-Autoren sind, sondern Unternehmen beraten. Er findet aber auch Beispiele, wo Technik Probleme schafft und unser Leben in eine Richtung beeinflusst, die wir nicht wollen. Oft sind die Technologien dieselben, Gut und Schlecht die zwei Seiten einer Medaille. Zum Beispiel Digitalisierung und künstliche Intelligenz, zum Beispiel Energieversorgung und Klimakatastrophe, zum Beispiel demografischer Wandel. Beeinflusst werden Kommunikation, Mobilität, Siedlungsstruktur, Lebensstil und vieles mehr. Technik ruft zwei entgegengesetzte Reaktionen hervor: Skepsis und Gläubigkeit. Zudem hat sich die Zielrichtung von Technik gewandelt. Früher war sie Garant für ein Besseres, heute birgt sie all zu oft allein das Versprechen, Schlimmeres zu verhindern. Sie soll das Klima retten, Armut beseitigen, das Leben bis in immer höheres Alter angenehmer machen. Die Vorstellung von künstlich erzeugten Texten mag weit hergeholt oder nicht der Rede wert sein, persönlich zusammengefügte Zeitungen sind bereits heute machbar. In wenigen Jahren haben Google und Facebook ihren Siegeszug um die Erde angetreten. Sie helfen uns, Informationen über jedes Thema der Welt zu finden. Sie helfen uns, Hunderte Freundschaften in aller Welt zu pflegen, oder ermöglichen gar Umwälzungen wie den Arabischen Frühling. Technologie in Form von streng geheimen Computerprogrammen und leistungsstarken Servern sorgt für gesellschaftlichen Wandel. Diese Technologie soll unser Leben sicherer machen. Es gibt Programme, die Gesichter aus einer Menschenmenge erkennen. Selbst Personen, die den Kopf zur Seite drehen, werden von Kameras erkannt. Das optimierte Kamerabild kann mit Datenbanken verknüpft, gesuchte Kriminelle können dingfest gemacht werden. Das System kann auch dazu genutzt werden, hübsche Mädchen anzubaggern. Ein Handyfoto genügt, und man bekommt mit ein bisschen Glück die Facebook-Seite gereicht, die einen Einblick in Hobbys und Vorlieben gewährt und die Adresse liefert, die man sich bei Google-Streetview anschaut, bevor man fensterln geht. Gut für das Mädchen, wenn der Besucher Gutes im Schilde führt, sonst könnte es gefährlich werden. Seit der industriellen Revolution sind technischer Fortschritt und gesellschaftlicher Wandel miteinander verknüpft. Statt Knechte auf dem Feld wurden Arbeiter in den Fabriken gebraucht. Statt Dorf jetzt Stadt. Dort wuchs auch das Proletariat heran, das sich in Revolutionen auflehnte. Der einzelne Mensch wurde von Zwängen befreit und lebt heute in einer digitalen Welt. Manche sprechen gar vom Anthropozän, dem Zeitalter, in dem der Mensch die Erde prägt. Seit Beginn der Industrialisierung betreibt die Menschheit ein Experiment im globalen Maßstab. Jedes Fass Erdöl und jede Tonne Kohle tragen dazu bei, die Atmosphäre mit Kohlendioxid zu belasten. Die Folgen erleben wir oder hören zumindest in den Nachrichten davon, weil Menschen in fernen Regionen betroffen sind und nicht wir persönlich: Der Klimawandel, der vor Kurzem noch Klimakatastrophe hieß. Experten streiten, ob sich das Ziel noch halten lässt, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf zwei Grad zu beschränken. Dazu solle sich der CO2-Gehalt der Atmosphäre auf 450 ppm begrenzen lassen. Auf zahlreichen Gipfeln kämpfen Politiker um Klimaschutz, der allen nutzen würde, und ihre heimische Wirtschaft, was ihren Wählern Wer sich umschaut kann etliche Felder entdecken, wo Technik Probleme löst und unser Leben bereichert. 28 | 29 Schon morgen ist das Heute Vergangenheit

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die Umwandlung von CO2. Staubpartikel in der Atmosphäre können den Treibhauseffekt mindern, Spiegel im Weltall Schatten spenden. Doch was, wenn die Experimente im Weltmaßstab scheitern, weil passiert, was nicht geplant war? "Geoengineering stellt einen verzweifelten Versuch dar, die Auswirkungen des Klimawandels in den Griff zu bekommen", warnen die Klimaforscher Michael D. Mastrandrea und Stephen H. Schneider. Der Klimawandel - diese Erkenntnis setzt sich zunehmend durch - lässt sich nicht mehr zur Gänze stoppen beziehungsweise zurückdrehen. "Was durch Verminderung nicht verhindert werden kann, verlangt uns Anpassung ab; was wir durch Anpassung nicht bewältigen können, müssen wir verhindern", sagen Mastrandrea und Schneider. Zum Klimawandel als Auslöser des Zwangs zu Wandel gesellt sich Peak Oil. So heißt der Zeitpunkt, an dem die Hälfte des Erdöls gefördert wurde. Es wird darum gestritten, wann dieser Zeitpunkt erreicht ist. Vor genau 40 Jahren hat das Buch "Die Grenzen des Wachstums" erstmals deutlich gemacht, dass Ressourcen endlich sind. Optimisten sagen, der Peak Oil verschiebe sich beständig, weil aus immer tieferen Gesteinsschichten am Meeresgrund gefördert werden kann und Vorkommen erschlossen werden, die bislang unzugänglich waren. So wie die Steinzeit nicht vorbei war, weil es keine Steine mehr gab, werde das Ölzeitalter enden, weil neue Technologien Öl ersetzen. In jedem Fall ist irgendwann Schluss. Öl ist dann nicht aus, wird aber teurer - oder gar spottbillig, weil es in einer weiterentwickelten Welt verzichtbar ist. Bis es so weit ist, werden sich viele Dinge ändern. Die Zeiten sind vorbei, in denen 50 Liter Benzin verschwendet werden, um eine 75-KiloPerson von Wien nach Hamburg zu transportieren. Ingenieure sämtlicher Autohersteller entwickeln alternative Antriebe: Hybrid, Elektro, Wasserstoff. Vorbei die Zeit, in der Krabben aus der Nordsee zum Pulen nach Algerien geschickt wurden, weil die Arbeitskraft dort billig ist und die Transportkosten niedrig sind. Informationstechnologien ersetzen Reisen schon heute. "Im Zeitalter des Computers haben wir es mit der Überwindung geistiger Entfernungen mittels der Elektronik zu tun, statt dass wir, wie im Zeitalter der Industrieproduktion, physikalische Entfernungen mithilfe des Automobils überwinden mussten", sagt der Urvater der Zukunftsforschung John Naisbitt. IT hat dabei jede Stofflichkeit verlassen. Postkutschen gibt es nicht mehr, keine Kupferkabel, sondern WLAN und Highspeed-Netze fürs Internet. gefällt. Administrative Werke wie der Emissionshandel spielen eine Rolle, aber selbstredend auch technologischer Fortschritt. Dabei geht es um nicht weniger als den Umbau des globalen Energiesystems. Klimaneutral muss es sein. Manche rühmen Kernenergie als CO2-frei, andere warnen vor den Gefahren einer nuklearen Katastrophe. Fukushima war eine Lehre. Erneuerbare Energien wie jene aus Wind, Wasser und Sonnenkraft werden forciert, Großprojekte wie Desertec entworfen, CO2 soll in den Boden verpresst werden und vieles mehr. Kaum ein Beitrag über die Energiewende kommt ohne das Wort vom Smart Grid aus. Intelligente Stromnetze, die nicht wie in einer Einbahnstraße Strom vom Kraftwerk zum Verbraucher schicken. Diese Netze verbinden viele Stromerzeuger wie Windräder und Solarparks und reagieren flexibel auf Schwankungen bei Angebot und Nachfrage. Kühlhäuser senken die Temperatur auf minus 25 Grad, obwohl minus 15 ausreichen würden, wenn Strom billig ist, und schalten die Aggregate eine Stufe zurück, sobald er teurer wird. Kälte speichert gewissermaßen Windstrom. Häuser werden zum Bestandteil der Grids, indem sie ebenfalls situationsbedingt Energie liefern oder ideal getimed verbrauchen. Waschmaschinen richten sich nach dem Strompreis. Elektroautos können beim Laden der Batterien gleichsam als Puffer für unsteten Solar- und Windstrom dienen. Ein Heer rollender Batterien, das nur durch intelligente Technologien im Gleichschritt läuft. Geoenineering wird von einigen Experten propagiert. Eisensulfat kann in Ozeane geschüttet werden, was das Algenwachstum fördert und somit Die Weise, wo und wie wir wohnen, ändert sich angesichts von Klimawandel und endlichen Ressourcen und dreht unsere Lebensgewohnheiten gewissermaßen zurück in Zeiten vor der Globalisierung. Schon morgen ist das Heute Vergangenheit

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Vorbei der Trend, dass die Mittelschicht das Häuschen im Grünen baut und täglich zur Arbeit in die Stadt pendelt. Wir werden wieder im Kern der Städte leben statt in Suburbia. Wir werden nicht mehr in Einfamilienhäusern leben, sondern in modernen Hochhäusern. Unsere Häuser werden keine Energie verbrauchen, sondern Energie erzeugen. Letzteres ist bekanntermaßen technisch möglich. Masdar City ist ein gigantischer Feldversuch, diese Veränderungen in die Tat umzusetzen. 2017 soll die erste Null-Emissions-Stadt der Welt erbaut sein und ohne Öl auskommen. Ausgerechnet im Golfstaat Abu Dhabi in den Wüstensand gebaut, werden dort Benzinmotoren verboten. Die 50.000 Einwohner sollen sich von fahrerlosen Elektrotaxis befördern lassen, die Energie liefern Windturbinen und Solarzellen. Klimawandel und das Ende des Öls werden uns dazu zwingen, doch Menschen lassen sich nicht gern zwingen. Wie lange wehren wir uns? Experten führen uns vor Augen, dass selbst ausgefeilte Technologie nichts daran ändert, dass die Reserven begrenzt sind. Nötig ist ein Bewusstseinswandel. Freiwillig vollzogen oder von der Realität erzwungen. "Das von den Menschen des 21. Jahrhunderts geforderte Umdenken geht weiter als die Reformationen des 16. Jahrhunderts, in denen immerhin die Regeln des Verkehrs zwischen Erde und Himmel revidiert wurden", schreibt der Philosoph Peter Sloterdijk. Stadtforscher Mike Davis drückt es drastisch aus: "Für die Zukunft unserer Enkel ist nahezu jedes Szenario denkbar, vom kompletten Zusammenbruch der Zivilisation bis hin zu einem neuen goldenen Zeitalter der Kernfusion." Vielleicht ist es angesichts dessen für unsere Psyche nahezu überlebensnotwendig, dass unser Heim heimeliger wird. Unsere Häuser werden uns zu einer zweiten Haut, die sich um uns schmiegt und vor den Unwirtlichkeiten der Welt schützt. Häuser werden intelligent. Auf der Frankfurter Leitmesse Light & Building gehörte das Intelligente Haus zum Zuschauermagnet, ebenso bei der Internationalen Funkausstellung. Man kann bereits Haustüren kaufen, mit denen man skypen kann. Klingelt Schwiegermama, während der Hausbewohner nicht daheim ist, sieht er sie auf dem Smartphone-Display, spricht mit ihr - und lässt sie womöglich nicht ins Haus. Sieht der Bewohner seinen besten Kumpel vor dem Haus, bittet er ihn herein und bietet ein Bier an (das vielleicht von einem Roboter serviert wird). Bier steht jedenfalls immer im Kühlschrank bereit. Der Kühlschrank bestellt automatisch nach, sobald der Vorrat zur Neige geht. Dasselbe gilt für Lebensmittel. Diese werden seltener vom Wochenmarkt sein. Der Kühlschrank weiß beispielsweise, dass der Eisenspiegel im Blut des Hausbewohners schlecht ist und bestellt moderne Nahrungsmittel mit künstlich erhöhtem Eisengehalt. Der Mensch muss nicht wissen, wie er seiner Gesundheit Gutes tut, der Kühlschrank nimmt es ihm ab. Der Kühlschrank wird schlau, der Badezimmerspiegel macht den Menschen schlau. Im Glas erscheint das Fernsehbild des Morgenmagazins, es erscheinen die Kurse der Aktien, die der Hausbewohner hält, ein Rat, ob er sie heute gewinnbringend verkaufen kann. Der Spiegel präsentiert die Verkehrssituation und zeigt den derzeit schnellsten Weg zur Arbeit - wahrscheinlich analysiert das Auto solche Informationen jedoch selbst. Das sollte das Auto dem Spiegel freilich mitteilen. Vielleicht fährt das Auto sogar automatisch, vielleicht fliegt es gar auf festgelegten Flugbahnen. Bevor man das Haus verlässt überprüft der Kleiderschrank, ob die Krawatte zum Hemd passt. Das Haus macht schön. Geförderter Wohnbau Wien, Kundratstraße Mag. Michael Gehbauer Wohnbauvereinigung GPA Bauträger 30 | 31 Chronik

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"Alles wird Internet und das Internet hat nichts mit dem Computer zu tun", sagt der Zukunftsforscher Sven Gabor Janszky der Denkfabrik "2baheard". Haustür, Kühlschrank, Badezimmerspiegel, jedes Ding ist online. Dennoch werden wir nicht von Bildschirmen umgeben. Fernbedienungen sind ebenfalls überholt. Wir wischen und fuchteln in der Luft herum, nachdem wir das im Smartphone-Maßstab gelernt haben. Außerdem weiß der Fernseher, was der Zuschauer je nach Laune mit gewisser Wahrscheinlichkeit sehen möchte. "Was könnte der Mensch jetzt wollen?", diese Frage beantworte jedes Gerät, prognostiziert Janszky. Deckenleuchten und Stehlampen brauchen wir übrigens nicht mehr, weil die Wände selbst leuchten, und zwar in den Farben, die der Stimmung des Hausbewohners entsprechen. Das gibt es schon. Das Haus ist intelligent - es wohnt sogar für uns. Im Wohnzimmer erklingt die Musik, die man hören würde, wäre man daheim. Das Leben wird bequem. Doch das intelligente Haus weiß jede Menge über mich. Hoffentlich schöpft niemand die Daten ab. Der Kühlschrank, der vom Eisenmangel in meinem Blut weiß, sollte sich am besten nicht mit dem Arbeitgeber oder der Krankenversicherung in Verbindung setzen. Technologischer Fortschritt in der Medizin wird niemand als Fluch bezeichnen, er stellt uns aber vor Herausforderungen. Zugespitzter sollte man von Problemen reden. Die Lebenserwartung steigt (zumindest in Industrieländern). Wir leben länger und gesünder. Will die Hüfte nicht mehr, wird sie durch eine künstliche ersetzt, pumpt das Herz nicht ausreichend, wird ausgetauscht. Noch ist dazu ein Spenderherz nötig. Ein Mensch muss gestorben sein, damit ein Kranker leben darf. Es wäre doch ein Segen, könnte man ein persönliches Kunstherz züchten. Mit Haut funktioniert das. Aber was ist mit den anderen Organen, dem ganzen Rest? Es wäre doch ein Segen, den kompletten Menschen zu klonen, möglichst so lange er gesund ist. Ein Klon als Ersatzteillager. Doch wer ist Original, wer Kopie? Hat die Kopie ein Menschenrecht? Die Lebenserwartung steigt. Das Heer der Alten wächst. Zwar werden sie Dank des medizinischen Forschritts nicht mit 80 Jahren gebrechlich, aber mit 100. Wer pflegt sie dann? Roboter? In Japan gibt es bereits Robotertiere wie Robben mit flauschigem Fell. Es sind Streicheltiere, sie liegen auf den Schößen von Senioren und geben emotionale Kraft. Derweil räumt vielleicht ein Roboter die Spülmaschine ein oder serviert Kaffee. Schon heute gibt es diese Helfer zumindest in Forschungslabors. In Freiburg/Breisgau hat jüngst ein Roboter namens Obelix ganz allein den Weg durch die Innenstadt gefunden. Er ist um Fußgänger herumgefahren und hat Autos und deren Geschwindigkeit erkannt. Roboter können auf Zuruf Befehle ausführen. Doch wo ist die Grenze? Wollen wir im Alter tatsächlich von Robotern versorgt, umsorgt und gepflegt werden? Weil sie billiger sind als Menschen? Weil sie freundlicher sind als manchmal schlecht gelaunte Besucher aus Fleisch und Blut? Wollen wir, dass Roboter Roboterhunde Gassi führen? Roboterforscher betonen allesamt, dass der Roboter Assistent sein soll und kein Partner. Roboter werden vermutlich nicht so aussehen wie Menschen. Ist die Ähnlichkeit zu groß, machen sie uns Angst, wissen die Forscher. Heute ist das so, aber wird das so bleiben? Blechmänner lernen laufen. Ihre Augen werden besser. Sie reagieren auf ihre Umwelt. Manche arbeiten zusammen, manche arbeiten gegeneinander. Immer perfekter werden sie. Die Forscher verfolgen hohe Ziele. 2050 soll eine Mannschaft Roboter gegen den dann amtierenden Fußballweltmeister gewinnen. Das mag Österreicher freilich kalt lassen. N "ALU-FENSTER RECHNEN SICH AUF DAUER." TU Wien rechnet - MA 39 Wien testet: Längste Lebensdauer Dauerhaft hohe Dämmwerte Geringste Lebenszykluskosten Mehr über nachhaltigen Wohnbau auf www.alufenster.at. Ihr Metallbaubetrieb macht's möglich. Im Zeichen der Werthaltigkeit. Chronik

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OPeN SPACeS Architektur ist international. Wir auch. Als Marktführer für Glas-Faltwände und Balkonverglasungen bietet Solarlux weltweit innovative Öffnungskonzepte für anspruchsvolle Architektur. Realisieren Sie mit unseren Verglasungslösungen großflächige Öffnungen und transparente Räume - energieeffizient, hochwertig in Technik und Material sowie mehrfach ausgezeichnet im Design. Solarlux liefert jenseits uniformer Standards maßgeschneiderte Lösungen "made in Germany" für Objekte jeder Größenordnung. In über 50 Ländern der Welt. Wir unterstützen Sie gern mit einem international erfahrenen Team bei der individuellen Entwicklung und Ausführung von Projekten - vom ersten Planungsstadium bis zum Baustellen-Management. GM RAIlING® flexibel, sicher, genial einfach. MANzARA ISTANBUl Für die Zeit vom 01. 01.-28. 02. 2013 vergibt MANZARA ISTANBUL erstmals ein Stipendium für Architekten und Bauplaner. Istanbul - Orient und Okzident, Asien und Europa. MANZARA ISTANBUL, ein deutsch-türkisches Unternehmen, lässt sich durch zwei weitere Elemente inspirieren: Kunst und Architektur. Das ist auch Anlass, nicht nur jungen Künstlern, sondern auch Architekten, mit einem Stipendium die Möglichkeit zu geben, sich mit den unterschiedlichen Facetten dieser Metropole intensiv zu beschäftigen, um so Baustein einer verbindenden Brücke zu werden. Ganzglasgeländer p p p p p p p Das Original TRAV/Kat. B-geprüft 8 Baureihen Vorgefertigte Glasbaumodule 50 % weniger Montageaufwand Stufenlos justierbar Umfassende Beratung Bewerben können sich alle Architekten und Bauplaner mit einer Berufserfahrung von 5-8 Jahren, aus dem deutschsprachigen Raum. Glas Marte GmbH GM RAILING® Brachsenweg 39 6900 Bregenz, Österreich railing@glasmarte.at www.gm-railing.com Bewerbungsschluss: 31. 10. 2012 Entscheidung der Fachjury: 18. 11. 2012 Solarlux Austria GmbH T: +43 (512) 209023 F: +43 (512) 908161 www.solarlux.at info@solarlux.at Weitere Informationen unter: www.manzara-istanbul.com 32 | 33 Anzeigen

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Bewegung in der Stadt | Erfassungstechnologien im urbanen Raum Heinrich Garn Studium der Nachrichtentechnik und Elektrotechnik an der TU Wien, Habilitation zu elektromagnetischer Verträglichkeit, TU Wien. Geschäftsfeldleiter New Sensor Technologies am Austrian Institute of Technologies. Stadtplanung möchte die urbanen Mobilitätserfordernisse bestmöglich unterstützen. Wo kann man aber die relevanten Informationen über die Bewegungen der "Stadtbenutzer" hernehmen? Umfassende, repräsentative und aktuelle Daten über Personen- und Verkehrsströme sind gar nicht so leicht zu erfassen. Dieser Beitrag befasst sich mit effizienten Technologien und Methoden, die dies ermöglichen. Problemstellungen und Anforderungen an die erfassungstechnologien Ziel ist letztlich eine statistische Modellierung der Personen- und Verkehrsströme im urbanen Raum. Daraus können mit informationstechnischen Methoden Prognosen und daraus wiederum Planungsschritte für Infrastrukturen abgeleitet werden. Im Bereich der Passantenzählung besteht der Bedarf darin, Basis-Volumendaten an ausgewählten, besonders relevanten Standorten zu erhalten. Man will zum Beispiel an Verkehrsknotenpunkten von Eisenbahn, U-Bahn, Busbahnhöfen oder Park-and-Ride-Einrichtungen die Personenströme so lenken, dass auch zur Hauptverkehrszeit keine Behinderungen entstehen. Hier benötigt man nicht nur Quantitäten, sondern auch Quell-/Zielkoordinaten der Passanten. Bei der Erfassung von Verkehrsdaten sind vielfach die Stausituationen von besonderem Interesse. Hier spielen wiederum die CO2-Emissionen und die lokale Belastung durch Luftschadstoffe wie Feinstaub, Stickoxide, Ozon und Kohlenmonoxid eine wesentliche Rolle. Flüssiger, (wenn auch langsam) rollender Verkehr ermöglicht kürzere Fahrzeiten bei geringeren Emissionen und geringerem Kraftstoffverbauch. Die Verkehrsdaten müssen jedoch immer für zusammenhängende Stadtgebiete gemeinsam erfasst werden, nicht nur an einzelnen Querschnitten. Manchmal sind nicht nur Zählungen von Interesse, sondern auch eine Klassifizierung der Verkehrsteilnehmer. In Fußgängerzonen z. B. herrscht ein (nur bedingt erwünschter) Mix an Fußgängern, Radfahrern, Skateboardfahrern, PKW, Lieferwagen und LKW. Hier das gefahrlose und reibungslose Miteinander der Verkehrs- "Es ist das Know-how, welches den Unternehmenswert ausmacht und den beruflichen Erfolg bestimmt. Doch wo Menschen arbeiten, passieren mitunter auch Fehler. Schützen Sie sich und Ihr Unternehmen deshalb rechtzeitig vor etwaigen Schadenersatzanansprüchen." Aon Holdings Austria GmbH www.aon-austria.at Ihr Partner in Sachen Sicherheit & Versicherungen Ihr Berater: Prok. Peter Artmann I 1110 Wien, Geiselbergstraße 17 I t +43 (0)57800-159 I peter.artmann@aon-austria.at Aon_Anzeige_Konstruktiv.Juni2012.indd 1 14.05.2012 11:32:10

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teilnehmer zu ermöglichen stellt die Planung oft vor große Herausforderungen. Man will - jahreszeitabhängig - die Zusammensetzung und Bewegungsrichtung der Benutzer der Fußgängerzone analysieren, um gegebenenfalls sinnvolle Leitmaßnahmen setzen zu können. Diese werden nur dann Akzeptanz finden, wenn sie die realen Nutzungsgegebenheiten berücksichtigen. Die Wahrung der Privatheit und des Datenschutzes ist vor allem im öffentlichen Raum eine grundlegende Anforderung. Videoüberwachungsanlagen stoßen hier vielfach auf Kritik und Ablehnung. Die Erfassung von Personen- und Verkehrsströmen sollte daher grundsätzlich nur Sensorsysteme verwenden, die keine Identifikation der erfassten Verkehrsteilnehmer zulassen. Die im Folgenden präsentierten Anwendungsbeispiele zeigen, wie man dies technisch realisieren kann. Letztlich fordert man bei der Analyse der Verkehrsströme ein für die Modellierung ausreichendes Maß an Messgenauigkeit bei geringstmöglichen Anschaffungs-, Montage- und Betriebskosten. Informationstechnische Vernetzung, die Möglichkeit zur Fernwartung und Software zur automatischen Datenaufbereitung mit Schnittstellen zu kommerziellen Simulationstools sind weitere Anforderungen, um die entstehende Datenflut effizient weiter bearbeiten und nutzen zu können. Technische lösungsmöglichkeiten Heute existiert eine Vielzahl von Sensortechnologien, die zur Erfassung der Bewegungsmuster von Personen und Fahrzeugen eingesetzt werden können. Beispiele sind Videokameras, passive Ultraschall- und Infrarotdetektoren, Laserscanner, oder sogenannte Time-ofFlight-Sensoren auf Infrarotbasis. In diesem kurzen Beitrag können nicht alle Technologien mit ihren Vorund Nachteilen sowie spezifischen Einsatzmöglichkeiten beschrieben werden. Daher werden zwei repräsentative Beispiele herausgegriffen. Die Bluetooth-Technologie bietet heute die Möglichkeit, mobile Endgeräte mit eingeschalteter Bluetooth-Schnittstelle mithilfe spezieller Empfänger lokal zu detektieren. Der Prozentsatz der Verkehrsteilnehmer, die ein Endgerät mit aktivierter Bluetooth-Schnittstelle mit sich führen, schwankt je nach Einsatzort und -zeit relativ stark. Absolutwerte der Dichte der Verkehrsteilnehmer können daraus daher nur näherungsweise abgeleitet werden. Auch erfolgt die Lokalisierung nur relativ grob. Man kann z. B. nicht sagen, ob der rechte oder linke Gehsteig oder Fußgängerübergang bzw. der erste oder zweite Fahrstreifen benutzt wurde. Die Endgeräte können aber anonym von einem zum nächsten Standort bzw. Straßenquerschnitt verfolgt werden und ermöglichen damit die Erstellung von Quell-/Zielmatrizen. Dies ist insbesondere als Input für Simulationstools wertvoll. Allerdings weiß man z. B. in der Fußgängerzone nicht, ob das Endgerät von einem Passanten, einem Radfahrer oder einem Autofahrer mitgeführt wurde. Eine Klassifikation der Verkehrsteilnehmer ist damit nicht möglich. eine neue optische Technologie, die eine ortsund zeitgenaue Erfassung und auch Klassifikation von Verkehrsteilnehmern ermöglicht, aber keinerlei "private" Details erkennen lässt, wird seit nunmehr drei Jahren vom AIT Austrian Institute of Technology eingesetzt: Ein nach dem Vorbild der menschlichen Retina konstruierter ("bioinspirierter") optischer Sensorchip erfasst die groben Umrisse bewegter Objekte. Er reagiert dabei nicht auf die absolute Helligkeit in der Szene, sondern auf Kontraste. Dies ermöglicht eine herausragende Dynamik von Mondlicht bis zum grellen Sonnenschein. In Stereoanordnung erstellt der Sensor so wie beim menschlichen Sehen eine dreidimensionale Rekonstruktion der Szene in Echtzeit und erlaubt damit die Unterscheidung, ob Hund, Kinderwagen, Trolley, Person, Radfahrer oder Auto unterwegs sind. In der Ausführung als Verkehrsdatensensor bestimmt er Einzelfahrzeugdaten, errechnet daraus Informationen über den Verkehrszustand und prognostiziert dessen weitere Entwicklung. Die im Folgenden dargestellten Anwendungsbeispiele verwenden bereits die neue smart-eye-Sensorik. Der Name kommt daher, dass die Sensoren so intelligent ("smart") sind, dass sie keinerlei externen PC zur Berechnung und Auswertung der Daten benötigen. Das hat in Vor-Ort-Installationen große praktische Vorteile. Anwendungsbeispiele Personenzählung im öffentlichen Verkehr In Zusammenarbeit mit den Wiener Linien wurde zur Fußball-Europameisterschaft 2008 ein System zur Zählung der Personenströme in der Stadionstation entwickelt. Hier bestand die Herausforderung darin, dicht gedrängte Personenmengen genau zu zählen, um die Aufnahmekapazität in der U-Bahn-Station nicht zu überschreiten. Eine durch die Sensorik gesteuerte "Personendosieranlage" begrenzt die Zahl der Fahrgäste im Gebäude bereits am Eingang. Sie wurde 2008 mit dem Staatspreis für Forschung und Entwicklung ausgezeichnet. Die Einrichtung hat sich bewährt und steht auch heute bei Spielen mit großem Publikumsandrang im Ernst-Happel-Stadion im Einsatz. Ein derartiges System ist vor allem für Infrastrukturen vorteilhaft, wo z. B. nach Großveranstaltungen große Personenmengen gedrängt auftreten. Eine genaue Analyse im Rahmen eines Forschungsprojekts hatte bereits im Vorfeld gezeigt, dass diese Aufgabe mit dem genannten smart-eye-Sensor in dieser Genauigkeit am besten erfüllbar ist. Verkehrs- und luftgütemessung Staus auf den Straßen kosten nicht nur unsere wertvolle Zeit. Sie vernichten darüber hinaus Geld und verpesten die Luft, die wir atmen. Am Europaplatz in St. Pölten werden die Verkehrsflussdaten im Kreisverkehr erfasst und mit den Werten der benachbarten Luftgütemessstation korreliert. Dies erlaubt Rückschlüsse auf ursächliche Zusammenhänge, wobei auch meteorologische Bedingungen eine Rolle spielen. Für die Verkehrsplanung der Zubringerstraßen und die Verkehrsregelung am Kreisverkehr selbst stehen nun wertvolle Langzeitdaten zur Verfügung. Das System zur automatischen Verkehrsflusserfassung eignet sich sowohl für Stadtautobahnen als auch für innerstädtische Regionen mit Lichtsignalanlagen und gemischten Verkehrsteilnehmern. Einspurige Fahrzeuge werden z. B. nicht bewertet, da ihre Fahrlinien für den Gesamtverkehr nicht repräsentativ sind. Durch intelligente Verknüpfung der Querschnittsdaten mehrerer hintereinander angeordneter Sensoren wird 36 | 37 Bewegung in der Stadt

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ein Gesamtbild des Verkehrszustands errechnet. Die Beobachtung der zeitlichen Entwicklung der Parameter gestattet zudem eine Kurzzeitprognose, die man für Steuerungsmaßnahmen heranziehen kann. Öffentliche Gebäude In öffentlichen Gebäuden bestehen oft feuerpolizeiliche oder andere Bestimmungen über die höchstzulässige Personenanzahl. Im Wiener Rathaus findet z. B. jährlich der "Life Ball" als Charity-Event statt. Die Eröffnungszeremonie am Rathausplatz lockt jedes Jahr mehr als 40.000 WienerInnen und Gäste Wiens an, nur 3780 Personen können jedoch Tickets für den eigentlichen Ball im Inneren des Rathauses bekommen. Zur Personenzählung an allen Ein- bzw. Ausgängen setzt Kapsch Business-Com hier ebenfalls die smart-eye-Sensoren ein. Sie müssen unter allen Beleuchtungsbedingungen indoor und outdoor bestehen und selbst im dichten Personengedränge richtig analysieren. Die Zähldaten aller Sensoren (hinein, hinaus) werden über das lokale WLAN zusammengefasst und in einer Zentralstelle online visualisiert. Damit können Sicherheitskräfte bei Bedarf jederzeit steuernd eingreifen. Input für die Stadtplanung Mithilfe der erhobenen Mobilitätsdaten kann eine Vielzahl von Fragestellungen bearbeitet und beantwortet werden: Welchen Einfluss haben die Breite eines Gehsteigs, unbewegliche Objekte, Straßenanlagen, Bepflanzungen oder auch Straßenartisten auf den Fußgängerkomfort? Wird bei einem bestimmten Personenaufkommen in der Fußgängerzone das Ein- und Aussteigen von Straßenbahnfahrgästen behindert? Wohin könnte man die Objekte, die Haltestelle etc. verlegen, um die Situation zu entschärfen? Für diese und viele weitere Fragestellungen im Rahmen planerischer Anwendungen stehen heute computergestützte Modellierungs- und Simulationstools zur Verfügung, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Mithilfe mikroskopischer Simulationsmodelle untersucht man das Verhalten von Personenströmen und ermöglicht damit z. B., die bestehenden Infrastrukturen effizienter zu nutzen oder dynamische Abläufe zu optimieren. Zusammenfassend stehen die für die Stadtplanung erforderlichen Technologien zur Erfassung von Personenund Verkehrsströmen im urbanen Raum zur Verfügung und erfüllen die Anforderungen. Sie wurden erprobt und können mit vergleichsweise geringem Aufwand eingesetzt werden. In Verbindung mit geeigneter IT-Infrastruktur und Auswertungssoftware kann die Technik dem Stadtplaner damit nützliche Daten liefern. N www.erstebank.at www.sparkasse.at " Ziviltechniker stehen gerne auf sicheren Beinen." Martin Wohlich, Erste Bank und Sparkasse " Mit einer Bank, die für die finanzielle Statik sorgt." Petra Kern, Erste Bank und Sparkasse Hinter jedem erfolgreichen Ziviltechniker steht eine starke Bank. Ob private oder berufliche Finanzen - unsere Kundenbetreuer liefern rasch und kompetent maßgeschneiderte Lösungen für Ihre Bedürfnisse. Vereinbaren Sie einen Beratungstermin in Ihrer Filiale oder unter 05 0100 - 50500. EBSP_ImgArch_209x145_abf_Konstruktiv_151211.indd 1 22.08.11 09:25

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Mehr Architektur ohne Architektur | Mit "der merkwürdigen Konstruktion einer Hand" setzt Österreich neue Maßstäbe. Auf diesem "Sockel" von Informationen sollte nun eine außergewöhnliche Präsentation entstehen, die den Menschen in den Mittelpunkt in Relation zu Architektur und Raum darstellt. Ein irrealer Körperzustand an der Schnittstelle des Übergangs zwischen Körper und Architektur soll hier beschrieben und zuletzt vom Ausstellungsbesucher erlebt werden. Die Ausstellung Und was erfährt nun der Ausstellungsbesucher? Nach Betreten des Hoffmann'schen Pavillons durch eine niedrige und enge Eingangsöffnung, die geduckte Haltung des Besuchers - ähnlich der Eintrittssituation in einen japanischen Teeraum - erfordert, wird eine gewisse Ehrfurcht des Hereinkommenden evoziert. Der Raum eröffnet sich nun umso eindrucksvoller. Im Hauptraum des für die Ausstellung baulich nahezu unveränderten Pavillons ist eine die gesamte Stirnwand bespielende Projektion, auf der sich in langsamen Bewegungen schwebende, gehende, sitzende, liegende, sich teilweise wie Taucher oder Astronauten verhaltende Figuren befinden, zu sehen. Die menschenähnlichen, überlebensgroßen Gestalten in Schwarz-, Weiß- und Grautönen wirken zunächst befremdend, erinnern an Figuren Goyas, ihre nicht vordergründig zuordenbaren Bewegungen mitunter an Butohtänzer. Ja, sogar beängstigend wirkt die schwebende Gruppe aus deformierten Mutanten, die sich beiläufig zu einem Cluster zusammenschließt, auf dem Kopf steht, sich selbst auflöst oder aber ganz leger einherschreitet. Und plötzlich ist man selbst Teil der Installation! Ein 18 m langer Spiegel, der die der Projektion gegenüberliegende Wand bedeckt, integriert den Ausstellungsbesucher in die digitale Welt der virtuellen Charaktere, die mit zunehmender Betrachtung an Sympathie gewinnen. Und hat sich da nicht plötzlich einer meiner angenommen? Und geht mit mir durch den Raum, versucht meine Bewegungen anzunehmen? Habe ich hier eine ganz irreale Freundschaft geschlossen? Der Österreichbeitrag zur 13. Internationalen Architekturbiennale Venedig will nicht Architektur als solche präsentieren, sondern setzt mit einer digitalen Installation den menschlichen Körper in Bezug zu Raum. Die bemerkenswerte Inszenierung virtueller Figuren erweckt dennoch mehr architektonische Sensibilität als so manche herkömmliche Architekturausstellung. Marion Kuzmany Geboren 1963 in Wien, Architekturstudium an der TU Wien, Diplom 1993; Meisterklasse für Produktgestaltung bei Prof. Carl Auböck an der Hochschule für angewandte Kunst, Wien; 1993-1995 Postgraduate am Institut für Architekturgeschichte an der University of Tokyo Mitarbeit bei Hermann Czech in Wien und Arata Isozaki in Tokyo Gründungsmitglied Carl Auböck Archiv Wien 2002-2012 angestellt im Architekturzentrum Wien, freischaffende Architektin, Designerin und Architekturpublizistin in Wien Die Theorie "Wir wollten ein Projekt entwickeln, ohne zu wissen, wie es ausgeht", sagt der diesjährige Kommissär Arno Ritter. Der Entwicklungsprozess und der Dialog zwischen allen zu einer "Projektfamilie" zusammengewachsenen Beteiligten spielte dabei eine maßgebende Rolle. Wolfgang Tschapeller, der von Arno Ritter betraute Projektarchitekt, setzte ein Fundament aus theoretischen Grundlagen. Insbesondere beschäftigte er sich mit dem menschlichen Körper und seinen Veränderungen im Lauf der Jahrzehnte parallel zu technischen Entwicklungen in der Humanmedizin. In diesem Zusammenhang stellte er eine Auswahl relevanter US-Patente zusammen und vernetzte diese assoziativ mit Beispielen aus Literatur, Kunst, Fotografie und Film. Im gleichnamigen Buch zur Ausstellung "Hands have no tears to flow. Reports from/ without Architecture" ist diese Gegenüberstellung veranschaulicht. "Hands have no tears to flow" ist aus der 1954 erschienenen Publikation "Counterblast" des kanadischen Medientheoretikers Marshall McLuhan gegriffen und bezieht sich auf die letzte Zeile des Gedichtes "The Hand that Signed the Paper" von Dylan Thomas, der am Ende des Buches zitiert wird. Counterblast stellt eine Sammlung von Kurzgeschichten und Gedichten in typografisch extravaganter Form dar, inhaltlich folgen sie Marshall McLuhans Auffassung von enger Verbundenheit zwischen Kunst und technologischer Entwicklung sowie Einflüssen neuer Medien auf den Menschen. Dylan Thomas' Gedicht beschreibt in seiner melodischen Rhythmik und skurrilen Sprache, die Worte aus anderen Kontexten gegriffen zu ersetzen scheint und dadurch Die Technik vielschichtige Betrachtungsweisen zulässt, die Aktion "Es werden weder Architektur noch Alternativen zu der Hand bei einer Vertragsunterzeichnung. Gebäuden präsentiert, sondern Figuren. Diese aber So wie der surreal anmutende Titel weder das Wort sind mit Werkzeugen, die Architekten zur Verfügung Gebäude, Architektur noch Urbanität enthält, sondern stehen, erzeugt", erklärt Wolfgang Tschapeller. die "merkwürdige Konstruktion einer Hand" beinhaltet, Die technische und visuelle Umsetzung sowie "soll die Ausstellung nicht das, wovon wir normalerweise die 3D-Produktion des haptisch unfassbaren Projekts umgeben sind, präsentieren", sagt Wolfgang Tschapeller. führten Martin Perktold und Rens Veltmann durch. "Wir drehen uns so schnell, dass wir uns selbst sehen Für die Ausstellung wurden verschiedene Charaktere können." Hier wird unter anderem Bezug auf Paul Bowles digital konstruiert, indem reale Personen dreidimensioKurzgeschichte "Allal" genommen, in der die Hauptpernal gescannt, anschließend mit den Oberflächen anderer son Allal in den Körper einer Schlange gleitet und aus Personen überlagert und mit Eigenschaften Dritter der Perspektive ihres neuen Schlangenkörpers auf die ausgestattet wurden. Auf diese Weise entstanden virGestalt ihres verlassenen menschlichen Körpers blickt. tuelle Figuren, deren Identitäten jeweils aus mehreren Jenen magisch-hypnotischen Zustand eines transzenrealen Personen zusammengesetzt sind. Die Namen der denten Moments versucht Tschapeller mit dem weiteren "Erstgescannten" blieben erhalten, die Eigenschaften Beispiel eines Fotos von Charles Eames festzuhalten, äußern sich etwa darin, dass ein Mann mit weiblichen auf dem der Architekt einen vor ihm liegenden Mann Bewegungen und ein Kind mit jenen eines Mannes mithilfe eines Fotoapparats zu "analysieren" scheint. 38 | 39 Mehr Architektur ohne Architektur

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bestückt in Erscheinung tritt. Bob und Patrick haben hier noch die zusätzliche Sonderaufgabe zugeteilt bekommen, mit den Ausstellungsbesuchern zu interagieren. Wenn Bob - der sensibel auf zu große Menschenansammlungen reagiert und sich in diesem Fall eher schüchtern zurückzieht - sich entscheidet, mit einer alleine im Raum befindlichen Person mitzugehen, macht er die Bewegungen dieser Auserwählten nach. Kommt der Besucher in den Aktionsradius der sitzenden Figur, beginnt sich deren Kopf aufzulösen, nachdem die Figur ihn sich selbst abnimmt und mit ihren Händen knetet. Die Zuordungen der realen Personen, ihre Austattung mit Oberflächen, Bewegungen und Eigenschaften sowie die Referenzen zu entsprechenden Besuchern sind anhand einer Tabelle innerhalb der Ausstellung genau aufgelistet. Die grafische Darstellung zeigt quasi einen "Bauplan" zur Herstellung der virtuellen Persönlichkeiten. Die gesamte Ausstellung ist ein bewundernswertes Experiment in eine zukunftsweisende Richtung der Präsentation, die Potenzial zur technischen Weiterentwicklung offenlässt. Das Eintauchen in die theoretischen Grundlagen ist äußerst empfehlenswert und bewusstseinserweiternd! N Mehr Architektur ohne Architektur

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Rauchempfehlung Nein, dies ist keine bezahlte Werbeeinschaltung, sondern eine freie Meinungsäußerung. Mehr noch: ein öffentlicher Aufruf zum Tabak! Sind solche Worte und Bilder überhaupt noch erlaubt? Starker Tobak! Wer aufgehört oder noch gar nicht damit begonnen hat, ist heute gefordert, das Rauchen neu zu bedenken und sein Abstinenzverhalten infrage zu stellen. Nicht bloß aus Gründen individuellen Genusses, sondern vor allem im Dienste eines gesellschaftlichen Anliegens sollte man sich angesichts der neuesten politischen Entwicklungen verpflichtet fühlen, zur Zigarette zu greifen. Vor allem in der Öffentlichkeit! Widerstände aufgrund anfänglich unangenehmen Geschmacks und Geruchs wird so mancher überwinden müssen. Auch einen kleinen Einsatz von Gesundheit, Leib und Leben Linkempfehlung darf man nicht länger scheuen. Gehört es doch zu den edelsten Tugenden des Menschen, für die Verteidigung höchster Werte auch seinen eigenen Tod zu riskieren. Den Wert der Freiheit etwa. Den Wert der Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Den Wert der Pflege von Kultur, Kult und Tradition. Die Berechtigung, darüber entscheiden zu können, worin man den Sinn des Lebens zu finden hofft: etwa in einem lebenslänglichen Fitness- und Diätprogramm. Oder in einem rituellen Rauchopfer, das die Realität der Sterblichkeit ein wenig symbolisch vorwegnimmt und im Verglühen und Verrauchen inszeniert. Seit die Staatsgewalt sich zum Verbieten berechtigt fühlt, ist die Zigarette zum Medium der Kulturpolitik geworden. Die Frage, in welche Richtung sich die kulturelle Verfasstheit des Menschen entwickelt, steht an einer Weggabelung. Nicht um des Rauchens willen, sondern als Zeichen des Widerstands muss es nun die heroische Herausforderung jedes Einzelnen werden, demonstrativ Raucher zu sein. Und damit zu kämpfen gegen jenes neue Vorverständnis des Menschen in seiner Stellung zur Gesellschaft, das Genussverboten und Gesundheitszwängen zugrunde liegt. Nicht um die Zigarette geht es dabei, sondern um eine Haltung. Um Humanismus, Menschenrechte und Kultur. Wolfgang Pauser N Der Schritt von einer Idee zur Umsetzung kann mal mehr, mal weniger aufwendig sein. Wesentlich ist, dass man eine Idee hat. Um zu einer Idee zu gelangen, geht man meist pragmatisch vor - über die Recherche. Im 21. JahrBesuchsempfehlung hundert stöbert man dazu durch die vermeintlich unendlichen Weiten des World Wide Webs. Doch selbst nach der zigsten Eingabe in diverse Suchmaschinen stößt man nur wieder auf dieselben oder ähnliche Ergebnisse. Dabei umfasst das heutige Internet geschätzte eine Billion Seiten. Als IdeensucherIn will ich Neues kennenlernen, will ich auf etwas zufällig stolpern - das ermöglicht seit Jahren der gleichnamige Social-Bookmarking-Dienst StumbleUpon. Über einen Klick auf den Stumble-Button wird eine beliebige Seite vorgeschlagen, welche wiederum über eine Daumen-hoch- oder Daumen-runter-Schaltfläche bewertet werden kann. Zwar führt dieses Feature zur Personalisierung, diese kann im Vergleich zu herkömmlichen Search Engines oder anderen Social Bookmarks weitgehend selbst bestimmt werden. StumbleUpon speichert nur jene Information, welche die User bewusst markieren. Dazu gehören auch bestimmte Interessensgebiete, wie etwa Architektur, Kunst, Wissenschaft, Fotografie oder Media. Dabei besteht die Möglichkeit, all seine Interessen oder auch nur bestimmte zu durchstöbern. Ebenso können Filter gesetzt werden, die nur Audios, Videos, Bilder oder PDFs als Ergebnisse zulassen. Auch die Handhabung ist durch ein Toolbar-System (kompatibel mit allen gängigen Browsern) mühelos. Nach einer simplen Registrierung kann es schon losgehen - aber Vorsicht, Suchtgefahr! Maja Sito N www.stumbleupon.com Impulswoche >technik bewegt< 5. bis 9. November 2012 Die Impulswoche >technik bewegt< ist ein Angebot der Initiative Baukulturvermittlung, das Jugendlichen die Aufgaben der ArchitektInnen und IngenieurkonsulentInnen näher- bringen möchte. Zu diesem Zweck hat die Initiative Baukulturvermittlung für junge Menschen zu den Berufen Architektur, Tragwerksplanung, Gebäudetechnik, Maschinenbau, Raumplanung, Landschaftsplanung, Vermessungswesen und Wasserwirtschaft Module ausgearbeitet, die österreichweit von 5. bis 9. November 2012 gebucht werden können. Unter aktiver Einbindung der ExpertInnen zeigt >technik bewegt< die Bedeutung der ZiviltechnikerInnen für die Gestaltung unseres Lebensraums auf und vermittelt planende, technische Berufe auf eine jugendgerechte und spannende Weise. >technik bewegt< wird unterstützt von der Bundeskammer und den Länderkammern der Architekten und Ingenieurkonsulenten und vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur. Bereits am 19. und 20. Oktober bietet das internationale Symposium "get involved. discover and create common ground" im Rahmen der Biennale in Venedig die Möglichkeit, den aktuellen Stand der Architektur- und Baukulturvermittlung für junge Menschen theoretisch und praktisch kennenzulernen. Barbara Feller N www.baukulturvermittlung.at 40 | 41 Empfehlungen

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Vorsicht bei der Übernahme von Produktbeschreibungen - Ausscheidung und Haftung drohen! Zur Erstellung einer guten Ausschreibungsunterlage kann es entscheidend sein, im Vorfeld informell den Markt zu erforschen. Der UVS Oberösterreich hat vor Kurzem an eine Grenze erinnert, die dabei zu beachten ist: § 20 Abs 5 BVergG 2006 schreibt vor, Bieter vom Vergabeverfahren auszuschließen, wenn sie - auch nur mittelbar - an der Erarbeitung der Unterlagen für das Vergabeverfahren beteiligt waren und ihre Teilnahme einen fairen und lauteren Wettbewerb behindern würde. Im konkreten Fall will eine Gemeinde die Möblierung einer Schule im Weg eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung ausschreiben. Sie beauftragt ein Architekturbüro mit der Erstellung der Ausschreibungsunterlagen. Das Büro erkundigt sich bei der X GmbH über die von ihr vertriebene Schulmöbelserie eines deutschen Herstellers. Die X GmbH stellt dem Architekturbüro in der Folge Produktbeschreibungen und Vorschläge für die Textierung von Leistungsverzeichnissen in digitaler Form zur Verfügung. Das Büro holt nur über Produkte der X GmbH Informationen ein (die X GmbH hält dazu fest, dass ihr nicht bekannt war, dass sie als einziges Unternehmen eingebunden war und dass sie auf die Erstellung der Ausschreibungsunterlagen keinerlei direkten Einfluss hatte). Anschließend nimmt das Büro die von der X GmbH zur Verfügung gestellten exakten Beschreibungen als Mindestkriterien für die zu liefernden Tische und Stühle in das Leistungsverzeichnis auf. Die X GmbH beteiligt sich im Folgenden als Bieter am Vergabeverfahren. Der UVS Oberösterreich hält fest, dass sie vom Vergabeverfahren auszuschließen ist. Da die X GmbH dem Architekturbüro Informationen zu seinen Produkten zur Verfügung gestellt hat, die als Mindestkriterien in die Ausschreibungsunterlagen Eingang gefunden haben, ist die Firma zumindest mittelbar an der Erstellung der Ausschreibungsunterlagen beteiligt. Der faire und lautere Wettbewerb ist beeinträchtigt, da der Einfluss der X GmbH so weit reicht, dass sie ihre Produkte in der Ausschreibung verankert. Für andere Bieter ist es daher nahezu unmöglich, Produkte anderer Hersteller anzubieten, da sie nicht in sämtlichen vorgegebenen Details der Ausschreibung entsprechen. Dass die Entscheidung über die endgültige Aufnahme des von der X GmbH zur Verfügung gestellten Ausschreibungstextes beim Architekten bzw. der vergebenden Stelle gelegen ist, ändert daran nichts. Die Entscheidung zeigt, wie gefährlich es ist, Produktbeschreibungen von möglichen Bietern in Ausschreibungsunterlagen zu übernehmen - das Planungsbüro muss sich im schlimmsten Fall mit Schadenersatzansprüchen auseinandersetzen. (UVS OÖ, 29.06.2012, VwSeb-550600/14/ Kü/HU, VwSen-550602/8/Kü/HU) Gregor Stickler/Christian Gruber (Schramm Öhler Rechtsanwälte) N geschichte miteinander verwebt. Der erste Teil basiert auf dem Tagebuch von Bauers Urgroßvater, der aktiv am Aufstand in der Kaiserstadt Wien beteiligt war, die folgenden widmen sich Glanz und Elend der Donaumonarchie, deren Ende in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs besiegelt wurde. Den Abschluss bildet ein Kompendium lose miteinander verbundener Kurzgeschichten, die vom Aufstieg des Nationalsozialismus, von Verfolgung, Flucht, Exil und den ersten Schritten der Integration in der neuen Heimat handeln. Dies ist wohl der stärkste Abschnitt, hier merkt man, dass Bauer das Erzählte zum Teil am eigenen Leib miterlebt hat. Besonders eindringlich sind die Schilderungen der Ohnmacht Es ist wohl ein Hauptwerk der vor dem Terror der Nazis und der österreichischen Exilliteratur: der Verzweiflung von Flüchtlingen, Romanzyklus "Die Vorgänger" die in einem fremden Land mit des Arztes und Schriftstellers Alf- einer fremden Sprache um ihre redo Bauer, der 1939 als 15-Jähri- Existenz ringen. Im Grunde ger vor den Nazis nach Argenti- jedoch ist Bauers Werk von einer nien flüchtete. Der Zyklus positiven Grundstimmung getraumspannt ein Jahrhundert öster- gen: Zumindest der Jugend, die reichischer Geschichte, begin- sich allmählich von den Wertvornend mit dem Revolutionsjahr stellungen ihrer Herkunftsländer 1848 bis zum Ende des Zweiten löst, gelingt der Weg in ein neues Weltkriegs, wobei Bauer gekonnt Leben. und packend Familien- und Welt- Die Vorgänger Alfredo Bauer Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft 2012 Power Book Luca Zanier Benteli Verlag, 2012 Mächtige Hallen, endlose Gänge, undurchschaubares Röhrengewirr, kryptische Zeichen: Die in dem Fotoband "Power Book" versammelten Aufnahmen des italienisch-schweizerischen Fotografen Luca Zanier vom Innenleben der Energieindustrie sind erhaben und beunruhigend, faszinierend und einschüchternd zugleich. Es sind epische Bilder von Welten, zu denen nur wenige Menschen Zutritt haben, weil sie hochgradig gegen Unfälle und Terrorismus abgesichert sind: Kraftwerke, Wiederaufbereitungsanlagen, Heizanlagen, Raffinerien. Über Energiegewinnung lässt sich ja allerlei Kritisches äußern - Stichwort: Atomkatastrophen, Umweltzerstörung -, aber Zanier konzentriert sich ausschließlich auf die Ehrfurcht gebietende Schönheit der menschenleeren Innenräume, die auch von einem fremden Planeten stammen könnten. Es erstaunt, wie futuristisch die Bilder wirken, obwohl doch bei den Objekten der Zweck über allem steht. Deshalb gäben die Räume grandiose Kulissen für einen Science-Fiction-Film ab; tatsächlich wurden und werden filmische Utopien trotz aller digitaler Animationsmöglichkeiten in vergleichbaren Anlagen gedreht. Hätte Andrej Tarkowskij jemals einen Roman von Philip. K. Dick verfilmt, die von Luca Zanier gewählten Motive wären die idealen Kulissen dafür gewesen. Michael Krassnitzer N Jüngste Entscheidung | Krassnitzers Lektüren

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Die Technologie den menschlichen Bedürfnissen und Ressourcen anpassen | Robert Wimmer im Porträt Judith Brandner Geboren 1963 in Salzburg, Japanologin und Übersetzerin für Englisch und Japanisch. Sie ist freie Radio- und Printjournalistin (u. a. Ö1, Spectrum) und Buchautorin. 2012 erschien bei Picus "Reportage Japan - Außer Kontrolle und in Bewegung". Für einen schonenden Umgang mit Umwelt und Ressourcen wurde Robert Wimmer schon in seiner Kindheit in Seewalchen am Attersee sensibilisiert. Er habe gerne in der Agar gebadet, erzählt der Geschäftsführer der Gruppe Angepasste Technologie an der TU Wien. Die Agar war ein sauberer Fluss mit klarem Wasser, doch nur bis zur dort ansässigen Papierfabrik: Danach sei sie eine Kloake gewesen, erinnert sich Robert Wimmer. Das war Anfang der 70er-Jahre und ein Schlüsselerlebnis. Damals reifte in ihm der Gedanke, einen Beitrag zur Verhinderung derartiger Umweltprobleme zu leisten. Als es dann um die Studienwahl ging, bot sich Biologie an. Doch der Studienberater meinte: "Wenn du von der Wirtschaft ernstgenommen werden willst, studiere Technik!" Also wurden es Maschinenbau und Verfahrenstechnik an der TU Wien. Er habe diese Wahl keine Sekunde bereut, sagt Robert Wimmer, denn dadurch hat er das Rüstzeug bekommen, Technologien zu entwickeln, die menschlichen Bedürfnissen und Ressourcen angepasst sind und nicht umgekehrt. Das ist auch das Ziel von GrAT, einem wissenschaftlichen Verein an der TU Wien, den Wimmer seit 1996 leitet. GrAT entwickelt und erarbeitet Innovationen in den Bereichen Ecodesign, nachwachsende Rohstoffe, nachhaltiges Bauen und Produkt-Dienstleistungssysteme. Bei der EXPO 2005 in Aichi in Japan präsentierte Robert Wimmer das S-HOUSE, ein Projekt von GrAT. Das S-HOUSE, eine mit Strohballen gedämmte Holzkonstruktion in Passivhaustechnologie, ist ein Vorzeigebeispiel für nachhaltiges Bauen. Durch den Einsatz von Passivhaustechnologie wird der Energieverbrauch im S-HOUSE auf ein Zehntel im Vergleich zu herkömmlicher Bauweise reduziert. In Japan initiierte Robert Wimmer auch den Wettbewerb "International Competition for Sustainable Architecture und Design", um Studierende der Architektur zur Beschäftigung mit nachhaltigem Bauen zu motivieren. Besonders wichtig ist es Wimmer dabei, aus der Vergangenheit zu lernen: "Wir brauchen eine Rückbesinnung auf traditionelles Know-how, das wir dann mit neuen Technologien in einen modernen Kontext stellen können." Aus einer Ausstellung mit den Wettbewerbsbeiträgen in Nagoya ergab sich eine enge Zusammenarbeit mit dem Nagoya Institute of Technology, wo Wimmer seither regelmäßige Gastprofessuren hat. Bei diesen Aufenthalten entstand die Idee, gemeinsam mit japanischen Firmen in den vom Tsunami zerstörten Gebieten Zero Carbon Villages, CO2 neutrale, energieautarke Siedlungen in vorgefertigter Modulbauweise zu errichten. Erste Demonstrationsgebäude sind in Vorbereitung. In Japan sei das Interesse an Umwelt und Nachhaltigkeit seit der Katastrophe von Fukushima am 11. März 2011 stark gestiegen, stellt Robert Wimmer fest. Für ihn sind Atomkraftwerke das beste Beispiel dafür, dass bestehende technische Lösungen meist nicht effizient sind. Die enormen Kosten für Errichtung, Betrieb und Nachsorgeaufwand von AKW stünden in keiner Relation zum Output, ganz abgesehen von den katastrophalen Folgen von Unfällen oder der ungelösten Endlagerung: "Keiner fragt künftige Generationen, ob sie dieses Erbe wollen!", sagt Robert Wimmer. Diese Botschaft versuche er auch seinen Studierenden in Japan zu vermitteln. Dort formieren sich die AKW-Gegner derzeit immer stärker gegen die mächtige Atomlobby. Vorübergehend wurden alle 54 AKW des Landes zu "Überprüfungszwecken" heruntergefahren, doch im Juli wurden zwei Reaktoren wieder ans Netz genommen. Seither finden jeden Freitag Demonstrationen vor dem Sitz des Premierministers in Tokio statt. Viele seiner Projekte, zum Teil im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit, führen Robert Wimmer nach Asien, nach Bhutan, Nepal, auf die Philippinen. GrAT hat ein Büro in Manila, ein weiteres wird gerade in Nepal eingerichtet. Ziel ist es, den Nachhaltigkeitsgedanken an Ingenieure dort weiterzugeben. Ein Schwerpunkt ist Energie- und Ressourceneffizienz in der Tourismusindustrie. Das reicht von der Errichtung der Gebäude bis hin zur Versorgungskette. Auf den Philippinen unterstützt GrAT zahlreiche Tourismusbetriebe, die mittels Solarenergie und "Green Technologies" zu "Zero Carbon Resorts" werden. Durch die vielen beruflichen Auslandsreisen habe er leider nicht mehr so viel Zeit wie früher, wochenlang mit dem Fahrrad unterwegs zu sein, bedauert Robert Wimmer. Doch nach wie vor zieht er gerne stundenlang allein durch die Gegend, um den Kopf freizubekommen - für neue Ideen von Technologien, die menschlichen Bedürfnissen angepasst sind. N 42 | 43 Porträt Robert Wimmer

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Fehlanzeige Das Einfamilienhaus - ein Energiesünder in Verkleidung Das bedrohliche Szenario "Klimawandel" hat auch dazu geführt, dass wir unsere baulichen und städtebaulichen Sünden ökologisch aufrüsten. Einfamilienhäuser werden in Passivhaus- oder zumindest Niedrigenergietechnologie errichtet. Der Vollwärmeschutz, die Wärmepumpe und die Solarzelle am Dach kaschieren aber nur behelfsmäßig einen kollektiven Missstand, der in der Betrachtung des größeren Maßstabs sichtbar wird. Die ökologische und energetische Bilanz der Zersiedelung ist katastrophal. Für den antiurbanen Lifestyle, der für die ständige Ausbreitung des Einfamilienhausteppichs sorgt, wird ein hoher Preis bezahlt - individuell wie kollektiv. Man pendelt mit dem Auto zur Arbeit, nimmt für die verkürzte Freizeit gerne auch einmal den täglichen Stau in Kauf. Die gegenwärtige Wohnbauförderung, die auf Einzelobjekte ausgelegt ist, fördert diese Entwicklung. Die Förderung städtebaulich nachhaltiger Strukturen auch im suburbanen und ländlichen Raum könnte ein Ausweg aus diesem Dilemma sein. Auf der anderen Seite könnte die Reintegration suburbaner Qualitäten in die Stadt - insbesondere die Aufwertung und Ausweitung städtischer Frei- und Grünräume - zu einer Abschwächung der Stadtflucht führen. André Krammer N Das nächste Heft Ob die Zeit wissenschaftlich nachweisbar existiere oder lediglich ein menschliches Empfinden sei, ist je nach naturwissenschaftlicher Disziplin nach wie vor strittig. Klar scheint jedenfalls zu sein, dass sich mit der Metamorphose der Zeit zum Geld im Zuge der Industrialisierung ihr Einfluss auf jeden Einzelnen um vieles erhöhte. Da die Zeit nun also zum ökonomischen Gut erklärt war, konnte es nicht mehr lange dauern, bis sie alle Bereiche des Lebens durchdrang. Das spiegelt sich selbst in der Planung von Gebäuden wider: Nicht mehr für die Ewigkeit, sondern für einen zuvor bestimmten Lifecycle sollen diese gebaut werden. Urs Fischer, Untitled, 2011 // Wachs, Pigment, Docht, Stahl | Den Raub der Sabinerinnen, im 16. Jahrhundert von Giambologna in Marmor gebannt, interpretierte Urs Fischer im Rahmen der Biennale von Venedig 2011 als ephemere Plastik aus ca. 3500 kg Wachs.

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Von oben betrachtet sieht eine Kulturlandschaft wie ein Fleckerlteppich aus. Dieser ist aus zusammengenähten Stoffstreifen verschiedener Reststücke gewoben. Im Mühlviertel kann er auf eine lange Tradition zurückblicken. Der Not nach dem Zweiten Weltkrieg verdankt dieser Prototyp des modernen Recyclinggedankens seine erste breite Karriere, bevor er in den 80er-Jahren von Nostalgikern und Grünbewegten zum basalen Ausweis fortschrittskritischer Wohnkultur erkoren wurde. Im Waldviertel ziert er noch heute manches Wochenendhaus betuchter Wiener, die damit nicht nur ihre kompensatorische Sehnsucht nach dem Ärmlichen, Rohen und Derben ausbreiten, sondern auch ein Abbild des agrarisch Ländlichen ihrem kosmopolitischen Stand zugrunde legen: Von oben betrachtet sieht ein Fleckerlteppich wie eine Kulturlandschaft aus. Was aber ist eine Kulturlandschaft? Die Makroversion eines kitschig gewordenen Bodenbelags? Ein Dokument unterlassener Flurbereinigung? Das Welterbekomitee der UNESCO definiert sie mit einem Kunstgriff: "Kulturlandschaften sind Kulturgüter und gemeinsame Werke von Natur und Mensch." Davon wird die "Wirtschaftslandschaft" unterschieden, in der die Landwirte ein "weniger inniges Verhältnis" zum Boden hätten und die menschlichen Eingriffe in die Natur "nivellierend und künstlich" wären. Theoretisch betrachtet sind sonach Fleckerlteppiche wie auch Kulturlandschaften Sinnbilder der Ideologie, dass ältere Techniken der Naturbearbeitung natürlich, jüngere künstlich sind. Und dass Techniken, sobald sie veraltet genug sind, um als "natürlich" zu gelten, Kunstwerke sind. Um diesen gedanklichen Kuddelmuddel noch zu überblicken, ist es unerlässlich, die Welt von oben, ganz weit oben, zu betrachten. Wolfgang Pauser N